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24.01.2022 | Tetanus | Nachrichten

80-Jähriger mit Sprachstörungen

Fehldiagnose Schlaganfall: Winzigen Hinweis übersehen

verfasst von: Dr. Elke Oberhofer

Bei einem 80-jährigen Patienten mit Sprachstörungen war ein Notfallteam aus Portugal vorschnell auf den Schlaganfallzug aufgesprungen. Ein Hirn-CT wurde fehlinterpretiert, die eigentlich wegweisenden Krampfanfälle therapeutisch unterdrückt und ein entscheidender Hinweis am Finger übersehen. Um welche Erkrankung hatte es sich gehandelt?

Neu aufgetretene schwere Sprachstörungen bei einem 80-jährigen Notfallpatienten mit Hochdruck und Hypercholesterinämie in der Vorgeschichte: Da denkt man natürlich als Erstes an einen Schlaganfall. So auch die Ärzte der Notaufnahme im portugiesischen Funchal. Und tatsächlich zeigte das kranielle CT Befunde im Hirnstamm, die aussahen wie ischämische Läsionen. Da ansonsten keine neurologischen Auffälligkeiten festgestellt wurden, begann man eine orale Therapie mit Azetylsalizylsäure und Atorvastatin.

Krampfanfälle mit Antikonvulsivum behandelt

Der Patient entwickelte nun jedoch eine Schluckstörung, die am dritten Tag so schwer wurde, dass man gezwungen war, ihm eine Magensonde zu legen. Einen Tag später verschlechterte sich die Situation noch einmal dramatisch: Es setzten Krampfanfälle ein, die mit Diazepam und Phenytoin, jeweils i.v., behandelt wurden, allerdings ohne viel Erfolg. Als der Mann außerdem immer schlechter Luft bekam, sahen die Ärzte keine andere Möglichkeit, als ihn zu intubieren und maschinell zu beatmen.

Ein erneutes Hirn-CT zeigte keine Verschlechterung, auch keine Anzeichen für ein Hirnödem oder eine intrakranielle Blutung. Abgesehen von einer Leukozytose und Rhabdomyloyse war das Blutbild unauffällig.

Diagnose: Tetanus

Ein Versuch, den Patienten vom Beatmungsgerät zu nehmen, scheiterte nach einem halben Tag. Hinzu kamen Symptome, die das Team so noch nie gesehen hatte: Kaumuskeln und Halsmuskulatur verkrampften sich, ebenso Bauch, Arme und Beine. Für den hinzugerufenen Neurologen ließ dieses Bild einen außergewöhnlichen Schluss zu: Tetanus. 

Umgehend erhielt der Mann nun Immunglobuline und kam wieder ans Beatmungsgerät. Die weitere Therapie bestand in einer kontinuierlichen Midazolam-Infusion und Rocuronium zur Muskelrelaxation sowie Metronidazol über 14 Tage. Zur Kontrolle der Spasmen wurde Magnesiumsulfat verabreicht. Eine sich im Verlauf entwickelnde Pseudomonas-aeruginosa-Pneumonie wurde mit Piperacillin-Tazobactam über zehn Tage behandelt.

Nach 58 Tagen ging es dem Patienten endlich besser. Nachdem man sein Tracheostoma verschlossen und die Magensonde entfernt hatte, konnte er wieder sprechen. Auch die Atmung funktionierte zunehmend gut, sodass er nach und nach auch von der nichtinvasiven Beatmung entwöhnt werden konnte. Gegen die Muskelsteife gab man dreimal täglich Baclofen, zudem erhielt der Patient eine intensive physikalische Reha. Wie das Team um Mariana Bilreiro berichtet, hatte der alte Herr nach insgesamt 70 Tagen im Krankenhaus seinen ursprünglichen Funktionsstatus wiedererlangt.

Über diese Fallstricke waren die Ärzte gestolpert

In der Falldiskussion heben die Autoren zwei Hauptfaktoren hervor, die offenbar eine zeitnahe Diagnose verhindert hatten:

Erstens seien die Sprachstörungen als Erstsymptom einer Infektion mit Clostridium tetani sehr ungewöhnlich. In ihrer lokalen Manifestation hätten diese für die Ärzte ausgesehen wie fokale Defizite. Die beginnenden Krämpfe waren außerdem durch die Behandlung mit dem Benzodiazepin und dem Antikonvulsivum unterdrückt.

Der zweite Faktor: Da man dem Patienten aufgrund seiner Vorgeschichte ein erhöhtes zerebrovaskuläres Risiko zugeschrieben hatte, konnte man den angeblichen Hinweis auf eine Ischämie im kraniellen CT durchaus für plausibel halten. Das Fehlen weiterer neurologischer Defizite hätte die behandelnden Ärzte jedoch stutzig machen müssen, so Bilreiro und ihr Team. Tatsächlich habe ein zwischenzeitlich angefertigtes MRT die CT-Befunde als reine Artefakte entlarvt.

Der entscheidende Hinweis: ein Pflanzendorn

Was man eingangs komplett übersehen hatte, war ein winziger, aber entscheidender Hinweis: Am Fingergrund zwischen Ringfinger und kleinem Finger des Patienten hatte sich ein Dorn von einer Pflanze in die Haut gebohrt. Die Wunde hatte man erst an Tag 5 nach der Klinikeinweisung entdeckt. Es war wohl die Eintrittspforte für den Tetanus-Erreger.

Literatur

Bilreiro M et al. From Dysarthria to Tetanus: Case Report and Diagnostic Considerations. European Journal of Case Reports in Internal Medicine 2022; https://doi.org/10.12890/2022_003131

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