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Erschienen in: Journal of Public Health 1/2004

01.02.2004 | Original Article

Zur Erklärungskraft des heutigen soziodemografischen Risikostrukturausgleichsmodells

Ergebnisse empirischer Analysen an Prozessdaten einer ostdeutschen Regionalkasse

verfasst von: Corinne Behrend, Dr. Stefan Greß, Rolf Holle, Peter Reitmeir, Karsten Tolksdorff, Jürgen Wasem

Erschienen in: Journal of Public Health | Ausgabe 1/2004

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Zusammenfassung

Eine wesentliche Voraussetzung für effizienzsteigernden regulierten Wettbewerb in sozialen Krankenversicherungssystemen ist die weitgehende Aufhebung von Selektionsanreizen und Antiselektionseffekten durch Risikoausgleichsmechanismen. Damit solche Mechanismen wirksam sind, ist es u. a. wichtig, dass individuelle Unterschiede im Risiko der Verursachung von Leistungsausgaben hinreichend genau abgebildet werden. Internationale Erfahrungen haben gezeigt, dass Ausgleichsmodelle mit Alter und Geschlecht als alleinige Risikoindikatoren nur einen recht geringen Teil der individuellen Leistungsausgaben erklären. Diese Erkenntnis bestätigt sich auch in der vorliegenden Arbeit an den Daten einer ostdeutschen Regionalkasse. Ein weiteres Ergebnis ist, dass die zusätzliche Verwendung eines Indikators für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente die Erklärungskraft des deutschen Risikostrukturausgleichsmodells deutlich verbessert. Allerdings ist auch ein solches soziodemografisches Modell nicht in der Lage, Selektionsanreize ausreichend aufzuheben. Insbesondere bei Hochkostenfällen, BU/EU-Rentnern und Versicherten ab 60 Jahren kann mit beträchtlichen Abweichungen zwischen den mit diesen Ausgleichsparametern als risikobedingt veranschlagten und den tatsächlichen Ausgaben gerechnet werden.
Fußnoten
1
Vgl. aus damaliger Sicht: Wasem 1993b.
 
2
Auf einen RSA kann in einem wettbewerblichen Krankenversicherungssystem nur dann verzichtet werden, wenn die Versicherungsprämien entsprechend dem individuellen Gesundheitsrisiko kalkuliert werden (Zweifel u. Breuer 2002).
 
3
Die Geldleistungen der Krankenkassen sind eine deutsche Besonderheit; wegen fehlender Vergleichsmöglichkeiten mit internationalen Untersuchungen wurden sie in die vorliegende Untersuchung nicht einbezogen. Darüber hinaus wurde hier Krankengeld — im RSA gleichzeitig ausgleichsfähige Ausgabenposition und Ausgleichsparameter — außer Betracht gelassen, weil mit der Art seiner Einbeziehung in den RSA u. a. die Einkommens- und Arbeitgeberabhängigkeit der Ausgaben nicht berücksichtigt wird, was als konzeptionell fehlerhaft ausgestaltet angesehen wird (Reschke 1993; Wasem 1993a).
 
4
Für eine ausführliche Darstellung sowie eine detaillierte Analyse von Anreizwirkungen vgl. Jacobs, et al. 2002.
 
5
Während die beitragspflichtigen Einnahmen je Versicherten 1999 bei der „ärmsten“ Krankenkasse bei unter 10.000 EUR lagen, betrugen sie bei der „reichsten“ Kasse über 21.000 EUR (Jacobs et al. 2002, S. 134). Ceteris paribus müsste die „ärmste“ Kasse in einer Situation ohne RSA allein wegen dieses Faktors einen mehr als doppelt so hohen Beitragssatz erheben als die „reichste“.
 
6
Grundsätzlich ist es auch möglich, risikoadjustierte Kopfpauschalen und Beitragsbedarf prospektiv festzulegen, was beispielsweise in den entsprechenden Ausgleichssystemen der USA oder der Niederlande geschieht. Bei einer prospektiven Festlegung werden Risikoindikator-Daten der laufenden Periode herangezogen, um die Ausgaben der folgenden Periode zu erklären; bei einer retrospektiven (oder zeitgleichen) Festlegung beziehen sich sowohl die Risikoindikator-Informationen als auch die zu erklärenden Ausgaben auf die gleiche Periode.
 
7
Nichtberücksichtigungsfähig sind im RSA die Verwaltungsausgaben der Kassen sowie Satzungs- und Ermessensleistungen, zu denen insbesondere (ambulante) Kuren gehören.
 
8
Zum 01.01.2002 hat der Gesetzgeber beschlossen, dass in einer Übergangszeit bis zur Einführung des direkt morbiditätsorientierten RSA zusätzlich nach dem Merkmal „Eingeschrieben in ein akkreditiertes strukturiertes Behandlungsprogramm (Disease-Management-Programm)“ differenziert werden soll. Bis April 2003 lagen solche Einschreibungen nicht vor — was a fortiori für den dieser Untersuchung zugrunde liegenden Datensatz gilt.
 
9
Zu weiteren Beurteilungskriterien vgl. Reschke et al. 2002 sowie Cumming et al. 2002.
 
10
In den Niederlanden werden über den Ausgleichsparameter Erwerbsstatus die Merkmale „beschäftigt“, „arbeitslos“, „Altersrentner“ und „Erwerbsunfähigkeitsrentner“ abgebildet. Die Zugangsbedingungen für eine Erwerbsunfähigkeitsrente in den Niederlanden sind weitaus weniger restriktiv als die zu einer Erwerbsminderungsrente in Deutschland.
 
11
Ziel der Untersuchung von Breyer et al. war es u. a. festzustellen, ob neben Alter, Geschlecht und BU/EU-Status noch weitere soziodemografische Parameter identifiziert werden können, die als statistisch signifikante Ausgabenbedarfsindikatoren in einem GKV-Risikostrukturausgleichsmodell berücksichtigt werden könnten.
 
12
Mit der Hilfsvariablen werden einerseits BU/EU-Rentnerinnen vernachlässigt, andererseits werden etwa männliche Bezieher von Hinterbliebenenrenten auch zu BU/EU-Rentnern gezählt.
 
13
Problem des Überoptimismus oder der Überanpassung („overfitting“): vgl. unten.
 
14
Jeder aktuarische Ansatz kann auch als Regressionsansatz abgebildet werden, indem jede der durch (aktuarische) Kreuzklassifikation erhaltenen Parameterkombinationen (Zellen) als Indikatorvariable (Dummy) in ein lineares Regressionsmodell aufgenommen wird.
 
15
1-mal Kalibrierung mit Daten der Versichertengrundgesamtheit, 1-mal Kalibrierung mit Daten der RSA-Stichprobenversicherten, 1.000-mal Kalibrierung mit stratifizierten Zufallsstichproben.
 
16
Negative CPM-Werte können sich ergeben, wenn die für eine Population ermittelte Erklärungskraft eines Modells nach Untergruppen stratifiziert betrachtet wird: Der Mittelwert in der Formel CPM = 1 – [∑i |ai – âi|)] / [∑i |ai – â|], mit welcher die untergruppenspezifischen CPM-Werte ermittelt werden, bezieht sich auf die ganze Population und nicht auf die jeweiligen Untergruppen.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Zur Erklärungskraft des heutigen soziodemografischen Risikostrukturausgleichsmodells
Ergebnisse empirischer Analysen an Prozessdaten einer ostdeutschen Regionalkasse
verfasst von
Corinne Behrend
Dr. Stefan Greß
Rolf Holle
Peter Reitmeir
Karsten Tolksdorff
Jürgen Wasem
Publikationsdatum
01.02.2004
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Journal of Public Health / Ausgabe 1/2004
Print ISSN: 2198-1833
Elektronische ISSN: 1613-2238
DOI
https://doi.org/10.1007/s10389-003-0005-2

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