Erschienen in:
11.09.2020 | Interferone | Pharmaforum
Digitalisierung und "Big Data" verbessern Diagnostik und Therapie der MS
verfasst von:
Dr. med. Andreas Häckel
Erschienen in:
NeuroTransmitter
|
Ausgabe 9/2020
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Auszug
Mit zunehmender Digitalisierung sind in der Neurologie Strategien und Werkzeuge verfügbar, die die Früherkennung und die Verlaufskontrolle, aber auch die patientenindividuelle Behandlung nicht nur in Studien, sondern auch im Praxisalltag, verbessern können. Dies zeigen aktuelle Befunde am Beispiel der Multiplen Sklerose (MS). So ließen sich durch gezielte Nutzung technischer Möglichkeiten von Smartphones oder "wearables" anhand aktiver und passiver digitaler Biomarker bereits frühe MS-Erkrankungsphasen erkennen und verfolgen, noch bevor sie klinisch manifest würden, berichtete Prof. Dr. Dr. Sven Meuth, Universität Münster. Als Beispiele nannte er die Analyse von Tastaturanschlägen, Gesichts- und Spracherkennung zur Befundung von Kognition und Krankheitsverlauf und die Erfassung der okularen Sensorik mit der Handy-Frontkamera zur Detektion von vertikalen supranukleären Ophthalmoparesen, Fixierungsinstabilitäten oder Sakkaden. Solche Daten seien gut mit klinischen Tests wie der 7,6-Meter-Gehstrecke korreliert und lieferten sogar "Profile darüber, wie es dem Patienten in den letzten Monaten ging". Klinisch nutzbare Daten könnten auch mit iPad-basierten Tools wie dem MS Performance-Test oder dem Kognitionsfunktionstest CogEval zu Hause erhoben werden und detektierten eine subtile Krankheitsprogression, die durch Tests wie den EDSS nicht erkannt werde. Die Nutzung großer Datenmengen verbessere auch die Therapie, erläuterte Meuth am Beispiel von Natalizumab (Tysabri®). Dieser Antikörper senkte in der Beobachtungsstudie TOP die Schubrate der MS über zehn Jahre deutlich, erhöhte in der geprüften Dosierung bei immunsuppressiv vorbehandelten, JC-Virus-AK-positiven Patienten oder Anwendung über > 24 Monate jedoch das Risiko einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML). Nach Daten des 2006 begonnenen TOUCH-Registers mit über 90.000 Patienten und dem Schwerpunkt Therapiesicherheit lasse sich jedoch das PML-Risiko durch ein von vier auf sechs Wochen verlängertes Dosisintervall um 94 % reduzieren - ein Befund, der jetzt in der prospektiven randomisierten NOVA-Studie [Hellwig K et al., ECTRIMS 2019, P 1019] hinsichtlich der Wirksamkeit mit der bisherigen Dosierung verglichen werde. Big-Data-Management werde künftig schon bei der Studienplanung die gemeinsame Ermittlung von Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten in Echtzeit und zugleich präzisere Verlaufskontrollen und patientenindividuelle Behandlungsstrategien ermöglichen. …