Erschienen in:
01.01.2016 | Leitthema
Gewalt durch psychisch Kranke und gegen psychisch Kranke
verfasst von:
Prof. Dr. med. Tilman Steinert, Dr. biol.hum. Hans-Joachim Traub
Erschienen in:
Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz
|
Ausgabe 1/2016
Einloggen, um Zugang zu erhalten
Zusammenfassung
Ein erhöhtes Risiko für Gewaltdelikte bei Menschen mit psychotischen Erkrankungen ist heute gut gesichert. Bis in die jüngste Zeit wurde dies häufig bestritten unter der Überlegung, Stigmatisierung zu vermeiden. Alkohol- und/oder Drogenmissbrauch erhöhen das Risiko in gleicher Weise, während eine adäquate Behandlung es drastisch reduziert. Beschäftigte in psychiatrischen Kliniken sind einem Risiko durch aggressive Übergriffe ausgesetzt. Diese gehen von einer insgesamt kleinen Zahl von Patienten aus, die schwer krank und sozial desintegriert sind und bei denen aggressives Verhalten häufig rezidivierend beobachtet wird. Neben Patientenmerkmalen spielen für aggressive Eskalationen jedoch auch Faktoren wie Stationsklima, die quantitative und qualitative personelle Ausstattung und die Architektur und das Raumangebot eine maßgebliche Rolle. Psychisch Kranke, insbesondere Frauen, werden demgegenüber in der Gesellschaft auch gehäuft Opfer von Straftaten und Gewaltverbrechen. Dies trifft auch dann zu, wenn um Merkmale wie soziale Schichtzugehörigkeit und Wohnumgebung korrigiert wird. Von staatlich legitimierter Gewalt sind psychisch Kranke im Rahmen von Zwangsmaßnahmen (Zwangseinweisung, Zwangsbehandlung, freiheitsentziehende Maßnahmen wie Fixierung und Isolierung) in psychiatrischen Kliniken betroffen. Eine ambulante Zwangsbehandlung ist in Deutschland, anders als etwa in der Schweiz und in England, nicht zulässig. Anstrengungen, Gewalt und Zwang über Evidenz-basierte Interventionen zu reduzieren, werden verbreitet unternommen, entsprechende Behandlungsleitlinien sind verfügbar.