Weniger ist oft mehr – das wird nur selten berücksichtigt

Bei älteren Diabetikern, vor allem solchen mit recht niedrigen HbA1c-Werten, sollten Ärzte vielleicht eine weniger intensive Behandlung erwägen. Spezielle Erinnerungsprogramme können dabei helfen. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Ein regelmäßiger Blick auf die Medikation kann sich bei alten Menschen lohnen, nicht selten werden zu viele oder zu hoch dosierte Medikamente verordnet. Das liegt mitunter auch an Leitlinien, die häufig eine Intensivierung der Therapie nahelegen, um gewisse Zielwerte zu erreichen, dabei aber nicht unbedingt die Situation multimorbider Älterer berücksichtigen, geben Pharmakologen um Dr. Monika Oktora von der Universität in Groningen in den Niederlanden zu bedenken. Inzwischen gibt es jedoch einige Initiativen und Vorschläge – zum Teil auch von Ärzteverbänden –, bei wem eine Deintensivierung wie zu bewerkstelligen ist. Allerdings sehen die Forscher um Oktora gerade für ältere Diabetiker noch ein deutliches Verbesserungspotenzial: Nur bei einem Bruchteil der Diabetiker mit niedrigen HbA1c-Werten wird die Blutzucker- und Blutdruck-senkende Medikation im Alter über 65 Jahren zurückgefahren, schlussfolgern sie aus einem Review von 14 Studien. Die Pharmakologen schauten sich Studien und Analysen an, die eine Deintensivierung der Therapie bei Diabetikern prüften, dazu zählten sie jedes Absetzen und jede Dosisreduktion eines indizierten Medikaments gegen Diabetes, Hypertonie oder zu hohe Cholesterinwerte. Ein Teil basierte auf großen Kohortenstudien mit Verschreibungsdaten – hier wurde etwa geschaut, ob die Ärzte mit der Zeit die Therapie zurückfuhren. Interventionsstudien bildeten eine weiteren Teil – dabei wurde entweder gezielt versucht, die Therapieintensität zu verringern, oder es wurden Programme implementiert, die Ärzte bei bestimmten Laborwerten automatisch eine Überprüfung der Medikation nahelegten. Reduktion nur bei einem Bruchteil mit niedrigen HbA1c-Werten Wie sich zeigte, reduzierten die Ärzte die Diabetesmedikation immerhin bei 21–45% aller erwachsenen Patienten mit einem HbA1c von weniger als 6,0%. Wurden nur ältere Patienten betrachtet, erreichte die Rate gerade einmal 20–27%, für HbA1c–Werte von 6,0–6,5% nur 14–21%. Insgesamt wird also nur bei einem Siebtel bis einem Viertel der älteren Diabetiker mit einem relativ niedrigen HbA1c-Wert die Therapieintensität zurückgefahren, so das Fazit der Forscher um Oktora. Was die Blutdruckmedikation betrifft, so ergab sich ein ähnliches Bild: Insgesamt senkten die Ärzte die Therapieintensität bei rund 40% der Diabetiker mit systolischen Werten unter 120 mmHg, wurden nur die älteren Diabetiker betrachtet, erreichte der Anteil lediglich 19% und unterschied sich kaum von Patienten mit höheren Werten. Offenbar hing die Entscheidung für eine Deintensivierung hier mehr von anderen Faktoren als dem Blutdruck ab. In kleineren Studien prüften Ärzte, was denn genau passiert, wenn sie deintensivieren. In einer Studie gelang es bei 24 von 32 Patienten mit HbA1c-Werten unter 6% die Diabetesmedikation zu reduzieren, worauf der HbA1c-Wert nur minimal von 5,2 auf 5,8% stieg. In einer weiteren Studie mit niedrigen HbA1c-Werten wurde die Diabetesmedikation ganz abgesetzt, der Wert stieg dadurch im Laufe eines Jahres nur von 6,2% auf 6,5%. Schließlich konnten Ärzte in einer Studie auch bei Patienten mit einem Wert bis 7% die Medikation ohne einen signifikanten Anstieg absetzen, und eine der Untersuchungen fand zudem einen Rückgang der Hypoglykämien nach dem Absetzen. Drei Studien schauten nach dem Erfolg spezieller Deintensivierungsprogramme. In einer davon wurde Ärzten automatisch ein Zurückfahren der Medikation nahegelegt, wenn der HbA1c 7% unterschritt. Damit gelang es bei 26% der älteren Diabetiker die Intensität zu senken. Mit einem anderen Programm, das auch ein Arzt-Patienten-Gespräch vorsah, erreichte die Rate 37%. Immerhin wurde durch ein solches Programm in einer Analyse bei der Hälfte der Patienten mit Furcht vor Hypoglykämien die Intensität reduziert, dies war auch bei mehr als zwei Dritteln mit schweren oder wiederholten Hypoglykämien der Fall. Die Forscher um Oktora halten solche Erinnerungssysteme daher für besonders hilfreich, um Übertherapien und Hypoglykämien bei älteren Diabetikern zu vermeiden. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie häufig wird bei älteren Diabetikern die Intensität der Behandlung zurückgefahren? Antwort: In Studien wurde bei 14–27% der älteren Diabetiker mit niedrigen HbA1c-Werten die Behandlung mit Diabetesmitteln reduziert. Blutdrucksenker fuhren die Ärzte bei 19% der älteren Diabetiker mit systolischen Werten unter 120 mmHg zurück. Bedeutung: Bei der Deintensivierung bieten sich noch viele Chancen; Erinnerungsprogramme helfen, diese zu nutzen. Einschränkung: Sehr heterogene Studien.

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