Anhaltszahlen
Anhaltszahlen stützen sich darauf, welche Arbeitsleistung pro Zeiteinheit von einer Arbeitskraft (Arzt oder Pflegekraft) erbracht werden kann bzw. muss. Die Berechnungen beruhen auf Daten aus Einzelerhebungen oder auf Rückschlüssen aus bestehenden Personaldichten. Spezifische lokale Unterschiede wie der Versorgungsauftrag eines Krankenhauses (Grund- und Regelversorgung vs. Maximalversorgung), seine Patientenstruktur, die innerbetriebliche Organisation oder die technische und räumliche Ausstattung bleiben in der Regel unberücksichtigt.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat 1969 Anhaltszahlen für die Pflege und 1974 für Ärzte veröffentlicht, die 1998 „aktualisiert“, aber nicht verändert wurden (DKG
1969; Bayerischer Kommunaler Prüfungsverband
1998). Nach diesen Anhaltszahlen ist ein Arztschlüssel von 1 Arzt für 2 Intensivtherapiebetten zu verwenden, für eine Station mit 18 Betten würden danach 9 ärztliche Vollzeitkräfte (VK) benötigt.
Dieser Schlüssel beruht jedoch auf der Annahme, dass nach einem 8-stündigen Regeldienst ein 16-stündiger Bereitschaftsdienst folgt und die Wochenenden und Feiertage über voll bezahlte 24-stündige Bereitschaftsdienste abgedeckt werden. Das finanzielle Volumen der Bereitschaftsdienste entspricht einem Stellenäquivalent von 3–4 VK, sodass sich nach dieser Methode ein Stellenbedarf von 12–13 VK ergibt.
Arbeitsplatzmethode
Die Arbeitsplatzmethode geht von der Zahl zu besetzender Arbeitsplätze aus, ohne auf deren Auslastung zu achten. Diese Methode lässt sich zur Ermittlung eines Mindestpersonalbedarfs ideal auf die Anästhesie anwenden, wo eine problemlose Zuordnung von einem Arzt zu einem Operationssaal oder gleichzeitig betriebenen Narkosearbeitsplatz möglich ist. In der
Intensivmedizin lässt sie sich nur anwenden, wenn die gesamte Intensivtherapiestation (ITS) als ein oder zwei Arbeitsplätze begriffen wird, unabhängig davon, ob ein Arzt 6, 8, 10 oder mehr Patienten versorgen kann oder soll.
Grundlage dieser Methode ist die Ermittlung des jährlichen Nettogesamtarbeitszeitbedarfs für die Intensivstation. Unter der beispielhaften Annahme eines durchlaufenden Dreischichtsystems (3 × 8,5 h, mit Übergabe) mit zwei Ärzten im Frühdienst und jeweils einem Arzt in Spät- und Nachtdienst muss jährlich eine Gesamtarbeitszeit von 12.410 h pro Jahr (365 Tage mal 34 h pro Tag) abgedeckt werden. Bei einer 40-h-Woche ergeben sich pro Jahr 2080 Bruttoarbeitsstunden, unter Abzug von 15 % Ausfallzeiten (Übersicht) 1768 Nettoarbeitsstunden. Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, dass die ärztliche Mindestbesetzung einer Intensivstation unter den genannten Bedingungen bei 7,0 VK liegen muss, wenn 8–10 Intensivpatienten (Betten) versorgt werden sollen.
Ausfallzeiten von Personal über das Kalenderjahr
Für eine Beispielstation mit 18 Betten ist diese Berechnung nur bedingt geeignet, da die Arbeitsplatzmethode für die
Intensivmedizin offenlässt, wie viele Patienten ein Arzt pro Schicht betreuen kann. Von der European Society of Intensive Care Medicine (ESICM) werden 6–8 Patienten pro Arzt angegeben, was bei einer 18-Betten-Station mindestens eine Verdopplung der 7,0 VK zur Folge hätte, also 14 VK. In Deutschland hat sich die DIVI diesen Empfehlungen ebenfalls angeschlossen (Valentin und Ferdinande
2011; Ferdinande
1997; Jorch et al.
2010; Weißauer
2005).
Auch in einem Dienstmodell aus täglichem Routinedienst (8 h) und nächtlichem Bereitschaftsdienst ergibt sich nach heutigem Arbeits- und Tarifrecht ein Mindestbedarf von 6 VK [250 Arbeitstage mit zwei Ärzten im Routinedienst (4000 Nettoarbeitsstunden), 250 Arbeitstage mit 8 h Regelarbeitszeit (2000 h) plus 8 h Bereitschaftsdienst (Faktor 0,9 – 1800 h) sowie 115 Tage mit 24 h (Faktor 0,9 – 2484 h) = 10.284 h Nettojahresarbeitszeit]. Dabei muss aber auch die wöchentliche maximale Arbeitszeit von 48 h berücksichtigt werden.
Viele aktuelle tarifrechtliche Bestimmungen legen zudem fest, dass Ärzte z. B. bei der Anordnung von Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft an mindestens zwei Wochenenden (Freitag ab 21 Uhr bis Montag 5 Uhr) pro Monat im Durchschnitt innerhalb eines Kalenderhalbjahres keine Arbeitsleistung (regelmäßige Arbeit, Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft) leisten dürfen.
Außerdem hat die Ärztin/der Arzt grundsätzlich innerhalb eines Kalenderhalbjahres monatlich im Durchschnitt nur bis zu vier Bereitschaftsdienste zu erbringen. (MB-TV-Ärzte/VKA
2019) Dies bedeutet zwangsläufig, dass eine Dienstgruppe, sei es für Bereitschaftsdienst oder Schichtdienst (zur Abdeckung der Wochenenden) aus mindestens 8 Personen mit 8,0 VK bestehen muss. Diese Dienstgruppe kann sich im Rahmen eines Bereitschaftsdienstes auch aus Mitarbeitern/-innen zusammensetzen bzw. aufgefüllt werden, die nicht werktäglich auf der Intensivstation arbeiten. Dabei stellt sich aber immer die Frage der Qualität innerhalb der Bereitschaftsdienstversorgung und die Gefahr des Informationsverlustes bei Übergaben.
Leistungszahlen
Bei der Kalkulation des Personalbedarfs geht man davon aus, dass die auf einer Intensivstation arbeitenden Ärzte (und Pfleger) im Jahresdurchschnitt eine bestimmte Anzahl an Patienten behandeln können und sollten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft geht bei ihren Leistungszahlen davon aus, dass pro Arztstelle 100–125 Intensivpatienten behandelt werden sollen. Für Intermediate-Care-Patienten wird die Leistungszahl mit 185–210 Patienten angegeben (DKG
1969).
Daraus ergibt sich, dass eine Intensivstation, die mit 7 VK-Ärzten (Mindestbesetzung in einem Schichtdienstmodell) besetzt ist, mindestens 700–875 Intensivpatienten pro Jahr behandelt werden müssen.
Analytische Methode
Der Bayerische Kommunale Prüfungsverband hat 1994 eine alternative Berechnungsformel für den ärztlichen Bereich von Betten führenden Abteilungen in Krankenhäusern vorgeschlagen (Golombek
1990a). Hier wird zwischen fixen Zeiten, die auf die Fallzahl der Abteilung bezogen werden, und variablen Zeiten, die auf die Patienten sowie 5 Arbeitstage pro Woche umgerechnet auf 7 Tage pro Woche bezogen werden, unterschieden. Dabei wird nach operativen und konservativen Fachrichtungen differenziert. Da die Entwicklung in den Krankenhäusern keine Festlegung von fixen Minutenwerten, wie sie 1984 noch erfolgte, mehr zulässt, müssten die Minutenwerte für therapeutische und diagnostische Leistungen individuell ermittelt werden (Golombek
1990b; Kersting und Kellnhauser
1991).
Zusammenfassend können die Berechnungen des Personalbedarfs nach Anhaltszahlen, nach Arbeitsplatzmethode oder nach Leistungszahlen hohe Variabilität aufweisen, zumal lokale Besonderheiten keinen Eingang in die Berechnungen finden.
Aus diesem Grund ist innerhalb des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und
Intensivmedizin (DGAI) in den letzten Jahren ein neues Modell entwickelt worden, das räumliche und strukturelle Bedingungen genauso wie Versorgungscharakteristika und erbrachte Leistungen verschiedener Stationen sowie die unterschiedlichen Qualifikationen von Ärzten in einem Intensivteam berücksichtigt (Weiss et al.
2008,
2012).
Die Berechnung beruht darauf, dass die ärztlichen Tätigkeiten in einen Basisaufwand und Zusatzaufwand eingeteilt werden. Der Basisaufwand umfasst alle Tätigkeiten, die bei jedem Intensivpatienten anfallen. Der Zusatzaufwand umfasst abhängig alle zusätzlichen Maßnahmen, Prozeduren und Untersuchungen, die mit der Krankheitsschwere variieren. Für jede Prozedur wurden evaluierte Durchschnittszeiten hinterlegt (Miller
2009).
Das Modell ermöglicht festzustellen, wie viel Zeit für die tägliche Routine, zusätzliche Leistungen, Ausfallzeiten, Weiterbildung und Fortbildung sowie für Leitungsaufgaben benötigt werden. Damit analysiert es auch Schwächen in Prozessabläufen. Im Gegensatz zu den oben genannte Anhaltszahlen und Kennzahlen arbeitet dieses Modell mit aber mit einer realistischeren Ausfallzeit von 19,5 %.
Auch die von den Fachgesellschaften geforderte Leitungsfunktion werden mit 0,15 VK/6 Betten sowie die Fortbildung und Mitarbeitergespräche mit jeweils 50 h/Jahr/VK berücksichtigt.
Letztlich steht den bisher genannten Methoden zur Personalkalkulation die Methode gegenüber, die von den derzeitigen ökonomischen Rahmenbedingungen der deutschen „diagnosis-related groups“ (G-DRG)-Finanzierung vorgegeben wird (Vagts
2006; Vagts et al.
2007).
Die Erlöse für eine G-DRG werden in diesem Finanzierungssystem durch den in den ca. 250 Kalkulationskrankenhäusern ermittelten Aufwand für einen Gesamtprozess errechnet. In diese Kalkulation fließen im Idealfall durchschnittliche Komplikationsraten bei ausreichender Qualität ein.
Die aus fachlicher Sicht zu fordernde und gerechtfertigte 24-stündige Anwesenheit eines Arztes auf der Intensivstation sowie die Verfügbarkeit eines qualifizierten Intensivmediziners wird mit der Erlösrelevanz der „Komplexbehandlung Intensivmedizin“ als OPS-Kode 8-980 honoriert (Plücker
2004).
Jede G-DRG enthält anteilig Personalkosten für die
Intensivmedizin. Stellt man die kumulativen G-DRG-Erlösanteile eines Jahres und die tatsächlichen Kosten gegenüber, so kann beurteilt werden, wie wirtschaftlich und prozessorientiert eine Intensiveinheit arbeitet (Vagts
2006; Vagts et al.
2007).
Anzumerken ist allerdings, dass für ein gutes Risikomanagement bisher immer eine optimale 85 %ige Auslastung der Intensiveinheit (mit 100 % des benötigten Personals) anzustreben war (Wicha
2010).
Diese Maßzahl kann in Anbetracht der heute geltenden Personaluntergrenzenverordnung allerdings bei der Auslastung der Intensivstation in Frage gestellt werden. Da die Personaluntergrenzen für die Intensivstation von einem mindestens 1:2 Verhältnis von Pflegekraft zu zu versorgenden Patienten ausgehen, das in speziellen Fällen auch auf 1:1 reduziert werden sollte, eine „Überbelegung“ im Sinne einer schlechteren Pflege : Patienten – Ratio sogar finanziell sanktioniert wird, kann die Belegung praktisch vollständig an die geltende Maßzahl, also nahezu zu 100 %, herangeplant und ausgelastet werden. Ein Puffer für unerwartete Aufnahmen oder sehr arbeitsintensive Patienten sollte aber immer im Hinterkopf behalten werden.
Zahlenverhältnis Arzt–Pflege
Eine gute Ausbildung der Pflegekräfte und eine zahlenmäßig ausreichende Besetzung führt zur Reduktion von unerwünschten Zwischenfällen, eine Reduktion von Pflegekräften umgekehrt zu einer Zunahme der Mortalität und Morbidität durch Fehler oder Verzögerungen beim Erkennen von pathophysiologischen Veränderungen (Tarnow-Mordi et al.
2000; Aiken et al.
2003; Tibby et al.
2004).
Rothen stellte in einer Studie fest, dass Stationen mit weniger Ärzten und mehr Pflegekräften pro Bett eine bessere Ausnutzung der ökonomischen Ressourcen bei besseren Ergebnissen für die Patienten hatten. Allerdings lagen in dieser Studie die Werte für Ärzte mit 0,74 pro Bett und bei der Pflege mit 3,36 pro Bett deutlich über den deutschen Verhältnissen, sodass eine Übertragung nicht ohne Weiteres möglich ist (Rothen et al.
2007).
Bei einer 12 Betten Intensivstation entspräche der Schlüssel von Rothen et al. 9 VK ärztlicher Besetzung, wovon 3 VK schon Fachärzte mit Zusatzweiterbildung wären, und dies bei 3,36 Pflegekräften pro Bett, also 41 VK auf 12 Betten oder 0,6 Pflegekräfte pro Bett in jeder Schicht, also Besetzung 7-7-7 plus ein Zwischendienst im Dreischichtsystem. Diese Besetzung war als nochmals besser als die PPUgV es derzeit fordert! Die geringste Mortalität in dieser Studienquartile spricht hier eher dafür, für eine auskömmliche quantitative und qualitative pflegerische Besetzung zu sorgen.
Zahlenverhältnis Arzt – Patient
Genauso wie man das Arzt-Pflege- oder das Pflege-Patienten-Verhältnis betrachten kann, lohnt sich auch ein Blick auf das Arzt-Patienten-Verhältnis. Eine französische Studie konnte zeigen, dass ein Arzt-Patienten-Verhältnis von >1:14 pro Schicht mit einer Verdopplung der Letalität auf der Intensivstation im Vergleich zu einem Verhältnis von 1:8 einherging (Neuraz et al.
2015).
Gershengorn empfahl ebenfalls ein optimales Arzt-Patientenverhältnis von 1:8 bis 1:12 in der täglichen Regelarbeitszeit (Gershengorn et al.
2017). Eine weitere Studie konnte keine Mortalitätsunterschiede zwischen 1 : 8 und 1 : 10 feststellen, was allerdings auf Grund des geringen Unterschieds in Arzt-Patienten-Verhältnis und der etwas höheren Krankeitsschwere in der deutlich größeren Gruppe mit dem „besseren“ Arzt-Patienteverhältnis (1:8) nicht verwunderlich ist. (Gershengorn et al.
2022) Die britische Gesellschaft für
Intensivmedizin (FICM) empfiehlt basierend auf der Arbeit von Gershengorn et al. (
2017) ein zusätzliches Intensivmediziner-Patienten-Verhältnis von 1:8 bis 1:12 am Tage, wohlgemerkt zusätzlich eines Arztes mit Spezialisierung für Intensivmedizin. Für die übrigen Ärzte sollte das Verhältnis ebenfalls 1:8 betragen, woraus sich eine Mindestbesetzung mit zwei Ärzten bei 8 (−12) Patienten ergibt.
Auch für Wochenende, Feiertage und nachts sollte dieses Verhältnis qualitative gewahrt sein. Zwar lassen sich viele Routineuntersuchungen und die Initiierung von Therapien in die Regelarbeitszeit am Tage verlagern, aber Intensivpatienten erfordern trotz möglicher Einhaltung von Tag-Nacht-Rhythmen etc. auch nachts und am Wochenende ungeteilte und unveränderte Aufmerksamkeit und Therapie.
Kato konnte allerdings zeigen, dass die Arbeitsbelastung von kontinuierlich auf einer Intensivstation arbeitetenden spezialisierten Ärzten durch Ruhephasen unterbrochen sein sollte, um die Qualität der Betreuung zu erhalten. (Kato et al.
2021)