Medikamentös bedingte Leberschäden auf dem Vormarsch

Zeigt das Routinelabor erhöhte Leberwerte, kann eine Vielzahl von bisher unentdeckten Erkrankungen und Schädigungen dahinterstecken. Nach Prof. Martina Müller-Schilling, Uni Regensburg, tut der Arzt gut daran, nach der Einnahme sogenannter Gesundheitspräparate zu fragen. Vor allem bei erhöhten Bilirubinwerten sollten die Alarmglocken schrillen! Erhöhte Leberwerte sind ein häufiger Zufallsbefund in deutschen Hausarztpraxen. Nach Prof. Martina Müller-Schilling vom Universitätsklinikum Regensburg finden sich bei 16% der daraufhin untersuchten Patienten Ausreißer bei der Alanin-Aminotransferase (ALT); die Autoren der SHIP-Studie in Mecklenburg-Vorpommern kamen sogar auf einen Anteil von 24,6%. Eine wichtige Ursache, die in letzter Zeit an Bedeutung zunehme, so die Expertin, seien neben Alkohol Medikamente, aber auch sogenannte „Gesundheitspräparate“, die die Patienten rezeptfrei aus der Apotheke beziehen; darunter pflanzliche Stoffe wie grüner Tee oder Ginseng, Substanzen aus der traditionellen chinesischen Medizin sowie zahlreiche Vitamine und Spurenelemente. Gängige Medikamente unter Verdacht Medikamentös-toxische Leberschäden sind heute für über 1000 Medikamente und pflanzliche Arzneimittel beschrieben. Müller-Schilling verwies auf „Liver Tox“, eine Datenbank der National Institutes of Health (NIH) (https://livertox.nih.gov/), die nahezu alle potenziell gefährlichen Substanzen gelistet hat. In einer Studie aus Island fanden sich schwere Nebenwirkungen auf die Leber beispielsweise unter so gängigen Medikamenten wie Amoxicillin-Clavulansäure, Diclofenac oder Azathioprin. „Wenn Sie nach entsprechender Ausschlussdiagnose ein Medikament im Verdacht haben“, riet Müller-Schilling, „denken Sie an Hy’s Law!“ Der US-Gastroenterologe Hyman Zimmerman hatte postuliert, dass bei medikamenteninduziertem hepatozellulärem Ikterus die Mortalitätsrate bei 10 bis 50% liegt. „Diese Patienten“, so die Referentin, „gehören in ein Zentrum!“ Bilirubin ist das Troponin der Hepatologen Um herauszufinden, welche Patienten akut gefährdet sind, empfiehlt die Gastroenterologin, neben der Anamnese besonderes Augenmerk auf den Bilirubinwert zu legen: Bilirubin sei für den Hepatologen, was Troponin für den Kardiologen darstelle, nämlich ein Marker für eine ernst zu nehmende Situation. Müller-Schilling schilderte den Fall einer 20-jährigen Physiotherapeutin, die den Arzt wegen Völlegefühls im Oberbauch aufsuchte. Die Transaminasen waren in diesem Fall fast nicht erhöht, wohl aber Bilirubin; der Wert lag bei 2,31 mg/dl. Die wichtigste diagnostische Maßnahme sei in dieser Situation ein Ultraschall gewesen, so die Referentin. Dabei stieß der Hausarzt auf einen Verschluss der linken und rechten Lebervene – charakteristisch für ein akut behandlungsbedürftiges Budd-Chiari-Syndrom. Als Ursache stellte sich ein neu eingenommenes Kontrazeptivum heraus. Als zweiten Fall beschrieb Müller-Schilling den eines 20-jährigen Lackierers, der sich mit dem exorbitant hohen Bilirubinwert von 33,33 mg/dl in der Klinikambulanz vorstellte. Ausgeschlossen wurden hereditäre, vaskuläre, virologische und autoimmune Ursachen; die Einnahme von Medikamenten, auch nicht verschreibungspflichtigen, verneinte der Patient. Was ihn jedoch verriet, war sein muskelbepackter Oberkörper: „Diesen Körperbau konnten wir uns nicht durch das Lackieren erklären“, berichtete die Klinikleiterin. Erst auf hartnäckiges Nachfragen der Ärzte hin brachte der Adonis einen großen Topf „Devil’s Shot“ von zu Hause mit: Das Anabolikum hätte seiner Leber beinahe den Garaus gemacht. Hepatozellulär oder cholestatisch? Sind sowohl Bilirubin als auch andere Leberwerte (AP, AST, ALT) erhöht, gilt es nach Müller-Schilling, zwischen hepatozellulärem und cholestatischem Muster zu unterscheiden. Ersteres ist gekennzeichnet durch eine erhöhte AST/ALT-Ratio. Hier ist eine Ausschlussdiagnostik angezeigt, die neben Medikamenten in jedem Fall auch Alkoholabusus, virale Hepatitiden, Steatosis und nicht alkoholische Steatohepatitis sowie Autoimmunhepatitis und Hämochromatose beinhaltet. Ein Morbus Wilson, so Müller-Schilling, sei zwar seltener, daran denken solle man aber insbesondere dann, wenn Teenager erhöhte Leberwerte haben. Gleiches gelte für den Alpha-1-Antitrypsin-Mangel. Unter den nicht-hepatischen Ursachen einer Transaminasenerhöhung ist der Expertin zufolge die Sprue am wichtigsten: „Wenn Sie erhöhte Leberwerte abklären, finden Sie in 5 bis 10% der Fälle eine Sprue.“ Umgekehrt zeige jeder zweite Patient mit Sprue erhöhte Leberwerte. Liege ein cholestatisches Muster mit Erhöhung vor allem von Gamma-GT und AP vor, sei ein Ultraschall erforderlich, mit dem strukturelle Veränderungen in der Leber, beispielsweise eine Lebervenenobstruktion, eine Sarkoidose oder ein Tumor, aber auch Gallensteine erfasst werden könnten. Im Fall der Physiotherapeutin mit Budd-Chiari-Syndrom war die Rettung – nachdem sich die Thromben auch unter Vollheparinisierung nicht aufgelöst hatten und der Quick-Wert bereits auf 36% gesunken war – ein TIPS (transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt). Allein durch diese Maßnahme, so Müller-Schilling, konnte man der Patientin die Lebertransplantation ersparen: „Der jungen Frau geht es heute hervorragend!“

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