Probiotika als Gefahr für Intensivpatienten?

Die in Probiotika enthaltenen Keime können Intensivpatienten möglicherweise gefährlich werden. In einer Bostoner Kinderklinik wurde bei den Empfängern eines Lactobacillus-Stamms ein deutlich erhöhtes Risiko einer Bakteriämie nachgewiesen, und zwar explizit mit dem im Präparat enthaltenen Keim. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Probiotika werden bei Klinikpatienten für verschiedene Zwecke eingesetzt, beispielsweise zur unterstützenden Behandlung einer antibiotikaassoziierten Diarrhö oder auch, vor allem bei beatmeten Intensivpatienten, zur Vorbeugung einer Lungenentzündung oder Sepsis. Aktuell mehren sich jedoch die Hinweise, dass einige Patienten von den fremden Mikroorganismen nicht nur profitieren. In einer Studie aus dem Boston Children’s Hospital war das Risiko, an einer Lactobacillus-Bakteriämie zu erkranken, bei intensiv behandelten Kindern, die den entsprechenden Keim über ein probiotisches Präparat erhalten hatten, deutlich höher als bei Intensivpatienten ohne vorherige Probiotikagabe: Die Raten betrugen 1,1% gegenüber 0,009%. Sechs Kinder nach Probiotikum-Einnahme erkrankt In fünfeinhalb Beobachtungsjahren, so Idan Yelin und Kollegen, hatte man auf der Intensivstation der Bostoner Kinderklinik 522 (von insgesamt 22.174) kleinen Patienten ein Präparat mit dem Lactobacillus-rhamnosus-Stamm GG (LGG) verabreicht, in den meisten Fällen über eine Sonde. Eine Lactobacillus-Bakteriämie entwickelten danach sechs dieser Kinder, dagegen nur zwei von den 21.652 Intensivpatienten, die kein Probiotikum erhalten hatten. Die Forscher analysierten daraufhin die Blutproben aller bakteriämischen Kinder mithilfe eines speziellen Massenspektrometrie-Verfahrens (MALDI-TOF*). Demnach handelte es sich nur bei den Probiotikaempfängern um LGG, bei den anderen dagegen um andere Lactobacillus-Spezies. Yelin et al. weisen darauf hin, dass die LGG-Bakteriämierate von 1,1% weit über der entsprechenden Rate in der Allgemeinbevölkerung liege. Eine L.-rhamnosus-Bakteriämie könne zwar durchaus auch ohne Einnahme des entsprechenden Probiotikums auftreten, dies sei aber extrem selten. DNA-Sequenzierung bestätigt: Es war derselbe Keim Dass es sich bei den im Blut gefundenen Keimen wirklich um Bakterien aus dem verabreichten Präparat handelte, konnten die Forscher mithilfe der DNA-Sequenzierung (whole genome sequencing) bestätigen. Weitere Tests zeigten, dass die Proben auch phylogenetisch einheitlich waren; von den nachgewiesenen Mutationen unterschied sich in den Bakterienisolaten aus dem Blut bzw. aus dem Probiotikum keine einzige. Was man aber auch fand, waren fünf De-novo-Mutationen im Blut der Patienten, die im probiotischen Genom noch nicht vorhanden gewesen waren. Eine davon führt bekanntermaßen zur Resistenz gegenüber dem Antibiotikum Rifampicin. Ein Empfindlichkeitstest bestätigte, dass das entsprechende Blutisolat tatsächlich resistent gegenüber Rifampicin geworden war. Dies ist für Yelin und sein Team zumindest ein Hinweis darauf, dass sich aus den in Probiotika enthaltenen Keimen im Körper des Empfängers möglicherweise Antibiotika-resistente Stämme entwickeln können. Es stellt sich nun die Frage, wie man mit diesen Erkenntnissen umgehen soll: „Unsere Patienten waren zwar alle kritisch krank, hatten aber keine typischen Risikofaktoren für eine Lactobacillus-Bakteriämie.“ Solche wären z. B. Immunschwäche oder eine Schädigung der Darmschleimhaut. Verglichen mit 16 Kontrollpatienten der Intensivstation, die Probiotika erhalten, aber keine Bakteriämie entwickelt hatten, gab es keine Unterschiede hinsichtlich Durchfallerkrankungen, parenteraler Ernährung, Einsatz von Vasopressoren oder vorangegangenen operativen Eingriffen. „Dies zeigt“, so Yelin und Kollegen, „dass sich entsprechende Risikopatienten nur schwer identifizieren lassen.“ Wie kam der Keim ins Blut? Vor allem sei auch unklar, wie die Keime den Weg vom Probiotikum ins Blut geschafft hatten. Fast alle Patienten hatten einen Zentralvenenkatheter; möglicherweise sei dieser mit dem Probiotikum direkt oder mit Stuhl der Patienten in Kontakt gekommen. Alternativ könnten die Bakterien auch über die Darmwand ins Blut gelangt sein. Das erhöhte Risiko für eine Bakteriämie durch Probiotika müsse man jedenfalls ernst nehmen. Das bedeute, dass man vor deren Einsatz bei Intensivpatienten den potenziellen Nutzen gegen den möglicherweise damit verbundenen Schaden abwägen müsse. * Matrix assisted laser desorption/ionization time-of-flight Das Wichtigste in Kürze Frage: Können Probiotika bei Intensivpatienten eine Bakteriämie auslösen? Antwort: Patienten, die Probiotika erhalten hatten, entwickelten zu einem deutlich höheren Prozentsatz eine Bakteriämie mit dem entsprechenden Keim. Bedeutung: Vor dem Einsatz von Probiotika bei Intensivpatienten sollte man deren Nutzen gegen die möglichen Risiken abwägen. Einschränkung: Fallkontrollstudie mit kleiner Patientenzahl; Studie in Kinderklinik

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