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Keimzahlbestimmung im Urin

Verfasst von: W. G. Guder
Keimzahlbestimmung im Urin
Synonym(e)
Bakterienkonzentration im Urin
Englischer Begriff
number of bacteria; colony forming bacteria (CFB/mL, CFB/L)
Definition
Zur Definition der Infektion der ableitenden Harnwege wird eine definierte Keimzahl festgestellt, ab der eine Infektion der Harnwege anzunehmen ist.
Funktion – Pathophysiologie
Normaler Urin ist keimfrei (steril). Die Keimzahl im Urin kann ansteigen durch glomeruläre Filtration von Bakterien aus dem Plasma bei Sepsis, durch Übertragung und Sekretion in den ableitenden Harnwegen und meist durch Wuchs in den ableitenden Harnwegen, dem Nierenbecken (Pyelonephritis), der Blase (Cystitis), der Prostata (Prostatitis) sowie dem Urether, der Urethra (Urethritis). Zusätzlich können Bakterien während der Uringewinnung durch Kontamination aus dem äußeren Genitale, der Vagina, aus der Umgebung und aus verwendeten Materialien (Katheter, Tupfer, unsaubere Behälter) stammen.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Analytik
Zur Abschätzung der Keimzahl im Urin wurde ein Kulturträger eingeführt, der auf der Basis des Nährstoffbodens auf einem Träger erlaubt, nach einmaligem Eintauchen in den Urin die Keimzahl abzuschätzen (Uricult). Da dieser aber nur gemeinsam mit einem Test von Hemmstoffen des Keimwachstums interpretierbar ist, wurde er nicht in die Empfehlungen aufgenommen, sondern die Keimzahlbestimmung in Kultur mit Hemmstoffkontrolle empfohlen. Nur positive Befunde sind klinisch relevant und führen zur Keimidentifizierung mit Kultur.
Die mikroskopische Bestimmung der Keimzahl scheint in Anbetracht der vielen präanalytischen Variablen obsolet. Auch Färbungen nach Gram und mit Acridinorange haben die Empfindlichkeit dieser Methode nicht erhöht, weshalb sie nicht mehr empfohlen werden kann.
Neuerdings ist es möglich, mithilfe der Durchflusszytometrie oder Digitalfotomikroskopie eine Bakterienzahl zu ermitteln (Harnsediment). Hier wurde gezeigt, dass zumindest Keimzahlen unter der kritischen Marke sicher erkannt und damit Kulturen reduziert werden konnten. Der Vorteil der Methode ist eine rasche Ermittlung. Nachteilig ist, dass bei erhöhten Werten nicht zwischen anderen kleinen Partikeln (Staub) und Bakterien unterschieden werden kann und beide Methoden keine Unterscheidung zwischen kontaminierenden und pathogenen Keimen erlauben.
Indikation
Eine Keimzahlbestimmung ist immer dann indiziert, wenn ein Verdacht auf Infektion der ableitenden Harnwege von der Symptomatik her oder vom Teststreifenbefund (Leukozyten- und/oder Nitrittest positiv) besteht.
Interpretation
Untersuchungen bei Männern und Frauen ergaben als kritische Menge eine Keimzahl von 108/L (105/mL), bei der der positiv prädiktive Wert 0,98 war. Andererseits war der negativ prädiktive Wert bei 105/L (102/mL) 0,94. Als Empfehlung gelten Keimzahlen zwischen 104 und 108/L Urin als suspekt, Keimzahlen über 108 als sehr wahrscheinlich für das Vorliegen einer bakteriellen Infektion.
Diagnostische Wertigkeit
Die Bestimmung der Keimzahl ist eine Voruntersuchung vor kultureller Bestimmung der Keimart. Eine nicht verdächtige Keimzahlbestimmung schließt eine Infektion nicht aus. Auch tuberkulöse oder abgekapselte Infektionen werden mit dieser Methode nicht erfasst. Die Eintauchkulturmethoden sind nur auswertbar, wenn Hemmstoffe ausgeschlossen werden können. Dabei sind insbesondere antimikrobielle Therapeutika auszuschließen.
Literatur
Hofmann W, Ehrich JHH, Guder WG, Keller F, Scherberich J (2011) Diagnostische Pfade bei Nierenerkrankungen. J Lab Med 35:127–148
Kouri T, Fogazi G, Gant V, Hallander H, Hofmann W, Guder WG (2000) European urinalysis guidelines. Scand J Clin Lab Invest 60(Suppl 231):1