Die Schilddrüse: ein kleines, aber wichtiges Organ

Fehlfunktionen der Schilddrüse können an verschiedensten Organsystemen das Risiko von Funktionsstörungen und Erkrankungen erhöhen. Beispiele dafür sind das Herz, das zentrale Nervensystem und das reproduktive System. Die Schilddrüse ist ein kleines, normalerweise nicht mehr als 25 g schweres, schmetterlingsförmiges Organ. Ihre Aufgabe besteht vor allem in der Produktion und Freisetzung der Schilddrüsenhormone Tetrajodthyronin (Thyroxin, T4) und Trijodthyronin (T3), die maßgeblich die Stoffwechsellage des Organismus bestimmen und zahlreiche Körperfunktionen beeinflussen. Zu diesen Funktionen zählen u.a. die Aktivität von Nerven, Muskeln, Herz, Kreislauf, Magen und Darm. Auch der Energieverbrauch, das seelische Wohlbefinden, die Sexualfunktion und die Fruchtbarkeit werden beeinflusst. In der Embryonalentwicklung und im Kindesalter sorgen Schilddrüsenhormone für eine normale körperliche und geistige Entwicklung. SANOFI-AVENTIS DEUTSCHLAND GMBH, BERLIN × Da die Steuerung der Hormonsekretion im menschlichen Organismus durch mehrere, hierarchisch ineinandergreifende Regelkreise erfolgt, gerät der Organismus schnell aus dem Gleichgewicht, wenn auch nur eine endokrine Drüse oder ein endokrines Gewebe erkrankt. Die Schilddrüsenhormone stehen mit fast allen anderen Hormonen des Organismus in direkter Wechselwirkung, wie z.B. mit Kortisol, Insulin und Glykogen oder den Sexualhormonen Progesteron, Östrogen und Testosteron. Beim Kölner Schilddrüsen-Seminar von Sanofi, Linie Henning, berichteten die Referenten über besondere Interaktionen zwischen der Schilddrüse und wichtigen Organsystemen wie dem zentralen Nervensystem (ZNS), dem kardiovaskulären und dem reproduktiven System. Schilddrüse und Herz eng verbunden Das Herz ist ein wichtiges Organ für Wirkungen der Schilddrüsenhormone. Bei Überfunktion wie auch bei Unterfunktion der Schilddrüse kommt es zu hämodynamischen Veränderungen, die sich langfristig negativ auf das Herz-Kreislauf-System auswirken können und daher rechtzeitig erkannt und ausreichend behandelt werden sollten. Der größte Teil der durch Schilddrüsenhormone an den Kardiomyozyten vermittelten Effekte wird genomisch über Kernrezeptoren vermittelt. Darüber hinaus gibt es aber auch Plasmamembran-vermittelte nicht-genomische Effekte, die keine Bildung eines Kernkomplexes benötigen und sehr rasch eintreten. Wie Professor Matthias Schmidt, Nuklearmediziner an der Uniklinik Köln, erläuterte, werden solche extranukleären und nukleären Effekte der Schilddrüsenhormone simultan beobachtet [1]. Hyperthyreose erhöht Mortalität Eine Hyperthyreose kann Schmidt zufolge Vorhofflimmern, Sinustachykardie und Vorhofextrasystolen auslösen. Als Langzeiteffekte eines erhöhten Herzzeitvolumens entwickelt sich eine linksventrikuläre Hypertrophie, Diastole und Systole werden beeinträchtigt, es kommt zu einer Herzinsuffizienz. „Das durch die Hyperthyreose induzierte Vorhofflimmern kann die Insuffizienz weiter verschlechtern“, so der Nuklearmediziner. Dementsprechend sei die Herzinsuffizienz dann auch die Hauptursache für die bei Patienten mit Schilddrüsenüberfunktion nachweislich erhöhte Mortalität, betonte Schmidt: „Dies gilt sowohl für die manifeste als auch für die latente Hyperthyreose“ [2]. Den Ergebnissen einer Kohortenstudie zufolge, in der mehr als 1000 Teilnehmer im Alter über 60 Jahre mit erniedrigten Werten für das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH < 0,5 mU/l) zum Ausgangszeitpunkt beobachtet wurden, ist gegenüber euthyreoten Menschen die Mortalität durch kardiovaskuläre Ereignisse erhöht [3]. Hilfe durch thyreostatische Therapie Eine thyreostatische Therapie bessert im Allgemeinen die Herzbeschwerden, stellt die Belastungsfähigkeit wieder her und beugt langfristig einer Herzschädigung vor. Zum Schutz des Herzens vor Überlastung können auch Betablocker angewendet werden, die die Herzfrequenz senken. „Langfristig sollte die Hyperthyreose jedoch definitiv behandelt werden, entweder mit einer Radiojodtherapie nach Rekompensation der Stoffwechsellage oder operativ“, riet Schmidt. Als auslösender Faktor einer Hyperthyreose müsse immer auch an eine Therapie mit Amiodaron gedacht werden: „Das Antiarrhythmikum enthält Jod, von dem bei einer Erhaltungsdosis von 200 mg etwa 5 bis 7 mg Jodid frei werden“, informierte Schmidt. Die Hyperthyreose werde durch den hohen Jodgehalt bzw. immunbedingte zytotoxische Effekte verursacht. Im ersten Fall seien Thyreostatika, im zweiten Glukokortikoide zur Therapie indiziert. Auch sollte ein Absetzen der Amiodarontherapie in Betracht gezogen werden: „Dabei ist aber zu bedenken, dass das Medikament Depots im Fettgewebe bildet, so dass die Jodspiegel bis zu sechs Monate nach Absetzen erhöht bleiben“, betonte der Nuklearmediziner. Die Schilddrüse und das ZNS Eine optimale Versorgung des Gehirns mit Schilddrüsenhormonen ist während der embryonalen und frühen postnatalen Phase von herausragender Bedeutung. Schwerer Jodmangel und Defekte bei Entwicklung und Funktion der Schilddrüse können in schwerwiegenden Fällen zu Kretinismus führen. Bekannt ist auch, dass die Mehrzahl der klinisch manifesten Hypothyreosen mit Störungen im zentralen (ZNS) und im peripheren Nervensystem bzw. neurologischen Ausfällen oder neuropsychiatrischen Symptomen verbunden sein können. Aber hat auch eine latente Hypothyreose bzw. ein hochnormaler TSH-Spiegel Einfluss auf die Häufigkeit, mit der Patienten Schlaganfälle erleiden? Dieser Frage ging Professor Markus Dietlein, leitender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Uniklinik Köln, nach. Bei Jüngeren ist das Risiko höher Einer großen Kohortenstudie zufolge ist das zumindest auf den ersten Blick nicht der Fall: Nach Adjustierung für das Geschlecht und das Alter betrug die Hazard Ratio für einen tödlichen Schlaganfall 1,07, wenn Patienten mit subklinischer Hypothyreose und euthyreote Probanden miteinander verglichen wurden, so Dietlein. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass das Risiko für jüngere Menschen deutlich erhöht ist: Für 19- bis 49-Jährige beträgt die Hazard Ratio 4,22, für 50- bis 64-Jährige immer noch 2,86 [7]. Zugleich ist die funktionelle Erholung von Patienten mit latenter Hypothyreose nach einem nicht-tödlichen Schlaganfallereignis günstiger als bei euthyreoten Patienten (Odds Ratio 0,77, 95%-Konfidenzintervall 0,52–1,16) [8]. Dietlein wies auf eine Studie hin, in der eine latente Hypothyreose kein Risikofaktor für kognitive Einschränkungen war [9]. Auch habe sich bei älteren Menschen mit latenter Hypothyreose keine erhöhte Inzidenz von Depressionen zeigen lassen können.10 „Daraus ergibt sich aus neurologischer Sicht: Für Patienten unter 65 Jahren darf der TSH-Wert im oberen Referenzbereich liegen, für Patienten ab 65 Jahren darf er leicht erhöht sein“, schloss Dietlein. Auch Hypothyreose setzt dem Herz zu Bei Hypothyreose verschlechtern sich kontraktile und relaxierende Funktion des linken Ventrikels, der periphere Gefäßwiderstand nimmt zu, das Herzzeitvolumen nimmt ab, unbehandelt kann sich eine ausgeprägte Herzinsuffizienz manifestieren. Alle durch Hypothyreose verursachten Veränderungen am Herzen können durch rechtzeitige Substitution mit L-Thyroxin (z.B. L-Thyroxin Henning®) verhindert werden bzw. sind voll reversibel. TSH-Werte zwischen 5 und 10 mU/l scheinen aber weder mit erhöhter Mortalität noch mit einem erhöhten Risiko für Herzinsuffizienz einherzugehen, so Schmidt. Bei Werten über 4,5 bis 5 mU/l sollte zunächst eine Verlaufskontrolle erfolgen. „Eine Indikation zur Schilddrüsenhormonsubstitution ist erst gegeben, wenn der TSH-Wert bei > 10 mU/l persistiert“, sagte Schmidt [4]. Schilddrüse und Sexualität Für Frauen können Störungen der Wechselwirkungen zwischen Schilddrüsen- und Sexualhormonen in verschiedenen Lebensphasen gesundheitlich relevant werden. Bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter können sowohl eine Über- als auch eine Unterfunktion der Schilddrüse Einfluss auf die Fertilität haben [5]. Darauf wies Privatdozentin Dr. Beate Quadbeck, niedergelassene Internistin und Endokrinologin aus Düsseldorf, hin. Eine Hypothyreose führt nicht nur zu einem Anstieg des TSH-Spiegels, sondern auch zu Hyperprolaktinämie, in deren Folge Störungen des Eisprungs und Oligomenorrhö auftreten können, berichtete Quadbeck. Wie eine prospektive Studie zeigt, können infertile Frauen mit subklinischer Hypothyreose von einer Therapie mit L-Thyroxin profitieren: „Innerhalb des ersten Jahres nach Therapiebeginn wurden 75,8 Prozent der behandelten Frauen schwanger“, so die Internistin [6]. Dennoch sei die Datenlage zu der Frage, ob L-Thyroxin die Fertilität bei latenter Hypothyreose verbessert, insgesamt nicht eindeutig. Quadbeck: „Meine Empfehlung lautet daher konkret: Bei erhöhten Werten für Antikörper gegen TPO (Thyreoperoxidase), latenter Hypothyreose mit einem TSH-Wert > 2,5 mU/l und Infertilität sollte mit einer niedrig dosierten L-Thyroxin-Therapie von 50 µg/Tag begonnen und der TSH-Wert nach sechs Wochen kontrolliert werden.“ Differenzialdiagnostisch sollte als Ursache der Infertilität immer auch an ein Polyzystisches Ovarialsyndrom gedacht werden, empfahl Quadbeck. Eine Hyperthyreose kann auch zu Zyklusstörungen führen. Dabei ist die Ovulation allerdings meistens erhalten, die Fruchtbarkeit ist eingeschränkt, aber nicht aufgehoben. „Eine manifeste Hyperthyreose erfordert immer eine Abklärung der Ursachen und eine Behandlung. Eingesetzt werden können entweder eine niedrigdosierte thyreostatische Therapie oder definitive Methoden, gegebenenfalls eine Operation bei akutem Kinderwunsch“, berichtete Quadbeck. Bei Frauen in der Perimenopause verursachen latente Fehlfunktionen der Schilddrüse ähnliche Symptome wie der Abfall der Sexualhormone. Diese Maskierung macht Quadbeck zufolge eine Zuordnung und damit eine erfolgreiche Therapie oft schwierig. Dazu komme, dass Schilddrüsenerkrankungen in der Menopause oligo- oder monosymptomatisch imponieren können. „Zu beachten ist, dass die latente Hyperthyreose bei Älteren früher, die latente Hypothyreose jedoch später als bei jüngeren Erwachsenen behandelt werden muss“, erläuterte Quadbeck. Literatur Vargas-Uricoechea H, Bonelo-Perdomo A, Curr Heart Fail Rep 2017, 14: 48–58 Selmer C et al., J Clin Endocrinol Metab 2014, 99: 2372–2382 Parle JV et al., Lancet 2001, 358: 861–865 Voigtländer R, Führer D, Dtsch Med Wochenschr 2016, 141: 1134–1136 Janßen OE, Gynäkologe 2009, 42: 639–646 Yoshioka W et al., Endocr J 2015, 62: 87–92 Chaker L et al., J Clin Endocrinol Metab 2015, 100: 2181–2191 Dhital R et al., J Stroke Cerebrovasc Dis 2017, 26: 2926–2934 Parsaik AK et al., JAMA Neurol 2014, 71: 201–207 Almeida OP et al., Am J Geriatr Psychiatry 2011, 19: 763–770 Impressum 32. Kölner Schilddrüsen-Seminar „Schilddrüse 2018 – Interaktionen mit anderen Organsystemen“ Köln, 23. März 2018 Berichterstattung: Dr. Silke Wedekind, Frankfurt/Main Artikel gedruckt in ÄrzteZeitung Nr. 51-88D, Mittwoch, 9. Mai 2018 Mit freundlicher Unterstützung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Berlin Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Inge Kunzenbacher Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Die Schilddrüse: ein kleines, aber wichtiges Organ

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten