Hausärztin: Warum DiGA gute Patientencoaches sind

Digitale Gesundheitsanwendungen können Ärztinnen und Ärzte in der Versorgung entlasten, sagt Hausärztin Dr. Irmgard Landgraf. Auf dem Hauptstadtkongress erläuterte sie, wie. Aber auch, was sich im Verfahren noch verbessern ließe. 31 Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) können von Ärztinnen und Ärzten derzeit auf Kassenkosten verordnet werden. Aber hilft ihnen das wirklich bei der Versorgung von Patienten? Die Berliner Hausärztin Dr. Irmgard Landgraf sagt ganz klar: Ja. Gerade bei Gesundheitsproblemen wie Schlafstörungen, Adipositas, Nikotin-Abhängigkeit oder auch Angststörungen und Stress seien DiGA eine gute Unterstützung. „Das sind ja die Probleme, die wir tagtäglich in den Praxen sehen und wo wir dann hilflos sind“, berichtete sie am Freitag beim Hauptstadtkongress in Berlin. Eine Hilflosigkeit, die frustriere. „Da können Sie nicht einfach eine Pille verschreiben.“ Die Patienten bräuchten in diesen Fällen einen Coach, der ihre Gesundheitskompetenz stärke. „Meine Hoffnung ist, dass DiGA das leisten können.“ Ihre ersten Erfahrungen in der Praxis mit den digitalen Anwendungen stützen diese Hoffnung. „Bei meinen Patienten kommen die DiGA durchweg gut an und sie fühlen sich auch gut unterstützt.“ Ein Beispiel: Landgraf hat eine Patientin, die lange Zeit immer just am Wochenende unter Migräne litt. „Da war natürlich nichts mehr mit der Erholung von der Arbeitswoche“, sagte sie. „Über die App hat diese Patientin unendlich viel gelernt. Das Problem war, dass sie am Wochenende ihren Tagesrhythmus geändert hat. Heute geht es der Patientin gut.“ Patienten auch auf die Kosten hinweisen Dass Patienten DiGA aktiv bei ihr nachfragen, kommt allerdings nicht vor. „Wenn, dann schlage ich die DiGA vor“, berichtete die Hausärztin, die auch Lehrärztin der Charité für Allgemeinmedizin ist. Landgraf hält es aber generell für wichtig, dass Ärzte die Anwendungen begleiten. „Ich beginne immer mit einem Beratungsgespräch, in dem wir gemeinsam erörtern, ob die App für den Patienten auch sinnvoll ist.“ Erst dann erfolge eine Verordnung. „Ich nenne den Patienten aber auch den Preis der App, denn die Kassen müssen die Kosten bezahlen, egal ob der Patient die App dann nutzt oder nicht.“ Landgraf sieht hier insbesondere die Hausärztinnen und -ärzte in der Pflicht, ein Kostenbewusstsein bei den Patienten zu schaffen. Noch lassen sich die DiGA-Verordnungen und vor allem die ärztliche Begleitung ihrer Nutzung nur sehr begrenzt abrechnen. Für die Erstverordnung sieht der EBM (GOP 01470) eine Pauschale von 2,03 Euro vor, die aktuell nur bis zum 31.12.2022 gilt. Die Verlaufskontrolle wird für die DiGA somnio (01471) und Vivira (01472, erst ab Juli 2022 gültig) - jeweils mit 7,21 Euro bewertet - vergütet. Zudem kann die Pauschale 86700 (7,12 Euro) seit Mai für die Verlaufskontrolle und Auswertung von DiGA abgerechnet werden, die vorläufig im BfArM-Verzeichnis gelistet sind und für die das BfArM ärztliche und/oder psychotherapeutische Tätigkeiten definiert hat. Aussicht auf eine bessere EBM-Vergütung? Der Essener Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem, der nicht nur unparteiischer Vorsitzender der Schiedsstelle für die DiGA ist, sondern auch im Erweiterten Bewertungsausschuss sitzt, kündigte an, in Sachen Vergütung eventuell noch einmal eine Diskussion aufmachen zu wollen. Wenn die Einschätzung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), dass eine ärztliche Begleitung bei DiGA in den meisten Fällen eben nicht für erforderlich halte, „Quatsch“ sei, „dann müssen wir das thematisieren“, meinte er auf dem Hauptstadtkongress. „Wir machen es in der Praxis immer so, dass wir die Patienten nach der Verordnung kurzfristig noch einmal einbestellen, um zu besprechen, wie sie die DiGA nutzen“, so Landgraf. Noch stünde man ja am Beginn mit den Anwendungen, dennoch hält Landgraf es für wichtig, die Patienten mit den DiGA eben nicht alleine zu lassen, sondern regelmäßig mit ihnen über den Nutzen zu sprechen. Landgraf: DiGA-Verzeichnis gehört ins PVS Das Problem ist für Landgraf allerdings weniger die Vergütung. Sie würde sich vor allem eine Erleichterung bei der Verordnung wünschen. Derzeit müsse sie parallel zum Praxisverwaltungssystem (PVS) das BfArM-Verzeichnis aufrufen. Dort die DiGA sichten und sich die Pharmazentralnummer (PZN) heraussuchen. „Wenn ich die PZN dann im PVS in die Verordnung eingebe, erscheint der Name der DiGA jedoch automatisch.“ Dann laufe es unkompliziert, erläuterte sie. „Aber es wäre schön, wenn das BfArM-Verzeichnis wie die Arzneimittelsoftware ins PVS integriert und auch regelmäßig aktualisiert würde“, so ihr Wunsch. Immerhin: Der Ablauf der DiGA-Genehmigung durch die Krankenkassen laufe problemlos. „Es gibt sogar Kassen, die den Patienten dann noch weitere Apps anbieten“, berichtete Landgraf. Es habe sie sehr positiv überrascht, dass hier eben nicht über Kosten diskutiert werde. Generell gibt es bei den DiGA wenig Kostenstreit, auch zwischen Anbietern und GKV. Bislang wurden über die Schiedsstelle, die es seit zwei Jahren gibt, erst vier Verfahren geklärt, so Gesundheitsökonom Wasem. Ein weiteres Verfahren laufe noch. Wenn die Schiedsstelle einen Preis für die DiGA festlegt, liegt dieser in der Regel zwischen 200 und 250 Euro, sagte er. Die Hersteller forderten meist 700, 800 Euro, die Angebote des GKV-Spitzenverbands hätten in den Streitfällen nie über 50 Euro gelegen. Wasem: „Offensichtlich tun wir beiden Seiten sichtlich weh mit solchen Schiedssprüchen.“ Empfehlung der Redaktion HSK 2022 Hauptstadtkongress 2022 22.–24. Juni 2022 | Berlin „Ein resilientes Gesundheitssystem – Mythos oder Möglichkeit?“, unter diesem Motto wurde 2022 beim Hauptstadtkongress viel diskutiert. Welche Spuren hat die Pandemie im Gesundheitssystem hinterlassen? Was sind die Herausforderungen der nächsten Jahre? Und wo hat der Fortschritt bereits Einzug erhalten? Die Highlights finden Sie im HSK-Kongressdossier. Quelle: Ärzte Zeitung

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