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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 21.07.2023

Traumatische Schulterluxation beim Kind

Verfasst von: Christoph Röder und Ralf Kraus
Vordere Schulterluxationen treten bei direkter oder indirekter Gewalteinwirkung auf und machen über 90 % aller Fälle aus. Bei direkter Gewalt trifft ein Schlag oder Stoß die Schulter von hinten. Bei der indirekten Verletzung trifft das Trauma den Arm in Abduktion, Extension und Außenrotation.
Die seltenen hinteren Luxationen können ebenfalls nach direkter oder indirekter Gewalteinwirkung auftreten. Das direkte Trauma trifft die Schulter von vorne und drängt sie nach hinten. Häufiger ist aber das indirekte Trauma. Dabei steht die Schulter in Adduktion, Flexion und Innenrotation. Stromunfälle oder Krampfanfälle können durch das Überwiegen der Außenrotatoren (M. infraspinatus und M. teres minor) zur hinteren Luxation führen. Durch deren kräftigen Zug kommt es manchmal zum „Verhaken“ der sogenannten inversen Hill-Sachs-Läsion am hinteren Pfannenrand und damit zu einem Repositionshindernis.
Untere und obere Schulterluxationen sind extrem selten, ebenso die Luxatio erecta.

Häufigkeit und Ursache

Wie bei den meisten Gelenkverletzungen im Kindes- und Jugendalter sind fugennahe Frakturen sehr viel häufiger als reine Kapsel-Band-Verletzungen. Dementsprechend selten sind traumatische Schulterluxationen.
Jonasch und Bertel (1981) fanden unter 260.000 Verletzungen 29 Erstluxationen gegenüber 1152 proximalen Oberarmfrakturen.
Bei Patienten mit offenen Wachstumsfugen des proximalen Oberarms ist eine knöcherne Verletzung somit deutlich häufiger als eine Luxation des Glenohumeralgelenks. Erst mit Fugenschluss steigt die Prävalenz der Schulterluxation. 93 % der traumatischen Luxationen der Kinder und Jugendlichen treten nach dem 10. Lebensjahr auf.
Etwa 4 % aller Schulterluxationen betreffen Patienten mit noch offenen Wachstumsfugen (Parsch und zu Eulenberg 1982; Postacchini et al. 2000; Wagner und Lyne 1983). Bei Neugeborenen und Säuglingen kann bei noch nicht angelegtem epiphysären Knochenkern eine dislozierte Epiphysenlösung eine Schulterluxation vortäuschen. Die Differenzierung ist sonografisch zu treffen.
Vordere Schulterluxationen treten bei direkter oder indirekter Gewalteinwirkung auf und machen über 90 % aller Fälle aus. Bei direkter Gewalt trifft ein Schlag oder Stoß die Schulter von hinten. Bei der indirekten Verletzung trifft das Trauma den Arm in Abduktion, Extension und Außenrotation.
Die seltenen hinteren Luxationen (Nakae und Endo 1996) können ebenfalls nach direkter oder indirekter Gewalteinwirkung auftreten. Das direkte Trauma trifft die Schulter von vorne und drängt sie nach hinten. Häufiger ist aber das indirekte Trauma. Dabei steht die Schulter in Adduktion, Flexion und Innenrotation. Stromunfälle oder Krampfanfälle können durch das Überwiegen der Außenrotatoren (M. infraspinatus und M. teres minor) zur hinteren Luxation führen. Durch deren kräftigen Zug kommt es manchmal zum „Verhaken“ der sogenannten inversen Hill-Sachs-Läsion am hinteren Pfannenrand und damit zu einem Repositionshindernis.
Untere und obere Schulterluxationen sind extrem selten, ebenso die Luxatio erecta.
Es ist zu unterscheiden zwischen traumatischer Erstluxation, posttraumatisch rezidivierender und habitueller Schulterluxation (Subluxation).

Diagnostik

Klinisch

Bei einer vorderen Schulterluxation ist der Oberarm typischerweise in Abduktion und Außenrotation federnd fixiert. Die Prüfung der Beweglichkeit ist schmerzhaft. Unterhalb des Akromions ist die leere Gelenkpfanne als Lücke palpabel. Ventral davon kann der dislozierte Oberarmkopf als Vorwölbung tastbar sein.
Neurologische Defizite im Sinne von Sensibilitätsausfällen können den N. axillaris und den N. musculocutaneus betreffen. Die Durchblutung des Arms muss überprüft werden. Motorische Defizite sind bei luxiertem Gelenk nicht zu eruieren.
Erscheint der Patient mit bereits reponierter Schulter, ist der Apprehension-Test positiv. Hierbei kommt es bei Abduktion und Außenrotation der Schulter und gleichzeitigem Druck von dorsal gegen den Oberarmkopf zum schmerzhaften Anspannen der Schultermuskulatur: Diese versucht reflektorisch eine neuerliche Luxation zu vermeiden (Abb. 1). Gleiches gilt für den Druck gegen den Oberarmkopf von vorne im Falle einer drohenden Reluxation nach dorsal (Brunner 2002).
Die Deformität des Schulterkonturen ist im Falle einer hinteren Luxation geringer ausgeprägt. Das Korakoid erscheint prominent. Der Oberarm ist in Innenrotation und Adduktion fixiert (Deitch et al. 2003). Neurologische Schäden sind seltener.

Radiologisch

Bei noch luxiertem Schultergelenk reicht die Röntgennativaufnahme in einer Ebene zur Dokumentation der Verletzung (Abb. 2). Bei entsprechender Klinik und fehlendem Luxationsnachweis müssen selbstverständlich Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen angefertigt werden. Eine hintere Schulterluxation ist unter Umständen nativradiologisch überhaupt nicht sicher darzustellen und wird erst in der CT oder MRT auffällig.
Röntgenaufnahmen der Schulter in zwei Ebenen nach Reposition dokumentieren zum einen den Therapieerfolg und lassen zum anderen knöcherne Begleitverletzungen erkennen, wie die Impressionsfraktur des Oberarmkopfes (Hill-Sachs-Defekt) oder die Glenoidfraktur (knöcherne Bankart-Läsion). Bei Adolescenten kann nativradiologisch durch eine True AP-Aufnahme eine Luxation sicher ausgeschlossen werden. Dabei werden der Oberarm, Kopf und Glenoid so abgebildet, dass sie sich nicht überlagern. Bei Kindern ist aufgrund der höheren Strahlenbelastung auf diese Aufnahme zu verzichten.
Zur Planung der weiteren Therapie ist eine zeitnahe MRT-Untersuchung der Schulter zu fordern.
Die CT ist in der Lage, die knöchernen Begleitverletzungen oder Verletzungsfolgen darzustellen, ist aber im Kindes- und Jugendalter nur selten indiziert. Durch eine Arthro-CT mit intraartikulärer Kontrastmittelgabe sind auch Aussagen zu den gelenkstabilisierenden Weichteilen, Labrum glenoidale, Gelenkkapsel, Lig. glenohumeralia und Rotatorenmanschette möglich. Aussagekräftiger ist unter dieser Fragestellung jedoch die MRT, ggf. einschließlich intraartikulärer Kontrastmittelapplikation.
Sonografisch können die Dislokation des Oberarmkopfs, die Hill-Sachs-Läsion und Labrum- sowie Rotatorenmanschetten-Läsionen diagnostiziert werden. Die dynamische Sonografie erlaubt zudem Aussagen zur Instabilität.

Empfohlene radiologische Diagnostik

Primär: Röntgen in einer (zwei) Ebene(n), nach Reposition Röntgen in zwei Ebenen, ggf. CT bei Verdacht auf primäre knöcherne Verletzungen; zumindest bei Patienten ab einem Alter von 14 Jahren zusätzliches MRT.

Therapie

Primär erfolgt die geschlossene Reposition unter Kurznarkose und Rückenlage des Patienten. Es empfiehlt sich die Methode nach Hippokrates, bei der die Ferse des Operateurs unter gleichzeitigem Zug am Arm und Innenrotation (vordere Luxation), bzw. Außenrotation (hintere Luxation) als Hypomochlion dient. Bei kleineren Kindern kann die Reposition meist unter Zug und Gegenzug erreicht werden. Die hintere Schulterluxation ist in Einzelfällen nur offen zu reponieren (Kawaguchi et al. 1998).
Danach sollte die Schulter für 10–14 Tage im Gilchrist-Verband oder der Desault-Weste ruhiggestellt werden. Es schließt sich eine intensive krankengymnastische Übungstherapie zur Kräftigung der schulterstabilisierenden Muskulatur an (Habermeyer und Lichtenberg 2003; Michno und Sulko 2001).
Aufgrund hoher Rezidivraten bis zu 100 % wird in der rezenten Literatur bei Jugendlichen eher die operative Therapie nahegelegt (Roberts et al. 2014; Gigis et al. 2014). Als Operationsindikation wird dabei teils die Erstluxation, teils die posttraumatische rezidivierende Luxation gesehen.
Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren bzw. mit noch offenen Wachstumsfugen am proximalen Oberarm haben nach konservativer Therapie einer traumatischen Erstluxation eine deutlich geringere Inzidenz an Reluxationen (40 %) im Vergleich zu Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren (93 %) (Olds et al. 2016). Es scheint daher bei jüngeren Patienten ein konservativer Therapieansatz gerechtfertigt. Auch wenn einige Autoren berichten, dass die Langzeitergebnisse bei operierten und rein krankengymnastisch behandelten Patienten gleich sind (Deitch et al. 2003; Hovelius et al. 1996; Lawton et al. 2002), geben andere Autoren an, dass die Gefahr einer Reluxation in der Gruppe der operierten Patienten geringer (Longo et al. 2016) und die Funktion (Khan et al. 2014) besser sei. Zwei Systemac reviews (Longo et al. 2016 und Olds et al. 2016) legen daher nahe, Patienten mit geschlossenen Wachstumsfugen des proximalen Oberarms operativ zu versorgen.
Schulterluxationen bei Kindern mit offener Wachstumsfuge des proximalen Oberarms (ca. um das 14. Lebensjahr) können nach erfolgter Reposition zunächst konservativ behandelt werden. Ein MRT sollte zum Ausschluss von Begleitverletzungen durchgeführt werden.
Jugendliche mit geschlossener Wachstumsfuge des proximalen Oberarms sollten primär operativ versorgt werden. Arthroskopie, Refixation des Kapsel-Labrumkomplexes. Eine präoperative MRT-Untersuchung ist wünschenswert, sollte aber die Operation nicht verzögern.

Operationstechnik

Die operative Versorgung der Schulterluxation und ihrer Folgezustände beginnt mit der diagnostischen Arthroskopie (Abb. 3a).
Nach Darstellung der Verletzung wird diese debridiert, um ein vaskularisiertes Lager für die Refixation des Labrum glenoidale zu schaffen. Diese wird mithilfe von Fadenankersystemen arthroskopisch durchgeführt. Hierzu wird der freiliegende Glenoidrand mit 2–4 Ankern bestückt, das Labrum von der Abrissfläche her durchstochen und unter Umständen unter Einbeziehen von Kapselanteilen fixiert. Im Falle eines kleinen knöchernen Bankartfragments erfolgt auf gleichem Weg die arthroskopische Refixation. Bei größeren knöchernen Fragmenten ist eine Schraubenosteosynthes notwendig, die meist über einen offen vorderen Zugang zum Gelenk durchgeführt werden muss.
Spaninterpositionen (J-Span, Eden-Hybbinette) oder die Drehosteotomie nach Weber sind als Ausweichoperationen zu betrachten und sollten im Kindes- und Jugendalter nicht durchgeführt werden. Kahn et al. beschreiben gute Ergebnisse nach primär durchgeführten Latarjet Operationen bei Jugendlichen (Khan et al. 2014), was als extraanotomisches und irreversibles Verfahren unserer Meinung nach nur für Ausnahmefälle gerechtfertigt erscheint.

Postoperative Nachbehandlung

Postoperativ erfolgt die Ruhigstellung im Gilchrist-Verband oder einer konfektionierten Desault-Weste für 10–14 Tage. Ab dem 2. bis 3. postoperativen Tag kann mit passiv assistierten Bewegungsübungen einschließlich CPM begonnen werden. Aktive Bewegungen können nach 4 Wochen aufgenommen werden. Die Abduktion > 90° und die Außenrotation sollten 6 Wochen unterbleiben. Wurf-, Kampf- und Kontaktsportarten sollten für mindestens 6 Monate ausgesetzt werden.

Komplikationen

Der ventrale Zugang zum Schultergelenk gefährdet vor allem V. cephalica, N. musculocutaneus und N. axillaris.
Insbesondere die nervalen Strukturen verlaufen variabel und können beim arthroskopischen Vorgehen durch die Trokare verletzt werden.
Daher sollte vermieden werden, den ventralen Zugang medial und kaudal des Processus coracoideus zu platzieren (Schippinger 2000). Postoperative Bewegungseinschränkungen können auf mangelhafte krankengymnastische Übungstherapie oder zu lange postoperative Ruhigstellung zurückzuführen sein. Posttraumatische oder postoperative Kapselfibrosen sind bei Kindern unbekannt.
Literatur
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