Einleitung
Eine der wesentlichen Funktionen des Schlafs ist die Unterstützung kognitiver Prozesse [
27,
38,
39]. Während ein Großteil der einschlägigen Forschung auf die Konsolidierung neu erlernter Informationen fokussiert [
38,
76], legen neben alltäglichen und historischen Anekdoten zuletzt auch eine steigende Zahl empirischer Studien nahe, dass Schlaf auch eine Rolle in der schöpferischen Reorganisation bereits vorhandenen Wissens spielt. Das Schlagwort der
Kreativität war lange Zeit einzelnen, als genial verehrten, Schöpfern der bildenden Kunst, Musik und Wissenschaft vorbehalten [
86]. Kreatives Potenzial wird heute jedoch vermehrt als alltägliches Phänomen betrachtet, das jeder Mensch entfalten kann [
79]. Anekdotische Berichte verorten dabei den Ursprung zahlreicher künstlerischer Werke, wissenschaftlicher Entdeckungen oder innovativer Erfindungen im Schlaf oder Traum [
24]. Aber auch alltägliche Kreativitätsvorstellungen werden durch die Volksweisheit „Schlaf einmal darüber!“ mit Schlafprozessen in Verbindung gebracht. In diesem Aufsatz wollen wir den Zusammenhang zwischen Schlaf und Kreativität näher beleuchten. Wir werden dazu zunächst theoretische Modelle und neurobiologische Grundlagen von Kreativität vorstellen, diese mit der Neurobiologie des Schlafs vergleichen und einen Überblick über empirische Studien zu schlafassoziierten kreativen Leistungen geben.
Kreativität: Konzepte und Modelle
Hochentwickelte Zivilisationen bauen wesentlich auf innovativen Ideen und Entdeckungen auf. Im Vergleich zu anderen kognitiven Domänen nimmt die systematische Erforschung der Kreativität jedoch noch immer eine Randstellung in der Psychologie und kognitiven Neurowissenschaft ein – daran hat sich auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach Guilfords prominenter Klage, Kreativität sei trotz ihrer immensen Bedeutung praktisch unerforscht [
43], vergleichsweise wenig geändert. Die thematische Breite und konzeptionelle Offenheit des Kreativitätsbegriffs dürfte dabei eine wesentliche Rolle für die langsame und uneinheitliche Entwicklung der Kreativitätsforschung spielen [
25]. Empirienahe Operationalisierungen des Kreativitätsbegriffs umfassen dabei so unterschiedliche Konzepte wie originelle Produktivität, wie sie etwa in Tests divergenten Denkens abgefragt wird, und kreative Problemlösungsfähigkeit, die mit Einsichtsaufgaben zu erfassen versucht wird [
1].
Rhodes [
77] beschrieb die
vier P der Kreativität. Unter dem Oberbegriff der
Person fasste er alle Eigenschaften zusammen, die den Charakter eines kreativen Menschen prägen, wie z. B. den Intellekt, das Temperament, Gewohnheiten oder das Selbstbild. Ausgehend hiervon ist dann ein
Prozess zur Verarbeitung kreativer Gedanken notwendig. Dieser umfasst unter anderem Motivation, Lernverhalten, Gedankengänge und Kommunikation. Da diese Vorgänge jedoch nicht in völliger Isolation vonstatten gehen, ist auch das Umfeld einer Person äußerst wichtig. Diesen Umstand bringt Rhodes mit dem englischen Wort
press zur Geltung, das den Druck der Umwelt auf ein kreatives Individuum, das dadurch geformt wird, zum Ausdruck bringt. Auch Simonton [
87] betont diesbezüglich die Vorteile einer herausfordernden Umwelt und kulturellen Diversität für die Entwicklung eines kreativen Geistes. Letztendlich kommt es dann zur Entstehung gewisser
Produkte, die sich allerdings nicht auf eine rein materielle Ebene beschränken, sondern auch kreative Gedanken umfassen, die z. B. in Form von Worten oder Kunstwerken Ausdruck finden [
77].
Csikszentmihalyi [
13,
14] erklärt Kreativität als ein Zusammenspiel von 3 Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussten und voneinander abhingen: das
Individuum, das
Feld und die
Domäne. Er betonte, dass ein Individuum nur dann etwas bewegen kann, wenn es genügend Expertise in einem Fachbereich, der Domäne, besitzt. Dabei ist die Interaktion mit Experten aus einem entsprechenden Feld äußerst wichtig, da diese ein entscheidender Maßstab sind, ob die neue Idee von Bestand ist oder nicht. Unterstützung erfährt dieser Ansatz dadurch, dass viele außergewöhnliche Künstler, wie etwa Edvard Munch oder Van Gogh, erst nach langjähriger Ablehnung Anerkennung fanden – wäre Kreativität ein leistungsintrinsisches Merkmal, wäre diese späte Anerkennung kaum zu erklären. Csikszentmihalyis Ansatz steht jedoch im Widerspruch zur traditionellen Ansicht, dass Kreativität die Schöpfung eines einzelnen genialen Geistes ist [
86].
Der heute wohl am weitesten verbreiteten Definition zufolge ist Kreativität gleichbedeutend mit der Fähigkeit, etwas sowohl Neues als auch Wertvolles oder zumindest Angemessenes zu erschaffen [
93]. Eine kreative Leistung muss danach nicht nur originell, sondern auch nützlich sein, um als solche erkannt zu werden. Für den Zusammenhang zwischen Kreativität und Schlaf sind jedoch vor allem die Ebenen kognitiver und neurobiologischer Prozesse relevant, die kreativen Leistungen in diesem Sinne unterliegen.
Kognitionspsychologie der Kreativität
In psychologischen Ansätzen sind die Modelle von Helmholtz [
46] und Wallas [
100] noch immer wirkmächtig, nach denen der kreative Prozess unterscheidbare Phasen beinhaltet, die z. T. auch von längerer Dauer sein können. Zu Beginn steht hierbei die
Vorbereitungsphase, in der das nötige Handwerkszeug für das jeweilige Gebiet erlangt werden muss. Dieses Wissen ist eine Voraussetzung für die Identifikation und kreative Bearbeitung eines Problems. Da dieses jedoch meist nicht gleich gelöst werden kann, schließt sich daran eine
Inkubationsphase an, in der nicht weiter explizit über einen Lösungsversuch nachgedacht wird, jedoch möglicherweise auf unbewusster Ebene problemrelevante kognitive Prozesse weiterarbeiten. In der
Illuminationsphase kommt es dann zu einer schlagartigen Einsicht, in der eine Erklärung für die anfangs gestellte Fragestellung ins Bewusstsein dringt. In der sich daran anschließenden
Verifikationsphase kommt es zu einer Bewertung der neu gewonnen Einsicht und zur endgültigen Ausarbeitung.
Die meisten psychologischen Modelle der Kreativität nehmen implizit oder explizit auf das Phasenmodell Bezug. So ging Kris [
55] bspw. auf Grundlage psychodynamischer Theorien davon aus, dass neues Gedankengut durch ein primärprozesshaftes Eindringen ungeordneter Eingebungen ins Bewusstsein entspringe, das dann in einem zweiten Schritt sekundärprozesshaft ausgearbeitet werden könne. Eine weitere Möglichkeit stellte Campbell [
11] nach dem Vorbild Darwins vor, indem er darauf hinwies, dass neues Wissen durch blinde Variation verschiedener Prozesse mit anschließender Selektion brauchbarer Ideen entstehen kann. Einem ähnlichen Gedanken folgend hatte Osborn [
73] die Technik des Brainstormings entwickelt, bei der die Lösung eines Problems mithilfe der Generierung möglichst vieler unterschiedlicher Ideen in einer förderlichen Atmosphäre erfolgt, die erst in einem nachfolgenden Schritt bewertet werden. Mednick [
68] postulierte flache Assoziationshierarchien als wesentliche Voraussetzung für kreative Leistungen: Eine Verknüpfung schwach miteinander assoziierter, semantisch weit auseinanderliegender kognitiver Elemente erlaubt nichtprotoypische und damit originelle Problemlösungen. Ähnlich hielt Mendelsohn [
70] defokussierte Aufmerksamkeitsprozesse für kreativitätsförderlich, da durch die gleichzeitige Aktivierung mehrerer kognitiver Elemente die Wahrscheinlichkeit neuartiger problemrelevanter Assoziationen erhöht wird.
Im Gegensatz zur Annahme kreativitätsspezifischer kognitiver Prozesse postulierte Weisberg [
101], dass nichts weiter als gewöhnliche kognitive Prozesse an kreativen Neuschöpfungen beteiligt seien und dass Kreativität u. a. lediglich eine Folge erworbenen Wissens darstelle [
102]. Auch die
Forgetting-Fixation-Hypothese von Smith und Blankenship [
90] verzichtet auf kreativitätsspezifische kognitive Mechanismen mit dem Hinweis, dass eine Inkubationsphase eine Abkehr von der Beschäftigung mit einem unlösbaren Problem erlaubt, und so durch das Vergessen falscher Lösungswege rein passiv die Chance erhöht wird, durch alternative Wege zur Problemlösung zu gelangen. Ähnlich wurde auf die Rolle schlichten Zufalls als wesentlicher Treiber kreativer Prozesse hingewiesen, da dieser kognitive Elemente in chaotischer Weise aktiviert und miteinander assoziiert und dadurch von Zeit zu Zeit Zufallstreffer landet ([
50,
51]; vgl. [
11]).
Dem
Geneplore-Modell von Finke et al. [
34] zufolge besteht Kreativität aus einem generativen Teil, in dem potenziell gewinnbringende Ideen zusammengestellt werden, und einem explorativen bzw. evaluativen Teil, in dem das Rohmaterial untersucht, bewertet und verarbeitet wird. Das Hauptaugenmerk hierbei ist auf die mentalen Aspekte kreativer Prozesse gerichtet, etwa das Erleben plötzlicher Einsicht. Dabei kommt es infolge von unbewussten Prozessen zu einer schlagartigen Erkenntnis der richtigen Lösung für ein bestimmtes Problem [
83]. Das Geneplore-Modell weist damit Gemeinsamkeiten mit dem traditionellen Phasenmodell von Helmholtz [
46] und Wallas [
100] auf, indem es zyklisch wiederholende Phasen verschiedener kreativer Prozesse annimmt.
Einige der Widersprüche zwischen verschiedenen theoretischen Konzepten und Modellen von Kreativität lassen sich auflösen, wenn statt einer einzelnen, starren Definition ein offener Kreativitätsbegriff angenommen wird, der sich in Abhängigkeit der Forschungsfrage und dazu passender Operationalisierung auf verschiedene Weise konkretisieren lässt [
25]. Statt einer klar definierten Kreativität kann so auch von verschiedenen
Kreativitäten gesprochen werden [
92]. Paradigmatische Beispiele für solch heuristisch unterscheidbare Kreativitätskonzepte sind die bereits angesprochenen Konzepte origineller Produktivität vs. kreativer Problemeinsicht [
25]. Im Folgenden sollen beide Paradigmen der Kreativität betrachtet werden.
Neurobiologie der Kreativität
Aktuelle neurobiologische Ansätze der Kreativitätsforschung bauen zumeist auf psychologischen und kognitionswissenschaftlichen Modellen auf. So vereinigte z. B. Martindale [
63] das Konzept der flachen Assoziationshierarchien von Mednick [
68] mit der Idee defokussierter Aufmerksamkeit von Mendelsohn [
70] in seiner
Low-Arousal-Hypothese, nach der eine schwache Aktivierung mehrerer unterschiedlicher Hirnregionen die Verknüpfung weit auseinanderliegender Assoziationen im Sinne divergenten Denkens ermöglicht. Dies führte er unter anderem auf seine Beobachtungen zurück, dass hoch kreative Probanden bei der Ausführung von Kreativitätsaufgaben durch eine vergleichsweise geringe kortikale Aktivität charakterisiert waren [
65]. Martindale und Hasenfus [
64] replizierten diese Ergebnisse durch den Nachweis, dass bei kreativeren Teilnehmern während einer Inspirationsphase, in der sie sich eine Geschichte ausdenken sollten, eine geringere und variablere kortikale Aktivierung verzeichnet wurde als in der Ausarbeitungsphase, in der die Gedanken niedergeschrieben wurden. Dies konnte jedoch nur beobachtet werden, wenn die Probanden dazu angehalten wurden, bei ihrem Vorgehen so originell wie möglich zu sein. Unterstützung erfährt die Hypothese weiterhin durch eine Studie von Mölle et al. [
71], in der während der Bearbeitung von divergenten Denkaufgaben Kreativitäts- mit EEG-Komplexitätsmaßen korrelierten. Die Ergebnisse wurden als stärkere funktionale Konnektivität zwischen unterschiedlichen Hirnarealen bei kreativeren Probanden interpretiert. Zahlreiche Studien zeigen eine erhöhte EEG-Alpha-Aktivität während kreativen Denkens, was als internal orientierter Aufmerksamkeitsprozess interpretiert wurde [
33]. In diesem Zusammenhang wurde kürzlich auf die Bedeutung des
Default Mode Network hingewiesen [
4].
Neurochemisch wird neben Dopamin, das mit dem Antrieb zu kreativer Leistung in Verbindung gebracht wird [
35], v. a. eine Rolle von Noradrenalin diskutiert [
44]. So berichteten Kurup und Kurup [
56], dass Schriftsteller und Dichter verringerte Noradrenalinspiegel aufwiesen. Darüber hinaus konnten Beversdorf et al. [
6,
7] zeigen, dass Probanden nach der Einnahme des β-Adrenozeptorantagonisten Propranolol besser beim Lösen von Anagrammen abschnitten.
Basierend auf den Annahmen von Galin [
36], nach denen die rechte Hirnhemisphäre in einer primärprozesshaften Weise arbeiten würde, berichtete Martindale et al. [
66], dass kreative Probanden bei der Bearbeitung von Kreativitätstests eine höhere rechtslaterale EEG-Aktivität aufwiesen. Auch funktionelle Bildgebungsstudien zu künstlerischer Kreativität [
54] oder zu Einsichtserlebnissen unterstützen die Hypothese der Hemisphärenasymmetrie kreativen Denkens [
8,
52,
62,
105].
Dem präfrontalen Kortex wird in den meisten neurobiologischen Ansätzen zur Kreativität eine herausragende Rolle zugeschrieben [
12,
18,
31,
44,
45]. So wird z. B. rechtsseitige präfrontale Aktivität mit semantischem divergenten Denken in Verbindung gebracht [
49]. Zudem zeigt sich eine stärkere rechtsseitige präfrontale Aktivierung bei kreativen gegenüber weniger kreativen Probanden während der Bearbeitung von Kreativitätsaufgaben [
12,
54]. Aber auch linksseitige präfrontale Aktivität wird mit kreativen Kognitionen in Verbindung gebracht [
5,
32]. Eine Untersuchung an Jazzmusikern konnte hingegen eine beidseitige Deaktivierung des lateralen präfrontalen Kortex während spontaner kreativer Improvisation nachweisen [
60].
Dass sowohl hohe als auch niedrige präfrontale Aktivität mit Kreativität in Zusammenhang gebracht wird, wirkt nur auf den ersten Blick widersprüchlich: Kreative Prozesse bestehen typischerweise aus mehrere Phasen mit jeweils verschiedenen Mechanismus und Zielsetzungen [
34,
46,
100]. Ein einzelner neurobiologischer Prozess wäre mithin gar nicht als neuronales Korrelat der Kreativität schlechthin plausibel [
19,
20,
80]. Tatsächlich konnte kürzlich in einer funktionellen Bildgebungsstudie gezeigt werden, dass verschiedene Phasen der Kreativität mit unterschiedlichen präfrontalen Aktivierungsmustern einhergehen: verstärkte ventromediale präfrontale Aktivität während der Phase der Ideengeneration, hingegen verstärkte dorsolateral präfrontale Aktivität während der Phase der Ideenevaluierung [
53]. Auf Netzwerkebene wird dieser Antagonismus durch das Zusammenspiel zwischen
Default Mode Network und
Executive Control Network abgebildet [
4]. Vermeintliche Widersprüche in neurobiologischen Daten zur Kreativität können somit bei näherer Betrachtung als Bestätigung des traditionellen Phasenmodells der Kreativität interpretiert werden.
Kreativität und Schlaf
Einige der angesehensten kreativen Leistungen der menschlichen Geistesgeschichte werden anekdotisch auf eine Entstehung im Schlaf bzw. Traum zurückgeführt. Als Beispiele seien hier die Entschlüsselung der Inschrift des Steins von Nebukadnezar durch Hilprecht, die Erfindung der Nähmaschine durch Howe, die Erstellung des Periodensystems durch Mendelejew, die Dichtung von „Kubla Kahn“ durch Coleridge oder die Komposition der „Teufelstrillersonate“ durch Tartini, genannt [
3,
17,
23,
24,
67].
Eine Reihe systematischer Studien bestätigt diese anekdotische historische Evidenz. So konnten Wagner et al. [
98] demonstrieren, dass doppelt so viele Testteilnehmer nach einem 8-stündigen Schlaf eine versteckte, abkürzende Regelhaftigkeit in einer gestellten Aufgabe entdeckten als die Kontrollgruppe, die nicht schlafen durfte, sodass die Autoren daraus folgerten, dass Schlafen das Erlangen von Einsicht in eine Problemlösung zu fördern scheint. Auch für die Übertragung einer bekannten Problemlösung auf ein neues, aber analoges, Problem hat sich Schlaf als förderlich erwiesen [
72]. Sio et al. [
88] fanden anhand eines
Remote Associate Task Hinweise, dass der Schlaf v. a. für die Lösung schwieriger Fragestellungen hilfreich sei. Dies stimmt mit einer neueren Studie der Autoren überein, nach der einfache Probleme durch fokussierte und schwierige Probleme durch defokussierte Aufmerksamkeit profitieren [
89]. Dass tatsächlich aktive Inkubationsprozesse im Schlaf kreativitätsfördernd wirken, konnten Ritter et al. [
78] zeigen: Wurden Probanden bei der Bearbeitung der Versuchsaufgaben einem Duft ausgesetzt und dieser auch anschließend im Schlafen appliziert, waren sie nicht nur kreativer in ihren Lösungsansätzen der vor dem Schlafen gestellten Aufgabe, sondern auch besser darin, ihre kreativste Idee zu selektieren. Die Autoren folgerten daraus, dass die mit dem Duft assoziierte Aufgabenstellung im Schlaf reaktiviert und dadurch potenzielle Problemlösungen inkubiert wurden. Aber auch unabhängig von Inkubationsprozessen fördert Schlaf Kreativität insofern, als nach einer Nacht Schlafentzug Flexibilität und Originalität bei Kreativitätsaufgaben beeinträchtigt sind [
48].
Kreativität und Schlaf-EEG
Einige Studien haben versucht, Kreativität mit spezifischen Schlafstadien oder EEG-Mikroprozessen in Verbindung zu bringen. Cai et al. [
10] zeigten in einer Mittagsschlafstudie, dass insbesondere REM-Schlaf – im Vergleich zu NREM-Schlaf oder Wachphasen – kreativitätsfördernd wirkt, sofern entsprechende Aufgaben vor dem Schlaf gestellt und nach dem Schlaf bearbeitet wurden. Nach Weckungen aus dem REM-Schlaf im Vergleich zu NREM-Weckungen schnitten Probanden besser beim Lösen von Anagrammen ab [
99] und waren zu weitreichenderen Assoziationen fähig [
91]. Die Unterdrückung von REM-Schlaf wirkte sich zudem negativ auf die Produktion kreativer Antworten aus [
41,
58]. Darüber hinaus führen Aufgaben, die divergentes Denken anregen, zu einem erhöhten Anteil an REM-Schlaf im folgenden Nachtschlaf [
57].
Yordanova et al. [
104] hingegen identifizierten EEG-Alphaaktivität während des Tiefschlafs als Marker für den schlafinduzierten Übergang von implizitem Wissen in explizite Einsicht. Dabei war ebenfalls eine erhöhte β-Aktivität im Tiefschlaf zu beobachten, wenn die Probanden nach dem Schlafen Einsicht erlangten, unabhängig davon, was sich vor dem Schlafen ereignete [
105]. Auch Drago et al. [
22] fanden Zusammenhänge wischen Kreativität und NREM-Schlaf, konkret mit zyklisch alternierenden Arousalmustern (CAP). So bestand eine positive Korrelation zwischen CAP, v. a. des Subtyps A1, und der Originalität der Probanden. Die Generation des Subtyps A1 wird v. a. im Frontalkortex verortet [
30]. REM-Schlaf hingegen korrelierte in dieser Studie negativ mit der Originalität. Weiterhin wies sowohl das Schlafstadium 1 mit der Flexibilität und Ideenflüssigkeit, als auch das Schlafstadium 4 mit der Originalität und der figuralen Kreativität eine positive Korrelation auf [
22].
Die wenigen Studien zum Zusammenhang zwischen Kreativität und Elektrophysiologie des Schlafs kommen mithin zu uneinheitlichen Ergebnissen – zwar können REM-Schlafprozesse als theoretisch und empirisch naheliegendste Mechanismen einer kreativitätsförderlichen Wirkung des Schlafs betrachtet werden, gegenteilige Befunde und kreativitätsförderliche Aspekte des NREM-Schlafs machen die Situation jedoch unübersichtlich. Welche Schlafstadien und Schlaf-EEG-Mikroprozesse in welcher Weise welche kreativen Prozesse fördern, wird eine der wesentlichen Aufgaben zukünftiger Forschung in diesem Bereich sein. Auf derzeitigem Forschungsstand kann nur spekuliert werden, dass Prozesse der Gedächtnisintegration und -reorganisation im Schlaf eine wesentliche Rolle dabei spielen werden. Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Forschung zu Gedächtnisschemata könnten hierbei neue Forschungswege eröffnen: Als Gedächtnisschemata werden vorhandene Wissensstrukturen verstanden, in die neue, jedoch semantisch verwandte Informationen integriert werden und dadurch schneller erlernt und konsolidiert werden können. Kreative Einsichten können in diesem Zusammenhang als Erkenntnis bzw. Vervollständigung eines problemrelevanten Schemas verstanden werden. Neurobiologisch gelten Gedächtnisschemata als wesentlich durch den ventromedialen Präfrontalkortex vermittelt [
97], also einer Hirnstruktur, die sowohl während der Ideengeneration [
53] als auch im REM-Schlaf [
9] starke Aktivierung aufweist. Es wird weiterhin diskutiert, inwiefern Gedächtnisschemata im Schlaf aufgebaut werden [
59] und ihre konsolidierungsfördernde Wirkung insbesondere im REM-Schlaf vermitteln [
29].
Kreativität und Traum
Neben der physiologischen Ebene bestätigen auch zahlreiche Studien zum Träumen einen Zusammenhang zwischen Schlaf und Kreativität. Phänomenologisch sind Träume durch kognitive Ablenkbarkeit, gelockerte Assoziationen und eine ungewöhnliche, häufig bizarre, Folge von Bildern und Handlungen gekennzeichnet und weisen somit die in kognitiven Modellen beschriebenen Kreativitätsvoraussetzungen auf: Flache Assoziationshierarchien [
68] und defokussierte Aufmerksamkeit [
70], die zu originellen Verbindungen weit auseinanderliegender kognitiver Elemente führen. Um die Frage zu klären, inwieweit Träume das kreative Leben von Menschen beeinflussen, führten Schredl und Erlacher [
85] eine Befragung von 1080 Teilnehmern durch. 8 % aller Träume wirkten sich danach auf die Kreativität der Betreffenden aus, wobei Probanden mit größerem Interesse am Gebrauch traumhafter Elemente auch eine größere alltägliche Beeinflussung durch Träume aufwiesen [
74]. Kreative Individuen können sich nicht nur häufiger an ihre Träume erinnern [
84], ihre Träume sind auch ideenreicher [
82], einzigartiger und komplexer [
96] sowie vermehrt von primärprozesshaftem Denken geprägt [
21,
40]. Kritisiert wurden Berichte über den Zusammenhang zwischen Trauminhalten und Kreativität jedoch mit dem Hinweis auf verschiedene Traumlängen, die möglicherweise Artefakte in den Befunden erzeugen [
61,
81,
101].
Um Träume aktiv für kreative Zwecke einsetzen zu können, existieren zahlreiche Ratschläge, wie das Traumgeschehen aktiv moduliert und genutzt werden kann [
16,
37]. So empfahl Delaney [
16] bspw. einen Traum zu inkubieren, indem man sich bewusst mit einer Frage, deren Beantwortung man wünscht, schlafen legt, um Anregungen diesbezüglich zu erhalten. In einem direkten Vergleich dieser Technik mit einer Entspannungsübung konnten White und Taytroe [
103] aufzeigen, dass die Teilnehmer sich weniger gestresst fühlten und bezüglich der Problemlösung Fortschritte machten. Dabei scheinen Probleme persönlicher Natur eher einer Bewältigung zugänglich zu sein als akademische oder generelle Herausforderungen [
2]. Auch hypnotisch induzierte Träume zur Überwindung kreativer Blockaden wurden als kreativitätsförderlich berichtet [
15]. Besonders effektiv könnten Ansätze sein, luzide Träume zur kreativen Inkubation einzusetzen: Die Verbindung aus gelockerter Assoziativität des Traumzustands mit erhaltender kognitiver Kontrolle und Kritikfähigkeit erlaubt neben einer gezielten Ideengenerierung auch eine umgehende Ideenbewertung während des luziden Traums [
95].
Fazit
Verschiedene empirische Studien bestätigen eine weitgehend anekdotische historische Evidenz, nach der Schlaf kreative Leistungen unterstützt. Bereits das klassische Phasenmodell von Wallas [
100] und Helmholtz [
46] beschrieb eine Inkubationsphase als wesentlichen Teil kreativer Arbeit. Die kreativitätsfördernde Wirkung des Schlafs in diesem Sinne kann dabei auf unterschiedliche Weise gedeutet werden: Eher passiv orientierte Ansätze betonen die radikale Abkehr von der bewussten Beschäftigung mit einem unlösbaren Problem im Schlaf, wodurch falsche Lösungswege aus dem Aufmerksamkeitsfokus rücken und so das Verfolgen alternativer Lösungsversuche ermöglicht wird. Andere Ansätze hingegen gehen von aktiven kognitiven Prozessen im Schlaf aus, die unbewusst arbeiten und deren Ergebnis als plötzliche Einsicht zu Tage tritt [
94]. Dazwischen liegen Ansätze, die auf flache Assoziationshierarchien, defokussierte Aufmerksamkeit, und Zufallsprozesse verweisen, nach denen Schlaf und Traum semantisch weit auseinanderliegende kognitive Elemente in chaotischer Weise aktivieren und miteinander assoziieren und dadurch von Zeit zu Zeit problemrelevante ‚Zufallstreffer’ landen ([
11,
50,
51,
68,
70]).
Nach neurobiologischen Ansätzen wie der
Low-Arousal-Hypothese [
63] entsteht Kreativität in einem Zustand unfokussierter Aufmerksamkeit, etwa aufgrund verringerter präfrontaler Aktivierung und noradrenerger Demodulation. Dies ermöglicht während des Schaffensprozesses eine gleichzeitige Repräsentation vieler unterschiedlicher Assoziationen, die dann zu kreativen Kognitionen neu verknüpft werden können. Ideale Voraussetzungen dafür bietet im Leicht- und Tiefschlaf ein niedriges kortikales Arousal und im REM-Schlaf neben einer niedrigen noradrenergen Transmission v. a. die chaotische Aktivierung des Kortex durch den Hirnstamm und die fehlende Inhibierung und Kontrolle der dadurch aktivierten Kognitionen durch die niedrige Aktivität des präfrontalen Kortex [
47]. Aufgrund des fehlenden stetigen sensorischen Inputs durch die Außenwelt können die REM-Schlaf-bedingten Zufallsaktivierungen, relativ aktuelle Erlebnisse und Probleme sowie ältere Gedächtnisinhalte ungestört miteinander verglichen und integriert werden [
42,
75], wodurch die Wahrscheinlichkeit einer kreativen Kombination von neuen Ideen mit problemrelevantem Vorwissen steigt. Die Kombination aus deaktiviertem dorsolateralen und aktiviertem ventromedialen präfrontalen Kortex während des REM-Schlafs [
9] erlaubt dabei eine disinhibierte Ideengeneration [
53,
60]. Zum Bewusstwerden und Bewerten solcher kreativer Kombinationen ist dann jedoch wieder die Aktivierung des präfrontalen Kortex notwendig [
53] – wofür die zahlreichen kurzen Wachphasen, insbesondere beim Schlafphasenwechsel, eine Möglichkeit bieten, was im Falle luzider Träume jedoch bereits im Schlaf möglich sein könnte [
26,
28,
95].
Die alltäglich wiederkehrenden Zustände des Schlafens und Träumens bieten mithin ein ideales neurobiologisches Milieu, um die Funktion einer erfolgreichen Inkubationsphase kreativer Ideen und Leistungen zu erfüllen. Die hier beschriebenen neurobiologischen Zusammenhänge zwischen Kreativität und Schlaf sind intuitiv plausibel, beruhen jedoch größtenteils auf jeweils eigenständigen Studien innerhalb der Kreativitäts- und Schlafforschung. Ihre Verbindung ist mithin noch weitgehend spekulativ. Die kognitive Neurowissenschaft des Schlafs hat in den vergangenen Jahren weitreichende und faszinierende Fortschritte in der Erforschung der neuronalen Mechanismen der Konsolidierung und Integration neuer Informationen gemacht [
38,
76]. Nicht zuletzt legt die wesentliche Bedeutung kreativer Leistungen für die Wissenschaft und für moderne Wissensgesellschaften im Allgemeinen nahe, dass eine systematische Erforschung der, mit kreativer Inkubation verbundenen, Reorganisation von Wissensstrukturen im Schlaf sich zu einem ähnlich vielversprechenden Feld entwickeln könnte.
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