Wie erleben Personen mit psychiatrischen Erkrankungen die Corona-Pandemie?

Eine erhöhte Wachsamkeit, mehr Mediennutzung sowie eine starke psychische Belastung zu Beginn der Pandemie – Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen erleben die Coronakrise ähnlich wie die Allgemeinbevölkerung, so die ersten Ergebnisse einer Göttinger Erhebung. Es gibt jedoch auch Subgruppen, die schwerer betroffen sind. Die „Corona-Pandemie“ verlangt der gesamten Gesellschaft einiges ab und wurde nicht umsonst jüngst zum „Wort des Jahres 2020“ gekürt. Wie aber ergeht es Personen mit psychiatrischen Erkrankungen, die eine besonders vulnerable Gruppe für Stresssituationen darstellen? Denkbar ist, dass sie aufgrund ihres eingeschränkten Spektrums an Bewältigungsstrategien und ihres geringeren Funktionsniveaus eine größere Stressbelastung erleben. Es gibt aber auch zum Beispiel Berichte von Sozialphobikern, denen der Aufruf, möglichst daheim zu bleiben, sogar entgegenkommt. Einen Überblick jenseits von Einzelbeobachtungen will eine Göttinger Forschungsgruppe im Rahmen einer Studie schaffen, die Dr. Claudia Bartels, leitende Psychologin am psychologischen Dienst der Universitätsmedizin Göttingen, auf dem diesjährigen DGPPN-Kongress vorstellte. An der Studie beteiligten sich 213 erwachsene Patienten, die in Göttingen ambulant behandelt wurden oder zu Studienbeginn im Frühjahr gerade entlassen worden waren. Die Datenerhebung erfolgte telefonisch mittels des Göttinger Belastungs- und Symptom-Inventar (GÖ-BSI) durch den letzten Behandler. Abgefragt wurden unter anderem der Grad der psychischen Belastung, die psychische Symptomatik, Lebensqualität, Resilienz sowie Anpassungsschwierigkeiten. Die Befragung fand im Frühjahr 2020 statt, als die Maßnahmen zu den Kontaktbeschränkungen maximal griffen und noch keine Lockerungen stattgefunden hatten. Zusätzlich sollten die Patienten retrospektiv Angaben zu zwei weiteren Zeitpunkten machen: Einmal zu der Zeit vor Beginn der Pandemie und einmal zum Beginn der Pandemie, als erst wenige COVID-19-Fälle bekannt waren. Eine charakteristische Dynamik An psychiatrischen Symptomen, die während der Corona-Pandemie am meisten zugenommen hatten, wurden eine erhöhte Wachsamkeit, mehr Mediennutzung sowie ein aufmerksameres Beobachten der Symptome bei anderen genannt. Wobei man nicht sicher sagen könne, schränkte PD Dr. Michael Belz, Psychologe an der Universitätsmedizin Göttingen, ein, ob diese Angaben spezifisch für Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen gelte – schließlich seien coronabedingt in der gesamten Bevölkerung mehr Medien wie Netflix konsumiert worden. Die Resilienz befand sich bei den Befragten insgesamt auf einem hohen Niveau. Der Glaube an eine positive Entwicklung sowie das Gefühl neuer Chancen während der Pandemie korrelierte allerdings negativ mit dem Alter, so Belz. Je älter die Befragten, desto weniger optimistisch blickten sie also in die Zukunft. Allgemein gaben Frauen eine stärkere Belastung als Männer an. Aber auch das bedeute nicht zwingend, betonte Belz, dass hier wirklich eine stärkere Belastung bei Frauen vorliegt, da Männer bei diesen Befragungen seiner Erfahrung nach weniger ehrlich antworteten als Frauen. Die Studienteilnehmer gaben an, dass ihre psychosoziale Belastung zu Beginn der Pandemie stark anstieg, um dann aber bis zum Zeitpunkt der Befragung wieder abzunehmen. Diese Dynamik aus Be- und Entlastung verlief bei beiden Geschlechtern und bei sämtlichen untersuchten psychiatrischen Subgruppen gleich und decke sich auch mit entsprechenden Beobachtungen aus der Allgemeinbevölkerung in China, erklärte Belz [1]. Allgemein, so Belz, gebe es starke Hinweise darauf, dass sich die psychiatrische Population in dieser Krise ähnlich wie die nicht psychiatrische verhalte. Das scheint aber nicht für alle Personen mit psychiatrischen Erkrankungen zu gelten. Bei Subgruppenanalysen fiel auf, erklärte Dr. Ulrike Schmidt, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinik Bonn, dass Patienten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) (n = 18) zu Beginn der Pandemie eine signifikant höhere Belastung angegeben hatten als die übrigen Studienteilnehmer. „Patienten mit kodierter PTBS zeigen in der Krise zudem eine deutlich erhöhte Depressivität und Impulsivität im Vergleich zu Patienten ohne PTBS“, führte Schmidt weiter aus. Zwar seien dies nur vorläufige Ergebnisse und nicht generalisierbar, dennoch deutete die Pilotstudie darauf hin, dass PTBS-Patienten die Coronakrise nicht so gut verkraften würden wie Menschen mit einer anderen Diagnose. Wie sich der Verlauf der Stressbelastung langfristig entwickelt, soll nun weiter untersucht werden. Weitere Befragungen sind für Ende des Jahres geplant. Empfehlung der Redaktion Berichte vom virtuellen DGPPN-Kongress Das Dossier zum Psychiatrie-Kongress In unserem Dossier zum DGPPN-Kongress erwarten Sie u.a. Beiträge zu der Evidenz von Cannabinoiden bei psychiatrischen Erkrankungen. Und sie lesen von ersten Erfahrungen mit Ketamin bei therapieresistenten Depressionen oder wie Kognitionstraining bei affektiven Störungen helfen kann. basierend auf: Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), virtuell, 26.11.– 28.11.2020. Symposium S-122 "Auswirkungen der Corona-Pandemie auf psychische Störungen“

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