Gibt es eine Überversorgung bei älteren Diabetikern?

Aus Angst vor möglichen Folgekomplikationen sind die Therapieziele gerade bei älteren Diabetikern oft zu ehrgeizig, was mit Risiken assoziiert ist. So das Ergebnis einer Beobachtungsstudie. Die Initiative „Klug entscheiden“ empfiehlt für die Behandlung des Diabetes mellitus bei älteren Patienten über 75 Jahre, den Zielwert für HbA1c an dem funktionellen Status des Patienten auszurichten. Eine medikamentöse Therapie, die einen HbA1c-Wert < 7,5% anstrebt, ist in dieser Altersgrupe nicht von Nutzen. „Allgemein wird ein HbA1c-Wert von 6,5 bis 7,5% für die Vermeidung von Folgeerkrankungen empfohlen“, so Dr. Nicolle Müller von der Medizinischen Universitätsklinik Jena. Für den gesunden älteren Patienten wird ein HbA1c-Zielbereich von 7,0 – 7,5% empfohlen, für Patienten mit begrenzter Komorbidität und einer Lebenserwartung < 10 Jahren 7,5 -8,0% und 8,0 -9,0% für Patienten mit Multimorbidität und kürzerer Lebenserwartung. Therapieziele sind oft zu ehrgeizig Doch wie konsequent werden diese Empfehlungen im diabetologischen Alltag auch umgesetzt? Dieser Frage ist man im Rahmen der GIUDANCE-Studie nachgegangen. Dabei handelt s sich um eine retrospektive, cross-sektionale Studie. Ausgewertet wurden die Daten von 7.597 Typ-2-Diabetikern aus 8 europäischen Ländern, die ambulant in 73,7% der Fälle vom Hausarzt und in 26,3% der Fälle von einem Diabetologen versorgt wurden. Dabei ging es primär darum, eine vermeintliche Übertherapie zu erfassen. Als eine solche wurde definiert ein HbA1c-Wert ≤ 7% unter einer Therapie mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin bei Patienten ≥ 65 Jahre. 73,7% der untersuchten Patienten gehörten zu dieser Altersklasse, wobei die mittlere Diabetesdauer 7,7 Jahre betrug. 35,4% dieser älteren Diabetiker hatten einen HbA1c-Wert von ≤ 6,5%, 58,6% von ≤ 7% und 81,5% von ≤ 8%. 44,7% der Patienten mit einem Alter ≥ 65 Jahre und einem HbA1c-Wert ≤ 7% erhielten Insulin oder einen Sulfonylharnstoff. „Diese Gruppe muss man als übertherapiert ansehen“, so Müller. Übertherapie auch bei Herzkranken Besonders riskant ist eine zu strenge Stoffwechseleinstellung bei Patienten mit einer kardialen Begleiterkrankung, so dass man hier im Hinblick auf potentielle Hypoglykämien eine Übertherapie eigentlich streng vermeiden sollte. In der Studie fand sich aber kein wesentlicher Unterschied im Hinblick auf die Therapieziele zwischen herzgesunden und herzkranken Patienten. Bei 60,5% der Patienten ohne Herzerkrankung und bei 54,6% der herzkranken Diabetiker fand sich ein HbA1c-Wert ≤ 7%. Bei den älteren Diabetikern mit einem HbA1c-Wert ≤ 7% wurden bei Herzgesunden in 42,8% der Fälle und bei Herzkranken sogar in 50,5% der Fälle Insulin oder ein Sulfonylharnstoff eingesetzt. „Diese Ergebnisse zeigen, dass noch eine große Lücke klafft zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht, mit anderen Worten, jeder zweite ältere Diabetiker ist übertherapiert“, so das Fazit von Müller. Der entscheidende Grund dafür sei sicherlich die Angst vor den diabetischen Spätschäden. Doch dieses Risiko werde gerade bei älteren Patienten häufig überschätzt. Weitere Artikel finden Sie in unserem DDG-Jahrestagungsdossier.

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