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Ernährung in der Onkologie – Überblick

Verfasst von: Nicole Erickson, Viktoria Mathies und Julia von Grundherr
In allen Phasen einer Krebserkrankung spielt die Ernährung eine wichtige Rolle. Eine erfolgreiche Ernährungsintervention richtet sich nach der Interventionsphase, dem PatientInnenwunsch, dem aktuellen Ernährungsstatus, dem körperlichen Zustand, der onkologischen Behandlung und den angestrebten Ernährungszielen. Eine gesunde Ernährungsweise kann krebsvorbeugend wirken. Während der Tumortherapie leistet eine effektive Ernährungstherapie nachgewiesenermaßen ein Beitrag zum effektiven Nebenwirkungsmanagement, und die Prävention und die Behandlung von Mangelernährung können die Lebensqualität und -dauer positiv beeinflussen.

Einleitung

Die Ernährungsweise von onkologischen PatientInnen ist aufgrund ihrer supportiven Funktion von signifikanter Bedeutung und spielt eine zentrale Rolle in der PatientInnenzentrierten onkologischen Versorgung. Generell sind Ernährungsinterventionen patientenbezogen, und partizipative Entscheidungsfindungen sind unabdingbar. Dabei können ernährungstherapeutische Maßnahmen Beschwerden lindern, Mangelernährung vorbeugen oder entgegenwirken, das Immunsystem stärken sowie das Gewicht stabilisieren und somit zur Optimierung der Lebensqualität, Verbesserung der Behandlungsergebnisse und Prävention von Rezidiven beitragen (Aapro et al. 2014; Marshall et al. 2019; Arends et al. 2017a; Ravasco et al. 2012). Die Ernährungsberatung und -therapie sollten also einen unverzichtbaren Bestandteil eines ganzheitlichen onkologischen Therapiekonzepts darstellen. Während die Bedeutung der Ernährungstherapie bei PatientInnen oft sehr hoch eingeschätzt wird, wird dieses Thema häufig nicht als selbstverständlicher Teil der onkologischen Therapie wahrgenommen (Muscaritoli et al. 2019; Maschke et al. 2017; Riboli 1992). Obwohl Studien gezeigt haben, dass eine frühzeitige und regelmäßige Ernährungsberatung bzw. ernährungsspezifische Interventionen zu verbesserten Behandlungsergebnissen führen, ist Mangelernährung noch immer die Todesursache für 20–30 % der onkologische PatientInnen.
In der onkologischen Ernährungsmedizin ist es wichtig, den Fokus der Ernährungstherapie an die 3 wesentlichen Interventionsphasen anzupassen.
1.
Präventionsphase: Vorbeugung von Krebserkrankungen bzw. Vorbeugung von Rezidiven nach geheilter Krebserkrankung
 
2.
Therapiephase: während einer laufenden Krebsbehandlung z. B. mit Chemotherapie, Operationen und/oder Bestrahlung
 
3.
Palliativphase: Linderung von Beschwerden am Lebensende
 
Je nach Interventionsphase und Zustand der PatientInnen können die Maßnahmen innerhalb der 3 Phasen sehr unterschiedliche Zielsetzungen und Empfehlungen beinhalten (Tab. 1).
Tab. 1
Hauptzielsetzung der Ernährungstherapie nach Interventionsphase
Interventionsphase
Beschreibung
Fokus der Ernährungstherapie
Präventionsphase
• Allgemeine Vorbeugung von Krebserkrankungen bei Gesunden
• Vorbeugung von Krebsrückfällen nach geheilter Krebserkrankung (Rezidiven)
Ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung:
• Langfristige, allgemeine und gesundheitsfördernde Maßnahmen zur Senkung des Krebsrisikos durch eine ausgewogene und gesunde Ernährung
• Förderung eines gesunden Körpergewichts und weitere Lebensstilfaktoren
Therapiephase
• Die Phase während einer laufenden Krebsbehandlung z. B. mit Chemotherapie, Immuntherapie, Operationen, Bestrahlung
Gewichtsstabilisierung:
• Vermeidung von Mangelernährung
• Behandlung von therapiebedingten gastrointestinalen Beschwerden
Palliativphase
• Linderung von Beschwerden am Lebensende
Lebensqualität und Wohlbefinden:
• Symptomlinderung
• Ethische Entscheidungen

Ernährungsintervention

Eine oder mehrere Ernährungsinterventionen sind nur dann indiziert, wenn die zu erwartenden Vorteile gegenüber den durch die Therapie entstandenen Belastungen überwiegen. Wichtig ist auch, dass der Patient oder die Patientin den Interventionen zustimmt. Das Abwägen der Vor- und Nachteile ist also eine unentbehrliche Maßnahme für jede medizinische oder ernährungstherapeutische Intervention. Außerdem sind die jeweiligen Interventionen oder ernährungstherapeutischen Maßnahmen stark abhängig von dem Gewicht, der Diagnose und dem Therapieverlauf.
Eine effektive Ernährungstherapie zielt meistens auf die Ätiologie des Ernährungsproblems ab, wie z. B. die Reduktion von Nebenwirkungen (z. B. Appetitlosigkeit, Mukositis), die während der Therapiephase auftreten (Erickson et al. 2017). Somit kann eine Gewichtsstabilisierung erreicht und einer Mangelernährung vorgebeugt werden. Ein stabiles Gewicht während der Therapiephase, unabhängig vom Ausgangsgewicht, stellt die Priorität dar.
Viel zu oft wird ein ungewollter Gewichtsverlust vor allem bei Übergewichten akzeptiert, wobei ein ungewollter Gewichtsverlust von nur 5 % in 3–6 Monaten ein relevantes Risiko für eine Mangelernährung birgt (Arends et al. 2017a; Cederholm et al. 2019). Dies liegt daran, dass mit einem ungewollten Gewichtsverlust ebenfalls ein Abbau von Muskelmasse einhergehen kann, was die Therapiewirksamkeit und -verträglichkeit negativ beeinflussen kann. Zudem kann dies zu einer allgemeinen Schwäche und eingeschränkten Mobilität führen, die wiederum Einfluss auf das Ernährungsverhalten, insbesondere den Appetit, haben können. Hierbei sollte sich auf das in der Leitlinie definierte Stufenschema berufen werden, das den jeweiligen Beschwerden und der Möglichkeit, Nahrung oral aufzunehmen, angepasst ist (Abb. 1) (Arends et al. 2017b).
Bei dem Stufenschema gilt, dass, so lange die Möglichkeit besteht, eine ausgewogene Ernährung mit gewöhnlichen Lebensmitteln zu bevorzugen ist. Bei jeder Stufe sollte eine individuelle Ernährungsberatung erfolgen, um eine richtige Lebensmittelauswahl sowie Einnahme und Wirksamkeit zu gewährleisten. Beispielsweise ist die Rezeptierung von Trinknahrung allein nicht ausreichend, sondern der Patient oder die Patientin sollte zusätzlich aufgeklärt werden, wie und wann er oder sie die Trinknahrung richtig einnehmen soll. Je nach Präferenz und aktuellen Beschwerden des Patienten oder der Patientin kann auf verschiedene Geschmäcker, Konsistenzen oder Zubereitungsarten zurückgegriffen werden. Die Stufen können nach Indikation und Bedarf beliebig miteinander kombiniert werden.

International etablierte Standards und Methoden

In Deutschland wurde ein Leitfaden für eine standardisierte Ernährungsintervention definiert. Basierend auf dem international etablierten Nutrition Care Process (NCP) wurde der G-NCP aufgrund der Besonderheiten des deutschen Gesundheitssystems modifiziert und angepasst (2015). Ziel des G-NCP ist es, eine individualisierte Ernährungsversorgung mit für Dritte nachvollziehbaren Schritten, unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren, zu ermöglichen und dies klar zu kommunizieren (Arends et al. 2017b; Swan et al. 2017). Zusätzlich dient das G-NCP-Prozessmodell zur Qualitätssicherung, Transparenz und Nachvollziehbarkeit.

Fehl- und Desinformation der PatientInnen

Ein weiterer Aspekt der Ernährungstherapie und -beratung für onkologische PatientInnen und deren Angehörige beinhaltet die Beseitigung von Fehl- und Desinformation. PatientInnen suchen oft nach Informationen im Internet, bei Heilpraktikern und bei Selbsthilfegruppen (Maschke et al. 2017; Keinki et al. 2016; Liebl et al. 2015). Als Folge dessen stoßen sie oft auf unseriöse Informationen, unpassende Empfehlungen und auch auf unnötig restriktive Diäten und Ernährungsregime. Deshalb ist es wichtig, dass Ärzte und weitere Mitglieder des Behandlungsteams erste Fragen zur Ernährung aufgreifen und die PatientInnen entweder an qualifizierte ErnährungstherapeutInnen verweisen und/oder auf evidenzbasierte Informationsquellen aufmerksam machen.

Fazit

In allen Phasen einer Krebserkrankung spielt die Ernährung eine wichtige Rolle. Eine erfolgreiche Ernährungsintervention richtet sich nach der Interventionsphase, dem PatientInnenwunsch, dem aktuellen Ernährungsstatus, dem körperlichen Zustand, der onkologischen Behandlung und den angestrebten Ernährungszielen. Eine gesunde Ernährungsweise kann krebsvorbeugend wirken. Während der Tumortherapie leistet einen effektive Ernährungstherapie nachgewiesenermaßen ein Beitrag zum effektiven Nebenwirkungsmanagement, und die Prävention und die Behandlung von Mangelernährung können die Lebensqualität und -dauer positiv beeinflussen.
Literatur
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Arends J, Bachmann P, Baracos V, Barthelemy N, Bertz H, Bozzetti F et al (2017b) ESPEN guidelines on nutrition in cancer patients. Clin Nutr 36(1):11–48CrossRef
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Liebl P, Seilacher E, Koester MJ, Stellamanns J, Zell J, Hübner J (2015) What cancer patients find in the internet: the visibility of evidence-based patient information – analysis of information on German websites. Oncol Res Treatm 38(5):212–218CrossRef
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