Statine absetzen: Wie riskant?

Wer zur Vermeidung von Polypharmaziefolgen ausgerechnet den Cholesterinsenker weglässt, tut den Patienten damit nicht unbedingt etwas Gutes. In einer großen Bevölkerungsstudie aus Norditalien stieg bei alleinigem Absetzen des Statins das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Das gezielte Absetzen überflüssiger Medikamente, das sogenannte Deprescribing, kann bei älteren Patienten mit ihren oft randvollen Pillendöschen sehr sinnvoll sein. Durch Polypharmazie steigt das Risiko, dass Medikamente interagieren, was gerade bei älteren Menschen fatale Folgen haben kann. Allerdings ist das Weglassen von Arzneimitteln kaum durch hochwertige Studien gestützt. Studie mit knapp 30.000 Senioren Was passiert, wenn man sich bei älteren multimorbiden Patienten explizit von Statinen verabschiedet, Substanzen also, die sich sehr häufig im therapeutischen Köcher befinden, hat jetzt ein Team aus der Lombardei untersucht. An der retrospektiven Bevölkerungsstudie waren 29.047 Senioren jenseits der 65 beteiligt, die neben dem Cholesterinsenker mehr als ein Jahr lang ununterbrochen Blutdrucksenker, Antidiabetika und Plättchenhemmer eingenommen hatten. In den folgenden zweieinhalb Jahren wurde geschaut, wer von diesen ausschließlich das Statin abgesetzt hatte. Dies traf für 5819 Patienten zu. Von diesen konnten 4010 im Verhältnis 1:1 einer Kontrollgruppe zugeordnet werden, die nach Alter, Geschlecht und Begleiterkrankungen weitgehend angepasst war und in der alle Medikamente, auch das Statin, durchgehend genommen wurden. Risikoerhöhung um bis zu 25% Nach weiteren 20 Monaten wurden die kardiovaskulären Ereignisse in beiden Gruppen verglichen. Wie Federico Rea und Kollegen berichten, zeigten sich signifikante Nachteile für die Gruppe, die das Statin abgesetzt hatte, in vier Bereichen: erhöhtes Risiko für eine Klinikeinweisung wegen Herzinsuffizienz (Hazard Ratio, HR 1,24), erhöhtes Sterberisiko (Gesamtmortalität; HR 1,15), erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (HR 1,14) und erhöhtes Risiko für eine notfallmäßige Aufnahme (HR 1,12). Nach Rea und seinem Team sind solche Risikoerhöhungen um bis zu 24% „nicht gerade trivial“. Auf der anderen Seite war aber beispielsweise die Zahl der Notaufnahmen aufgrund von neurologischen Schäden (den Autoren zufolge ein Surrogat für Delir) nach dem Weglassen des Cholesterinsenkers nicht nennenswert erhöht. Gründe fürs Absetzen unbekannt Die Frage bleibt, warum man sich in den jeweiligen Fällen entschieden hatte, die Statintherapie nicht fortzusetzen. Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen, aber auch Rhabdomyolysen und toxische Leberschäden könnten eine Erklärung sein; sie treten nach Rea et al. aber zu selten auf, um die Abbruchraten in der vorliegenden Untersuchung (ca. 13 Fälle in 100 Personenjahren) zu erklären. Zu diskutieren sei außerdem, ob Patienten, die ihren Cholesterinsenker weglassen, vielleicht auch bei anderen beeinflussbaren Risikofaktoren nachlässig sind. Dass das Absetzen von Statinen bei bestimmten Hochrisikopatienten Gefahren birgt, vor allem bei akutem Koronarsyndrom, ischämischem Schlaganfall oder nach einer Gefäß-Op., ist den Forschern zufolge belegt. In der vorliegenden Studie habe die Risikoerhöhung „Männer wie Frauen, jüngere wie ältere, Patienten mit leichten, aber auch mit schweren Grunderkrankungen“ betroffen und sei außerdem unabhängig davon gewesen, ob die Medikamente in der Primär- oder Sekundärprävention eingesetzt waren. Das Wichtigste in Kürze Frage: Welche klinischen Folgen hat das Absetzen von Statinen bei älteren Patienten unter Polypharmazie? Antwort: Nach alleiniger Beendigung der Statintherapie stieg das Risiko für tödliche und nicht tödliche kardiovaskuläre Ereignisse. Bedeutung: Ein kausaler Zusammenhang ist damit nicht belegt. Dennoch sollte das „Deprescribing“ zur Vermeidung von Polypharmaziefolgen nicht unbedingt bei den Statinen beginnen. Einschränkung: Retrospektive Beobachtungsstudie; Gründe für das Absetzen unbekannt; mögliche Verzerrung durch Risikoverhalten (unabhängig von der Statineinnahme).

Springer Medizin

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