Welche Höhepunkte hatte der EASD-Kongress 2017?

Die European Society for the Study of Diabetes (EASD) lud im September zu ihrer 53. wissenschaftlichen Tagung ins sonnige Lissabon. 2018 wird Berlin wieder Gastgeber sein. Info Diabetologie / Springer Medizin sprach am Rande des Kongresses mit Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Diabetologe an der Universität Tübingen und Past-Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG), über seine Highlights vor Ort und was die deutsche Diabetologie so beschäftigt. Herr Prof. Gallwitz, was ist für Sie das Besondere an der Jahrestagung der Europäischen Diabetesgesellschaft EASD? Gallwitz: Da ist zum Beispiel die Programmstruktur. Man findet jedes Jahr die gleichen Themen zur gleichen Zeit, kann sich schnell orientieren und auf den neuesten Stand bringen. Und es gibt viele Pro-und-contra-Diskussionen und Rückblicke wie das Symposium „60 Jahre Metformin“ in diesem Jahr*. Auch die Posterführungen sind hervorzuheben, hier bekommen junge Kollegen ihr Podium. Für Besucher aus Osteuropa oder arabischen Staaten ist die Tagung aufgrund der räumlichen Nähe und der einfachen Einreisebedingungen attraktiver als der Kongress der amerikanischen Diabetesgesellschaft ADA. Und die EASD hat es geschickt verstanden, dass wichtige Studien auch hier vorgestellt werden. Ihre Tagung hat in den letzten Jahren gegenüber der der ADA an Stellenwert gewonnen. Welche Höhepunkte hat der diesjährige EASD-Kongress? Gallwitz: Dazu gehören die Symposien zu den neuen kardiovaskulären Endpunktstudien wie CANVAS mit Canagliflozin und DEVOTE mit Insulin Degludec. Es werden weitere Erkenntnisse zu den SGLT-2-Hemmern Empa- und Dapagliflozin vorgstellt und zum dualen SGLT-1-2-Hemmer Sotagliflozin bei Typ-1-Diabetes. Für mich sind auch weitere Daten zum Einsatz der Dreifachkombination Metformin, DPP-4- und SGLT-2-Hemmer spannend, weil es eine wirksame antidiabetische Therapie ohne zusätzliches Hypoglykämierisiko ist, die zur Gewichts- und Blutdrucksenkung führt. Glauben Sie, dass das Basalinsulin Degludec auf den deutschen Markt zurückkommt? Gallwitz: Es ist sicher vom Hersteller nicht so gedacht, damit nie mehr auf den hiesigen Markt zu kommen. Ich bin überzeugt von den Daten zur Hypoglykämiereduktion durch Degludec in DEVOTE und den SWITCH-Studien. Das kann eine Grundlage für eine neue Nutzenbewertung sein. Welchen Stellenwert haben SGLT-2- und duale SGLT-1-2-Hemmer bei Typ-1-Diabetes? Gallwitz: Durch diese Substanzen zusätzlich zum Insulin können Blutzuckerspitzen und eine Gewichtsproblematik möglicherweise besser beherrscht werden. Aber wäre ich Typ-1-Diabetiker, würde ich ungern auch noch Tabletten nehmen. Wir müssen uns die Daten und die Patienten kritisch angucken, auch im Hinblick auf eine erhöhte Ketoazidosegefahr. Mit jeder Endpunktstudie und Subgruppenanalyse zum Nutzen und möglichen Schaden durch Antidiabetika bei Typ-2-Diabetes werden mehr Unterschiede auch innerhalb der Substanzklassen deutlich. Entsteht hier ein Ranking, das sich bald auch in den verschiedenen Leitlinien wiederfindet? Gallwitz: Wir werden in der neuen Praxisleitlinie der DDG, die bei der Herbsttagung 2017 in Mannheim vorgestellt wird, spezielle Hinweise zum Einsatz von SGLT-2-Hemmern und GLP-1-Rezeptoragonisten haben, worin wir die neuen Erkenntnisse aus der EMPA-Reg-Outcome-Studie mit Empagliflozin und der LEADER-Studie mit Liraglutid zum kardiovaskulären Nutzen berücksichtigt haben. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat im aktualisierten Disease Management Program Typ-2-Diabetes Empagliflozin als Substanz mit Zusatznutzen für Typ-2-Diabetiker mit kardiovaskulären Vorerkrankungen aufgeführt, was ich sehr begrüße. Dapagliflozin hat derzeit sein Einsatzgebiet beim neu manifestierten Typ-2-Diabetes. Aber ich bin sehr gespannt, was in der entsprechenden kardiovaskulären Endpunktstudie herauskommt. Ich gehe bei den Gliflozinen von einem Klasseneffekt aus, anders als bei den GLP-1-Rezeptoragonisten. Es gibt zudem Bestrebungen, die Nationale Versorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes, die unter Mitarbeit der DDG, der Bundesärztekammer und weiterer Fachgesellschaften herausgegeben wird, zu aktualisieren. Die DDG fährt auch hier die Linie, die kardiovaskulären Sicherheitsstudien in die Diskussion hineinzunehmen sowie die Charakterisierung, welche Patienten mit welchen Grunderkrankungen von welchen Antidiabetika am meisten profitieren. Das internationale Konsensuspapier der ADA und EASD steht ebenfalls vor einer Neuauflage, die wohl Anfang 2018 verfügbar sein wird. Wo stehen die DPP-4-Hemmer derzeit im Antidiabetika-Ranking? Gallwitz: Sie haben keinen kardiovaskulären Vorteil gezeigt. Dadurch haben sie etwas an Stellenwert verloren und auch, weil sie keine nennenswerte Blutdruck- und Gewichtsreduktion bewirken. Aber weil man sie auch bei eingeschränkter Nierenfunktion geben kann, haben sie durchaus ihren Einsatzbereich, z.B. bei alten Menschen oder Metformin-Unverträglichkeit. Und sie sind sehr gute Kombinationspartner. Sie haben in zehn Jahren Praxis auch einfach gezeigt, dass sie sichere Medikamente sind. Die Digitalisierung wird in der Diabetologie immer wichtiger und ist ein Schwerpunkt bei der DDG. Beim EASD-Kongress ist sie eher ein untergeordnetes Thema. Wo sehen Sie die größten Vor- und Nachteile der neuen Technologien zur Datenerfassung und Vernetzung? Gallwitz: Die EASD versteht sich eher als naturwissenschaftliche Gesellschaft, daher steht das Thema noch nicht so im Mittelpunkt. Die Digitalisierung in der Medizin ist eine große Chance. Ich gewinne dadurch Zeit, mit Patienten über wichtige therapeutische Fragen zu sprechen. Aber natürlich muss der Patient selbst entscheiden können, welche Daten er freigibt, und die Datensicherheit und Kompatibilität der einzelnen Systeme muss gewährleistet sein. Daran ist auch die Industrie interessiert. Wir haben als DDG dieses Jahr eine „Task Force Digitalisierung“ gegründet. Im zugehörigen Code of Conduct sind Forderungen an eine sichere und sinnvolle Digitalisierung festgehalten. Hierzu werden wir demnächst weitere Informationen veröffentlichen. Mit Blick auf die Diabetologie in Deutschland, was freut Sie hier am meisten? Gallwitz: Was mich freut an der Entwicklung ist, dass die verschiedenen Berufsgruppen innerhalb der Diabetologie in Deutschland mehr zusammengerückt sind. Das spiegelt sich in unserer „Task Force Diabetologie 2025“ wider, die vor 2 Jahren gegründet wurde und in der wir 10 Forderungen von der Prävention bis zur Nachwuchsförderung aufgestellt haben, die auf der DDG-Homepage abrufbar sind**. Auch über die wissenschaftlichen Aktivitäten in Deutschland freue ich mich. Durch das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) hat die deutsche Forschung in Qualität und Bekanntheitsgrad einen großen Sprung nach vorn getan. Das ist ein Ansporn. In den Universitäten ist die Diabetologie nicht genug in der Lehre vertreten und wir brauchen Nachwuchs. Die DDG engagiert sich hier auch, indem sie Studenten als Stipendiaten zum EASD-Kongress einlädt. Prof. Dr. Baptist Gallwitz Stellvertretender Ärztlicher Direktor Medizinische Klinik, Abteilung IV, Universitätsklinik Tübingen privat × Weiterführende Informationen: * Die Zeitschrift „Diabetologia“ des Springer Medizin Verlages widmete Metformin in der Ausgabe 9-2017 mehrere Schwerpunktbeiträge **Infos zur Task „Force Diabetologie 2025“der Deutschen Diabetes-Gesellschaft hier auf den Internetseiten der DDG

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