Skip to main content
Erschienen in: HNO 10/2021

Open Access 14.06.2021 | Schnittverletzung | Originalien

Schnitt-Naht-Zeiten bei der endoskopischen Ohrchirurgie

verfasst von: Prof. Dr. med. S. Preyer

Erschienen in: HNO | Ausgabe 10/2021

Zusammenfassung

Hintergrund

Endoskopische Ohrchirurgie („endoscopic ear surgery“, EES) wird international immer häufiger anstelle der mikroskopischen Ohrchirurgie („microscopic ear surgery“, MES) eingesetzt, hat sich in Deutschland aber als Routineverfahren noch nicht etabliert.

Fragestellung

Untersucht wurden die Schnitt-Naht-Zeiten bei der EES und die Praktikabilität der Methode im deutschen Klinik-Setting.

Material und Methoden

In einer retrospektiven Studie wurden 60 konsekutive mikroskopisch operierte Patienten (MES) von 2015 mit 60 konsekutiven endoskopisch operierten Patienten aus dem Jahr 2018 verglichen. Verglichen wurden Hörergebnisse, Trommelfellbefund und Schnitt-Naht-Zeiten nach 3 Wochen.

Ergebnisse

Bei endoskopisch geführten Ohroperationen war der Zugang meistens transmeatal und musste seltener als bei mikroskopisch durchgeführten Operationen die Gehörgangsvorderwand zurückgeschliffen werden. Die Operationszeiten unterschieden sich in den 2 Gruppen statistisch nicht signifikant. Ein Trommelfellverschluss gelang bei 57/60 Patienten in der mikroskopischen Gruppe und bei 59/60 in der endoskopischen Gruppe. Eine Hörverbesserung wurde in beiden Gruppen erreicht. Die Hörverbesserung war in den 2 Gruppen statistisch signifikant nicht unterschiedlich.

Schlussfolgerungen

Endoskopische Ohrchirurgie ist eine zeitökonomische und minimal-invasive Methode und stellt bei vergleichbaren Ergebnissen eine praktikable Alternative zur mikroskopischen Ohrchirurgie dar.
Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Die endoskopische Ohrchirurgie („endoscopic ear surgery“, EES) stellt eine Weiterentwicklung und Verfeinerung, sowie Ergänzung der mikroskopischen Mittelohrchirurgie („microscopic ear surgery“, MES) dar [2, 5, 6, 10, 11]. Die Visualisierung der feinen Mittelohrstrukturen erfolgt über ein starres Endoskop anstelle des Operationsmikroskops. Der Operateur verfolgt die Operation auf einem Monitor, auf den das Endoskopbild über eine Kamera (vorzugsweise HD oder 4k) projiziert wird. Der Monitor wird normalerweise in Bezug auf die Position des Operateurs auf der gegenüberliegenden Seite des Patientenkopfs platziert [9]. Bei normaler Gehörgangsweite erfolgt die Operation transmeatal ohne äußerlichen Schnitt. Das Endoskop wird im äußeren Gehörgang platziert und die Instrumente über den intakten äußeren Gehörgang nach Bildung eines verkürzten tympanomeatalen Lappens in das Mittelohr eingeführt. Lediglich bei der Gewinnung von Gewebetransplantaten kann ein Schnitt, z. B. an der Tragus-Innenseite, für Knorpel-Perichondrium, oder retroaurikulär, für die Fasziengewinnung, notwendig werden. Zur Vermeidung eines Schnitts verwenden einige Chirurgen kommerziell erhältliche Biodesign-Transplantate [3].
In Deutschland hat sich die endoskopische Ohrchirurgie noch nicht als Routinemethode durchgesetzt. Ziel der retrospektiven Studie war eine Abschätzung der Machbarkeit und Praktikabilität der endoskopischen Ohroperationstechnik in der Mittelohrchirurgie im Vergleich zum ausschließlich mikroskopischen Vorgehen im Umfeld einer deutschen Hals-Nasen-Ohren-Klinik mit hohen Hygienestandards, starkem Kostendruck und knappen Zeitressourcen.

Methodik

Eine Fallserie von 60 konsekutiven EES-Eingriffen zwischen 6/2017 und 4/2018 wurde mit einem MES-Patientenkollektiv, bestehend aus 60 konsekutiven Fällen, zwischen 1/2015 und 9/2015 verglichen. Bei den endoskopischen Eingriffen handelte es sich um Typ-2b- oder -3-EES-Eingriffe, klassifiziert nach Cohen et al. [1], d. h., das Endoskop wurde mehr als 50 bzw. 100 % der Operationsdauer zur Visualisierung eingesetzt. EES-Operationen mit Einsatz des Endoskops unter 50 % der Schnitt-Naht-Zeit (Cohen Typ 2a) oder Verwendung des Endoskops ausschließlich zur Inspektion (Cohen Typ 1) wurden nicht in die Studie eingeschlossen [1]. Alle Operationen wurden von der Autorin selbst mit > 30 Jahren Erfahrung in der mikroskopischen Ohrchirurgie und > 30 Jahren Erfahrung in der endoskopischen Nasennebenhöhlenchirurgie durchgeführt. In die Studie wurden keine Stapesplastiken, keine Cholesteatome mit ausgedehntem Mastoidbefall oder Mittelohrtumoren aufgenommen.
Die verwendeten Endoskope hatten eine Länge von 11 cm mit einem Außendurchmesser von 3 mm; eingesetzt wurden 0°-, 30°- und 45°-Winkeloptiken (Fa. Spiggle & Theis Medizintechnik, Overath).
Die Altersverteilung der 120 analysierten Fälle war in beiden Fallserien mit Peaks zwischen dem 10.–20. und 60.–80. Lebensjahr sehr ähnlich. Auch die Geschlechtsverteilung ähnelte sich in den 2 Gruppen mit 25 weiblichen und 35 männlichen Patienten in der EES-Gruppe bzw. 27 weiblichen und 33 männlichen Patienten in der MES-Serie. Die Seitenverteilung war unterschiedlich: Es wurden in der EES-Gruppe 26 rechte und 34 linke Ohren operiert, in der MES-Gruppe waren es 37 rechte und 23 linke Ohren. Die Tab. 1 unterteilt die 2 Patientenkollektive in 4 Untergruppen: Tympanoskopien, sanierende Operationen bei Mittelohradhäsivprozess/kleine Cholesteatome sowie Tympanoplastiken nach Wullstein Typ 1 und 3. [16]. Zur detaillierten Beschreibung der chirurgischen Vorgehensweise wurden die Operationsberichte retrospektiv nach SAMEO-ATO klassifiziert (System zur Einteilung von Mastoidoperationen, SAMEO, und Mittelohroperationen, ATO, Akronym: „stage of operation, approach, mastoidectomy procedure, external auditory canal reconstruction, obliteration of mastoid cavity“; „access, tympanic membrane repair, ossicular chain repair“; Tab. 2; [17]). Hier zeigt sich, dass in der EES-Gruppe 15 Tympanoplastikrevisionen erfolgten, davon 11 geplante (z. B. Second-Look-Eingriffe, S2p), dagegen waren es 22 Revisionen in der MES-Gruppe mit 20 ungeplanten Revisionsoperationen (S2r).
Tab. 1
Einteilung in 4 Untergruppen nach Eingriffsart
 
EES
MES
Tympanoplastik Typ 1
16
23
Tympanoplastik Typ 3
16
18
Tympanoskopie
9
7
Cholesteatom/Adhäsivprozess
19
12
Die 60 Ohroperationen in jeder Patientengruppe setzten sich zusammen aus: Tympanoplastiken Typ 1 oder 3 nach der Wullstein-Klassifikation, Tympanoskopien bei akuter Ertaubung und Operationen bei Cholesteatomen oder Adhäsivprozess
EES endoskopische Ohrchirurgie („endoscopic ear surgery“), MES mikroskopische Mittelohrchirurgie („microscopic ear surgery“)
Tab. 2
Klassifizierung nach SAMEO-ATO
SAMEO
EES
MES
ATO
EES
MES
S1
45
37
Ax
53
24
S2p
11
2
A1
0
4
S2r
4
20
A2
7
29
A1
55
0
A3
0
2
A2
0
8
Tx
10
7
A3
3
13
T1
0
0
A4
1
38
T2
46
48
Mx
54
35
T3
4
4
M1a
0
2
On
44
41
M1b
0
0
Ox
0
0
M2a
5
12
Osm
1
1
M2b
1
0
Ost
8
8
M2c
0
0
Osd
2
3
E2
6
10
Ofi
1
1
O
0
0
Oft
4
4
   
Ofm
0
1
Die Ohroperationen der 120 Patienten wurden retrospektiv nach der internationalen SAMEO-ATO-Klassifizierung anhand der Operationsberichte klassifiziert
EES endoskopische Ohrchirurgie („endoscopic ear surgery“), MES mikroskopische Mittelohrchirurgie („microscopic ear surgery“), SAMEO-ATO System zur Einteilung von Mastoidoperationen, SAMEO, und Mittelohroperationen, ATO, Akronym: „stage of operation, approach, mastoidectomy procedure, external auditory canal reconstruction, obliteration of mastoid cavity“; „access, tympanic membrane repair, ossicular chain repair“
Der postoperative Trommelfellbefund wurde ohrmikroskopisch 3 Wochen nach der Operation am Tag der Tamponadeentfernung erhoben. Die Nachbetreuung der Patienten nach der Detamponade erfolgte i. d. R. durch die niedergelassenen Hals-Nasen-Ohren-Ärzte der Patienten.
Die präoperativen Hörschwellen wurden an der Klinik der Autorin innerhalb von einer Woche vor der Operation gemessen. Dagegen stammten die meisten postoperativen Hörbefunde aus den Praxen der niedergelassenen Hals-Nasen-Ohren-Ärzte der Patienten. An der Klinik der Autorin wird bei der Detamponade üblicherweise keine Hörprüfung durchgeführt, sondern die Durchführung eines Hörtests 3 Wochen nach der Detamponade bzw. nach Abheilung des Ohrs empfohlen. In der EES-Gruppe wurde bei 6 Patienten kein postoperatives Tonaudiogramm angefertigt; in der MES-Gruppe gab es bei 5 Patienten kein postoperatives Tonaudiogramm, bei einem Patienten ein Tonaudiogramm, bei dem nur die Luftleitung gemessen wurde. Dies war darauf zurückzuführen, dass Patienten entweder nicht mehr zu ihrem Hals-Nasen-Ohren-Arzt zurückkehrten oder die postoperative Messung der Hörschwelle ablehnten.

Ergebnisse

Zugang zum Mittelohr

Die Abb. 1 zeigt eindrücklich, dass sich der Zugang zum Mittelohr bei den 2 Techniken stark unterscheidet. Bei der EES war der favorisierte Zugang transmeatal (A1 = 55), während bei der MES eher ein retroaurikulärer Zugang gewählt wurde (A4 = 38; Abb. 1 ). Obwohl der retroaurikuläre Zugang den Einblick in den vorderen tympanomeatalen Winkel im Vergleich zum transmeatalen Zugang oder endauralen Schnitt eher erleichtert, war es bei 14 von 23 Fällen der MES-Tympanoplastiken Typ 1 notwendig, die vordere Gehörgangswand zurückzuschleifen (entspricht 61 %). Dagegen wurde die vordere Gehörgangswand bei 16 EES-Tympanoplastiken Typ 1 nur in 3 Fällen abgetragen (entspricht 18 %), obwohl ein transmeataler Zugang gewählt wurde. Auch bei Betrachtung der Gesamtkollektive mit der ATO-Klassifikation wurde in der EES-Gruppe der Gehörgang in 53/60 Fällen (Ax) (88 %) nicht bearbeitet. Dagegen fand in der MES-Gruppe nur in 24/60 Fällen (40 %) keine Gehörgangserweiterung statt (Ax) und wurde der Gehörgang in 33 Fällen operativ geweitet (A1 und A2). Dies entspricht der Erfahrung, dass mit den modernen Weitwinkeloptiken die Übersicht über das Trommelfell und die Mittelohrstrukturen deutlich besser als mit dem Mikroskop ist. Während bei der MES häufig eine überhängende vordere Gehörgangswand den Blick auf den vorderen tympanomeatalen Winkel optisch verlegt, ist bei der EES eine Knochenabtragung i. d. R. nur erforderlich, wenn vorspringender Knochen mechanisch verhindert, dass die pathologische Veränderung im Mittelohr mit den Instrumenten erreicht wird; die Sicht auf die pathologische Veränderung ist normalerweise kein Problem.

Schnitt-Naht-Zeiten

Ein Nachteil der EES ist das einhändige Arbeiten, da die nicht dominante Hand des Operateurs das Endoskop führt. Dies könnte theoretisch zu längeren Operationszeiten führen. Es wurden daher die Schnitt-Naht-Zeiten der 2 Fallserien miteinander verglichen (Abb. 2). Obwohl die Operateurin zum Zeitpunkt der Studie 30 Jahre MES-Erfahrung und nur 3 Jahre EES-Erfahrung hatte, unterschieden sich die Schnitt-Naht-Zeiten bei der Tympanoplastik Typ 1 und 3 sowie bei der Tympanoskopie nicht signifikant voneinander. Lediglich bei der sanierenden Ohrchirurgie, beim Cholesteatom und Adhäsivprozess, zeigt die EES eine sehr breite Streuung und im Mittelwert längere Operationszeiten (82,6 ± 46,2 min), die aber statistisch nicht signifikant (p = 0,553) länger als in der MES-Gruppe (75,6 ± 16,5 min) waren.

Hörergebnisse

Die Knochenleitung prä- und postoperativ blieb in der MES-Gruppe gleich, während in der EES-Gruppe eine diskrete, statistisch signifikante (p = 0,008) Verbesserung der Knochenleitungsschwelle von −2 dB HL gemessen wurde (Tab. 3). Die Knochenleitungs-Luftleitungs-Differenz („air-bone gap“, ABG) war in beiden Gruppen postoperativ signifikant geringer als präoperativ. Es gab weder einen statistisch signifikanten Unterschied der Reduktion der ABG (∆ ABG) zwischen den gesamten MES- und EES-Gruppen noch bei Betrachtung der Unterpopulation der Fälle, bei denen eine Gehörknöchelchenkettenrekonstruktion (∆ ABG Typ 3) erfolgte. Bei Berechnung des Hörverlusts nach Röser 1973 [11] prä- und postoperativ ergab sich für beide Gruppen eine mittlere Hörverbesserung von −7 % ohne statistisch signifikanten Unterschied (p = 0,981) zwischen den 2 Gruppen (Tab. 3).
Tab. 3
Hörergebnisse nach EES und MES
 
MES prä
t‑Test-p
MES post
EES prä
t‑Test-p
EES post
KL
20 ± 17,6
0,221
19 ± 18,2
24 ± 24,0
0,008
22 ± 23,9
ABG
17 ± 14,1
0,005
13 ± 12,1
17 ± 19,8
0,026
14 ± 18,7
HV (Rö 73)
38 ± 26,9
0,008
31 ± 28,1
37 ± 29,0
0,003
30 ± 28,9
 
MES
t‑Test-p
EES
  
––
∆ ABG prä-post
−5 ± 11,6
0,235
−3 ± 9,0
∆ ABG Typ 3 prä-post
−9 ± 12,6
0,172
−3 ± 9,9
∆ HV (Rö 73) prä-post
−7 ± 17,7
0,981
−7 ± 15,6
Für die Berechnung der statistischen Signifikanz wurde in allen Fällen im doppelseitigen t‑Test ein Signifikanzniveau von p = 0,05 angenommen
EES endoskopische Ohrchirurgie („endoscopic ear surgery“), MES mikroskopische Mittelohrchirurgie („microscopic ear surgery“), KL Knochenleitungsschwelle in dB HL, ABG „air-bone gap“, Knochenleitungs-Luftleitungs-Differenz in dB HL, HV Hörverlust in Prozent nach Röser 1973 [11], berücksichtigt werden die Frequenzen 0,5; 1; 2 und 4 kHz, Prä präoperativ, post postoperativ, ∆ ABG und ∆ HV Unterschied zwischen prä- und postoperativem Befund für Knochenleitungs-Luftleitungs-Differenz und Hörverlust nach Röser 1973 [11], ∆ ABG Typ3 Unterschied der Knochenleitungs-Luftleitungs-Differenz prä- und postoperativ nur für die Untergruppe der Tympanoplastiken Typ 3

Trommelfellverschluss

Zum Zeitpunkt der Detamponade lag in der EES-Gruppe bei einem Ohr (1/60 entspricht 2 %) eine Perforation vor. In der MES-Gruppe wies ein Patient eine Nekrose des tympanomeatalen Lappens mit einer Trommelfellperforation auf, 2 weitere Patienten Perforationen (3/60 entspricht 5 %), und ein Patient beklagte ein abstehendes Ohr nach retroaurikulärem Zugang.

Diskussion

Die Verwendung des Endoskops anstelle des Mikroskops in der Mittelohrchirurgie hat sich an der Klinik der Autorin bewährt. Der Übergang vom Mikroskop zum Endoskop fällt leichter, wenn bereits Erfahrung mit der endoskopischen Nasennebenhöhlenchirurgie vorhanden ist. Assistenten in der Karlsruher Klinik erlernen während der Weiterbildung die endonasale Nasennebenhöhlenchirurgie. Nach der kombiniert mikroskopisch-endoskopischen Ausbildung im Felsenbeinlabor und Durchführung mindestens einer EES am Schafkopf werden zunächst Paukenröhrchen endoskopisch gelegt und dann Myringoplastiken und Tympanoplastiken Typ 1 durchgeführt [8].
Von den Patienten wird das minimal-invasive Verfahren und die Vermeidung eines äußerlichen Schnitts bevorzugt, wobei eine aktuell laufende klinische Studie hierzu noch nicht abgeschlossen ist. Es ist der Eindruck der Autorin und ihres Teams, dass die postoperativen Schmerzen nach einer EES geringer als nach einer MES sind, dies wurde in einer ersten Studie an einer anderen Klinik belegt [4].
Die vorliegende retrospektive Studie an 120 Patienten und prospektive Studien anderer Arbeitsgruppen zeigten, dass die Hörergebnisse der EES genauso gut wie die der MES sind [2, 3, 5, 6, 13, 14]. In der vorliegenden Studie gab es in der EES-Gruppe eine statistisch signifikante Verbesserung der Knochenleitung um −2 dB HL, die nicht erklärbar ist. Die postoperative Reduktion der Schallleitungsschwerhörigkeit (∆ ABG) und die Reduktion des Hörverlusts nach Röser 1973 (∆ HV) waren in beiden Gruppen statistisch signifikant nicht unterschiedlich (Tab. 3).
Zum Zeitpunkt der Detamponade sind Ohren nach EES tendenziell trockener und weiter in Abheilung begriffen als MES-Ohren. Dies ist vermutlich auf das geringere Weichteiltrauma beim endoskopischen Operieren zurückzuführen, wodurch weniger Wundsekret gebildet wird. In der MES-Gruppe wiesen 3 Patienten (5 %) bei Detamponade eine Perforation in der Paukenabdeckung auf im Gegensatz zu einem Patienten (2 %) in der EES-Gruppe. Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass in der MES-Gruppe mehr ungeplante Tympanoplastikrevisionen (S2r = 20) als in der EES-Gruppe (S2r = 4) waren (Tab. 3).
Die kleinen Zahlen von sanierenden Ohreingriffen bei Adhäsivprozess oder Cholesteatom (19 in der EES-Gruppe, 12 in der MES-Gruppe) in der vorliegenden Studie erlauben keine valide Aussage über Residualcholesteatome und Rezidive, diesbezüglich wird auf die Literatur verwiesen [9, 12, 15]. In der vorliegenden Studie lag der Fokus auf den Schnitt-Naht-Zeiten, und hier ergab sich kein Unterschied zwischen den 2 Patientengruppen. In Bezug auf die Ergebnisse der Cholesteatomchirurgie fehlen zzt. noch valide Langzeitergebnisse aus prospektiven randomisierten Studien, um zu entscheiden, welches Verfahren besser ist, allerdings zeigen die ersten überwiegend retrospektiven Studien positive Ergebnisse [7, 9, 12, 15]. Die Hoffnung ist, dass durch die verbesserte endoskopische Visualisierung von Cholesteatommatrix in schwer einsehbaren Nischen des Mittelohrs die Ergebnisse im Vergleich zur mikroskopischen Cholesteatomchirurgie besser sein werden [15]. Hier steht der endgültige Beweis aber noch aus. Kleine epitympanale Cholesteatome lassen sich nach eigener Erfahrung sehr gut endoskopisch entfernen.
Ein großes Gegenargument gegen die Einführung der EES an einer Klinik ist die Sorge vor verlängerten Schnitt-Naht-Zeiten im Vergleich zur MES. In der vorliegenden Studie traf dies nicht zu (Abb. 2). Ein wichtiger Grund hierfür könnte die verbesserte Übersicht bei der EES sein, sodass seltener die vordere Gehörgangswand zurückgeschliffen werden musste; in den hier untersuchten 2 Patientenkollektiven war in 53/60 Fällen (88 %) bei der EES und nur in 24/60 Fällen (40 %) bei der MES keine Gehörgangserweiterung nötig. Darüber hinaus kann möglicherweise durch den transmeatalen Zugang zum Mittelohr bei der EES Zeit eingespart werden, welche bei der MES für Schnitt und Naht verlorengeht, wodurch das etwas langsamere Arbeiten im Mittelohr bei der EES kompensiert wird, sodass die Schnitt-Naht-Zeiten bei beiden Visualisierungstechniken gleich sind. Dieser zeiteinsparende Effekt würde bei langen Operationen in Relation zur Gesamtoperationszeit weniger ins Gewicht fallen. Es sollte daher bei Cholesteatomen und entzündeten Ohren präoperativ eine Computertomographie des Felsenbeins durchgeführt werden, um die Grenzen der pathologischen Veränderung bereits bei der Operationsplanung genau zu bestimmen. Bei ausgedehnten pathologischen Veränderungen, möglicherweise mit Bohrarbeit, sollte der mikroskopischen Vorgehensweise der Vorzug gegeben werden, da für die nötige Bohrarbeit das einhändige Arbeiten hinderlich ist und dann die Operationsdauer verlängert wird. Eine nach Erfahrung der Autorin sinnvolle Grenze stellen der laterale Bogengang und die Fossa incudis dar (Abb. 3). In Fällen mit Mastoidbefall kann nach Erfahrung der Autorin das Endoskop die MES ergänzen und beim Auffinden von kleinen Cholesteatomresten in schwer einsehbaren Nischen hilfreich sein. Während früher an der Klinik der Autorin bei Cholesteatomen mit Mastoidbefall ausschließlich mikroskopische A4-M2b- oder -M2c-Eingriffe (nach der SAMEO-ATO-Klassifizierung) durchgeführt wurden, wird dort nun gern eine kombinierte Vorgehensweise mit Beginn der Operation transmeatal endoskopisch A1-M2a zur Sanierung des Mittelohrs in Kombination mit retroaurikulär mikroskopisch A4-M1a oder -M1b zur Sanierung des Mastoids verwendet. Die hintere Gehörgangswand wird am Ende der Operation endoskopisch nach pathologischen Veränderungen abgesucht und kann häufiger als früher erhalten werden.

Fazit für die Praxis

  • Die endoskopischen Ohrchirurgie („endoscopic ear surgery“, EES) hat sich bei der Beseitigung von pathologischen Veränderungen des Mittelohrs bewährt.
  • Die transmeatale Vorgehensweise ist minimal-invasiv, gewebeschonend und geht mit weniger postoperativen Schmerzen einher.
  • Die Operationszeiten bei der EES unterscheiden sich statistisch nicht signifikant von der mikroskopischen Mittelohrchirurgie („microscopic ear surgery“, MES).
  • Die Ergebnisse der EES in Bezug auf Trommelfellverschlussraten und Hörergebnisse gleichen der MES.
  • Für die endoskopische Cholesteatomchirurgie steht die wissenschaftlich valide Bewertung noch aus.
  • Erste Studien zeigen eine eher geringere Rezidivrate als bei der mikroskopischen Vorgehensweise.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

S. Preyer gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die retrospektive Auswertung der Daten wurde von der Ethikkommission der Landesärztekammer Baden-Württemberg genehmigt. Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Unsere Produktempfehlungen

HNO

Print-Titel

• Ausgewählte Übersichtsbeiträge zu aktuellen Themenschwerpunkten

• Mit CME-Beiträgen Wissen auffrischen und Punkte sammeln

• Prüfungsvorbereitung mit dem Repetitorium Facharztprüfung

• Kommentierte Studienreferate

e.Med Interdisziplinär

Kombi-Abonnement

Für Ihren Erfolg in Klinik und Praxis - Die beste Hilfe in Ihrem Arbeitsalltag

Mit e.Med Interdisziplinär erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Fachzeitschriften auf SpringerMedizin.de.

e.Dent – Das Online-Abo der Zahnmedizin

Online-Abonnement

Mit e.Dent erhalten Sie Zugang zu allen zahnmedizinischen Fortbildungen und unseren zahnmedizinischen und ausgesuchten medizinischen Zeitschriften.

Weitere Produktempfehlungen anzeigen
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Cohen MS, Razan AB, Barber SR, Kozin ED, Rivas AC, Lee DJ (2018) Development and validation of an endoscopic ear surgery classification system. Laryngoscope 128:967–970CrossRef Cohen MS, Razan AB, Barber SR, Kozin ED, Rivas AC, Lee DJ (2018) Development and validation of an endoscopic ear surgery classification system. Laryngoscope 128:967–970CrossRef
2.
Zurück zum Zitat Han SY, Lee DY, Chung J, Kim YH (2019) Comparison of endoscopic and microscopic ear surgery in pediatric patients: a meta-analysis. Laryngoscope 129:1444–1452CrossRef Han SY, Lee DY, Chung J, Kim YH (2019) Comparison of endoscopic and microscopic ear surgery in pediatric patients: a meta-analysis. Laryngoscope 129:1444–1452CrossRef
3.
Zurück zum Zitat James AL (2017) Endoscope or microscope-guided pediatric tympanoplasty? Comparison of grafting technique and outcome. Laryngoscope 127:2659–2664CrossRef James AL (2017) Endoscope or microscope-guided pediatric tympanoplasty? Comparison of grafting technique and outcome. Laryngoscope 127:2659–2664CrossRef
4.
Zurück zum Zitat Kakehata S, Furukawa T, Ito T, Kubota T, Futai K, Watanabe T (2018) Comparison of postoperative pain in patients following transcanal endoscopic versus microscopic ear surgery. Otol Neurotol 39:847–853CrossRef Kakehata S, Furukawa T, Ito T, Kubota T, Futai K, Watanabe T (2018) Comparison of postoperative pain in patients following transcanal endoscopic versus microscopic ear surgery. Otol Neurotol 39:847–853CrossRef
5.
Zurück zum Zitat Kapadiya M, Tarabichi M (2019) An overview of endoscopic ear surgery in 2018. Laryngoscope Investig Otolaryngol 4:365–373CrossRef Kapadiya M, Tarabichi M (2019) An overview of endoscopic ear surgery in 2018. Laryngoscope Investig Otolaryngol 4:365–373CrossRef
6.
Zurück zum Zitat Kozin ED, Gulati S, Kaplan AB, Lehmann AE, Remenschneider AK, Landegger LD, Cohen MS, Lee DJ (2015) Systematic review of outcomes following observational and operative endoscopic middle ear surgery. Laryngoscope 125:1205–1214CrossRef Kozin ED, Gulati S, Kaplan AB, Lehmann AE, Remenschneider AK, Landegger LD, Cohen MS, Lee DJ (2015) Systematic review of outcomes following observational and operative endoscopic middle ear surgery. Laryngoscope 125:1205–1214CrossRef
7.
Zurück zum Zitat McKennan KX (1993) Endoscopic „Second Look“ mastoidoscopy to rule out residual epitympanic/mastoid cholesteatoma. Laryngoscope 103:810–814PubMed McKennan KX (1993) Endoscopic „Second Look“ mastoidoscopy to rule out residual epitympanic/mastoid cholesteatoma. Laryngoscope 103:810–814PubMed
8.
Zurück zum Zitat Pothier DD (2013) Introducing endoscopic ear surgery into practice. Otolaryngol Clin North Am 46:245–255CrossRef Pothier DD (2013) Introducing endoscopic ear surgery into practice. Otolaryngol Clin North Am 46:245–255CrossRef
9.
Zurück zum Zitat Presutti L, Gioacchini FM, Alicandri-Ciufelli M, Villari D, Marchioni D (2014) Results of endoscopic middle ear surgery for cholesteatoma treatment: a systematic review. Acta Otorhinolaryngol Ital 34:153–157PubMedPubMedCentral Presutti L, Gioacchini FM, Alicandri-Ciufelli M, Villari D, Marchioni D (2014) Results of endoscopic middle ear surgery for cholesteatoma treatment: a systematic review. Acta Otorhinolaryngol Ital 34:153–157PubMedPubMedCentral
10.
Zurück zum Zitat Preyer S (2018) Endoscopic ear surgery—a complement to microscopic ear surgery. HNO 65(Suppl 1):S29–S34 Preyer S (2018) Endoscopic ear surgery—a complement to microscopic ear surgery. HNO 65(Suppl 1):S29–S34
11.
Zurück zum Zitat Röser W (1973) Das Tonaudiogramm als Grundlage für die MdE-Skala. Z Laryng Rhinol 52:666 Röser W (1973) Das Tonaudiogramm als Grundlage für die MdE-Skala. Z Laryng Rhinol 52:666
12.
Zurück zum Zitat Tarabichi M (2000) Endoscopic management of cholesteatoma: long-term results. Otolaryngol Head Neck Surg 122:874–881CrossRef Tarabichi M (2000) Endoscopic management of cholesteatoma: long-term results. Otolaryngol Head Neck Surg 122:874–881CrossRef
13.
Zurück zum Zitat Tarabichi M (2010) Endoscopic transcanal middle ear surgery. Indian J Otolaryngol Head Neck Surg 62:6–24CrossRef Tarabichi M (2010) Endoscopic transcanal middle ear surgery. Indian J Otolaryngol Head Neck Surg 62:6–24CrossRef
14.
Zurück zum Zitat Tarabichi M, Ayache S, Nogueira JF, Qahtani MA, Pothier DD (2013) Endoscopic management of chronic otitis media and tympanoplasty. Otolaryngol Clin North Am 46:155–163CrossRef Tarabichi M, Ayache S, Nogueira JF, Qahtani MA, Pothier DD (2013) Endoscopic management of chronic otitis media and tympanoplasty. Otolaryngol Clin North Am 46:155–163CrossRef
15.
Zurück zum Zitat Thomassin JM, Korchia D, Doris JMD (1993) Endoscopic-guided otosurgery in the prevention of residual cholesteatoma. Laryngoscope 103:939–943CrossRef Thomassin JM, Korchia D, Doris JMD (1993) Endoscopic-guided otosurgery in the prevention of residual cholesteatoma. Laryngoscope 103:939–943CrossRef
16.
Zurück zum Zitat Wullstein H (1968) Operationen zur Verbesserung des Gehöres. Thieme, Stuttgart Wullstein H (1968) Operationen zur Verbesserung des Gehöres. Thieme, Stuttgart
17.
Zurück zum Zitat Yung M, James A, Merkus P, Philips J, Black B, Tono T, Linder T, Dornhoffer J, Incesulu AJ (2018) International otology outcome group and the international consensus on the categorization of tympanomastoid surgery. Int Adv Otol 14(2):216–226CrossRef Yung M, James A, Merkus P, Philips J, Black B, Tono T, Linder T, Dornhoffer J, Incesulu AJ (2018) International otology outcome group and the international consensus on the categorization of tympanomastoid surgery. Int Adv Otol 14(2):216–226CrossRef
Metadaten
Titel
Schnitt-Naht-Zeiten bei der endoskopischen Ohrchirurgie
verfasst von
Prof. Dr. med. S. Preyer
Publikationsdatum
14.06.2021
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
HNO / Ausgabe 10/2021
Print ISSN: 0017-6192
Elektronische ISSN: 1433-0458
DOI
https://doi.org/10.1007/s00106-021-01066-5

Weitere Artikel der Ausgabe 10/2021

HNO 10/2021 Zur Ausgabe

Repetitorium Facharztprüfung

Vorbereitung zur Facharztprüfung HNO

Kinder mit anhaltender Sinusitis profitieren häufig von Antibiotika

30.04.2024 Rhinitis und Sinusitis Nachrichten

Persistieren Sinusitisbeschwerden bei Kindern länger als zehn Tage, ist eine Antibiotikatherapie häufig gut wirksam: Ein Therapieversagen ist damit zu über 40% seltener zu beobachten als unter Placebo.

CUP-Syndrom: Künstliche Intelligenz kann Primärtumor finden

30.04.2024 Künstliche Intelligenz Nachrichten

Krebserkrankungen unbekannten Ursprungs (CUP) sind eine diagnostische Herausforderung. KI-Systeme können Pathologen dabei unterstützen, zytologische Bilder zu interpretieren, um den Primärtumor zu lokalisieren.

Sind Frauen die fähigeren Ärzte?

30.04.2024 Gendermedizin Nachrichten

Patienten, die von Ärztinnen behandelt werden, dürfen offenbar auf bessere Therapieergebnisse hoffen als Patienten von Ärzten. Besonders gilt das offenbar für weibliche Kranke, wie eine Studie zeigt.

Akuter Schwindel: Wann lohnt sich eine MRT?

28.04.2024 Schwindel Nachrichten

Akuter Schwindel stellt oft eine diagnostische Herausforderung dar. Wie nützlich dabei eine MRT ist, hat eine Studie aus Finnland untersucht. Immerhin einer von sechs Patienten wurde mit akutem ischämischem Schlaganfall diagnostiziert.

Update HNO

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert – ganz bequem per eMail.