Bakterien als Immunmodulatoren?

Das Mikrobiom scheint im Darm einen viel größeren Einfluss auf die immunologische Tumorabwehr zu haben, als bisher geahnt. Sollte sich das bewahrheiten, dann hätte das Konsequenzen für die Prävention, das Screening und möglicherweise auch für die Klassifikation kolorektaler Karzinome. „Schon seit den 1960er Jahren vermutet man, dass intestinale Dysbiose zur Entstehung von Darmkrebs beiträgt“, berichtet Prof. Philip Quirke, Pathologie und Tumorbiologie, St. James Universitätsklinik, Leeds, UK. Eines von vielen Indizien dafür sei die geografisch inhomogene Verteilung: Die Inzidenz von Kolon- und Rektumkarzinomen variiert im Vergleich verschiedener Länder um das Acht- beziehungsweise Sechsfache. Quirke und Mitforschende konnten in kolorektalen Primärtumoren regelmäßig Bakterien nachweisen, darunter meistens ein hoher Bacteroides-Anteil. Prevotella, Campylobacter und Treponema-Stämme fanden sich nur in Tumorgewebe mit Mikrosatelliteninstabilität (MSI), einem in Krebszellen häufig erhöhten Marker für gestörte DNA-Reparatur. Fusobacterium-Stämme waren in MSI-Gewebe mit erhöhter Häufigkeit anzutreffen, und dieses Ergebnis wurde von mehreren Arbeitsgruppen repliziert. Vor dem Hintergrund, dass sich die Infiltration kolorektalen Tumorgewebes mit bestimmten T-Zell-Spezies als prognoserelevant erwies [1], vermutet Quirke, dass das Tumormikrobiom einen viel größeren Einfluss auf die Immunaktivierung in Tumoren hat, als bisher geahnt. Quirkes Forschungsgruppe hat einen DNA-Sequenzierungs-basierten Test entwickelt, der anhand der Mikrobiom-Zusammensetzung das individuelle Darmkrebsrisiko ermitteln soll. Der Test befindet sich derzeit in der Validierungsphase. „Alles, was Sie mit Ihrem Körper anstellen, wirkt sich auf Ihr Mikrobiom aus“, erklärt Quirke. Einfluss habe bereits das Land, in dem man auf die Welt kommt, der Geburtsmodus, die Ernährung vom ersten Lebenstag an und wie häufig und intensiv man sich bewegt. Das Mikrobiom verändert sich im Lauf des Lebens. Auch Krankheiten und Medikamente haben einen erheblichen Einfluss. Dass Letzteres auch auf Nicht-Antibiotika zutrifft, wurde in einer deutsch-japanischen Studie nachgewiesen. Darin wurde die Wirkung von 1.000 gebräuchlichen Medikamenten auf 40 repräsentative, überwiegend kommensale Darmbakterienstämme in vitro untersucht. Jedes vierte Arzneimittel hemmte demnach das Wachstum mindestens einer dieser Bakterienspezies. Dabei waren praktisch alle Wirkstoffklassen vertreten. Besonders häufig traten antibakterielle Effekte bei bestimmten Zytostatika (Antimetaboliten), Antipsychotika und Kalziumkanalblockern auf. Bei einigen Bakterien wurden auch Resistenzmechanismen induziert. Möglicherweise tragen Nicht-Antibiotika sogar zur Entwicklung von Antibiotikaresistenzen bei. [2] Auch die protektiven Effekte von Acetylsalizylsäure auf den Darm sind nach Quirkes Einschätzung möglicherweise über das Mikrobiom vermittelt. Zur Senkung des Darmkrebsrisikos über eine nahrungsgestützte Mikrobiomanpassung könnten neben einer faserreichen Kost mit hohem pflanzlichen Anteil möglicherweise auch Omega-3-Fettsäuren beitragen. In einer randomisierten unverblindeten Studie nahmen 22 gesunde Personen über acht Wochen täglich 4g Omega-3-Fettsäuren ein. Daraufhin stellte sich eine reversible Veränderung des Darm-Mikrobioms ein, mit Zunahme von Spezies, die – als protektiv erachtete – kurzkettige Fettsäuren produzieren, wie Bifidobacterium-, Oscillospira-, Roseburgia- und Lachnospira-Stämmen sowie einer Abnahme von Coprococcus und Faecalibacterium. [3] Ob sich die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren auf das Darmkrebsrisiko auswirkt, ist Quirke zufolge in weiteren Studien zu klären. Basierend auf: „The microbiome and colorectal cancer”, Präsentation von P. Quirke am 04. Dezember 2019 auf dem European Colorectal Congress in St. Gallen, Schweiz. Empfehlung der Redaktion ECC 2019 – das Kongressdossier Beim 13. European Colorectal Congress in St. Gallen diskutierten Experten, welchen Einfluss Bakterien bei der Prävention und Behandlungen von Anastomosenlecks haben. Des Weiteren scheint das Mikrobiom im Darm als Immunmodulator zu wirken. Kolorektale Endometriosen sowie Krebserkrankungen bei älteren Patienten waren weitere Themen der Veranstaltung.

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