Emicizumab verändert die Therapie der Hämophilie A

Patienten mit Hämophilie A und Inhibitoren gegen Gerinnungsfaktor VIII haben jetzt eine Therapieoption, die hochwirksam, wirtschaftlich und einfach anwendbar ist. Hämophilie A tritt statistisch gesehen bei einem von 6000 männlichen Neugeborenen auf [1]. In Deutschland sind für das Jahr 2015 rund 4000 Patienten im Hämophilie-Register des Paul-Ehrlich-Instituts erfasst [2], Mediziner und Forscher fordert vor allem die Therapie der etwa 2335 Patienten mit schwerer Hämophilie A heraus. Die meisten erhalten bislang eine prophylaktische Dauertherapie. Bei rund 30 Prozent reagiert jedoch das Immunsystem auf die Behandlung und bildet Inhibitoren gegen Faktorpräparate. Für sie ist Emicizumab eine völlig neue Therapieoption. Der bispezifische Antikörper Hemlibra® ▼ muss nicht wie herkömmliche Präparate mehrmals pro Woche intravenös verabreicht werden, sondern kann einmal pro Woche subkutan gespritzt werden. ▼ Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden. Bitte melden Sie Nebenwirkungen an die Roche Pharma AG (grenzach.drug_safety@roche.com oder Fax +49 7624/14-3183) oder an das Paul-Ehrlich-Institut (www.pei.de oder Fax: +49 6103/77-1234). Zudem belegen die zulassungsrelevanten Phase-III-Studien HAVEN 1 und HAVEN 2, dass sich bedingt durch die Struktur des Antikörpers unter der Therapie mit Emicizumab keine Inhibitoren bilden. Hämophilie-A-Behandler sehen darin einen großen Vorteil, da die Hemmkörpereradikation sehr aufwendig und kostenintensiv ist. Bei einer leichten oder mittelschweren Hämophilie A reicht eine akut anlassbezogene Therapie in vielen Fällen aus. Die große Mehrheit der Patienten mit schwerer Hämophilie A spritzt sich aber mehrmals pro Woche Faktor-VIII-Präparate, die aus humanem Blutplasma gewonnen oder biotechnologisch hergestellt werden. Nur darüber lässt sich der fehlende oder defiziente FVIII bisher substituieren. Eine frühe prophylaktische Behandlung ist vor allem wichtig, um die Gelenke der Patienten vor Blutungen zu schützen. Bei etwa 30 Prozent der Menschen mit schwerer Hämophilie A reagiert das Immunsystem mit der Bildung von Inhibitoren gegen das eingesetzte Faktorpräparat. Dadurch wird die Wirkung von FVIII verhindert [4]. Mit Emicizumab wird in der Behandlung nun ein völlig neuer Ansatz verfolgt. Der monoklonale Antikörper übernimmt die Funktion von Faktor VIII in der Gerinnungskaskade und bringt die Gerinnungsfaktoren IXa und X zusammen. Dies aktiviert Faktor X, so dass die Gerinnungskaskade weiter ablaufen kann. Die Phase-III-Studie HAVEN 1 belegt zudem, dass Emicizumab die Gefahr von Spontanblutungen bei Patienten mit Inhibitoren deutlich mindert. Unter der prophylaktischen Therapie war die Rate der behandelten Blutungen bei Erwachsenen und Jugendlichen um 87 Prozent niedriger als ohne prophylaktische Therapie [3]. In HAVEN 2 verringerte sich die Rate behandelter Blutungen bei Kindern, die zuvor prophylaktisch ein Bypassing-Präparat erhalten hatten, sogar um 99 Prozent [5]. Aufgrund der langen Halbwertszeit von 28 bis 34 Tagen wurde der stabile Plasmaspiegel mit nur einer einzigen wöchentlichen Gabe erreicht [3]. Abb. 1: Emicizumab bringt Faktor IXa und Faktor X zusammen und ermöglicht so den weiteren Ablauf der Gerinnungskaskade. Roche Pharma AG × Im Februar 2018 erhielt Emicizumab EU-weit die Zulassung für die prophylaktische Behandlung von Patienten mit Hämophilie A und Inhibitoren gegen Gerinnungsfaktor VIII (FVIII). Aktuell laufen zwei weiteren Studien, HAVEN 3 und HAVEN 4, zur Wirksamkeit bei Patienten ohne Inhibitoren und bei einem Einsatz mit längeren Injektionsintervallen. Behandlung mit Emicizumab wirtschaftlicher Menschen mit Hämophilie A brauchen ihr Leben lang Medikamente. Mit Emicizumab wird die prophylaktische Dauertherapie von Patienten mit Hämophilie A und Inhibitoren deutlich wirtschaftlicher. Hämophilie A ist zwar eine seltene Erkrankung, aber ein gesundheitsökonomisches Schwergewicht. Je nach Art der Erkrankung können die Kosten stark variieren und mitunter schnell auf über eine Million Euro pro Jahr ansteigen. Die Medikamentenkosten für eine Immuntoleranzinduktion (ITI) reichen von 300 000 Euro für sechs Monate bis zu mehreren Millionen Euro für 36 Monate. Emicizumab ist deutlich wirtschaftlicher als die bisherigen Therapien. „Die Jahrestherapiekosten liegen für Patienten mit Inhibitorbildung bei rund 390 000 Euro“, sagte Dr. Thomas Reimann, Roche Pharma AG beim Experten-Forum in Berlin.* Gleichzeitig ist die Substanz erheblich effektiver, sodass nur in seltenen Fällen von zusätzlichen Kosten zur Behandlung von auftretenden Blutungen auszugehen sei, da die Rate an behandlungsbedürftigen Blutungen um mehr als 79 Prozent verringert wird [3]. Bei einer herkömmlichen prophylaktischen Behandlung von Inhibitor-Patienten belaufen sich die Therapiekosten auf 247 000 bis 2 Millionen Euro. Mehr als die Hälfte dieser Patienten haben hohe Hemmkörpertiter [6]. Darüber hinaus sei mit durchschnittlich 10 Blutungen, bei bedarfsabhängiger Gabe mit 27 Blutungen pro Jahr zu rechnen, erläuterte Reimann [7]. Die Behandlung von Blutungen bei Inhibitor-Patienten kostet zwischen 8000 und 17 000 Euro pro Blutung [8]. Da bei der Therapie mit Emicizumab weniger Blutungen auftreten, können die Kosten deutlich gesenkt werden. So kämen bei bisherigen Therapien schnell zusätzliche Kosten von bis zu 350 000 Euro pro Jahr aufgrund von Folgebehandlungen hinzu. Für eine solide Kosten-Nutzen-Bewertung müsse auch berücksichtigt werden, dass die Patienten unterschiedlich betroffen sind und dass mit einer wirksamen Therapie weitere Behandlungen oder andere Folgekosten vermieden werden können, betonte Dr. Karin Berger-Thürmel, Versorgungsforscherin von der Ludwig-Maximilians-Universität München. * Grundlage der Berechnung ist ein Hemmkörper-Patient mit einem durchschnittlichen Körpergewicht von 61,5 kg. Die Dosierung liegt bei 1,5 mg/kg Körpergewicht einmal pro Woche. Basis der Kalkulation ist der Abgabepreis des Herstellers. Interview Das beste Gesamtpaket bei Hämophilie A Drei Fragen an Professor Hagen Pfundner, Vorstand der Roche Pharma AG. Professor Hagen Pfundner, Vorsitzender der Roche Pharma AG Roche Pharma AG × Pharma-Experten sehen in Emicizumab eine der vielversprechendsten Innovationen des Jahres. Was sagen Sie dazu? Professor Hagen Pfundner: Emicizumab ist zweifellos ein bedeutender Fortschritt für die Verbesserung der Lebensqualität schwerstkranker Hämophiliepatienten. Darauf sind wir sehr stolz, gemeinsam mit unserem Partner Chugai Pharma und den behandelnden Ärztinnen und Ärzten, die an diesem innovativen Wirkprinzip mitgewirkt haben. Und wir sind überzeugt davon, dass wir mit Emicizumab auch das beste Gesamtpaket in Bezug auf klinischen Nutzen und Wirtschaftlichkeit anbieten: Denn die Substanz steht nicht nur medizinisch für einen Durchbruch, Emicizumab ist auch wirtschaftlicher als bisherige Therapien für die Prophylaxe, was zur Entlastung des Gesundheitssystems führen wird. Was bedeutet diese Innovation für Patienten mit Hämophilie A? Wenn wir von Fortschritt für Patienten mit Hämophilie A sprechen, müssen wir uns die Situation der Betroffenen und ihrer Angehörigen vor Augen halten: Hämophilie A macht in den meisten Fällen bereits im Kindesalter ein unbeschwertes Leben unmöglich – ein Leben in ständiger Angst vor unerwarteten Blutungen. Selbst ein Zahnarztbesuch kann zum lebensbedrohlichen Ereignis werden. Das gilt ganz besonders für die bisher nur sehr schwer zu behandelnde Form mit Inhibitoren gegen Faktor VIII. Emicizumab zeigt bei diesen Patienten nicht nur eine zuvor unerreichte Reduktion der Blutungen, die Therapie ist gleichzeitig auch deutlich einfacher in der Anwendung. Damit geben wir den Patienten ein großes Stück Normalität zurück, und das bedeutet letztlich mehr Lebensqualität. Welche weiteren Ziele verfolgen Sie mit Emicizumab? Wir möchten, dass möglichst viele Patienten mit Hämophilie A von den Vorteilen dieser hochinnovativen Therapie profitieren können. In klinischen Studien prüfen wir aktuell den Einsatz bei Patienten mit Hämophilie A ohne Hemmkörper. Die bisherigen Studiendaten stimmen uns positiv, dass wir auch diesen Patienten die Behandlung zeitnah anbieten können. Literatur www.orpha.net, https://www.orpha.net/consor/cgi-bin/OC_Exp.php?Lng=EN&Expert=448 Paul-Ehrlich-Institut, https://www.pei.de/DE/infos/fachkreise/dhr-deutsches-haemophilieregister/daten/berichte/dhr-berichte-node.html (aufgerufen am 15.05.2018) Oldenburg J et al., N Engl J Med 2017, 377: 809-818 Scharrer I et al., Haemophilia 1999, 5, 3: 145-154 Young G, Oral Communication Session 322, Disorders of Coagulation or Fibrinolysis: Novel Therapies and Clinical Trials in Bleeding Disorders, 09.12.2017, ASH 2017 Auerswald et al., Haemophilia 2004, 20: 499-508 Leissinger et al., New England J of Medicine 2011, 365: 1684–1692 Carlsson et al., Thromb Haemostasis 2008, 99: 1060–1067 Impressum Experten-Forum „Kassen und pharmazeutische Industrie im Dialog: Hämophilie – gestern, heute, morgen“ Berlin, 17. April 2018 Berichterstattung: Susanne Werner, Berlin Artikel gedruckt in ÄrzteZeitung Nr. 70-119D Montag, 25. Juni 2018 Mit freundlicher Unterstützung der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen und von Chugai Pharma Europe Ltd., Frankfurt am Main Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Inge Kunzenbacher Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature. 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