Erschienen in:
11.06.2021 | Impfungen | Konsensuspapiere
Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) und Stillen: Nutzen-Risiken-Abwägungen
Stellungnahme der Nationalen Stillkommission
verfasst von:
Klaus Abraham, Berthold Koletzko, Eva Mildenberger, Elien Rouw, Aleyd von Gartzen, Regina Ensenauer, Nationale Stillkommission
Erschienen in:
Monatsschrift Kinderheilkunde
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Sonderheft 1/2022
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Zusammenfassung
Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) sind industriell hergestellte organische Verbindungen, die sich aufgrund ihrer wasser- und fettabweisenden Eigenschaften in zahlreichen Gebrauchsgegenständen finden. Bedingt durch ihre enorme Persistenz und hohe Mobilität haben diese Substanzen in den vergangenen Jahrzehnten zu einer globalen Kontamination von Umwelt und Lebensmitteln geführt. Ein Teil der PFAS akkumuliert im Menschen und – bedingt durch deren Transfer in die Muttermilch – besonders in gestillten Kindern. Epidemiologische Studien haben in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend Evidenz dafür geliefert, dass auch im Bereich einer hohen Hintergrund-Exposition negative Effekte beim Menschen möglich sind. Für Kinder ist bei der gegenwärtigen Datenlage eine verminderte Bildung von Impfantikörpern als kritischer Effekt anzusehen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat am 17.09.2020 eine neue PFAS-Bewertung vorgelegt, in der eine tolerierbare wöchentliche Aufnahmemenge für die Summe von vier Verbindungen abgeleitet wird. Bei dieser Bewertung stehen die Akkumulation der Verbindungen während der Stillperiode und mögliche Effekte bei der Bildung von Impfantikörpern beim Kind im Fokus. Auch wenn die allgemeine PFAS-Exposition in den letzten 30 Jahren deutlich zurückgegangen ist, sind gegenwärtig noch ca. 20 % der Frauen in Deutschland so hoch exponiert, dass lange gestillte Kinder die von der EFSA abgeleiteten kritischen PFAS-Level im Blut erreichen können.
In dieser Stellungnahme befasst sich die Nationale Stillkommission mit der Abwägung von Nutzen und Risiken des Stillens in Bezug auf die Exposition gestillter Kinder durch PFAS. Sie kommt zu folgenden Schlüssen: Eine verminderte Bildung von Impfantikörpern ist als grundsätzlich unerwünscht anzusehen. Bisher gibt es jedoch keine belastbaren wissenschaftlichen Studienerkenntnisse, dass eine vergleichsweise hohe PFAS-Exposition eine klinische Bedeutung im Sinne einer verminderten Wirksamkeit von Impfungen oder einer erhöhten Infektanfälligkeit bei lange gestillten Kindern hat. Den genannten möglichen gesundheitlichen Risiken stehen zahlreiche, konsistent beobachtete positive Effekte des Stillens bei Kind und Mutter gegenüber. In Abwägung von möglichen Risiken durch die Aufnahme von PFAS beim gestillten Kind und nachgewiesenem Nutzen des Stillens sieht die Nationale Stillkommission bei der gegenwärtigen Datenlage daher keinen Grund, von der bestehenden Stillempfehlung abzuweichen. Dies gilt sowohl für die Allgemeinbevölkerung als auch für Menschen in besonders PFAS-exponierten Regionen. Auch weltweit hat in Kenntnis der bisher vorliegenden Befunde zu perfluorierten Verbindungen kein wissenschaftliches Gremium zu einer Einschränkung des Stillens geraten.