Erschienen in:
23.12.2014 | Leitlinie
Leitlinie zur (allergen-)spezifischen Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen
S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA), des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (AeDA), der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI), der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI), der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG), der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie (DGHNO-KHC), der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), der Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (GPP), der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), des Deutschen Berufsverbandes der HNO-Ärzte (BV-HNO), des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), des Bundesverbandes der Pneumologen (BDP) und des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen (BVDD)
verfasst von:
Prof. Dr. Oliver Pfaar, Claus Bachert, Albrecht Bufe, Roland Buhl, Christof Ebner, Peter Eng, Frank Friedrichs, Thomas Fuchs, Eckard Hamelmann, Doris Hartwig-Bade, Thomas Hering, Isidor Huttegger, Isidor Huttegger, Kirsten Jung, Ludger Klimek, Matthias Volkmar Kopp, Hans Merk, Uta Rabe, Joachim Saloga, Peter Schmid-Grendelmeier, Antje Schuster, Nicolaus Schwerk, Helmut Sitter, Ulrich Umpfenbach, Bettina Wedi, Stefan Wöhrl, Margitta Worm, Jörg Kleine-Tebbe, Susanne Kaul, Anja Schwalfenberg
Erschienen in:
Allergo Journal
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Ausgabe 8/2014
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Zusammenfassung
Die vorliegende Leitlinie (LL) (S2k) zur (allergen-)spezifischen Immuntherapie (SIT) wurde von den deutschen, österreichischen und schweizerischen allergologischen Fachverbänden im Konsens mit den wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Berufsverbänden für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Kinder- und Jugendmedizin, Pneumologie sowie einer deutschen Allergikerselbsthilfeorganisation (Deutscher Allergie- und Asthmabund [DAAB]) nach Kriterien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erarbeitet.
Die SIT ist eine kausale immunmodulierende Therapie. Durch die Gabe von Allergenextrakten werden spezifische blockierende Antikörper, toleranzinduzierende Zellen und Botenstoffe aktiviert, die eine weitere Verstärkung der durch Allergene ausgelösten Immunantwort verhindern, die spezifische Immunantwort blockieren und die Entzündungsreaktion im Gewebe dämpfen.
Produkte zur subkutanen Immuntherapie (SCIT) oder sublingualen Immuntherapie (SLIT) sind aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung derzeit nicht vergleichbar. Desgleichen sind die angegebenen Allergenkonzentrationen unterschiedlicher Hersteller aufgrund unterschiedlicher Methoden zur Messung der wirksamen Inhaltsstoffe zurzeit nicht vergleichbar. Zur SCIT werden nicht modifizierte Allergene als wässrige oder physikalisch gekoppelte (Semidepot-)Extrakte sowie chemisch modifizierte Extrakte (Allergoide) als Semidepotextrakte eingesetzt. Die Allergenextrakte zur SLIT werden als wässrige Lösungen oder Tabletten angewandt.
Die klinische Wirksamkeit einer SIT wird mithilfe verschiedener Scores als primärer und sekundärer Zielparameter erfasst. Die European Medicines Agency (EMA) sieht für den primären Zielparameter einen kombinierten Symptom- und Medikationsscore vor. Für eine Vergleichbarkeit verschiedener Studienergebnisse ist zukünftig eine Harmonisierung der Auswertescores, z. B. durch den von der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI) empfohlenen kombinierten Symptom- und Medikationsscore (CSMS), erstrebenswert. Die aktuellen CONSORT(„consolidated standards of reporting trials“)-Empfehlungen der ARIA/GA2LEN-Gruppe geben Standards für die Auswertung, Darstellung und Veröffentlichung von Studienergebnissen vor.
Präparate, die häufige Allergenquellen enthalten (Pollen der Süßgräser oder von Birke, Erle und Hasel, Hausstaubmilben, Bienen- und Wespengift), bedürfen in Deutschland aufgrund der Therapieallergene-Verordnung (TAV) in jedem Fall der Zulassung. Im Zulassungsverfahren werden diese auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit überprüft. Aus Sicht der Autoren sollten zugelassene Allergenpräparate mit dokumentierter Wirksamkeit und Sicherheit oder im Rahmen der TAV verkehrsfähige Präparate, die bereits in klinischen Studien nach World-Allergy-Organization(WAO)- oder EMA-Standards eine Wirksamkeit und Sicherheit dokumentiert haben, bevorzugt eingesetzt werden. Individualrezepturen dienen der Verordnung seltener Allergenquellen (z. B. Pollen von Esche, Beifuß oder Ambrosia, Schimmelpilz Alternaria, Tierallergene) zur SIT. Sie können nicht mit den TAV-Allergenen gemischt werden.
Die allergische Rhinitis und ihre Folgeerkrankungen (wie Asthma bronchiale) verursachen volkswirtschaftlich enorme direkte und indirekte Kosten. Entsprechend werden die Therapieoptionen, insbesondere der SIT, sozioökonomisch anhand von Kosten-Nutzen- und Kosten-Effektivitäts-Analysen beurteilt. Die SIT ist auf längere Dauer betrachtet im Vergleich zur Pharmakotherapie bei allergischer Rhinitis und allergischem Asthma deutlich kosteneffektiver — ein Effekt, der stark von der Compliance der Patienten beeinflusst wird.
Metaanalysen belegen eindeutig die Wirksamkeit von SCIT und SLIT für bestimmte Allergene und Altersgruppen. Die Daten der kontrollierten Studien unterscheiden sich hinsichtlich ihres Umfangs, ihrer Qualität und Dosierungsschemata und erfordern eine produktspezifische Bewertung. Es empfiehlt sich daher die Beurteilung der Einzelpräparate nach klar definierten Kriterien. Eine verallgemeinernde Übertragung der Wirksamkeit von Einzelpräparaten auf alle Präparate einer Applikationsform verbietet sich. Auf der Internetseite der DGAKI (
www.dgaki.de/Leitlinien/s2k-Leitlinie-sit) finden sich Tabellen mit einer präparatespezifischen Darstellung der in Deutschland sowie in der Schweiz und Österreich auf dem Markt befindlichen SIT-Produkte. Die Tabelle listet Studien für Erwachsene und Kinder auf, das Jahr der Zulassung, den zugrunde gelegten Score, die Anzahl der randomisierten und ausgewerteten Patienten, und das Auswertungsverfahren (ITT, FAS, PP) für Gräser- und Birkenpollen- sowie Hausstaubmilbenallergene sowie den Genehmigungsstatus für die Durchführung klinischer Studien.
Die Wirksamkeit der SCIT ist bei der allergischen Rhinokonjunktivitis bei Pollenallergie im Erwachsenenalter durch zahlreiche Studien sehr gut und im Kindes- und Jugendalter durch wenige Studien belegt. Bei Hausstaubmilbenallergie im Erwachsenenalter ist die Wirksamkeit durch einige und im Kindesalter durch wenige kontrollierte Studien belegt. Bei Schimmelpilzallergie (insbesondere Alternaria) liegen unabhängig vom Alter nur wenige kontrollierte Studien vor. Bei einer Tierallergie (in erster Linie auf Katzenallergene) finden sich nur kleine Studien mit teilweise methodischen Mängeln. Zur Wirksamkeit bei atopischer Dermatitis zeigte sich bisher nur ein moderater und uneinheitlicher Therapieeffekt bei einer hohen Heterogenität der durchgeführten Studien. Bei kontrolliertem Asthma bronchiale (Global Initiative for Asthma [GINA] 2007) bzw. bei intermittierendem und geringgradig persistierendem Asthma (GINA 2005) ist die SCIT für einzelne Präparate gut untersucht und als Therapieoption neben Allergenkarenz und Pharmakotherapie empfehlenswert, sofern ein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen respiratorischen Symptomen und entsprechendem Allergen besteht.
Die Wirksamkeit der SLIT ist bei der allergischen Rhinokonjunktivitis durch eine Gräserpollenallergie bei Erwachsenen und Kindern sehr gut und bei Baumpollenallergie bei Erwachsenen gut belegt. Bei der Hausstaubmilbenallergie belegen neue kontrollierte Studien mit teilweise hohen Patientenzahlen die Wirksamkeit der SLIT bei Erwachsenen. Im Vergleich zur allergischen Rhinokonjunktivitis finden sich nur begrenzt Studien zur Wirksamkeit der SLIT bei allergischem Asthma. Dabei zeigen neuere Studien eine Wirksamkeit auf die Asthmasymptome in der Subgruppe gräserpollenallergischer Kinder, Jugendlicher und Erwachsener mit Asthma und eine Wirksamkeit der SLIT bei primär hausstaubmilbenallergischem Asthma bei Jugendlichen ab einem Alter von 14 Jahren und bei Erwachsenen.
Sekundärpräventive Aspekte, insbesondere die Reduktion von Neusensibilisierungen und ein vermindertes Asthmarisiko, sind wichtige Gründe, den Therapiebeginn im Kindes- und Jugendalter früh zu wählen. Dabei sollten solche Produkte berücksichtigt werden, für die entsprechende Effekte gezeigt worden sind.
Bei Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis kann eine SCIT oder SLIT mit Pollen- oder Milbenallergenextrakten durchgeführt werden, deren Wirksamkeit in mindestens einer doppelblind placebokontrollierten Studie gezeigt wurde. Derzeit erfolgen klinische Studien in den Indikationen Asthma und Hausstaubmilbenallergie, deren Ergebnisse teilweise publiziert sind bzw. noch ausstehen (vgl. DGAKI-Tabelle „Genehmigte/evtl. abgeschlossene Studien“ via
www.dgaki.de/Leitlinien/s2k-Leitlinie-sit (nach
www.clinicaltrialsregister.eu)).
Bei der Indikationsstellung sind Faktoren, die die klinische Wirksamkeit erhöhen, zu beachten. Unterschiede zwischen SCIT und SLIT sind in erster Linie bei den Kontraindikationen zu berücksichtigen. Auch bei Vorliegen von Kontraindikationen kann im begründeten Einzelfall eine Indikation zur SIT vorliegen.
Die Injektionen zur SCIT sowie die Einleitung der SLIT werden von einem Arzt durchgeführt, der mit dieser Therapieform Erfahrung hat und bei einem allergologischen Zwischenfall zur Notfallbehandlung befähigt ist. Eine vorherige Aufklärung mit Dokumentation ist erforderlich („Therapieinformationsblatt“, Abb. 5, Abb. 6; als Handout auch via
www.dgaki.de/Leitlinien/s2k-Leitlinie-sit). Die Therapie sollte entsprechend der Fach- und Gebrauchsinformation des Herstellers durchgeführt werden. Sofern die SIT nach der Indikationsstellung von einem anderen Arzt durch- oder weitergeführt wird, ist eine enge Zusammenarbeit erforderlich, um eine konsequente Umsetzung und risikoarme Durchführung der Therapie sicherzustellen.
Generell wird die Durchführung sowohl der SCIT als auch der SLIT nur mit Präparaten empfohlen, für welche ein entsprechender Nachweis der klinischen Wirksamkeit aus entsprechenden Studien vorliegt.
Die Therapieadhärenz der SIT-Patienten ist unabhängig von der Applikationsform niedriger als von ärztlicher Seite angenommen wird; sie ist allerdings für den Therapieerfolg von entscheidender Bedeutung. Die Verbesserung der Adhärenz in der SIT ist eine der wichtigsten Aufgaben in der Zukunft, um eine kausale Wirksamkeit der Therapie zu gewährleisten.
Das Auftreten schwerer, potenziell lebensbedrohlicher systemischer Reaktionen bei der SCIT ist möglich, aber bei Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen sehr selten. Die meisten unerwünschten Reaktionen sind leicht bis mittelschwer und lassen sich gut behandeln. Dosisabhängige unerwünschte lokale Symptome im Mund- und Rachenraum treten häufig bei der SLIT auf. Systemische Reaktionen hingegen sind zwar beschrieben, kommen aber deutlich seltener vor als bei der SCIT. Die SLIT zeigt im Hinblick auf anaphylaktische und andere schwere systemische Reaktionen ein besseres Sicherheitsprofil als die SCIT.
Das Risiko und die Folgen unerwünschter systemischer Reaktionen im Rahmen einer SIT können durch Schulung des Personals, Beachtung der Sicherheitsstandards und rasche Anwendung von Notfallmaßnahmen — einschließlich der frühzeitigen Adrenalin-i.m.-Gabe — wirksam vermindert werden. Details der Akuttherapie und des Managements anaphylaktischer Reaktionen finden sich in der aktuellen Anaphylaxie-S2-Leitlinie der AWMF.
Die SIT zeigt in vielen Bereichen (z. B. Allergencharakterisierung, neue Applikationswege, Adjuvanzien, schnellere und sichere Aufdosierung) einige innovative Entwicklungen, die teilweise bereits auf ihre klinische Wirksamkeit untersucht werden.
Zitierweise: Pfaar O, Bachert C, Bufe A, Buhl R, Ebner C, Eng P, Friedrichs F, Fuchs T, Hamelmann E, Hartwig-Bade D, Hering T, Huttegger I, Jung K, Klimek L, Kopp MV, Merk H, Rabe U, Saloga J, Schmid-Grendelmeier P, Schuster A, Schwerk N, Sitter H, Umpfenbach U, Wedi B, Wöhrl S, Worm M, Kleine-Tebbe J. Guideline on allergen-specific immunotherapy in IgE-mediated allergic diseases — S2k Guideline of the German Society for Allergology and Clinical Immunology (DGAKI), the Society for Pediatric Allergy and Environmental Medicine (GPA), the Medical Association of German Allergologists (AeDA), the Austrian Society for Allergy and Immunology (ÖGAI), the Swiss Society for Allergy and Immunology (SGAI), the German Society of Dermatology (DDG), the German Society of Oto-Rhino-Laryngology, Head and Neck Surgery (DGHNO-KHC), the German Society of Pediatrics and Adolescent Medicine (DGKJ), the Society for Pediatric Pneumology (GPP), the German Respiratory Society (DGP), the German Association of ENT Surgeons (BV-HNO), the Professional Federation of Paediatricians and Youth Doctors (BVKJ), the Federal Association of Pulmonologists (BDP) and the German Dermatologists Association (BVDD). Allergo J Int 2014;23: 282–319 DOI: 10.1007/s40629-014-0032-2