Einführung
Rechtlicher Rahmen und Verantwortlichkeiten
Zwei Anwendungsbereiche: Heilkunde vs. medizinische Forschung
Beispiel | Randomisiertes Studiendesign? | Studiendesign | Primärzweck: Heilkunde oder Forschung? | Anmerkungen |
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Evaluation von 4 Behandlungsmodalitäten zur Therapie des Prostatakarzinoms mit niedrigem oder „frühem intermediären“ Risiko (PREFERE-Studie) | Ja | 4 Therapieoptionen: - Radikale Prostatektomie - Perkutane Radiotherapie - Permanente Seed-Implantation - Active Surveillance | Heilkunde | Die 4 Behandlungsschemata sind etabliert, an großen Patientenkollektiven einzeln evaluiert und werden in der regulären Krankenversorgung nebeneinander eingesetzt, obwohl keine randomisierten Studien zum direkten Vergleich vorliegen. |
Neoadjuvante Bestrahlung des lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinoms | Ja | Photonen 25 Gy; 5 Gy/Fraktion; 5 Fraktionen/Woche vs. Photonen 50 Gy; 2 Gy/Fraktion; 5 Fraktionen/Woche plus Chemotherapie | Heilkunde | Beide Verfahren sind etabliert und werden in der regulären Krankenversorgung nebeneinander eingesetzt. |
Primäre definitive Bestrahlung des lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinoms | Ja | Photonen 76 Gy; 2 Gy/Fraktion; 5 Fraktionen/Woche vs. Protonen 76 Gy (RBE); 2 Gy (RBE) pro Fraktion; 5 Fraktionen/Woche | Heilkunde | Bei gleicher Dosis und Fraktionierung hat der Vergleich der Ergebnisse verschiedener Studien zu Photonen bzw. Protonen mit großen Patientenzahlen keine Unterschiede gezeigt. Beide Verfahren werden nebeneinander eingesetzt. |
Prätherapeutische [11C]-Methionin-PET als Biomarker für Zeitpunkt und Ort von Glioblastom-Rezidiven | Nein | Photonen 60 Gy; 2 Gy/Fraktion; 5 Fraktionen/Woche plus tgl. Temozolomid (75 mg/m2 Körperoberfläche p. o.) | Heilkunde | Sowohl das Strahlentherapieverfahren als auch die PET-Methode sind etabliert. Das strahlentherapeutische Vorgehen wird durch die Ergebnisse der PET-Untersuchung nicht beeinflusst. |
Phase-III-Studie zur kombinierten Radiochemotherapie des lokal fortgeschrittenen HNSCC | Ja | Photonen 70 Gy; 2 Gy/Fraktion; 5 Fraktionen/Woche über 7 Wochen plus Cisplatin vs. Photonen 70 Gy; 2 Gy/Fraktion; 5 Fraktionen/Woche, über 7 Wochen plus Cetuximab | Heilkunde | Zwei unabhängig voneinander etablierte Standardbehandlungskonzepte werden im Rahmen der Studie miteinander verglichen. |
Phase-II-Dosiseskalationsstudie zur Behandlung des lokal fortgeschrittenen HNSCC | Nein | Basierend auf Biomarkern bei Hochrisikopatienten Dosiseskalation von 70 Gy auf bis zu 80 Gy in 6 Wochen | Forschung | Es fehlen hinsichtlich des dosiseskalierten Behandlungskonzeptes bisher ausreichende Erkenntnisse, um die für die Stellung der rechtfertigenden Indikation erforderliche Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen zu können. |
Phase-III-Studie beim Mammakarzinom | Nein | Photonen 50 Gy plus 16 Gy Boost; 2 Gy/Fraktion; 5 Fraktionen/Woche vs. Kohlenstoffionen 50 Gy (RBE) plus 16 Gy (RBE) Boost; 2 Gy (RBE) pro Fraktion; 5 Fraktionen/Woche | Forschung | Es fehlen hinsichtlich der Kohlenstoffionentherapie bisher ausreichende Erkenntnisse, um die für die Stellung der rechtfertigenden Indikation erforderliche Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen zu können. |
Phase-II-Studie zur postoperativen Bestrahlung des Glioblastoms in der Primärsituation (ohne Vorbestrahlung) | Ja | Photonen 60 Gy; 2 Gy/Fraktion; 5 Fraktionen/Woche über 6 Wochen plus Temozolomid vs. Photonenstereotaxie 32,5 Gy; 6,5 Gy/Fraktion; 5 Fraktionen/Woche über 1 Woche plus Temozolomid | Forschung | Es fehlen hinsichtlich des hypofraktionierten Behandlungskonzeptes bisher ausreichende Erkenntnisse, um die für die Stellung der rechtfertigenden Indikation erforderliche Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen zu können. |
Verantwortlichkeit bei der Durchführung einer Strahlenanwendung
Individueller Heilversuch
Fachkundiger Arzt
DEGRO-Expertengremium
Ethikkommission
Bundesamt für Strahlenschutz
Erforderliche Voraussetzungen genehmigungspflichtiger Studien
1. Für das beantragte Forschungsvorhaben muss ein zwingendes Bedürfnis bestehen, begründet darin, dass die bisherigen Forschungsergebnisse und die medizinischen Erkenntnisse nicht ausreichen. |
2. Die Anwendung ionisierender Strahlung kann nicht durch eine andere (Untersuchungs- oder) Behandlungsart ersetzt werden, die keine Strahlenexposition verursacht. |
3. Die strahlenbedingten Risiken, die mit der Strahlenanwendung für den Patienten verbunden sind, gemessen an der voraussichtlichen Bedeutung der Ergebnisse für die Fortentwicklung der Heilkunde oder der medizinischen Wissenschaft, sind ärztlich gerechtfertigt. |
4. Die für die medizinische Forschung vorgesehenen Anwendungsarten ionisierender Strahlung entsprechen dem Zweck der Forschung und können nicht durch andere Anwendungsarten ionisierender Strahlung ersetzt werden, die zu einer geringeren Strahlenexposition für den Patienten führen würden. |
5. Die bei der Anwendung ionisierender Strahlung auftretende Strahlenexposition kann nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht weiter herabgesetzt werden, ohne den Zweck des Forschungsvorhabens zu gefährden. |
6. (Die Körperdosis des Patienten wurde abgeschätzt.)
Anmerkung der Autoren: Die Abschätzung der Körperdosis ist bei teletherapeutischen Strahlenanwendungen wenig zweckmäßig. Daher wird in den Formblättern des BfS nach der Dosis in den Zielvolumina und Risikoorganen sowie nach den der Therapieplanung zugrunde gelegten „dose constraints“ gefragt.
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7. Die Anzahl der Patienten ist auf das notwendige Maß beschränkt. |
8. Die Stellungnahme einer Ethikkommission zu dem beantragten Forschungsvorhaben liegt vor (§ 92 StrlSchV). |
9. Die Strahlenanwendung wird von einem Arzt geleitet, der eine mindestens 2-jährige Erfahrung in der Anwendung ionisierender Strahlung am Menschen nachweisen kann, der die erforderliche Fachkunde im Strahlenschutz besitzt und während der Anwendung ständig erreichbar ist. Bei der Planung und bei der Anwendung wird ein Medizinphysikexperte hinzugezogen. |
10. Die erforderliche Vorsorge für die Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzverpflichtungen wurde getroffen. |
11. Es liegt eine Genehmigung für den Betrieb von Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlung vor. |
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Für die Beantragung therapeutischer Strahlenanwendungen ist immer ein ausführliches Genehmigungsverfahren (§ 24 Abs. 1 StrlSchV) und nicht das vereinfachte Verfahren (§ 24 Abs. 2 StrlSchV, sog. Fallgruppe „Begleitdiagnostik“) erforderlich. Ist neben der in der regulären Krankenversorgung für die Strahlentherapie dieser Erkrankung etablierten Standarddiagnostik noch eine studienbedingte Begleitdiagnostik unter Anwendung ionisierender Strahlung vorgesehen, muss diese zusätzlich beantragt werden (derzeit Formblatt A).
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Die personellen und sachlichen Voraussetzungen müssen (bei multizentrischen Studien für jedes Studienzentrum einzeln) nachgewiesen und vom Strahlenschutzverantwortlichen bestätigt werden (derzeit Formblatt B).
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Sämtliche in Deutschland teilnehmenden Studienzentren sind aufzuführen (derzeit Formblatt C).
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Die medizinisch-wissenschaftlichen Voraussetzungen für die Strahlenanwendungen sind nachvollziehbar darzulegen (derzeit Formblatt D).
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Beizufügen sind ebenfalls der Nachweis über die atomrechtliche Deckungsvorsorge (z. B. Strahlen-Haftpflichtversicherung) und die Stellungnahme einer beim BfS registrierten Ethikkommission einschließlich der Bestätigung des zwingenden Bedürfnisses für das Forschungsvorhaben gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV.
Bewertung strahlentherapeutischer Studienanträge durch das BfS
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Die Patienten, die an strahlentherapeutischen Studien teilnehmen, sind in der Regel schwer erkrankt, haben aber angesichts der oft kurativen Intention des zu prüfenden Behandlungskonzepts eine Chance auf eine dauerhafte Tumorheilung und damit auf ein Langzeitüberleben. Hier besteht ein wichtiger Unterschied zu vielen Arzneimittelstudien in der Onkologie, die inkurable Patienten rekrutieren.
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Bei kurativen Behandlungskonzepten können höhere Risiken gerechtfertigt sein (z. B. in Form einer gegenüber dem konventionellen Behandlungskonzept gesteigerten Nebenwirkungsrate), wenn sich dadurch bessere Heilungschancen bieten.
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Die Abschätzung der potentiellen Risiken eines neuen Behandlungskonzepts kann in der Regel am besten durch Vergleich mit bereits evaluierten/etablierten Behandlungskonzepten erfolgen. Dieser Vergleich wird jedoch dadurch erschwert, dass im Rahmen von Studien bezüglich Fraktionierungsschema und Strahlenqualität z. T. von gängigen Behandlungskonzepten abgewichen wird. Standards für die Dosisspezifikation und die Konturierung der Zielvolumina können heterogen sein. Daher und aufgrund der unterschiedlichen Patientenanatomie, Tumorlokalisationen und -ausdehnungen können Dosisverteilungen interindividuell z. T. höchst unterschiedlich ausfallen. Die geplante Zielvolumendosis allein spezifiziert deshalb das Behandlungskonzept (anders als die Dosis einer medikamentösen Therapie) nur unzureichend.
Studiendesign
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Grundsätzlich sollten bei noch unklarer Nutzen-Risiko-Relation nur wenige Patienten zeitgleich mit dem experimentellen Konzept behandelt werden. Erfahrungen aus der Behandlung der ersten Patienten können dann (z. B. im Rahmen von Zwischenauswertungen unter Wahrung einer angemessenen Nachbeobachtungszeit) vor der Rekrutierung weiterer Patienten in eine aktualisierte Bewertung der Nutzen-Risiko-Relation einfließen.
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Sobald nähere Erkenntnisse bezüglich Sicherheit und Wirksamkeit vorliegen, können ggf. Nachfolgestudien mit größerer Teilnehmerzahl geplant werden.
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Bei einer deutlichen Anhebung der Gesamtdosis über den etablierten Heilkundestandard hinaus sollte die Dosiseskalation schrittweise vorgenommen werden.
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Der Therapieplanung sollten nach Möglichkeit „dose constraints“ für Risikoorgane zugrundegelegt werden, deren Sicherheit durch entsprechende Literaturstellen gut belegt ist.
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Vor Studienbeginn sollten Abbruchregeln („stopping rules“) definiert werden. Bei ihrer Festlegung ist zu beachten, dass sie möglichst keinen Abbruch der Studie aufgrund von Akuttoxizitäten erzwingen, die angesichts erst später beurteilbarer, u. U. deutlich verbesserter Heilungschancen noch gerechtfertigt sein könnten.
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Die Ein- und Ausschlusskriterien der Studie sollten so formuliert werden, dass Patienten mit einem zu hohen Risiko für inakzeptable Nebenwirkungen zunächst von der Studienteilnahme ausgeschlossen bleiben. Zu einem späteren Zeitpunkt kann bei erwiesener guter Wirksamkeit und Verträglichkeit des Behandlungskonzepts das Patientenkollektiv erweitert werden.