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Die Urologie
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Publiziert am: 02.08.2022

Molekulares Tumorboard – Prostatakarzinom

Verfasst von: Carsten Grüllich
Molekulare Tumorboards tragen überall in der Onkologie der Entwicklung Rechnung, dass Tumoren mit derselben Histologie im gleichen Organ auf unterschiedlichem genetischen Hintergrund entstehen können. Die rapiden Entwicklungen der molekularen Onkologie ermöglichen es heute, viele dieser genetischen Veränderungen mit einer zielgerichteten Therapie zu behandeln. Diese Therapien können der konventionellen Systemtherapie mit Chemotherapie überlegen sein. Allerdings fehlt für viele seltene Veränderungen die Evidenz über Einzelfälle hinaus. Aufgabe der molekularen Tumorboards ist es, diese Therapien und die Evidenz zu diskutieren, um eine möglichst valide Therapieempfehlung zu geben. Bei Prostatakarzinom hat die Ära der zielgerichteten Therapien kürzlich mit der Zulassung der PARP-Inhibitoren für BRCA1/2 defiziente Tumoren begonnen. Eine molekulare Testung und Vorstellung im molekularen Tumorboard ist somit für das mCRPC indiziert und sollte jedem Patienten angeboten werden. Weitere zielgerichtet behandelbare genetische Veränderungen des Tumors werden sicherlich in den nächsten Jahren hinzukommen.

Einleitung

Die Basis der Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms ruht seit Jahrzehnten auf der Manipulation der Androgenrezeptor-gesteuerten Proliferationswege. Der Fortschritt in der translationalen Forschung der letzten Jahre brachte Bewegung und Innovationen in das diagnostische und therapeutische Umfeld. Insbesondere die wachsende Verfügbarkeit von „next generation sequencing“ (NGS) ermöglicht bei gefallenen Kosten die weitere Verbreitung von zielgerichteten Therapien. Mit der Entdeckung der Relevanz der homologen Reparatur-Defizienz (HRD) bei einer Vielzahl von Prostatakarzinompatienten und deren medikamentöser Beeinflussbarkeit durch PARP-Inhibitoren steht erstmals eine zielgerichtete Therapie zur Verfügung, die nicht auf den Androgen-Weg gerichtet ist. Die erste positive Phase III Studie für die Wirksamkeit der PARP-Inhibition ist bereits abgeschlossen worden. Da viele Mutationen in seltenen Genregionen vorkommen, muss genau geprüft werden, ob es sich tatsächlich bei der gefundenen Variante um eine pathogene Variante handelt. Auch finden sich häufig Varianten unklarer Signifikanz, die es erschweren, sich für eine zielgerichtete Therapie zu entscheiden, da die Wirksamkeit schwer einzuschätzen ist. Auch das simultane Vorliegen von bekannten Resistenzfaktoren muss eingeordnet werden. All diese Expertise soll in einem molekularen Tumorboard abgebildet werden.

Die DNA-damage response (DDR)

Die Basis für die Integrität des menschlichen Genoms ist der Erhalt der ursprünglich vererbten DNA-Sequenz in allen Zellen (Corcoran et al. 2016). Da sowohl bei der Zellteilung Fehler in der Kopie der DNA entstehen können, als auch genotoxischer Stress (chemische Mutagene, ionisierende Strahlung) im Laufe des Lebens Schäden in der DNA erzeugt, ist ein kompliziertes Reparatursystem in allen Zellen vorhanden, das in der Lage ist, diese Schäden zu reparieren. Ist dieses System selbst durch Mutation defekt, so führt dies zur Kumulation von Schäden, welche in einer malignen Entartung enden können. Mit DDR wird die Gesamtheit der Mechanismen der Reparatur von DNA-Schäden bezeichnet. Diese beinhalten sowohl „base excision repair“ (BER) und „nucleotide excision repair“ (NER) für Schäden an einzelnen Basen und Einzelstrangbrüchen, als auch die homologe Rekombination (HR) und nicht homologe Rekombination (NHEJ) für Doppelstrangbrüche. „Mismatch repair“ (MMR) greift bei falsch replizierten Basen ein. Besonders relevant für Tumorerkrankungen und assoziiert mit erblichen Syndromen sind Defekte in der homologen Rekombination (HRD) und der „mismatch repair deficiency“ (MMR-D) oder Mikrosatelliteninstabilität (Li 2008). In bis zu 20 Prozent der Prostatakarzinome findet sich ein HRD, meist durch BRCA2-Gendefekte ausgelöst. Eine MMR-D liegt beim Prostatakarzinom eher selten vor. Auch diese können erblich (Lynch Syndrom) sein oder sporadisch auftreten. Tumore mit MMR-D sprechen auf eine Therapie mit Checkpointinhibitoren besonders gut an (Sahin et al. 2019). Tumore mit einer HRD hingegen sind sensibel auf eine Therapie mit einem Poly-Adenyl-Ribose-Polymerase (PARP)-Inhibitor (Nientiedt et al. 2017a). Das Enzym PARP spielt ebenfalls eine Rolle bei der Einzelstrangreparatur und Inhibitoren blockieren diese, sodass vermehrt Einzelstrangbrüche auftreten, die dann wiederum zu Doppelstrangbrüchen führen. Liegt zugleich ein Defekt in der Reparatur von Doppelstrangbrüchen vor, wie es bei der HRD der Fall ist, so induzieren PARP-Inhibitoren eine synthetische Letalität, die zum Zelltod der Tumorzelle führt (Abb. 1). Es sind mittlerweile auch eine Reihe von Resistenzmechanismen gegen PARP-Inhibitoren beschrieben worden, wie gleichzeitiges Vorhandensein einer aktivierenden AKT1 Mutation. Auch die BRCA-Mutation kann im Verlauf unter Therapiedruck rückmutieren (durch Frameshift-Mutation), sodass der Tumor wieder homologe Reparatur durchführen kann und PARP-Inhibitoren nicht mehr wirken.

Therapie des HR defizienten (HRD) Prostatakarzinoms mit PARP-Inhibitoren

Eine HRD wurde in Studien bei 10–20 % der Patienten mit Prostatakarzinom nachgewiesen, in der Population der primär bei Diagnose metastasierten Tumore sogar über 40 % (Nientiedt et al. 2020), die meisten davon sporadisch auftretend. Am häufigsten fand sich eine BRCA2-Mutation, während andere Defekte in Co-Faktoren der HR deutlich seltener waren. Diese Mutationen scheinen auch im Tumor die Immunreaktion zu beeinflussen, wahrscheinlich über eine erhöhte Expression von Tumorantigenen, bedingt durch die größere genetische Instabilität (Jenzer et al. 2019). Spezifisch auf die Detektion von Keimbahnmutationen wurden Patienten in der PROREPAIR B Studie (Castro et al. 2019) untersucht. Von 419 Patienten mit metastasiertem kastrationsrefraktären Prostatakarzinom (mCRPC) fanden sich in 61 Patienten HRD spezifische Keimbahnmutation. Besonders das Vorliegen einer inaktivierenden Mutation im BRCA2-Gen war hierbei mit einer schlechten Prognose assoziiert und das Therapieergebnis bei diesen Patienten war schlechter mit einer Taxan-basierten Therapie als mit einer Therapie mit neuen Anti-Androgenen (NAA) (Nientiedt et al. 2017b). In der Profound-Studie (Hussain et al. 2019) wurde die Aktivität von Olaparib in mCRPC-Patienten mit einer im Tumor nachgewiesenen HRD untersucht. Qualifizierende Gene zur Studienteilnahme waren BRCA1, BRCA2, ATM, BRIP1, BARD1, CDK12, CHEK1, CHEK2, FANCL, PALB2, PPP2R2A, RAD51B, RAD51C, RA51D oder RAD54L. Am häufigsten fanden sich in dieser Studie Mutationen in den BRCA2-, CDK12- und ATM-Genen. Die Studie wurde stratifiziert in zwei Kohorten, in Kohorte A waren Patienten mit BRCA1-, BRCA2- und ATM-Mutationen, die restlichen Veränderungen kamen in die Kohorte B. Die Patienten mussten mit einem NAA vorbehandelt sein, entweder im hormonsensitiven Stadium oder in der Kastrationsresistenz, und sie durften eine Taxan-haltige Chemotherapie erhalten haben. Es wurde 1:1 Olaparib gegen ein zweites NAA (Enzalutamid oder Abirateron in Abhängigkeit vom zuvor verwendeten NAA) randomisiert. In der Gesamtpopulation (Kohorte A+B) fand sich eine Überlegenheit beim progressionsfreien Überleben (PFS) mit einer HR 0,49 (95 % CI 0,38–0,63; P < 0,0001), das sich in eine Überlegenheit beim Gesamtüberleben (OS) übersetzen konnte in 17,5 Monate gegenüber 14,3 Monate (HR 0,67 (95 % CI 0,49–0,93) P = 0,0063). In der Kohorte A war die Aktivität von Olaparib noch ausgeprägter. Hier fand sich ein PFS-Vorteil von 7,4 Monaten gegenüber 3,6 Monaten in der Kontrollgruppe (HR 0,34; 95 % CI 0,25–0,47; P < 0,001) und ein OS-Vorteil von 18,5 Monaten mit Olaparib gegenüber 15,1 Monaten in der Kontrollgruppe (HR 0,64; 95 % CI, 0,43–0,97; P = 0,02). Auch bezüglich der weiteren sekundären Endpunkte wie Ansprechen, Zeit bis zur PSA-Progression und Zeit bis zur Schmerzprogression war das Olaparib in beiden Gruppen dem Kontrollarm überlegen.
Mit der Profound-Studie hat beim Prostatakarzinom das Zeitalter der molekular zielgerichteten Therapien begonnen und bei der Interpretation von molekularen Analysen zur HRD müssen molekulare Tumorboards zukünftig Hilfestellung leisten (Grüllich et al. 2020).

Zusammenfassung

Die Entwicklung fortgeschrittener molekularer Diagnostik hat auch beim Prostatakarzinom zur Definition einer neuen prognostischen Subgruppe geführt. Die HRD-defizienten Tumoren können erblich bedingt auftreten, hierbei sind die familiären BRCA1/2-Defekte die häufigsten bekannten Mutationen. Die Mehrheit dieser Defekte sind jedoch sporadisch im Tumor entstanden. Diese gehen mit einer schlechten Prognose einher und scheinen auf Chemotherapien mit Taxanen eher schlecht anzusprechen. Für HRD-defiziente Tumore bietet sich mit den PARP-Inhibitoren eine neue molekular zielgerichtete Therapie. Olaparib ist zugelassen für das Prostatakarzinom mit pathogenen BRCA1/2-Mutationen nach einer neuen anti-androgenen Therapie. Zur Interpretation der vielen möglichen genomischen Veränderungen in den BRCA1/2-Genen, insbesondere zur Einordnung, ob gefundene Varianten pathogen sind, muss auch beim Prostatakarzinom in Zukunft ein molekulares Tumorboard entscheidend beitragen.

Key facts

  • Molekulares Tumorboard hilft bei der Einordnung von molekularen Veränderungen.
  • Bei 20–40 Prozent der Prostatakarzinome findet sich eine Veränderung in Genen, die für die homologe DNA-Reparatur verantwortlich sind.
  • Funktionelle Defekte dieser Gene führen zur homologen Reparatur Defizienz (HRD).
  • HRD ist meist sporadisch, kann aber erblich auftreten.
  • Ein PARP-Inhibitor ist wirksam beim HRD-Prostatakarzinom.
  • Der PARP-Inhibitor Olaparib ist zugelassen beim metastasierten kastrationsrefraktären Prostatakarzinom (mCRPC) mit BRCA1/2-Mutationen nach Versagen eines neuen Anti-Androgens (NAA).
Literatur
Castro E et al (2019) PROREPAIR-B: a prospective cohort study of the impact of germline DNA repair mutations on the outcomes of patients with metastatic castration-resistant prostate cancer. J Clin Oncol 37(6):490–503CrossRef
Corcoran NM et al (2016) Molecular pathways: targeting DNA repair pathway defects enriched in metastasis. Clin Cancer Res 22(13):3132–3137CrossRef
Grüllich C et al (2020) Molekulare zielgerichtete Therapie und Immuntherapie des Prostatakarzinoms. Urologe 59:687–694CrossRef
Hussain M et al (2019) PROfound: phase III study of olaparib versus enzalutamide or abiraterone for metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC) with homologous recombination repair (HRR) gene alterations. Ann Oncol 30:881CrossRef
Jenzer M et al (2019) The BRCA2 mutation status shapes the immune phenotype of prostate cancer. Cancer Immunol Immunother 68:1621–1633CrossRef
Li GM (2008) Mechanisms and functions of DNA mismatch repair. Cell Res 18(1):85–98CrossRef
Nientiedt C et al (2017a) PARP inhibition in BRCA2-mutated prostate cancer. Ann Oncol 28(1):189–191CrossRef
Nientiedt C et al (2017b) Mutations in BRCA2 and taxane resistance in prostate cancer. Sci Rep 7(1):4574CrossRef
Nientiedt C et al (2020) High prevalence of DNA damage repair gene defects and TP53 alterations in men with treatment-naïve metastatic prostate cancer – Results from a prospective pilot study using a 37 gene panel. Urol Oncol Seminars Orig Investigations 38(7):637.e17–637.e27CrossRef
Sahin IH et al (2019) Immune checkpoint inhibitors for the treatment of MSI-H/MMR-D colorectal cancer and a perspective on resistance mechanisms. Br J Cancer 121(10):809–818CrossRef