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07.09.2020 | Kardiologie | Nachrichten

Neue Leitlinie zu Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern: Was hat sich geändert?

verfasst von: Veronika Schlimpert

Nach zehn Jahren sind die ESC-Leitlinien zum Management von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) aktualisiert worden. Teilweise sind sie jetzt proaktiver, es gibt neue Grenzwerte und eine Präferenz für Katheterverfahren.

Die meisten Patienten mit kongentialen Herzerkrankungen erreichen heutzutage das Erwachsenenalter. Doch selbst wenn der Herzfehler im Kindesalter erfolgreich korrigiert worden ist, kann es bei diesen Patienten lebenslang zu Beeinträchtigungen kommen.

Was dann zu tun ist, kann in der jetzt aktualisierten ESC-Leitlinie zum Management von EMAH-Patienten nachgelesen werden. Beim diesjährigen ESC-Kongress fassten Experten die wichtigsten Änderungen im Vergleich zur Vorgängerversion von 2010 zusammen.

Pulmonale Hypertonie

Eine pulmonale Hypertonie (PH) beeinträchtigt die Prognose von EMAH-Patienten deutlich. Besonders vor einer geplanten Schwangerschaft sowie kardialen oder anderen größeren Operationen ist deshalb auf entsprechende Anzeichen zu achten. Doch wann liegt eine pulmonale Hypertonie überhaupt vor?

In der neuen Leitlinie sei die beim „World Symposium on Pulmonary Hypertension“ 2018 aktualisierte Definition übernommen worden, berichtete Prof. Markus Schwerzmann vom Inselspital in Bern beim diesjährigen ESC-Kongress. Das heißt:

  • eine PH liegt vor bei einem pulmonal-arteriellen Mitteldruck (PAP) von ˃ 20 mmHg,
  • die präkapilläre Form ist definiert als pulmonaler Gefäßwiderstand (PVR) von ≥ 3 Wood-Einheiten (WU) und einem Wedge-Druck (PAWP) ≤ 15 mmHg,
  • die isolierte postkapilläre Form liegt vor bei PVR ˂ 3 WU und PAWP ˃ 15 mmHg.

Spezielle Empfehlungen zur Shunt-Korrektur

Viele Empfehlungen zum Management der PH sind laut Schwerzmann von den 2015 aktualisierten PH-Leitlinien übernommen worden. Anders sind jedoch die Empfehlungen zur Shunt-induzierten pulmonalen Hypertonie. Im Gegensatz zur PH-Leitlinie wird in der aktuellen Leitlinie zwischen zwei Subtypen unterschieden: 

  1. prä-trikuspide Shunts: z.B. Atriumseptumdefekt Typ I und II, Sinus-venosus-Defekt inkl. partieller Lungenvenenfehleinmündung und
  2. post-trikuspide Shunts: z.B. Ventrikelseptumdefekt und offener Ductus arteriosus. 

Neben der Shunt-Größe, dem PVR, der Belastbarkeit, Füllungsdruck, dem Ansprechen auf Vasodilatatoren-Behandlung usw. beeinflusst auch der Shunt-Typ die Indikationsstellung für eine Shunt-Korrektur.

So ist die Korrektur eines großen Shunts (Qp:Qs ˃ 1,5) bei Patienten mit Atriumseptumdefekt im Falle eines WU ≥ 5 kontraindiziert, selbst mit einer PAH spezifischen Behandlung (Klasse III-Empfehlung). Es sei denn der Widerstand sinkt unter der medikamentösen Therapie ˂ 5 WU, dann kann über einen solchen Eingriff (aber nur über einen Verschluss der Fenestrierung) nachgedacht werden (IIb).

Dagegen kann ein solcher Eingriff bei Patienten mit einem Ventrikelseptumdefekt oder offenen Ductus arteriosus auch im Falle eines WU ≥ 5 erwogen werden (IIb), allerdings muss die Indikation von Spezialisten nach intensiver Abwägung gestellt werden. Liegt der WU unter 5, wird für alle Shunt-Arten eine Korrektur für sinnvoll erachtet (IIa), im Falle eines WU ˂3 liegt eine Klasse I-Empfehlung vor.

Neues zur medikamentösen Behandlung

Die medikamentösen Behandlung einer PH soll laut aktualisierter Leitlinie proaktiver angegangen werden, d.h. direkt initial mit einer Kombinationstherapie oder sequentiellen Behandlung beginnen, bei Hochrisikopatienten sind Wirkstoffkombinationen erforderlich.

Folgende Empfehlungen hat Schwerzmann als neu hervorgehoben:

  • Frauen mit angeborenen Herzerkrankungen und nachgewiesener präkapillärer PH sollte von einer Schwangerschaft abgeraten werden (I/C).
  • Bei allen Patienten mit angeborenen Herzerkrankungen und pulmonal arterieller Hypertonie sollte eine Risikostratifizierung vorgenommen werden (I/C).
  • Eine initiale orale Kombinationstherapie oder sequentielle Behandlung wird bei Patienten mit einem korrigierten einfachen Herzfehler und präkapillärer PH bei niedrigem bis mittlerem Risiko empfohlen. Bei Hochrisikopatienten sollte die Kombi-Therapie parenterale Prostanoide enthalten (I/A).
  • Patienten mit einem Eisenmenger-Syndrom und eingeschränkter Belastbarkeit (6-Minutengehstrecke ˂ 450 Meter) sollten initial mit einer Endothelin-Rezeptorantagonist-Monotherapie behandelt werden, falls sie sich darunter nicht verbessern, ist eine Kombinationstherapie angebracht (IIa/B).

Obstruktion im linksventrikulären Ausflusstrakt

Das Management von Störungen des linksventrikulären Ausflusstraktes sollte sich nach der Ursache der Obstruktion richten.   

Geändert wurde in der neuen Leitlinie der Cut-off für eine Intervention im Falle einer hochgradigen valvulären Aortenstenose, dieser liegt jetzt bei einem mittleren Druckgradienten ≥ 40 mmHg, wenn Beschwerden vorliegen (I/B). Zudem gilt ab sofort eine Klasse I-Empfehlung (statt früher einer II) für eine Intervention im Falle einer eingeschränkten Ejektionsfraktion (EF) bei Patienten mit schwerer „Low-Flow/Low-Gradient“-Aortenstenose (mittlerer Druckgradient ˂ 40 mmHg) und Nachweis einer koronaren Flussreserve, ausgenommen von einer Pseudo-Aortenstenose.

Neu ist zudem, dass bei asymptomatischen Patienten mit schwerer Aortenstenose eine Intervention bei deutlich erhöhten BNP-Werten (˃ 3-Fache des alters- und geschlechtsadjustierten Normalwertes) in Betracht gezogen werden sollte, selbst bei einer normalen EF (IIa/C).

Bei Patienten mit supravalvulärer Aortenstenose kann eine Operation früher angebracht sein als im Falle einer valvulären Aortenstenose. Ein mittlerer Doppler-Gradient von ≥ 40 mmHg bei Beschwerden ist eine eindeutige Indikation zur Operation (I/C), derselbe Cut-off gilt für Patienten mit einer subaortalen Stenose (I/C).

Ist bei Patienten mit einer Aortenisthmusstenose bzw. bei einer Re-Koarktation der Aorta eine Intervention indiziert, ist ab sofort die Kathetertherapie die Methode der Wahl, wenn anatomisch möglich, und nicht wie früher eine Operation (I/C).

Neu bei Marfan-Patienten ist, dass die Aortenklappe repariert und nicht ersetzt werden sollte, wenn der Eingriff von einem erfahrenen Chirurgen vorgenommen wird (I/C). Ein Eingriff bei Mutations-Trägern mit einem maximalen Diameter der Aorta ascendes von ≥ 45 mm wird nun als Klasse IIa-Empfehlung aufgeführt.

Bei Patienten mit Turner-Syndrom gibt es zwei neue Empfehlungen:

  1. Bei betroffenen Frauen in einem Alter über 16 Jahren wird die elektive Operation eines Aortenaneurysma für sinnvoll erachtet, wenn der Aortic Size-Index ≥ 25 mm/m² beträgt und Risikofaktoren für eine Aortendissektion vorliegen (IIa/C). 
  2. Ohne entsprechende Risikofaktoren kann ein solcher Eingriff erwogen werden (IIb/C).

Obstruktion im rechtsventrikulären Ausflusstrakt

Die Ballonvalvuloplastie bleibe die Therapie der Wahl bei Patienten mit Obstruktionen im rechtsventrikulären Ausflusstrakt, begann Prof. Barbara Mulder aus Amsterdam ihren Vortrag. 

Restriktiver sind die Empfehlungen zum chirurgischen Klappenersatz geworden, da hier das Langzeitrisiko mit z.B. Endokarditiden und Reinterventionen berücksichtigt werden sollte. Dieser Eingriff sollte deshalb nur noch bei schwerer Stenose und Beschwerden vorgenommen werden, und auch nur dann, wenn die OP die einzige Option darstellt (I/C). Ohne Beschwerden ist ein chirurgischer Klappenersatz nur noch unter bestimmten Voraussetzungen indiziert (reduzierte Belastbarkeit, nachlassende Funktion des rechten Ventrikels, Progression der Trikuspidalklappeninsuffizienz, R-L-Shunt bei Atrium- oder Ventrikelseptumdefekt oder rechtsventrikulärer systolischer Druck [RVSD] ˃ 80 mmHg).

Fallot-Tetralogy

Kommt es bei Patienten mit einer Fallot-Tetralogy im weiteren Verlauf zu Komplikationen, ist nun eine Katheteterintervention die Therapie der Wahl, wenn sie anatomisch möglich ist. „Das optimale Timing eines Pulmonalklappenersatzes bei asymptomatischen Patenten bleibt eine Herausforderung“, hob Mulder ein klinisches Problem hervor. Als neues Indikations-Kriterium ist ein rechtsventrikulärer endsystolischer Volumenindex (RVESVi) ≥ 80 mL/m² und/oder rechtsventrikulärer enddiastolischer Volumenindex (RVEDVi) ≥ 160 mL/m² aufgeführt. Diese Cut-offs würden aber nicht zwangsläufig mit der klinischen Prognose korrelieren, betonte die Kinderkardiologin.

Transposition der großen Arterien

Wurde eine Transposition der großen Arterien noch durch eine Vorhofumkehr-Operation nach Mustard oder Senning korrigiert, käme es häufig zu Spätkomplikationen, berichtete Dr. Folkert Meijboom aus Utrecht. Geändert hat sich hier das Kriterium für eine Trikuspidalklappen-Reparatur bzw. -ersatz. Statt vormals ab einer rechtsventrikulären EF von 45% wird nun eine Intervention ab einer EF ˃ 40% bei einer schweren systemischen Regurgitation unabhängig von der Symptomatik empfohlen (IIa/C).  

Im Falle einer kongenital korrigierten Transposition der großen Arterien wird ab sofort nur noch zum Klappenersatz geraten (I/C), da die Klappenreparatur keine guten Ergebnisse geliefert habe, so Meijboom. Auch hier sollte der Klappeneingriff nach Ansicht des Experten vorgenommen werden, bevor die Funktion des rechten Ventrikels „zu schlecht geworden ist“ (EF ˃ 40%). Neu ist zudem, dass bei diesen Patienten biventrikuläre Schrittmachersysteme in Betracht gezogen werde sollten, falls ein Schrittmacher vonnöten ist (IIa/C).

Nur wenig geändert hat sich bei den Interventions-Kriterien für Patienten, die eine arterielle Switch-Operation erhalten haben. Falls ein Eingriff wegen einer Stenose im Seitenast der Pulmonalarterie indiziert ist, sollte ein Stenting vorgenommen werden. Die Chirurgie sei aus den Empfehlungen verschwunden, so Meijboom. Eine klare Präferenz für ein katheterbasiertes Verfahren gibt es auch bei Patienten nach Conduit-Operationen, falls eine schwere Pulmonalklappeninsuffizienz vorliegt.

Mehr Aufmerksamkeit sollte laut der neuen Leitlinie auf Baffle-Leaks gelegt werden. Diese seien nämlich viel häufiger als bisher angenommen, erläuterte Meijboom den Grund für die Awareness-Steigerung. Vor einer Schrittmacherimplantation sollte aktiv danach gesucht werden. Und falls technisch möglich, sollten die undichte Stelle perkutan verschlossen werden (IIa/C).

Einkammerherz

Ein Einkammerherz kann die Folge einer Vielzahl an komplexer Herzfehler und Pathophysiologien sein, machte Prof. Erwin Oechslin beim ESC-Kongress deutlich. Eine der „Schlüsselempfehlungen“ ist laut dem im Toronto tätigen EMAH-Experten, dass Erwachsene, deren Herzfehlern nicht operiert worden ist, in einem spezialisierten Zentrum untersucht werden sollten; dort sollte auch über den Nutzen einer Intervention entschieden werden. Eine Herztransplantation werde üblicherweise zu spät in Betracht gezogen, erläuterte Oechslin ein klinisches Problem. Empfohlen wird diese bei Patienten in einem schlechten klinischen Zustand, für die es sonst keine chirurgischen Möglichkeiten mehr gibt (IIa/C).

Speziell für Patienten nach einer Fontan-Operation gibt es mehrere neue Empfehlungen:

  • Bei anhaltenden atrialen Arrythmien mit schneller AV-Überleitung handelt es sich um einen medizinischen Notfall, weshalb umgehend eine elektrische Kardioversion vorgenommen werden sollte (I/C).
  • Rhythmusstörungen sollten generell proaktiver via Katheterablation behandelt werden (IIa/C). 
  • Bei Patienten mit zurückliegenden thromboembolischen Ereignissen, atrialen Arrythmien oder Vorhofthromben ist eine Antikoagulation indiziert (I/C).
  • Betroffenen Frauen sollte bei jeglichen Komplikationen von einer Schwangerschaft abgeraten werden (I/C).
  • Bei unerklärbaren Ödemen, Verschlechterung der körperlichen Belastbarkeit, neu einsetzenden Rhythmusstörungen, Zyanose oder Hämoptysen sollte die Indikation zur Herzkatheter-Therapie großzügig gestellt werden (I/C).
  • Die Leber sollte routinemäßig via Ultraschall, CT oder MRT untersucht werden (IIa/C).
  • Für ausgewählte Patienten (erhöhter pulmonaler Druck/Widerstand) kommen Endothelin-Rezeptorantagonisten oder Phosphodiesterase 5-Hemmer infrage, falls kein erhöhter ventrikulärer enddiastolischer Druck vorliegt (IIb/C).
  • Für ausgewählte Patienten mit einer signifikanten Zyanose kann ein Verschluss der Fontan-Fenestrierung in Betracht gezogen werden, allerdings nur nach sorgfältiger Abwägung, um potenzielle Komplikationen wie ein Anstieg des zentralen Venendrucks oder ein Abfall des Herzzeitvolumens ausschließen zu können (IIb/C).
Literatur

2020 ESC Guidelines on Adult Congenital Heart Disease, vorgestellt am 01.09.2020 beim ESC Congress 2020 - The Digital Experience  

Baumgartner H et al. 2020 ESC Guidelines for the management of adult congenital heart disease: The Task Force for the management of adult congenital heart disease of the European Society of Cardiology (ESC), Eur Heart J 2020, ehaa554, DOI: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaa554

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