Ösophagus- und Magenkarzinome – im Lockdown unentdeckt und unbehandelt?

Die COVID-19-Pandemie hat die Gesundheitsversorgung auf der ganzen Welt erschüttert. In einer registerbasierten Studie haben Jeanne Bakx et al. analysiert, welchen Einfluss die Pandemie auf die Diagnose und Behandlung von Speiseröhren- und Magenkrebs in den Niederlanden hatte. [1] mi-viri | iStock × Das Wichtigste in Kürze Im Jahr 2020 hatte die COVID-19-Pandemie einen starken Einfluss auf die Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen weltweit. Die Auswertung von Krebsregisterdaten in den Niederlanden ergab einen deutlichen Rückgang der Diagnosen von Ösophagus- und Magenkarzinomen in den Monaten März und April 2020. Der Prozentsatz der Patientinnen und Patienten, bei denen ein unheilbares Stadium dieser Krankheiten diagnostiziert wurde, stieg im Jahr 2020 an. Bei Betroffenen mit potenziell heilbarem Ösophaguskarzinom wurden im Jahr 2020 weniger Resektionen durchgeführt und es gab im Schnitt eine größere Latenz zwischen Diagnose und Behandlung. Coronaeffekt in der onkologischen Versorgung Seit Beginn der COVID-19-Pandemie müssen die Ressourcen des Gesundheitswesens umverteilt und zum Teil neu organisiert werden. Davon ist auch die medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten mit anderen Erkrankungen als COVID-19 betroffen. So wurde im ersten Zeitraum der Pandemie – sowohl in Deutschland [2] als auch weltweit [3] – ein deutlicher Rückgang der Krebsdiagnosen beobachtet. Nach Angaben der Deutschen Krebshilfe sind außerdem allein in der ersten Coronawelle bis Mitte Juni 2020 50.000 Krebsoperationen ausgefallen. [4] Vergleich der Krebsdiagnosen vor und während der Pandemie Gilt dieser allgemeine Trend in Bezug auf Krebsdiagnosen auch speziell für den Bereich der gastrointestinalen Tumoren? Dieser Frage wollten Jeanne Bakx et al. mit einer registerbasierten Studie auf den Grund gehen und herausfinden, welchen Einfluss COVID-19 im Jahr 2020 auf die Diagnose, das Stadium und die Behandlung von Ösophagus- und Magenkarzinomen in den Niederlanden hatte. [1] Sie vermuteten, dass pandemiebedingte Ressourcenengpässe dazu geführt haben könnten, dass die Erkrankungen häufiger erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert wurden als in den vorherigen Jahren. Gleichzeitig könnten aufgrund der Mehrbelastung Behandlungen verschoben oder verändert worden sein, so die These der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. In die Auswertung eingeschlossen wurden Patientinnen und Patienten, bei denen zwischen Januar 2017 und Dezember 2020 ein Ösophaguskarzinom (EC) oder ein Magenkarzinom (GC) diagnostiziert wurde. Die Daten stammen aus dem landesweiten niederländischen Krebsregister. Die während dem Aufkommen der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 diagnostizierte Kohorte bestand aus 2.388 EC-Patientinnen und -Patienten und aus 1.429 GC-Patientinnen und -Patienten. Diese wurden je nach Zeitpunkt der Diagnose einem von 5 Zeiträumen zugeordnet, die jeweils einem anderen Schweregrad der COVID-19-Pandemie in den Niederlanden entsprachen: Zeitraum 1: Woche 1–8 Zeitraum 2: Woche 9–12 Zeitraum 3: Woche 13–17 Zeitraum 4: Woche 18–26 Zeitraum 5: Woche 27–53 Das Krebsstadium und die Behandlung der im Jahr 2020 diagnostizierten Patientinnen und Patienten wurden dann mit dem Stadium und der Behandlung von Betroffenen verglichen, die im gleichen Zeitraum in den Jahren 2017 bis 2019 diagnostiziert worden waren. Die Anzahl der Diagnosen, die Art der Behandlung, die Zeit bis zum Beginn der Behandlung und – im Falle einer neoadjuvanten Therapie – die Zeit zwischen Chemotherapie und Resektion wurden für EC und GC getrennt ausgewertet. Weniger Diagnosen während der ersten Welle Während der ersten COVID-19-Welle zeigte sich in den Niederlanden ein deutlicher Einfluss des Pandemiegeschehens auf die Diagnosestellung. Es war ein starker Rückgang der Diagnosen zu verzeichnen, und zwar sowohl für Ösophagus- als auch für Magenkarzinome. Dieser Trend war in den Monaten März und April 2020 (Zeitraum 2 und 3) am deutlichsten. Über das gesamte Jahr 2020 betrachtet, ging die Anzahl der EC-Diagnosen im Vergleich zu den Vorjahren um 5,2 % zurück (n = 2.522; p = 0,027), während die Anzahl der GC-Diagnosen stabil blieb (n = 1.442; p = 0,270). In den Wochen nach dem ersten bestätigten COVID-19-Fall in den Niederlanden und vor dem landesweiten Lockdown (Zeitraum 2) stieg der Prozentsatz der Patientinnen und Patienten, bei denen ein unheilbares Stadium der Krankheit diagnostiziert wurde, bei GC von 52,5 % auf 67,7 % (p = 0,011), während der Anstieg bei EC nicht signifikant war (33,0 % auf 40,8 %, p = 0,092). Weniger Resektionen bei EC Neben dem Einfluss von COVID-19 auf die Diagnosestellung analysierten Jeanne Bakx et al. auch, inwiefern sich die Behandlung der EC- und GC-Patientinnen und -Patienten veränderte. Die Standardtherapie bei potenziell resektablen Magen- oder Ösophaguskarzinomen ist die chirurgische Resektion des Tumors. Unterstützend oder als neoadjuvante Behandlung kommen Chemotherapie (CT) alleine oder in Kombination mit Bestrahlung (Radiochemotherapie, CRT) zum Einsatz. [5] Patientinnen und Patienten mit potenziell heilbarem EC erhielten im Jahr 2020 seltener eine neoadjuvante Chemoradiotherapie (nCRT) mit Resektion (p < 0,001) und häufiger eine nCRT ohne operativen Eingriff (p < 0,001) als in den Vorjahren. Diese Veränderung war am deutlichsten bei Patientinnen und Patienten, die in den Zeiträumen 3, 4 und 5 diagnostiziert wurden. Bei Patientinnen und Patienten mit unheilbarem EC wurden während der Pandemie keine wesentlichen Änderungen der üblichen Behandlungsmuster festgestellt. Die medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten mit unheilbarem oder potenziell heilbarem GC war gegenüber der Prä-COVID-Ära ebenfalls unverändert. Wie lange dauerte es von der Diagnose bis zur Behandlung? Die Zeit zwischen der Diagnose und der Behandlung verringerte sich bei allen GC-Patientinnen und -Patienten und bei potenziell heilbaren EC-Patientinnen und -Patienten. Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass diese Beobachtung auf ein „Gefühl der Dringlichkeit“ zurückzuführen sein könnte, da zu dem Zeitpunkt nicht bekannt war, wie sich COVID-19 in Zukunft auf die onkologische Versorgung auswirken würde. Dagegen verlängerte sich die Zeit, die bei Patientinnen und Patienten mit potenziell heilbarem EC zwischen neoadjuvanter CRT und Resektion lag, im Jahr 2020 deutlich. Es ist jedoch laut Bakx et al. unklar, ob dies auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist oder auf eine in den Niederlanden laufende Studie, bei der nach einer Chemoradiotherapie von Magen- oder Speiseröhrenkrebs die Strategie des abwartenden Beobachtens (Watchful Waiting) praktiziert wird. Fazit Die Studie von Bakx et al. zeigt, dass die COVID-19-Pandemie die Diagnose und Behandlung von Ösophagus- und Magenkarzinomen auf unterschiedliche Weise beeinflusste. Die Gesamtzahl der EC-Diagnosen ging im Jahr 2020 signifikant zurück. Bei Patientinnen und Patienten mit potenziell heilbarem EC führte die Pandemie zu einer veränderten Behandlungsmodalität – es wurden weniger Resektionen durchgeführt. Für GC-Patientinnen und -Patienten wurden dagegen keine wesentlichen Änderungen bei der Anzahl der Diagnosen und den Behandlungsmethoden während der COVID-19-Pandemie festgestellt. Ähnliche Auswertungen wurden auch in anderen Ländern durchgeführt, z. B. in Japan. Die Ergebnisse zweier Studien deuteten dort ebenfalls darauf hin, dass während der COVID-19-Pandemie weniger Fälle von gastrointestinalen Tumoren entdeckt und diese möglicherweise erst in einem fortgeschritteneren Stadium diagnostiziert wurden. [6,7] PP-RB-DE-1972 » Zum Impressum von Lilly Deutschland GmbH Fachinformation Cyramza® Literatur [1] Bakx JD et al. The impact of COVID-19 on diagnosis, stage and treatment of esophageal and gastric cancer. Ann Oncol. 2022;33:239; unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9250150/ (abgerufen am 08.11.2022) [2] Jacob L et al. Impact of the COVID-19 Pandemic on Cancer Diagnoses in General and Specialized Practices in Germany. Cancers (Basel) 2021;13; unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/33499223 (abgerufen am 08.11.22). [3] Onesti CE et al. Expected Medium- and Long-Term Impact of the COVID-19 Outbreak in Oncology. JCO Glob Oncol 2021;7:162–172; unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/33529077 (abgerufen am 08.11.2022). [4] dpa. Krebshilfe: 50 000 Krebsoperationen wegen Corona ausgefallen (dpa:200714-99-782321/3, 14.7. 2020); unter: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-50-000-krebsoperationen-wegen-corona-ausgefallen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200714-99-782321 (abgerufen am 08.11.2022). [5] Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF) (Hrsg.). S3-Leitlinie Magenkarzinom. Diagnostik und Therapie der Adenokarzinome des Magens und ösophagogastralen Übergangs. Langversion 2.0, 2019, AWMF-Registernummer: 032/009OL; unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/032-009l_S3_Magenkarzinom_Diagnostik_Therapie_Adenokarzinome_oesophagogastraler_Uebergang_2019-12.pdf (abgerufen am 08.11.2022). [6] Kuzuu K et al. Gastrointestinal Cancer Stage at Diagnosis Before and During the COVID-19 Pandemic in Japan. JAMA Netw Open 2021;4:e2126334; unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/34546368 (abgerufen am 08.11.2022). [7] Kajiwara Saito M et al. Diagnosis and treatment of digestive cancers during COVID-19 in Japan: A Cancer Registry-based Study on the Impact of COVID-19 on Cancer Care in Osaka (CanReCO). PLoS One 2022;17:e0274918; unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/36126088 (abgerufen am 08.11.2022).

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