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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 06.05.2021

Proximaler metaphysärer Unterschenkel

Verfasst von: Johannes Mayr und Annelie-Martina Weinberg
Proximal metaphysäre Unterschenkelbrüche nehmen mit vermehrter Verbreitung von Trampolinen als Spiel- und Sportgeräte zu. Die proximale Tibiametaphyse grenzt proximal an die Tibiaepiphysenfuge, die für das Hauptlängenwachstum im Unterschenkelbereich verantwortlich ist. Frakturen der proximalen Tibiametaphyse können über exzentrische Wachstumsfugenstimulation ein umschriebenes Mehrwachstum der proximalen Tibiaepiphyse bewirken, mit resultierender Valgusentwicklung an der knienahen Tibia. So kann es bei in Valgusstellung verzögert verheilenden proximal metaphysären Tibiagrünholzfrakturen zu einer über Monate zunehmenden Valgusfehlstellung kommen, die sich aufgrund der Remodelingvorgänge im Wachstum und dem frühen Prädilektionsalter meist spontan wieder aufhebt. Bei „Trampolinfrakturen“, bei denen meist ein kleineres, leichtes Kind durch gleichzeitig springende, schwere Kinder unvermittelt hochgeschleudert wird, kommt es zu einer massiven Rekurvationsbewegung des Kniegelenks mit einer komprimierenden Kraft vorne an der proximalen Tibia und einer distrahierenden Krafteinwirkung dorsal, was zu einer proximalen Tibiafraktur führt. Die daraus entstehende Rekurvation an der proximalen Tibia liegt in der Hauptbewegungsebene des nahegelegenen Kniegelenks und wird in der Regel vollständig remodelliert. Zum Zeitpunkt des Wachstumsfugenschlusses kommt es mitunter zu Übergangsfrakturen an der proximalen Tibia. Diese verursachen meist keine Wachstumsstörung, weil die Wachstumsfuge sich bereits im Stadium der knöchernen Durchbauung befindet. Weil kein Korrekturwachstum mehr zu erwarten ist, ist eine Ausheilung ohne Restfehlstellung anzustreben. Es kommt jedoch auch nicht mehr zu einer Wachstumsstörung.

Einleitung

Unter den proximalen Unterschenkelfrakturen werden neben den Epiphysiolysen die typischen metaphysären Läsionen der beiden langen Röhrenknochen verstanden. Diese können als Stauchungsfrakturen, Grünholzfrakturen oder vollständige Frakturen vorliegen.

Klinische Besonderheit: Partielle stimulative Wachstumsstörung (Konsolidationsstörung mit Fehlwachstum)

Über die Problematik der proximalen metaphysären Fraktur wurde erstmals 1953 von Cozen berichtet. Die Beobachtung der auch nach Abschluss der Knochenbruchheilung progredient verlaufenden Valgusfehlstellung wurde von mehreren Autoren bestätigt (Jordan et al. 1987; Steinert und Bennek 1966; Taylor 1963).
Als Ursache für das Fehlwachstum in Valgusstellung wurden mehrere Mechanismen postuliert. Goff (1960) vermutete einen Schaden des lateralen Fugenanteils, Taylor (1963) eine vermehrte Stimulation der tibialen Epiphyse im Vergleich zur fibularen und Pollen (1979) eine zu frühe Belastung der betroffenen Extremität. Weber (1977) wies auf die Rolle des medialen Periostes und des Pes anserinus hin. Diese interponierten Weichteile würden seiner Ansicht nach die Reposition und die knöcherne Heilung verhindern und verzögern, wodurch die Fuge stimuliert wird. Andere Autoren bestätigten diese Ergebnisse und sehen zusätzlich eine Zuggurtungsfunktion des Pes anserinus, die nach Zerreißung wegfällt, sodass die Fuge medial „unkontrolliert“ und damit zu rasch wächst (Bassey 1990; De Bastiani et al. 1986a, b; Zionts und MacEwen 1986).
Als gesichert kann die partielle Stimulation der proximalen Tibiawachstumsfuge angesehen werden. Während der Knochenbruchheilung kommt es zu einem vermehrten Wachstum besonders der angrenzenden Fugen. Da die mediale Kortikalis entweder isoliert gebrochen ist oder eine verzögerte Knochenbruchheilung bei Grünholzfraktur vorliegt, wird der mediale Teil der Fuge mehr stimuliert als der laterale. Diese asymmetrisch vermehrte Durchblutung konnte mehrfach, auch szintigrafisch, nachgewiesen werden (Green 1983; Jordan et al. 1987; Ogden et al. 1995; Zionts et al. 1987). Aus diesem Grund ist das Ziel der Therapie eine möglichst rasche Konsolidation durch Reposition und Kompression auf der meist betroffenen medialen Seite.
Auch wenn dieses pathophysiologische Konzept sehr gut wissenschaftlich fundiert ist, muss angemerkt werden, dass metaphysäre Biegungsbrüche an anderen Knochen nicht in diesem Ausmaß Fehlstellungen verursachen, obwohl auch sie zu einer ungleichen Fugendurchblutung führen müssten. Es ist deshalb anzunehmen, dass die stimulative Wachstumsstörung, durch die spezielle biomechanische und topografische Beziehung des Pes anserinus verstärkt wird. Zusätzlich wird an der proximalen Wachstumsfuge die angeborene Varusform des Unterschenkels maßgeblich korrigiert, sodass auch eine physiologische „Bereitschaft“ zum Valguswachstum diskutiert wird (Ogden et al. 1995; Abb. 1).
Die Tab. 1 gibt eine Übersicht über die proximale metaphysäre Tibiafraktur.
Tab. 1
Proximale metaphysäre Tibiafraktur
Abschnitt
Anmerkungen
Spezielles
• „Kadiläsion“-stimulierende Wachstumsstörung an der proximalen Tibia medialseitig kann posttraumatische, über Monate zunehmende Wachstumsstörung mit Valgusfehlstellung bewirken
• „Trampolinfrakturen“ bewirken meist Rekurvationsstellung an der proximalen Tibia, die eine auffällige Rekurvation im Kniegelenksbereich bewirkt; anatomische Reposition notwendig; meist Kinder < 8. Lebensjahr; Aufklärung der Familie über mögliche nachfolgende Wachstumsstörung am proximalen Unterschenkel
• Spontankorrektur in Bewegungs-/Sagittalebene (Ante-/Rekurvation) besser als in Frontalebene (Varus/Valgus)
• Keine Valgusachsabweichung in Frontalebene tolerieren (Epiphysenachsenwinkel)
• Gefahr der zunehmenden Valgusfehlstellung durch Fehlwachstum (partielles Mehrwachstum, mediale stimulative Wachstumsstörung), wenn Valgusfehlstellung nach Frakturheilung
• Fehlstellungskorrektur wenn möglich erst nach Wachstumsabschluss, falls Gelenksfehlstellung im Knie- und Sprunggelenk nicht zu ausgeprägt
Diagnostik
• Röntgen proximaler Unterschenkel a.p. und seitlich mit Kniegelenk
Konservative Therapie
• Bei undislozierten Frakturen
• Verfahren: Bei medialseitig einsehbarem Frakturspalt Oberschenkelgips in vollständiger Knieextension für 4 Wochen, bei Anlage des Oberschenkelgips „Varusstress“ ausüben → medialseitige Kompression des Frakturspaltes
• Bei Trampolinfraktur mit Rekurvationsstellung das Knie in Beugestellung von 25–30° im Oberschenkelgipsverband ruhigstellen
Nachbehandlung (konservative Therapie)
• Nach Ruhigstellung, wenn schmerzfrei, spontane Mobilisation; 3-wöchentliche Kontrollen bis annähernd freie Funktion erreicht ist; Nachkontrollen über mindestens 2 Jahre
• Bei Valgusstellung zum Zeitpunkt der knöchernen Heilung oder hemmender Wachstumsstörung bis Wachstumsabschluss
Röntgenkontrolle (konservative Therapie)
• Stellungskontrolle am 5.–7. Tag
• „Erste“ gipsfreie Konsolidationskontrolle nach 4–6 Wochen zum Ausschluss/Nachweis einer verzögerten medialseitien Frakturheilung, bei der die Gefahr der medialseitigen Wachstumsfugenstimulation besteht
Sport (konservative Therapie)
• 4–6 Wochen nach Konsolidation bei freier Kniefunktion
Operative Therapie
• Dislozierte Frakturen mit Repositionshindernis (Reposition in Narkose)
• Bei Verdacht auf Repositionshindernis (zum Beispiel durch Weichteilinterponat): offene Reposition mit Kompressionsosteosynthese mit medialem Fixateur externe
Komplikationen (operative Therapie)
• Zunehmende Valgusfehlstellung durch medialseitige Wachstumsfugenstimulation bei verzögerter Frakturheilung medial, sekundäre Dislokation, Gefäß- und Nervenschäden, durch Osteosynthesematerial bedingte Komplikationen, Osteomyelitis, Pseudarthrose, Kompartmentsyndrom, traumabedingter vorzeitiger partieller oder kompletter Wachstumsfugenverschluss
Nachbehandlung (operative Therapie)
• Frakturtypabhängige Mobilisation (durch Operateur festzulegen)
• Anfangs 3-wöchentliche Funktionskontrolle bis annähernd freie Kniegelenksfunktion erreicht ist; dann Nachkontrollen in 6-monatlichen Intervallen über 2 Jahre, bei Valgusstellung zum Ausheilungszeitpunkt oder Wachstumsstörung mit Beinlängendifferenz bis Wachstumsabschluss
Röntgenkontrolle (operative Therapie)
• Nach 1 Woche
• Konsolidationskontrolle nach 4–6 Wochen
• Vor Metallentfernung
Metallentfernung
• Wenn klinisch und radiologisch konsolidiert
Sport (operative Therapie)
• 4–6 Wochen nach Konsolidation bei freier Kniefunktion

Ursache und Häufigkeit

Frakturen der proximalen Metaphyse stellen eine sehr seltene Verletzung dar. Von Laer (2001) gibt an, dass lediglich 0,2 % aller Frakturen des wachsenden Skeletts die proximale Tibia betreffen, wobei in dieser Angabe die Epiphysenfrakturen mit berücksichtigt wurden.
Der klassische Biegungsbruch der proximalen Tibiametaphyse entsteht durch übermäßigen Valgusstress. Durch Überschreiten der Zugfestigkeit der medialen Kortikalis kommt es zur Fraktur. Dabei bestimmen Größe, Dauer und Richtung der einwirkenden Kraft das Ausmaß der nahezu immer bestehenden Valgusfehlstellung. Der Häufigkeitsgipfel dieser Verletzung liegt zwischen dem 3.–8. Lebensjahr. Da zu diesem Zeitpunkt der physiologische Valgus ein Maximum erreicht hat, wird die proximale Tibiametaphyse durch axial eingeleitete Kräfte leichter in Richtung Valgusstress beansprucht.
Das Cozen-Phänomen (Cozen 1953) tritt vor allem im Rahmen von sportbedingten Grünholzbrüchen mit medial klaffendem Frakturspalt der proximalen Tibia auf (Yang et al. 2019). Proximal metaphysäre Tibiafrakturen mit einem medial sichtbar erweiterten Frakturspalt zeigen signifikant häufiger eine nachfolgende Valgusfehlstellung (54,5 %) als Frakturen ohne medial klaffenden Frakturspalt (15,9 %) (Yang et al. 2019). Trotzdem kann es bei proximal metaphysären Tibiafrakturen, die anfangs kein Klaffen des medialen Frakturspalts zeigen, im Rahmen der konservativen Therapie zu einer geringen Zunahme der medialen Frakturspaltweite bei rund 14,3 % der betroffenen Kinder kommen (Yang et al. 2019). Da die Rate an Kindern, die ein Valgusfehlwachstum von >10° nach proximal metaphysären Tibiafrakturen entwickeln, lediglich bei 1,1 % liegt, scheint es nicht mehr adäquat, alle von proximal metaphysären Tibiafrakturen betroffenen Kinder einem Follow-up mit regelmäßigen klinischen Nachuntersuchungen und gegebenenfalls Röntgennachkontrollen über 3 und mehr Jahre zu unterziehen (Yang et al. 2019).
Besonders gefährdet für proximale metaphysäre Tibiafrakturen sind junge Kinder, die gleichzeitig mit älteren, schwereren Kindern ein Trampolin benutzen. Beim abrupten Zurückfedern des Trampolins wird das Knie des leichteren Kindes abrupt nach hinten gedrückt, und es resultiert eine Hyperextension des Kniegelenks mit Verletzung der proximalen metaphysären Tibia (Boyer et al. 1986) oder der proximalen Tibiawachstumsfuge. Diese heute häufigen trampolinbedingten Frakturen mit dorsal klaffendem Frakturspalt und proximal metaphysärer Tibiafraktur zeigen jedoch eine sehr geringe Rate von posttraumatischen Valgusfehlstellungen (Yang et al. 2019).

Klassifikation

An der proximalen Tibiametaphyse werden der Stauchungsbruch, der Biegungsbruch, die Epiphysenlösung mit und ohne Keil und die vollständige Fraktur unterschieden (Abb. 2). Bei älteren Kindern ist die Epiphysenlösung mit einem Abriss der Apophyse der Tuberositas tibiae vergesellschaftet (Abb. 3). Zusätzlich kann die Fibula entweder unverletzt, frakturiert oder plastisch deformiert sein.
Als stabil wird am Unterschenkel jede Fraktur betrachtet, die nur einen Knochen betrifft. Partiell instabil sind Frakturen beider Knochen.
Quere Frakturen lassen sich besser retinieren als schräg verlaufende Brüche, sind jedoch meist schwerer zu reponieren, wenn eine Verkürzung eingetreten ist.

Diagnostik

Klinik

Da Frakturen des Unterschenkels meist schmerzhaft sind, erweist es sich als hilfreich, die Kinder zu fragen, ob sie auf die am meisten schmerzende Stelle weisen können. Da die meisten Frakturen gar nicht oder nur minimal verschoben sind, besteht fast nie eine klinisch sichtbare Achsendeviation. Die Schwellung ist ebenfalls abhängig vom initialen Trauma, der Weichteilsituation und dem Frakturgeschehen (initiale Fehlstellung).
Gefäß-Nerven-Verletzungen sind bei geschlossenen Frakturen selten, dennoch sollte die Dorsalextension bzw. Dorsalflexion des Sprunggelenks und der Zehen spätestens bei Anlegen der Oberschenkelliegeschale geprüft werden. Sensibilitätsstörungen können mit vorsichtigem Berühren verifiziert werden. Ein Gefäßschaden stellt eine absolute Rarität dar und ist am ehesten bei Epiphysenlösungen (Abb. 4) zu erwarten. Allerdings muss bedacht werden, dass ein Gefäßschaden nicht mit einem fehlenden Puls der A. dorsalis pedis vergesellschaftet sein muss. In entsprechenden Fällen hat sich die Farbduplexsonografie bewährt.
Offene bzw. geschlossene Weichteilschäden sind entsprechend den Richtlinien für Erwachsene zu klassifizieren.
Um die Fehlstellung zu quantifizieren, kann der Epiphysenachsenwinkel bestimmt werden. Die Achse des kurzen, fugennahen Fragments ergibt sich aus der Normalen zur Wachstumsfuge. In dieser Weise können auch Fehlstellungen sehr kurzer Fragmente reproduzierbar gemessen werden (Abb. 5).

Radiologie

Die proximale Tibiafraktur kann auf Standardröntgenaufnahmen meist gut erkannt werden. Im Rahmen der initialen Röntgendiagnostik sollten immer die angrenzenden Gelenke mit abgebildet sein, da sonst zusätzliche Läsionen nicht erkannt bzw. die eigentliche Verletzung auch übersehen werden kann. Ausnahme bildet die proximale Stressfraktur, die erst sekundär bei entsprechender Anamnese oder durch die MRT diagnostiziert werden kann (Abb. 6). Es kann schwierig sein, eine primäre Achsenfehlstellung zu erkennen. Dies hat mehrere Ursachen:
  • Eine Fehlstellung in der Frontalebene wird bei nicht exakt durchgeführter a.p.-Röntgenaufnahme unterschätzt.
  • Die Aufnahme bei nicht vollständig gestrecktem Kniegelenk führt zu einer Verharmlosung der Valgusstellung.
  • Individuell liegen große physiologische Unterschiede der Beinachse in diesem Alter vor.
Im Zweifelsfall muss das Kind in Analgosedierung oder sogar in Narkose untersucht und die Fraktur gegebenenfalls reponiert werden.

Therapie

Konservative Therapie

Indikation

Stabile Frakturen können konservativ behandelt werden. Hierunter fallen die Stauchungs- und Biegungsfrakturen. Da es sich aber um ein paariges Knochensegment handelt, gelten auch alle vollständigen Frakturen nur eines Knochen als stabil, da diese durch den Partnerknochen geschient werden. Partiell stabil sind alle Querfrakturen, da diese sich nach korrekter Reposition und Verzahnung nicht sekundär verschieben. Instabil können lange Schrägfrakturen sein, wenn beide Knochen frakturiert sind. Weiterhin können Epiphysenlösungen nach der Reposition instabil verbleiben.
Die meisten Frakturen können konservativ behandelt werden. Eine Reposition muss angestrebt werden, wenn das Ausmaß der Achsenfehlstellung bzw. die Seitverschiebung die Toleranzgrenze überschreitet. Dies hängt vom Alter des Patienten ab.
Bei klassischen proximal metaphysären Tibiabiegungsfrakturen darf keine Achsenfehlstellung verbleiben.

Optionen

  • Undislozierte Frakturen werden ohne Reposition in einem Oberschenkelspaltgipsverband ruhig gestellt (Abb. 7).
  • Eine Reposition benötigen alle Frakturen, die eine signifikante Achsenfehlstellung in der Frontalebene und altersabhängig in der Sagittalebene aufweisen (Abb. 8).
  • Fehlstellungen von <10° können auch primär unter Varusstress mit einem gespaltenen Oberschenkelgips versorgt werden. Am 8.–12. Tag erfolgt das Keilen des Gipses, um neuerlich Kompression ausüben zu können. Ein mediales Klaffen der Fraktur oder eine Valgusfehlstellung dürfen nicht akzeptiert werden. Kommt die Gipskeilung nicht in Betracht, müssen diese Frakturen nachreponiert werden. Wir empfehlen, wenn möglich, eine geringe Überkorrektur der Achsenfehlstellung.
  • Eine Ausnahme stellt die klassische proximale metaphysäre Tibiafraktur (Grünholzfraktur) dar. Aufgrund ihrer Wachstumsprognose (s. oben) ist das Grundprinzip der Therapie die exakte primäre Beseitigung der Valgusfehlstellung und die Kompression der medialen Kortikalis, um eine rasche Konsolidation zu erreichen und mögliche Wachstumsstörungen zu minimieren. Dazu wird in Streckstellung des Kniegelenks ein in Varusstress gehaltener langer Oberschenkelgipsverband angelegt. Autoren wie Skak (1982) weisen darauf hin, dass die Valgusdeformität im Wesentlichen auf eine unzureichende oder unterlassene Reposition zurückzuführen ist. Von Laer (2001) bezweifelt, dass nach unverschobenen oder korrekt reponierten Frakturen eine nennenswerte Fehlstellung erwartet werden muss. Daher muss beim Scheitern eines konservativen Vorgehens gegebenenfalls operativ vorgegangen werden.

Klinischer Hinweis

Die eingehende Aufklärung der Eltern über die Möglichkeit des Fehlwachstums ist bei der Behandlung einer proximalen metaphysären Tibiafraktur (Grünholzbruch) obligat, da das Schicksal des weiteren Verlaufs trotz korrekter Therapie nicht vorhersehbar ist und es auch bei korrekter Therapie zu einem Achsenfehlwachstum kommen kann. Eine posttraumatische Korrektur kann das weitere Achsenfehlwachstum nicht sicher verhindern. Bei korrekt reponierten Frakturen ist dies jedoch sehr selten zu erwarten.
Die Gipsabnahme erfolgt nach knöcherner Konsolidation nach etwa 4–6 Wochen.
Valgusfehlstellungen von >10° oder instabile Frakturen (mediale und laterale Tibiakortikalis und Fibulafraktur mit primärer Dislokation) reponieren wir primär unter allgemeiner Anästhesie. Die Indikation zum offenen Vorgehen wird gestellt, wenn es nach dem Durchbrechen der lateralen Kortikalis nicht einwandfrei gelingt, die Achse in 0°-Stellung wiederherzustellen (medialer Spalt muss geschlossen sein!) oder bei den dislozierten Frakturen eine bestehende Seit-zu-Seit-Verschiebung von >5 mm (auch bei korrekten Achsverhältnissen) resultiert.
Sowohl die verzögerte Knochenbruchheilung bei Persistieren des medialen Spalts als auch das Remodeling bei (medialer) Seit-zu-Seit-Verschiebung führen zu einer partiellen Stimulation der Wachstumsfuge mit möglicher konsekutiver, progredienter Valgusfehlstellung.

Operative Therapie

Indikation für operative Therapie

Instabile Frakturen oder unvollständig reponierte dislozierte Frakturen bzw. wenn Frakturen nach der Reposition instabil bleiben, sind operativ zu stabilisieren. Bei ipsilateralen Begleitverletzungen oder höhergradig (zweit- und drittgradig) offenen Frakturen – je nach Weichteilsituation – wird die Indikation zum operativen Vorgehen gestellt (von Laer 2001; von Laer et al. 1982; Ogden et al. 1995).

Patienten- und Elternaufklärung

Besonders bei Operation einer proximalen metaphysären Tibiafraktur (Grünholzbruch) müssen die Eltern und die Patienten auf die Möglichkeit einer nachfolgenden zunehmenden Valgusfehlstellung hingewiesen werden, die unter Umständen eine nochmalige wachstumslenkende Korrektur erfordern kann. Die Notwendigkeit der klinischen Nachkontrollen muss ebenfalls schon zu Behandlungsbeginn erläutert werden, da trotz korrektem Vorgehen eine schicksalhafte Achsenfehlstellung auftreten kann.

Lagerung

Rückenlagerung bei frei abgedecktem Bein.

Zugang

Anteromedialer kleiner Schnitt in Höhe der Fraktur.
Bei der offenen Reposition werden Repositionshindernisse in Form von interponierten Periost- und Pes-anserinus-Anteilen beseitigt. Meist genügt es bei der proximalen metaphysären Tibiafraktur (Grünholzfraktur), die Weichteile aus dem Frakturspalt zu entfernen, und anschließend kann die Fraktur konservativ mit Gipsanlage in Kniestreckung unter Varuseinhaltung problemlos austherapiert werden. In seltenen Fällen ist eine Osteosynthese erforderlich. In diesem Fall favorisieren wir den Fixateur externe zur Kompression. Auf eine Rekonstruktion eines eingeschlagenen Pes anserinus wird verzichtet.

Operationstechnik

Der komplette Bruch oder die Epiphysenlösung, die instabil sein können, werden entsprechend der Frakturlinie entweder mit gekreuzten Bohrdrähten und Oberschenkelgipsverband oder übungsstabil und gipsfrei mit einem Fixateur externe retiniert (Abb. 9, 10).
Beim Platzieren der proximalen Pins des Fixateurs muss eine Verletzung der Apophyse der Tuberositas tibiae vermieden werden (Abb. 9).
Der geschlossen irreponible Biegungsbruch wird mit einem medialseitigen unilateralen Fixateur externe stabilisiert, um Kompression ausüben zu können.

Empfohlene Therapie

Die Valgusstellung wird durch geschlossene Reposition und Retention im Oberschenkelgipsverband, der im Kniegelenk gestreckt und in Varusstress gehalten wird, beseitigt. Ist die geschlossene Reposition nicht möglich, wird zur offenen Reposition gewechselt. Die Osteosynthese erfolgt durch einen medialen Fixateur externe (Frakturkompression) bei intakter lateraler Kortikalis. Bei frakturierter lateraler Kortikalis wird der Fixateur entsprechend erweitert oder mit gekreuzten Bohrdrähten und adjuvanter Gipsfixation stabilisiert.

Nachbehandlung

Konservativ

Die Gipsimmobilisation erfolgt für 4–6 Wochen entsprechend dem Alter des Patienten. Wulstfrakturen werden nur klinisch kontrolliert. Alle Biegungs- und kompletten Frakturen sowie Epiphysiolysen werden 2 Wochen lang wöchentlich radiologisch kontrolliert, um Valgusfehlstellungen bzw. sekundäre Dislokationen zu erkennen. Die letzte routinemäßige Röntgenkontrolle erfolgt zum Zeitpunkt der knöchernen Konsolidation. Nur nach typischen proximalen metaphysären Grünholzfrakturen der Tibia, die mit medial breiterem Frakturspalt verheilt sind, wird zunächst nach einem halben Jahr kontrolliert. Besteht eine Valgusfehlstellung, werden diese Kinder halbjährlich kontrolliert (meist reicht klinische Kontrolle) und jährliche radiologische Konrolle, meist bildet sich der Valgus nach 1,5–3 Jahren zurück. Die Behandlung wird bei komplikationslosem Verlauf 3 Jahre nach dem Unfall abgeschlossen.

Operativ

Bei Kindern, die eine Kirschner-Drahtosteosynthese erhalten haben, wird zusätzlich ein Oberschenkelgips in Streckstellung des Kniegelenks angelegt. Innerhalb der ersten Woche erfolgt die radiologische Stellungskontrolle der Fraktur. Insgesamt ist eine Gipsruhigstellung für 4–6 Wochen vorgesehen. Die Drahtentfernung richtet sich danach, ob die Drähte versenkt wurden oder über die Haut vorragen. Herausstehende Drähte können ambulant gezogen werden. Versenkte Drähte sollten bei Kindern in Narkose entfernt werden. Bei Fixateur-externe-Anlagen kann, eine belastungsstabile Montage vorausgesetzt, die Belastung erlaubt werden. Die Entfernung des Fixateur externe erfolgt in Abhängigkeit von der Frakturkonsolidation nach 6–8 Wochen.

Spätkomplikationen

Spontan erfolgt eine Korrektur der verbliebenen Valgusfehlstellung, indem der Scheitel der Fehlstellung nach distal wächst und sich die Epiphysen wieder senkrecht zur Belastungsrichtung einstellen, wodurch eine orthograde Stellung der Kniegelenkebene resultiert. Das Ausmaß der Korrektur ist nicht sicher vorhersehbar, und eine Korrektur ist nur dann zu erwarten, wenn sich der Unfall vor dem 8. Lebensjahr ereignet hat. Zionts und MacEwen (1986) berichteten über 7 Kinder mit Fehlstellungen von <10°, wobei in 6 Fällen eine Spontankorrektur innerhalb von 39 Monaten beobachtet werden konnte.

Valgusfehlstellung

Korrekturosteotomien während der Wachstumsphase sind mit dem großen Risiko eines Rezidivs behaftet. Dieses Rezidiv tritt in etwa 50 % der Fälle auf und kann das Ausmaß der initialen Fehlstellung noch übertreffen (Dal Monte et al. 1983; Ferriter und Shapiro 1987; McCarthy et al. 1998; Tuten et al. 1999). Aus diesen Gründen sollte die korrigierende Operation während des Wachstums nur nach strengster Indikationsstellung und ausführlicher Aufklärung der Eltern erfolgen. Wir empfehlen die Operation zu diesem Zeitpunkt nur, wenn ein exzessives Genu valgum den normalen Bewegungsablauf durch Aneinanderschlagen der Kniegelenke verhindert oder Schmerzen bei Belastung resultieren.
Gegen Ende der Wachstumsphase und gegebenenfalls auch zu einem früheren Zeitpunkt kann eine sorgfältig geplante mediale Epiphysiodese eine langsame Korrektur bewirken (Steel et al. 1971). Da die Valgusfehlstellung mit einer Beinverlängerung einhergeht, kann die subtraktive, proximale Varisierung nach Wachstumsabschluss erfolgen. Bei Korrekturoperationen am Ende oder nach Abschluss der Wachstumsphase muss berücksichtigt werden, dass der Scheitelpunkt der Fehlstellung, in Abhängigkeit des Wachstums nach dem Unfall, nach distal gewandert ist, und durch die Spontan(teil)korrektur eine veränderte Stellung der Epiphysen vorliegen kann (veränderte Knie- und Sprunggelenkachsen, die eine Korrektur der Fehlstellung in mehreren Etagen erforderlich machen können).

Posttraumatische Beinverkürzungen

Das Ausmaß entscheidet über den Zeitpunkt der Korrektur. Als Grenze wird eine Verkürzung von 3 cm gesehen. In diesem Fall wird bereits vor Wachstumsabschluss eine Verlängerung durchgeführt. Eltern und Kindern müssen darüber informiert werden, dass die einmalige Intervention oft nicht ausreicht und gegebenenfalls nach Wachstumsabschluss erneut korrigiert werden muss (Abb. 11).
Literatur
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