Erschienen in:
15.12.2017 | Psychopharmakotherapie | Historisches
Zur Rolle der Psychopharmakotherapie in der Entwicklung der Sozialpsychiatrie
verfasst von:
Prof. Dr. H. Helmchen
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Ausgabe 1/2018
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Zusammenfassung
Es werden Erfahrungen und Hinweise darauf berichtet, dass die psychiatrische Pharmakotherapie insbesondere als rezidivprophylaktische Langzeitmedikation zu verstärkter Wahrnehmung sozialer Determinanten des Krankheitsverlaufes vornehmlich schizophren Kranker führte. Damit entwickelten sich sozialpsychiatrische Institutionen, z. B. in Berlin von einem Übergangsheim (Phönix) 1956 über eine Katamnese zur ambulanten Langzeitbehandlung für schizophren Kranke 1957, einen Sozialdienst 1960, Tag- und Nachtklinik 1962 bis zur Abteilung für Sozialpsychiatrie 1972 mit einem reich gefächerten Netz von Einrichtungen für eine gestufte Rehabilitation psychisch Kranker. Im Vergleich zu gut bekannten geistesgeschichtlichen Quellen der Psychiatrie-Reform wird hier an in psychopharmakotherapeutischer Erfahrung begründete Quellen erinnert, die weiterer historischer Bearbeitung bedürfen; insbesondere wäre erstens die Frage zu beantworten, in welcher Weise die psychiatrische Pharmakotherapie die sozialpsychiatrische Entwicklung in Deutschland beeinflusst hat und zweitens, ob die mit der Pharmakotherapie einsetzende psychiatrische Aufbruchsstimmung der 1950er Jahre die in Deutschland gegenüber England, Frankreich und Kanada bis gegen Ende der 1960er Jahre verzögerte sozialpsychiatrische Entwicklung beschleunigt hat; zu prüfen wäre drittens z. B., ob und inwieweit die internationale Isolierung der deutschen Psychiatrie nach dem Kriege für die Verzögerung eine Rolle spielte und die neue wissenschaftliche Entwicklung der Psychopharmakologie der Wiederaufnahme internationaler Kontakte und damit auch verbundener Kenntnisnahme sozialpsychiatrischer Einrichtungen im Ausland förderlich war. Jedenfalls sollte der mögliche Einfluss der psychiatrischen Pharmakotherapie bei einer Gesamtdarstellung der Entwicklung von Sozialpsychiatrie in Deutschland nicht fehlen.