Therapie zu intensiv bei alten, zu lasch bei jungen Diabetikern

Ärzte drücken bei jüngeren Diabetikern oft ein Auge zu, wohingegen sie älteren und multimorbiden häufiger eine zu intensive Therapie mit Sulfonylharnstoffen und Insulin verordnen. Eigentlich sollte es eher umgekehrt sein. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Bei älteren Typ-2-Diabetikern dürfen Ärzte ruhig mal einen Gang zurückschalten und über eine Deintensivierung der Behandlung nachdenken, wohingegen jüngere Patienten oft nicht ihre Therapieziele erreichen und häufiger eine intensivere Therapie benötigen. Das ist jedenfalls das wesentliche Ergebnis einer US-Analyse zur Therapie von knapp 200.000 Diabetikern aller Altersstufen. Die Resultate aus der ärztlichen Praxis widersprechen damit diversen Leitlinien, wonach gerade ältere Patienten mit ernsten, aber nicht diabetesbedingten Begleiterkrankungen, einer verkürzten Lebenserwartung und einem erhöhten Risiko für Hypoglykämien sowie andere Nebenwirkungen keine so strenge Diabetestherapie mehr erhalten sollten, berichten Ärzte um Dr. Rozalina McCoy von der Mayo Clinic in Rochester. Niedrigster HbA1c-Wert bei den ältesten Diabetikern Für ihre Analyse berücksichtigten die Forscher um McCoy Angaben eine Datenbank mit Versicherungs- und Laborinformationen. Darin werden longitudinale Gesundheitsinformationen zu Diabetikern aus allen Teilen der USA gespeichert. Das Team um McCoy konzentrierte sich auf Patienten, die im Jahr 2015 ihren HbA1c-Wert bestimmen ließen und für die Medikamentenverordnungen über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten vor der Messung vorlagen. Im Schnitt waren die Teilnehmer 66 Jahre alt, ein großer Teil (31%) stammte aus sozial benachteiligten Schichten, im Mittel lagen zwei Begleiterkrankungen vor. Diese beurteilten die Ärzte als konkordant, wenn sie im Zusammenhang mit einem Diabetes standen, also etwa Herz- und Niereninsuffizienz, Bluthochdruck, Retino- und Neuropathien; als diskordant galten sie, wenn dies nicht der Fall war, als fortgeschritten bei terminalen Erkrankungen wie Krebs und Demenz. Diese Unterscheidung ist wichtig, weil konkordante Begleiterkrankungen eher eine Intensivierung, diskordante und fortgeschrittene eine Lockerung der Diabetesbehandlung nahelegen. In der Praxis war dies jedoch nicht der Fall: Je mehr diskordante Komorbiditäten vorlagen, umso niedriger lag der HbA1c-Wert, dagegen korrelierte die Zahl der konkordaten Begleiterkrankungen nicht mit der glykämischen Kontrolle. Ähnlich paradoxe Resultate zeigten sich beim Alter der Patienten: Ausgerechnet die ältesten (über 75 Jahre) hatten mit im Schnitt 6,9 den niedrigsten HbA1c-Wert, die jüngsten (unter 44 Jahre) mit 7,7 den höchsten. Dazwischen gab es einen linearen Verlauf: je älter der Patient, umso niedriger der HbA1c-Wert. Viele Begleiterkrankungen, häufig Insulin Schauten sich die Forscher die Medikation genauer an – vor allem diejenige mit einem besonderen Risiko für Hypoglykämien, so wurden Sulfonylharnstoffe unabhängig von anderen Faktoren und dem HbA1c-Wert älteren Patienten 36% häufiger verordnet als jüngeren. Bei alten Patienten mit niedrigen HbA1c-Werten war der Anteil sogar um 80% höher als unter jungen (18,1 versus 10,5%). Immerhin: Je mehr Begleiterkrankungen die Patienten hatten, umso seltener bekamen sie Sulfonylharnstoffe. Etwas differenzierter ist das Bild für die Insulintherapie: Patienten mit niedrigen HbA1c-Werten erhielten etwas häufiger Insulin, wenn sie jung waren, bei hohen HbA1c-Werten war es genau umgekehrt. Am häufigsten wurde Insulin unabhängig von anderen Faktoren bei hohen HbA1c-Werten verordnet – aber auch bei mehreren Begleiterkrankungen, egal, welcher Art diese waren. Immerhin war eine Insulintherapie bei konkordanten Komorbiditäten wahrscheinlicher als bei diskordanten und fortgeschrittenen, aber selbst bei einer Krebserkrankung oder Demenz erhielten die Patienten noch zu rund 50% häufiger Insulin als ohne Komorbiditäten. Die Ärzte um McCoy ziehen daraus den wenig schmeichelhaften Schluss, dass US-Ärzte ausgerechnet bei Patienten mit hohem Alter und/oder vielen Begleiterkrankungen einen sehr niedrigen HbA1c-Wert über eine Therapie mit Insulinen und Sulfonylharnstoffen erzielen, obwohl solche Patienten am wenigsten von einer intensiven glykämischen Kontrolle profitieren und am ehesten Hypoglykämien entwickeln. Dagegen erhalten jüngere und gesündere Diabetiker trotz höherer HbA1c-Werte oft eine weniger intensive Therapien und seltener solche Medikamente, obwohl bei ihnen das Hypoglykämierisiko am geringsten ist. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise nehmen jüngere Diabetiker ihre Therapie weniger ernst als ältere, oder ältere multimorbide Patienten sind oft nicht mehr in der Lage, ihre Medikation selbst einzunehmen, und bekommen diese von Angehörigen und Pflegekräften, was eine gute Compliance gewährleistet. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie gut klappt die glykämische Kontrolle in der Praxis? Antwort: Ältere Diabetiker und solche mit vielen Begleiterkrankungen erhalten häufiger eine intensivierte Therapie mit Insulinen und Sulfonylharnstoffen als jüngere, obwohl sie weniger davon profitieren und die Risiken höher sind. Bedeutung: Das Diabetesmanagement sollte gelegentlich hinterfragt werden. Einschränkung: Daten beziehen sich ausschließlich auf die USA.

Springer Medizin

Therapie zu intensiv bei alten, zu lasch bei jungen Diabetikern

Weiterführende Themen

Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten

Weiterführende Themen

Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft