Hyperbarer Sauerstoff doch eine Option bei Hörsturz?

Niederländischen Forschern zufolge nimmt die hyperbare Sauerstofftherapie in den Empfehlungen zum Hörsturz nicht den Platz ein, der ihr eigentlich gebührt. In den Augen der Wissenschaftler hapert es nicht so sehr mit der Qualität der Studien, sondern vor allem mit dem unzureichenden Timing. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Würde man die hyperbare Sauerstofftherapie bei Hörsturzpatienten nur rechtzeitig beginnen, könnte man damit womöglich deutlich bessere Erfolge erzielen, als die gegenwärtige kontroverse Datenlage vermuten lässt, so ein Forscherteam aus den Niederlanden. In ihrem Meinungsbeitrag im Fachblatt „JAMA Otolaryngology“ stellt die Gruppe um Ahmed Bayoumy vom Militärhospital in Utrecht folgende These auf: Das Hauptproblem mit den bisherigen Studien sei nicht so sehr deren mangelnde methodische Qualität, sondern vielmehr die Tatsache, dass die HBO-Therapie meist erst relativ spät zum Einsatz gekommen sei. Die Cochlea, so Bayoumy und Kollegen, sei ein Organ mit hohem Sauerstoffbedarf, aber vergleichsweise geringer Gefäßversorgung. Sauerstoffmangel stehe bei den diskutierten Ursachen der plötzlich auftretenden einseitigen Schallempfindungsschwerhörigkeit (sudden sensorineural hearing loss, SSNHL) im Vordergrund. Dementsprechend solle die Therapie darauf abzielen, möglichst zeitnah die Sauerstoffdiffusion ins Innenohr zu steigern. „Der frühzeitige Beginn der HBO-Therapie könnte verhindern, dass eine bereits entstandene cochleäre Penumbra ischämisch werde“, spekulieren Bayoumy und sein Team. Hierin sehen die Forscher Analogien zum Schlaganfall. HBO-Kombi besser als Kortikoidtherapie allein? Tatsächlich hätten bereits mehrere Studien gezeigt, dass ein frühzeitiger Behandlungsbeginn mit hyperbarem Sauerstoff zu besseren Ergebnissen führte als ein später. Auch für die Überlegenheit der HBO-Kombitherapie (HBO plus Hochdosis-Kortikoidtherapie) gegenüber einer medikamentösen Monotherapie gebe es zahlreiche Belege. So hatte sich in einer Metaanalyse über 14 Studien das Hörvermögen bei rund 30% der Patienten, die man mit der Kombi behandelt hatte, vollständig regeneriert, dagegen nur bei 20% der Patienten mit ausschließlich medikamentöser Therapie. Bei HBO-Patienten habe man außerdem einen deutlich stärkeren absoluten Hörgewinn verzeichnet; dieser betrug in der Zusammenschau von drei systematischen Reviews im Mittel 27 dB (gegenüber 18 dB in der rein medikamentös behandelten Gruppe). Ähnliches galt für den relativen Hörgewinn: Dieser lag laut Bayoumy und Kollegen in 14 von 16 ausgewerteten Studien im Median bei 44% gegenüber 28%. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass man beim Hörsturz von einer Spontanheilungsrate von mehr als 35% ausgeht. Dass in den Studien nur rund 30% erreicht wurden, erklären Bayoumy und sein Team eben damit, dass die Ergebnisse von Studien dominiert seien, in denen zu spät mit der HBO-Therapie begonnen oder diese von vornherein nur als Salvage-Therapie genutzt worden war. Möglichst innerhalb von 24 Stunden starten! Laut Bayoumy et al. sollte man mit dem hyperbaren Sauerstoff vorzugsweise innerhalb von 24 bis 48 Stunden starten. In ihrer eigenen Klinik setzen die Militärärzte eine Dosis von jeweils 2,5 ata über 90 Minuten ein, die in zehn Sitzungen verabreicht wird. Fazit des Forscherteams: „Der SSNHL stellt einen otolaryngologischen Notfall dar. Wir sind überzeugt, dass der frühzeitige Beginn einer HBO-Therapie der Faktor ist, der am meisten zu einem günstigen Ergebnis beiträgt.“ Zukünftige Studien zur Bewertung der HBO-Kombi sollten dieses Kriterium berücksichtigen. Ob die Argumentation der Niederländer bei deutschen Fachgremien und Entscheidungsträgern verfängt, sei dahingestellt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) gelangte zuletzt im Jahr 2014 zu der Auffassung, dass der „Nutzen der Methode bislang nicht hinreichend belegt“ sei, die Methode jedoch „hinreichendes Potenzial für eine Erprobung“ bieten würde. Ein Beratungsverfahren, in dem es um die Erprobung der HBO-Therapie ging, wurde Anfang 2018 auf Beschluss des G-BA eingestellt, da, wie festgestellt wurde, „kein Interesse an einer Beteiligung an den Kosten der Erprobung bestand“. Die deutschen Leitlinien zur Therapie des Hörsturzes befinden sich derzeit in Überarbeitung. Das Wichtigste in Kürze Frage: Welche Rolle spielt das Timing beim Einsatz von hyperbarem Sauerstoff zur Therapie des Hörsturzes? Antwort: Es gibt eine Reihe von Studien, die nahelegen, dass die HBO-Therapie wirkt. Das Problem ist, dass der Sauerstoff dabei meist erst relativ spät zum Einsatz kommt. Bedeutung: Nach Ansicht der Autoren ist der frühzeitige Beginn der HBO-Therapie ein entscheidender Faktor für den Therapieerfolg. Einschränkung: Meinungsbeitrag auf der Grundlage von Reviews mit heterogenen Studien. Empfehlung der Redaktion Hörsturz – Themenseite Der Hörsturz ist eine ohne erkennbare Ursache plötzlich auftretende einseitige Schallempfindungsstörung – bis hin zum Hörverlust. Auf dieser Seite finden Sie alles rund um die ernstzunehmende Erkrankung.

Springer Medizin

Hyperbarer Sauerstoff doch eine Option bei Hörsturz?

Weiterführende Themen

Passend zum Thema

Es wäre so einfach, ein Leben zu retten – Wenn man nur daran denkt…

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten

Weiterführende Themen

Passend zum Thema

Es wäre so einfach, ein Leben zu retten – Wenn man nur daran denkt…