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04.11.2020 | Kardiologie | Nachrichten

Junger Mann mit hochgradigem AV-Block – wenn eine Infektion zu lange unbemerkt bleibt

verfasst von: Veronika Schlimpert

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Ein Anfang 20-jähriger Mann wird scheinbar ohne Grund ohnmächtig. Im EKG zeigt sich ein hochgradiger AV-Block. Die Inspektion der Haut offenbart die Ursache – an die Ärzte gerade bei jungen Menschen verstärkt denken sollten.

Hinter einer Synkope kann sich vieles verbergen. Umso schwerer wird die Ursachensuche, wenn die Anamnese keinerlei Hinweise liefert – so wie in dem Fall dieses jungen Mannes.

Der Patient ist scheinbar grundlos ohnmächtig geworden und sucht verunsichert die Notaufnahme im Brigham and Women’s Hospital in Boston auf, seit zwei Tagen fühlt er sich schlapp und hatte gelegentlich Schüttelfrost. Der Anfang 20-Jährige war bis dato völlig gesund, die Familienanamnese ist ebenfalls unauffällig. Er hätte weder einen Insektenstich gehabt, noch sei ihm ein Hautausschlag aufgefallen, berichtet der junge Patient.

Die Herzfrequenz des Mannes liegt gerade mal bei 41 Schlägen pro Minute. Sonst fällt den Ärzten bei der körperlichen Untersuchung zunächst nichts Auffälliges auf, die Laborwerte sind ebenfalls unverdächtig.

Im EKG zeigt sich als Ursache für die Bradykardie ein hochgradiger AV-Block mit verbreitertem QRS-Komplex (166 ms) und Ersatzrhythmus. Aufgrund dieses Befundes entscheiden sich die Ärzte, dem Patienten einen passageren Notfallschrittmacher zu implantieren und ihn zur weiteren Abklärung an die kardiologische Abteilung zu überweisen.

Ärzte sind sich nun ziemlich sicher

Die Kardiologen inspizieren den gesamten Körper des Patienten und stoßen dabei auf eine verdächtige Hautstelle linksseitig am Rücken: ein 10 × 20 cm großer rötlicher Hautausschlag mit einem kreisrunden blassen Zentrum. Die Läsion fühlt sich warm an, ist aber schmerzunempfindlich und juckt nicht. Dem Patienten ist der Ausschlag deshalb gar nicht aufgefallen.

Aufgrund des charakteristischen Aussehens des Erythems sind sich die Kardiologen ziemlich sicher: Der Patient hat eine sog. Lyme-Karditis, die sich nach einer Infektion mit dem Borrelia burgdorferi-Erreger, also üblicherweise nach einem Zeckenstick, entwickeln kann. Sie initiieren deshalb sofort eine empirische Antibiotika-Therapie mit Cefitriaxon i.v..

Nach Therapiebeginn setzt Besserung ein

Nach viertägiger Antibiotika-Gabe normalisiert sich der Herzrhythmus des Patienten langsam: Die Kammerfrequenz liegt bei über 60 Schlägen, es liegt nun eine 1:1 AV-Überleitung und ein AV-Block 1. Grades vor (PQ-Zeit: 520 ms). Die Verlängerung der PQ-Zeit nimmt über die Zeit weiter ab, sodass der Patient nach weiteren drei Tagen aus der Klinik entlassen werden kann. Bei einem Kontrolltermin nach 14 Tagen hat sich die PQ-Zeit normalisiert.

Speziell im Spätsommer an diesen Parasiten denken

In der Zwischenzeit hat die sofort nach der Verdachtsdiagnose initiierte Serologie einen positiven Nachweis borrelienspezifischer Antikörper (IgM, IgG und IgA) ergeben, was die Ärzte in ihrer Diagnose bestätigt.  

„Wie dieser Fall verdeutlicht, muss bei jungen Patienten mit einem vollständigen AV-Block selbst bei Abwesenheit eines Erythema migrans und Prodromalsymptomen weiterhin an eine Lyme-Karditis als Differenzialdiagnose gedacht werden, speziell im Spätsommer“, lautet das Fazit der behandelnden Ärzte um Dr. Cameron Nutt und Prof. Kevin Bersell, die über diesen Fall im JAMA Internal Medicine berichtet haben.


Fazit für die Praxis

  • Ein hochgradiger AV-Block kann das erste Symptom einer Lyme-Borreliose sein. Die Inzidenz für eine Lyme-Karditis ist bei jungen Männern besonders hoch. Deshalb sollte gerade bei jungen Erwachsenen eine Lyme-Karditis als mögliche Differenzialdiagnose eines vollständigen AV-Blocks verstärkt in Betracht gezogen werden, speziell in den Sommermonaten und in endemischen Gebieten. 
  • Das Fehlen eines Erythema migrans ist kein Ausschlusskriterium. Denn bis zu 50% der Patienten mit einem durch eine Lyme-Karditis bedingten kompletten AV-Block entwickeln keinen charakteristischen Hautausschlag bzw. oder bemerken diese nicht, weshalb die Inspektion des gesamten Körpers wichtig ist.
  • Bei Verdacht auf eine Lyme-Karditis muss die Antibiotikabehandlung meist empirisch begonnen werden, also noch vor dem Serologie-Nachweis. Im Falle eines hochgradigen AV-Blocks sollte Ceftriaxon i.v. solange verabreicht werden, bis das PQ-Intervall weniger als 300 ms beträgt (die Autoren weisen darauf hin, dass Cephalosporine der ersten und zweiten Generation in diesem Falle keinen Effekt haben). Nachfolgend wird Doxycyclin für insgesamt 21 bis 28 Tage verabreicht.
  • In schweren Fällen kann ein passagerer Schrittmacher erforderlich sein. Laut Nutt und Kollegen ist ein permanenter Schrittmacher aber meist vermeidbar. Die Lyme-Karditis habe eine exzellente Prognose, wenn die Antibiotikabehandlung (s. oberen Punkt) sofort begonnen werde, betonen die US-Ärzte.


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Literatur

Nutt CT, Bersell KR. Syncope Due to Complete Heart Block—A Ticking Time Bomb. JAMA Intern Med. 2020. DOI:10.1001/jamainternmed.2020.5660

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