Hintergrund
Die Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter [
1]. In Deutschland beträgt die Prävalenz einer elternberichteten ADHS-Diagnose bei Kindern und Jugendlichen 4,4 % [
2]. Aufgrund der hohen Heritabilität der ADHS hat die Forschung bislang schwerpunktmäßig auf die neurobiologischen und genetischen Aspekte der ADHS fokussiert, während psychosoziale Aspekte im Kontext der ADHS erst in jüngerer Zeit verstärkte Aufmerksamkeit erhielten [
3‐
7]. Die ADHS eines Kindes ist mit einer Vielzahl individueller und sozialer Belastungen auch für die Eltern verbunden. So geht die ADHS eines Kindes in der Familie mit einer verringerten elterlichen gesundheitsbezogenen Lebensqualität [
8] sowie mehr elterlichen psychopathologischen Symptomen [
9] einher. Darüber hinaus können den Eltern finanzielle Einschränkungen oder Probleme sowie Nachteile in der beruflichen Entwicklung entstehen, wenn sie z. B. aufgrund der Erkrankung des Kindes ihre Arbeitszeit reduzieren oder ganz auf eine Erwerbstätigkeit verzichten müssen. Eltern von Kindern mit ADHS berichten zudem häufiger von einer geringeren Arbeitseffizienz, von Jobkündigungen sowie weniger Arbeitsangeboten [
10,
11]. Ein Kind mit ADHS in der Familie erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit von Partnerschaftsproblemen der Eltern und ist mit höheren familiären Trennungs- und Scheidungswahrscheinlichkeiten assoziiert [
11,
12].
Umgekehrt sind Stress und psychosoziale Belastungen der Eltern auch mit höheren Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten von psychischen Problemen bei ihren Kindern verbunden [
13‐
15]. So beschreiben Bolster et al. [
13], dass Kinder und Jugendliche, deren Eltern Belastungen in den Bereichen Familie, Erziehung, Finanzen, berufliche Situation oder Partnerschaft angeben, häufiger psychisch auffällig sind als Kinder aus Familien ohne solche Belastungen [
13]. Bei kumulativen elterlichen Belastungen ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen psychischer Auffälligkeiten bei Kindern noch einmal deutlich erhöht [
13]. In einer Studie mit 255 Elternpaaren wurde gezeigt, dass elterlicher Stress, vermittelt über ein ungünstiges Erziehungsverhalten (z. B. zu hohe Nachsichtigkeit oder Überreagieren), und eine dysfunktionale elterliche Konfliktkommunikation mit expansivem kindlichen Problemverhalten verbunden sind, das durch oppositionelles Trotzverhalten, Störungen der Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Störungen des Sozialverhaltens gekennzeichnet ist [
14]. Bezogen auf ADHS legen 2 aktuelle Metaanalysen nahe, dass psychosoziale elterliche Belastungen, z. B. durch Kindererziehung, Partnerschaftsprobleme, kritische Lebensereignisse, Alleinerziehung, niedrigen sozioökonomischen Status (SES), elterlichen Stress oder elterliche Psychopathologie, signifikant mit der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer ADHS-Diagnose sowie der Ausprägung von ADHS-Symptomen bei den Kindern verbunden sind [
16,
17]. In einer weiteren Übersichtsarbeit wird darauf hingewiesen, dass Partnerschaftsprobleme und -konflikte der Eltern zur Aufrechterhaltung und/oder Verstärkung von kindlichen ADHS-Symptomen beitragen können, die wiederum verstärkend auf die Probleme in der elterlichen Paarbeziehung zurückwirken [
18].
Diese bisherigen Forschungsbefunde zu psychosozialen elterlichen Belastungsfaktoren und ADHS haben vorrangig auf die funktionellen Aspekte der Eltern-Kind-Beziehung (wie Erziehungsverhalten oder elterliche Psychopathologie), qualitative Aspekte der Partnerbeziehung zwischen den Eltern oder strukturelle Risikofaktoren wie SES oder Einelternfamilie fokussiert. Weniger bekannt ist dagegen, welcher Zusammenhang zwischen subjektiv empfundenen elterlichen Belastungen und ADHS-Symptomen beziehungsweise einer ADHS-Diagnose bei den Kindern besteht. In der vorliegenden Arbeit werden diese Zusammenhänge sowohl dimensional, unter Berücksichtigung der Unaufmerksamkeits‑/Hyperaktivitätsskala des Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ), als auch kategorial, mittels Einbezug einer elternberichteten ADHS-Diagnose, betrachtet. Auf diese Weise können sowohl subklinische Ausprägungen einer ADHS-Symptomatik als auch klinisch manifestierte ADHS untersucht werden.
Ziel dieser Arbeit ist es, zu einer besseren Kenntnis über mögliche Zusammenhänge eines breiten Spektrums elterlichen Belastungserlebens und des Vorliegens von Unaufmerksamkeits‑/Hyperaktivitätssymptomen (UHS) beziehungsweise ADHS-Diagnose der Kinder auf der Basis einer bundesweiten Stichprobe beizutragen. Dabei werden auch die Effekte kumulativer Belastungen betrachtet. Dabei werden folgende Hypothesen untersucht:
1.
Das Vorliegen von verschiedenen, subjektiv empfundenen Belastungen der Eltern geht mit mehr UHS bzw. einer höheren Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer ADHS-Diagnose ihrer Kinder einher.
2.
Mit steigender Anzahl elterlicher Belastungen liegen ausgeprägtere UHS beziehungsweise eine größere Häufigkeit elternberichteter ADHS-Diagnosen bei den Kindern vor.
Methodik
Stichprobe
Die vorliegenden Analysen beruhen auf einer querschnittlichen Auswertung der Daten von insgesamt 4596 Teilnehmenden im Alter von 11–17 Jahren der KiGGS-Kohorte zum Zeitpunkt der KiGGS-Welle 2 (2014–2017), davon 2339 Mädchen und 2257 Jungen [
19]. Die KiGGS-Kohorte ist eine Längsschnittstudie im Rahmen des Gesundheitsmonitorings am Robert Koch-Institut, für die sämtliche wiederbefragungsbereite Teilnehmende der KiGGS-Basiserhebung (2003–2006; [
20]) erneut befragt und in Teilen auch untersucht wurden. Die Responserate in dem Befragungsteil der Erhebung, der der vorliegenden Analyse zugrunde lag, betrug 61,5 %. Einzelheiten des Studiendesigns der KiGGS-Kohorte sind bei Mauz et al. [
21] und Lange et al. [
22] beschrieben.
Statistische Analysen
Die statistische Signifikanz der Zusammenhänge von UHS sowie dem Vorliegen einer elternberichteten ADHS-Diagnose bei den Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen elterlichen Belastungsarten wurde für die UHS mithilfe nicht adjustierter linearer Regressionsanalysen, für das Vorliegen einer ADHS-Diagnose mit dem Rao-Scott-Chi-Square-Test überprüft. Mittelwerte und Häufigkeiten wurden mit 95 %-Konfidenzintervallen (KI) getestet.
Um die Effekte einzelner Belastungsarten sowie kumulativer elterlicher Belastungen unter Kontrolle der oben genannten Confounder auf UHS und auf das Vorliegen einer elternberichteten ADHS-Diagnose einerseits sowie unter zusätzlicher wechselseitiger Kontrolle aller erhobenen Belastungsarten andererseits zu untersuchen, wurden darüber hinaus lineare Regressionsanalysen mit der SDQ-Hyperaktivitätsskala und binäre logistische Regressionsanalysen mit dem Vorliegen einer elternberichten ADHS-Diagnose (Ja/Nein) als abhängige Variablen durchgeführt. Die Modellierung erfolgte dabei in 2 Schritten: Zunächst wurde für jede einzelne elterliche Belastungsart je ein Modell mit Adjustierung durch die genannten Kontrollvariablen berechnet. In einem zweiten Schritt wurden sämtliche Belastungsarten (ohne „Belastungen im Allgemeinen“) in einem Gesamtmodell sowohl für UHS als auch für das Vorliegen einer ADHS-Diagnose berücksichtigt. Darüber hinaus wurde je ein separates Modell für kumulative Belastungen, einmal für UHS und einmal für die elternberichtete ADHS-Diagnose als abhängige Variable gerechnet. Bei den Modellen mit UHS als abhängige Variable wurden Kinder und Jugendliche mit ADHS-Diagnose ausgeschlossen, um die Gruppen besser trennen zu können.
Die Datenanalyse erfolgte mit der Statistiksoftware Stata (Version 17). Für sämtliche Analysen wurde die komplexe Survey-Struktur der KiGGS-Daten durch die Verwendung der svy-Prozedur berücksichtigt. Mittels einer Gewichtung wurde die Kohortenstichprobe an die Ausgangsstichprobe zum Zeitpunkt der KiGGS-Basiserhebung angepasst [
22]. Hierfür wurde die Nichtteilnahmewahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung relevanter soziodemografischer und gesundheitsbezogener Variablen mittels eines logistischen Regressionsmodells berechnet und die Gruppen mit einer niedrigeren Wiederteilnahmebereitschaft anschließend stärker gewichtet. Für eine ausführliche Beschreibung des Gewichtungsprozederes siehe Lange et al. [
22].
Ergebnisse
Tab.
1 zeigt die deskriptiven Statistiken der KiGGS-Teilstichprobe, die diesen Analysen zugrunde liegt. Mädchen und Jungen waren annähernd gleich vertreten (48,5 % Mädchen). 40,9 % der Kinder und Jugendlichen waren in der Altersgruppe von 11–13 Jahren und 59,1 % waren 14–17 Jahre alt. Der Skalenmittelwert für UHS lag bei M = 2,69, die Häufigkeit einer elternberichteten ADHS-Diagnose bei 6,6 %. Die Häufigkeit einzelner elterlicher Belastungen reichte von 2,2–19,5 %. Allgemein belastet zu sein, gaben 27,0 % der befragten Eltern an.
Tab. 1
Stichprobenbeschreibung (Teilstichprobe der KiGGS-Kohorte; Welle 2, 2014–2017, N = 4596)
Geschlecht |
Männlich | 2257 | 51,5 (50,2–52,9) |
Weiblich | 2339 | 48,5 (47,1–49,8) |
Alter |
11–13 J | 1973 | 40,9 (39,5–42,3) |
14–17 J | 2623 | 59,1 (57,7–60,5) |
SES |
Niedrig | 523 | 18,6 (16,6–20,9) |
Mittel | 2987 | 63,4 (61,1–65,7) |
Hoch | 994 | 17,9 (16,0–20,1) |
Migrationshintergrund |
Kein | 3742 | 71,8 (68,4–75,0) |
Einseitig | 360 | 9,8 (8,5–11,3) |
Beidseitig | 464 | 18,4 (15,7–21,4) |
Familienstruktur |
Kernfamilie mit leiblichen Eltern | 3570 | 77,6 (75,5–79,6) |
Stieffamilie | 388 | 8,6 (7,4–9,8) |
Eineltern-Familie | 541 | 13,1 (11,6–14,7) |
Nicht bei Eltern lebend | 29 | 0,8 (0,5–1,4) |
Unaufmerksamkeits‑/Hyperaktivitätssymptome (Unaufmerksamkeits‑/Hyperaktivitätsskala SDQ) Mittelwert (95 %-KI): 2,69 (2,60–2,79) | 4596 | – |
ADHS-Diagnose |
Ja | 262 | 6,6 (5,6–7,6) |
Nein | 4231 | 93,4 (92,4–94,4) |
Anzahl elterlicher Belastungen | 4220 | – |
0 | 2197 | 51,2 (47,1–53,2) |
1 | 757 | 17,0 (15,5–18,6) |
2 | 449 | 11,3 (10,1–12,6) |
3 | 315 | 7,7 (6,8–8,8) |
4 und mehr | 501 | 12,9 (11,5–14,4) |
Art der Belastung (Antwortkategorie „belastet“) |
Belastung allgemein | 1250 | 27,0 (25,2–28,8) |
Belastung im Haushalt | 797 | 17,7 (16,3–19,2) |
Finanzielle Sorgen | 545 | 14,6 (13,1–16,2) |
Ständiges Dasein und „Einsatz“ für die Familie | 857 | 19,5 (18,0–21,0) |
Alleinige Verantwortung für Kindererziehung | 495 | 12,5 (11,2–14,1) |
Pflegebedürftige Familienangehörige | 280 | 6,2 (5,3–7,2) |
Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern | 434 | 10,6 (9,5–11,9) |
Konflikte mit der (Ex‑)Partnerin/dem (Ex‑)Partner | 366 | 8,6 (7,5–9,8) |
Konflikte mit anderen Familienangehörigen | 231 | 5,6 (4,7–6,7) |
Ungewolltes Alleinleben/Einsamkeit | 131 | 3,7 (3,0–4,7) |
Berufliche Situation/Arbeitslosigkeit | 508 | 12,3 (10,8–13,9) |
Geringe Anerkennung Haus‑/Familienarbeit | 421 | 10,7 (9,5–12,1) |
Chronisch krankes oder behindertes Kind | 103 | 2,2 (1,8–2,8) |
Vereinbarkeitsprobleme von Familie und Beruf | 470 | 9,9 (8,8–11,1) |
Elterliche Belastungen und UHS von Kindern und Jugendlichen
Tab.
2 zeigt die Ergebnisse der Zusammenhangsanalysen zwischen elterlichen Belastungen und UHS von Kindern und Jugendlichen. Signifikant höhere Werte auf der Hyperaktivitätsskala des SDQ wurden bei höherer Belastung der Eltern in 7 von 13 Belastungsbereichen (finanzielle Sorgen, alleinige Verantwortung für die Kindererziehung, Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern, Konflikte mit der (Ex‑)Partnerin/dem (Ex‑)Partner, ungewolltes Alleinleben/Einsamkeit, berufliche Situation/Arbeitslosigkeit sowie geringe Anerkennung der Haus‑/Familienarbeit) gefunden. Dies traf auch auf Kinder von Eltern zu, die angaben, sich im Allgemeinen belastet zu fühlen. Kein Zusammenhang bestand mit den Bereichen Belastung im Haushalt, ständiges Dasein und „Einsatz“ für die Familie, pflegebedürftige Familienangehörige, Konflikte mit anderen Familienangehörigen, chronisch krankes oder behindertes Kind, Vereinbarkeitsprobleme von Familie und Beruf.
Tab. 2
Mittelwerte (95 %-KI) für Unaufmerksamkeits‑/Hyperaktivitätssymptome (SDQ) bei 11- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen in Abhängigkeit von Art und kumulativer Häufigkeit der Belastungen
Belastungen allgemein | 4100 | 2,44 (2,35–2,54) | 2,65 (2,50–2,81) | 0,024 |
Belastung im Haushalt | 4126 | 2,47 (2,38–2,55) | 2,67 (2,45–2,89) | 0,083 |
Finanzielle Sorgen | 4115 | 2,41 (2,32–2,50) | 3,09 (2,80–3,37) | < 0,001 |
Ständiges Dasein und „Einsatz“ für die Familie | 4116 | 2,48 (2,40–2,57) | 2,60 (2,40–2,81) | 0,311 |
Alleinige Verantwortung für Kindererziehung | 4115 | 2,44 (2,36–2,53) | 2,92 (2,66–3,18) | < 0,001 |
Pflegebedürftige Familienangehörige | 4113 | 2,50 (2,41–2,58) | 2,49 (2,23–2,74) | 0,936 |
Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern | 4135 | 2,38 (2,30–2,47) | 3,52 (3,21–3,83) | < 0,001 |
Konflikte mit der (Ex‑)Partnerin/dem (Ex‑)Partner | 4121 | 2,44 (2,36–2,53) | 3,03 (2,72–3,34) | < 0,001 |
Konflikte mit anderen Familienangehörigen | 4125 | 2,48 (2,39–2,57) | 2,72 (2,40–3,05) | 0,152 |
Ungewolltes Alleinleben/Einsamkeit | 4111 | 2,47 (2,38–2,56) | 3,17 (2,72–3,63) | 0,004 |
Berufliche Situation/Arbeitslosigkeit | 4123 | 2,44 (2,35–2,53) | 2,83 (2,60–3,06) | 0,002 |
Geringe Anerkennung Haus‑/Familienarbeit | 4108 | 2,44 (2,35–2,53) | 3,01 (2,74–3,27) | < 0,001 |
Chronisch krankes oder behindertes Kind | 4116 | 2,49 (2,41–2,58) | 2,55 (1,94–3,16) | 0,844 |
Vereinbarkeitsprobleme von Familie und Beruf | 4113 | 2,47 (2,38–2,56) | 2,66 (2,44–2,88) | 0,101 |
Anzahl der Belastungen | 3929 | – | – | – |
Keine | 2080 | 2,30 (2,18–2,41) | – | Ref. |
1 | 693 | – | 2,57 (2,41–2,73) | 0,005 |
2 | 416 | – | 2,72 (2,43–3,01) | 0,007 |
3 | 293 | – | 2,60 (2,28–2,92) | 0,077 |
4 und mehr | 447 | – | 3,01 (2,77–3,24) | < 0,001 |
Tab.
3 zeigt die Ergebnisse der multivariaten linearen Regressionsanalysen für jede Belastungsart mit UHS der Kinder als abhängige Variable (Modell 1). Nach Adjustierung für Geschlecht, Alter, SES, Migrationshintergrund und Familienstruktur blieben in folgenden Bereichen die signifikanten Zusammenhänge zwischen elterlichen Belastungsarten mit UHS bei den Kindern bestehen: finanzielle Sorgen (
p < 0,001), alleinige Verantwortung für die Kindererziehung (
p = 0,004), Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern (
p < 0,001), Konflikte mit der (Ex‑)Partnerin/dem (Ex‑)Partner (
p < 0,001), ungewolltes Alleinleben/Einsamkeit (
p = 0,008), berufliche Situation/Arbeitslosigkeit (
p = 0,006) sowie geringe Anerkennung der Haus‑/Familienarbeit (
p < 0,001). Mit Bezug auf kumulative Belastungen war das Vorliegen von 1 (
p = 0,001), 2 (
p = 0,008) und 4 und mehr (
p < 0,001) Belastungsarten bei den Eltern mit mehr UHS der Kinder assoziiert. Bei Einbezug aller Belastungsarten in einem volladjustierten Gesamtmodell (Modell 2) wurde ersichtlich, dass nur noch folgende Belastungsarten mit signifikant mehr Hyperaktivität verbunden waren: „finanzielle Sorgen“ (
p = 0,005) und „Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern“ (
p < 0,001).
Tab. 3
Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse für Modell 1: alle Arten elterlicher Belastungen einzeln sowie Anzahl der Belastungen, und Modell 2: elterliche Belastungsarten (unter Einbezug aller Belastungsarten ohne Belastungen im Allgemeinen) für elternberichtete Unaufmerksamkeits‑/Hyperaktivitätssymptome bei 11- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen (unstandardisierte Beta-Koeffizienten und 95 %-KI; Referenzgruppe: nicht belastete Eltern)
Art der Belastung | Eltern mit Belastungen Beta (95 %-KI; n = 4089) | Eltern mit Belastungen Beta (95 %-KI; n = 3859) |
Belastungen allgemein | 0,20 (0,02–0,37)* | – |
Belastung im Haushalt | 0,19 (−0,04–0,41) | −0,09 (−0,29–0,11) |
Finanzielle Sorgen | 0,59 (0,30–0,89)*** | 0,41 (0,13–0,70)** |
Ständiges Dasein und „Einsatz“ für die Familie | 0,09 (−0,12–0,31) | −0,22 (−0,46–0,01) |
Alleinige Verantwortung für Kindererziehung | 0,38 (0,12–0,64)** | 0,18 (−0,08–0,44) |
Pflegebedürftige Familienangehörige | −0,02 (−0,27–0,22) | −0,15 (−0,41–0,11) |
Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern | 1,06 (0,77–1,35)*** | 0,94 (0,62–1,27)*** |
Konflikte mit der (Ex‑)Partnerin/dem (Ex‑)Partner | 0,55 (0,24–0,85)*** | 0,12 (−0,20–0,45) |
Konflikte mit anderen Familienangehörigen | 0,23 (−0,12–0,58) | −0,04 (−0,39–0,32) |
Ungewolltes Alleinleben/Einsamkeit | 0,64 (0,17–1,11)** | 0,31 (−0,15–0,77) |
Berufliche Situation/Arbeitslosigkeit | 0,33 (0,10–0,57)** | 0,01 (−0,23–0,25) |
Geringe Anerkennung Haus‑/Familienarbeit | 0,55 (0,27–0,82)*** | 0,23 (−0,04–0,49) |
Chronisch krankes oder behindertes Kind | −0,07 (−0,65–0,50) | −0,10 (−0,77–0,58) |
Vereinbarkeitsprobleme von Familie und Beruf | 0,21 (−0,04–0,46) | −0,03 (−0,29–0,23) |
Anzahl der Belastungen (n = 3893) |
1 | 0,30 (0,12–0,47)** | – |
2 | 0,39 (0,10–0,68)** | – |
3 | 0,29 (−0,04–0,62) | – |
4 und mehr | 0,69 (0,43–0,95)*** | – |
Elterliche Belastungen und elternberichtete ADHS-Diagnose von Kindern und Jugendlichen
Tab.
4 zeigt die Häufigkeiten elternberichteter ADHS-Diagnosen ihrer Kinder im Zusammenhang mit elterlichen Belastungen. Signifikant häufiger wurde eine elternberichtete ADHS-Diagnose bei höherer Belastung der Eltern in 6 von 13 Belastungsbereichen (finanzielle Sorgen, ständiges Dasein und „Einsatz“ für die Familie, alleinige Verantwortung für die Kindererziehung, durch Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern, Konflikte mit der (Ex‑)Partnerin/dem (Ex‑)Partner sowie geringe Anerkennung der Haus‑/Familienarbeit) gefunden. Dies traf auch zu, wenn die Eltern angaben, im Allgemeinen belastet zu sein. Kein Zusammenhang bestand mit den Bereichen Belastung im Haushalt, pflegebedürftige Familienangehörige, Konflikte mit anderen Familienangehörigen, ungewolltes Alleinleben/Einsamkeit, chronisch krankes oder behindertes Kind, Vereinbarkeitsprobleme von Familie und Beruf.
Tab. 4
Häufigkeit elternberichteter ADHS-Diagnose bei 11- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen von Eltern ohne und mit Belastungen nach Anzahl und Art der Belastung (Häufigkeiten und 95 %-KI)
Belastungen allgemein | 4373 | 5,9 (4,9–7,2) | 8,7 (6,8–11,2) | 0,0184 |
Belastung im Haushalt | 4401 | 6,6 (5,6–7,8) | 7,0 (4,6–10,5) | 0,7914 |
Finanzielle Sorgen | 4389 | 5,8 (4,9–6,9) | 11,6 (8,3–15,9) | 0,0003 |
Ständiges Dasein und „Einsatz“ für die Familie | 4386 | 5,9 (4,9–7,1) | 9,3 (6,7–12,7) | 0,0224 |
Alleinige Verantwortung für Kindererziehung | 4389 | 6,1 (5,1–7,3) | 10,5 (6,8–15,7) | 0,0277 |
Pflegebedürftige Familienangehörige | 4386 | 6,6 (5,6–7,7) | 8,2 (4,4–15,0) | 0,4894 |
Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern | 4409 | 5,8 (4,8–6,9) | 14,0 (9,9–19,5) | < 0,001 |
Konflikte mit der (Ex‑)Partnerin/dem (Ex‑)Partner | 4396 | 6,3 (5,3–7,4) | 10,9 (7,3–15,8) | 0,0133 |
Konflikte mit anderen Familienangehörigen | 4399 | 6,5 (5,6–7,6) | 8,5 (4,0–17,3) | 0,5028 |
Ungewolltes Alleinleben/Einsamkeit | 4384 | 6,5 (5,5–7,6) | 10,2 (3,8–24,4) | 0,3585 |
Berufliche Situation/Arbeitslosigkeit | 4395 | 6,3 (5,4–7,5) | 8,6 (5,5–13,1) | 0,2022 |
Geringe Anerkennung Haus‑/Familienarbeit | 4378 | 6,1 (5,1–7,2) | 10,8 (7,2–16,0) | 0,0101 |
Chronisch krankes oder behindertes Kind | 4388 | 6,6 (5,6–7,7) | 7,3 (3,2–15,4) | 0,8259 |
Vereinbarkeitsprobleme von Familie und Beruf | 4386 | 6,3 (5,4–7,5) | 9,3 (6,3–13,6) | 0,0758 |
Anzahl der Belastungen | 4219 | – | – | 0,0293 |
Keine | 2197 | 5,3 (4,1–6,9) | – | – |
1 | 757 | – | 7,8 (5,5–11,0) | – |
2 | 449 | – | 6,1 (3,7–9,8) | – |
3 | 315 | – | 6,4 (3,5–11,4) | – |
4 und mehr | 501 | – | 10,7 (7,3–15,5) | – |
Tab.
5 zeigt die Ergebnisse der adjustierten binären logistischen Regressionsanalysen für jede Belastungsart mit dem Vorliegen der elternberichteten ADHS-Diagnose als abhängige Variable (Modell 1). Nach Adjustierung für Geschlecht, Alter, SES, Migrationshintergrund und Familienstruktur bestand eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer elternberichteten ADHS-Diagnose nur für Kinder und Jugendliche, deren Eltern finanzielle Sorgen (
p = 0,011) berichteten, sich von ständigem Einsatz für die Familie (
p = 0,024), den Erziehungsproblemen/Konflikten mit den Kindern (
p = 0,007) sowie durch geringere Anerkennung von Haus- und Familienarbeit (
p = 0,041) belastet fühlten. Mit Blick auf kumulative Belastungen lag eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit für eine ADHS-Diagnose bei den Kindern lediglich dann vor, wenn die Eltern 4 oder mehr Belastungen berichteten (
p = 0,042). Unter simultaner Berücksichtigung sämtlicher Belastungsarten in einem volladjustierten Gesamtmodell verfehlten finanzielle Sorgen nur knapp die Signifikanzgrenze (
p = 0,055), während Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern signifikant (
p = 0,048) mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer ADHS-Diagnose assoziiert waren.
Tab. 5
Ergebnisse der binären logistischen Regressionsanalyse für Modell 1: alle Arten elterlicher Belastungen einzeln sowie Anzahl der Belastungen, und Modell 2: elterliche Belastungsarten (unter Einbezug aller Belastungsarten ohne Belastungen im Allgemeinen) für die elternberichtete ADHS-Diagnose bei 11- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen (OR und 95 %-KI; Referenzgruppe: nicht belastete Eltern)
Art der Belastung | Eltern mit Belastungen OR (95 %-KI) | Eltern mit Belastungen OR (95 %-KI) |
Belastungen allgemein | 1,42 (0,99–2,04) | – |
Belastung im Haushalt | 1,13 (0,71–1,79) | 0,76 (0,43–1,35) |
Finanzielle Sorgen | 1,77 (1,14–2,74)* | 1,61 (0,99–2,63) |
Ständiges Dasein und „Einsatz“ für die Familie | 1,63 (1,07–2,49)* | 1,41 (0,81–2,47) |
Alleinige Verantwortung für Kindererziehung | 1,41 (0,81–2,44) | 0,98 (0,52–1,83) |
Pflegebedürftige Familienangehörige | 1,34 (0,65–2,75) | 1,13 (0,51–2,52) |
Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern | 2,00 (1,21–3,30)** | 1,69 (1,01–2,83)* |
Konflikte mit der (Ex‑)Partnerin/dem (Ex‑)Partner | 1,44 (0,86–2,42) | 1,04 (0,53–2,06) |
Konflikte mit anderen Familienangehörigen | 1,27 (0,58–2,77) | 1,07 (0,51–2,23) |
Ungewolltes Alleinleben/Einsamkeit | 1,04 (0,34–3,20) | 0,75 (0,27–2,07) |
Berufliche Situation/Arbeitslosigkeit | 1,11 (0,68–1,83) | 0,78 (0,49–1,23) |
Geringe Anerkennung Haus‑/Familienarbeit | 1,67 (1,02–2,73)* | 1,37 (0,83–2,27) |
Chronisch krankes oder behindertes Kind | 0,87 (0,32–2,33) | 0,75 (0,24–2,30) |
Vereinbarkeitsprobleme von Familie und Beruf | 1,44 (0,87–2,38) | 1,00 (0,53–1,91) |
Anzahl der Belastungen (n = 4144) |
Keine | Ref. | – |
1 | 1,53 (0,95–2,46) | – |
2 | 1,12 (0,64–1,98) | – |
3 | 1,20 (0,58–2,47) | – |
4 und mehr | 1,74 (1,02–2,95)* | – |
Diskussion
Ziel des vorliegenden Beitrags war es, die Beziehungen zwischen elterlichen Belastungen und UHS bzw. dem Vorliegen einer elternberichteten ADHS-Diagnose bei Kindern und Jugendlichen in einem querschnittlichen Analysedesign auf Basis der Daten der KiGGS-Kohorte zum Erhebungszeitpunkt der KiGGS-Welle 2 (2014–2017) zu untersuchen. Hierfür wurden sowohl alle 13 erhobenen elterlichen Belastungsarten einzeln als auch kumulativ mit UHS bzw. einer elternberichteten ADHS-Diagnose des Kindes in Beziehung gesetzt.
Hypothesenkonform waren verschiedene subjektiv empfundene Belastungen mit mehr UHS und einer höheren Wahrscheinlichkeit für eine ADHS-Diagnose verbunden (Hypothese 1). Im Ergebnis der nur für die Confounder adjustierten multivariaten Analyse war ein deutlich breiteres Spektrum von elterlichen Belastungen mit mehr UHS bei den Kindern (unter Ausschluss von elternberichteten Diagnosen) assoziiert als mit einer elternberichteten ADHS-Diagnose. So waren insgesamt 8 Belastungsarten signifikant mit mehr UHS der Kinder verbunden: allgemeine Belastungen, finanzielle Sorgen, alleinige Verantwortung für die Kindererziehung, Erziehungsprobleme/Konflikte mit dem Kind, ungewolltes Alleinleben/Einsamkeit, berufliche Situation/Arbeitslosigkeit, Konflikte mit der (Ex‑)Partnerin/dem (Ex‑)Partner sowie geringe Anerkennung von Haus- und Familienarbeit. Dass elterliche Belastungen mit UHS von Kindern und Jugendlichen verbunden sind, entspricht der Erwartung und auch den Ergebnissen aktueller Übersichtsarbeiten und Metaanalysen [
16,
18] zu den Zusammenhängen von elterlichen Belastungen in den Bereichen Erziehung, Partnerschaft der Eltern und Familienstruktur (Eineltern-Familie) mit einer ausgeprägteren Symptomschwere bzw. der Aufrechterhaltung von ADHS-Symptomen (zu denen u. a. Hyperaktivität zählt) bei Kindern. Umgekehrt erhöhen elterliche Belastungen wie Trennung und Scheidung der Eltern das Risiko für ADHS-Symptome bei Kindern [
7]. Allerdings zeigte der Befund der nur für die Confounder adjustierten multivariaten Analyse, dass die elternberichtete ADHS-Diagnose mit insgesamt nur 4 und damit nur mit halb so vielen Belastungsarten im Vergleich zu den UHS assoziiert war: finanzielle Sorgen, ständiger Einsatz für die Familie, Erziehungsprobleme/Konflikt mit den Kindern sowie geringe Anerkennung von Haus‑/Familienarbeit. Dazu anzumerken ist, dass die leitliniengerechte Diagnostik einer ADHS aufwändig ist. Neben psychodiagnostischen Interviews, ADHS-spezifischen Fragebögen, kognitiven Leistungs- und Aufmerksamkeitstests werden in der Regel auch Informationen bei weiteren Personen eingeholt, zum Beispiel bei Erzieherinnen und Erziehern oder Lehrerinnen und Lehrern (sog. Multi-Informant-Prinzip), um die Symptomatik in unterschiedlichen Lebensbereichen zu erfassen und sie bei der klinischen Diagnosestellung mit zu berücksichtigen [
33]. Es muss somit eine gewisse „diagnostische Schwelle“ überschritten und die Diagnose den Eltern auch mitgeteilt werden, damit diese sie berichten können. Daher könnte vermutet werden, dass Kinder und Jugendliche mit elternberichteter Diagnose auch eine schwere Ausprägung von ADHS-Symptomen haben und die Eltern infolgedessen auch mehr Belastungserleben berichten würden, was sich in den hier dargelegten Ergebnissen allerdings nicht zeigte. Möglicherweise sind jedoch der Versorgungsgrad und damit auch die Therapie bei diagnostizierten Fällen besser, was implizierte, dass elterliche Belastungen, die mit der ADHS eines Kindes verbunden sind, mit besserer Versorgung beziehungsweise Behandlung geringer wären. In KiGGS Welle 1 gaben jedoch 57,2 % und in KiGGS Welle 2 insgesamt 61,7 % der Eltern von Kindern mit elternberichteter ADHS-Diagnose an, weder eine pharmakologische noch eine psychotherapeutische Behandlung erhalten zu haben [
2].
Im Gesamtmodell (wechselseitig adjustiert für sämtliche elterliche Belastungsarten und alle einbezogenen Confounder) waren jedoch nur noch die Belastungsarten „finanzielle Sorgen“ sowie „Erziehungsprobleme/Konflikte mit den Kindern“ signifikant sowohl mit mehr UHS als auch mit einer elternberichteten ADHS-Diagnose der Kinder assoziiert. Diese Ergebnisse verdeutlichen die finanziellen und familiären Belastungen, die mit der ADHS eines Kindes verbunden sind, etwa weil die berufliche Entwicklung eines oder beider Elternteile aufgrund des chronischen Charakters der Krankheit eingeschränkt ist und die ADHS des Kindes die familiären Beziehungen belastet [
10,
11].
Kinder und Jugendliche, deren Eltern mehr als eine Belastung berichteten, wiesen hypothesenkonform auch mehr UHS auf (Hypothese 2). Bei Vorliegen von 4 und mehr Arten elterlicher Belastungen war auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Kind eine elternberichtete ADHS-Diagnose aufwies. Ähnliche Ergebnisse zeigten die Analysen von Bolster et al. bezüglich psychischer Auffälligkeiten der Kinder: Dort waren psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen bei Vorliegen mehrerer elterlicher Belastungsarten ebenfalls häufiger [
13]. Auch wenn sich aus den hier berichteten Ergebnissen keine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung ableiten lässt, verdeutlichen sie doch, dass mit zunehmender Zahl elterlicher Belastungen auch die Wahrscheinlichkeit von mehr UHS bzw. dem Vorliegen einer elternberichteten ADHS-Diagnose bei den Kindern besteht.
Limitationen
Für den vorliegenden Beitrag wurden die zum Zeitpunkt von KiGGS Welle 2 erhobenen Daten der KiGGS-Kohorte querschnittlich ausgewertet. Die Stichprobe wurde dabei mittels einer Gewichtungsprozedur an die Ausgangsstichprobe der KiGGS-Basiserhebung angepasst [
34]. Die Daten sind daher nicht notwendigerweise für die Kinder- und Jugendbevölkerung zum Erhebungszeitpunkt 2014–2017 repräsentativ. Die Querschnittsanalysen lassen zudem keine kausalen Aussagen zu. Für die Untersuchung von kausalen Fragestellungen sind Längsschnittanalysen mit mehreren Messzeitpunkten erforderlich.
Es ist wahrscheinlich, dass sich elterliche Belastungen aufgrund der dadurch bedingten verminderten elterlichen Resilienz auf die Wahrnehmung des kindlichen Verhaltens durch die Eltern auswirkt. Es ist daher nicht auszuschließen, dass belastete Eltern das Verhalten ihrer Kinder als „auffälliger“ beurteilen als nicht belastete. Für diesbezügliche mögliche Verzerrungen kann mit diesem Studienansatz nicht kontrolliert werden. Sowohl die Erhebung der UHS als auch der ADHS-Diagnose der Kinder und Jugendlichen basieren auf einer Elternauskunft. Zwar wurde bezüglich der ADHS-Diagnose erfragt, ob diese ärztlich oder psychologisch, also von medizinischem Fachpersonal, gestellt wurde, dies lässt jedoch keine Rückschlüsse darauf zu, ob die Diagnostik leitliniengerecht erfolgte [
2]. Die Selbstangaben zu den unterschiedlichen Belastungen stellen ebenfalls eine subjektive Einschätzung der Eltern dar. Die UHS des SDQ aus 5 Items [
26] bilden zudem eine ADHS-Symptomatik nicht vollumfassend ab. Allerdings wurde versucht, diesem Mangel dadurch approximativ Abhilfe zu schaffen, dass die elternberichtete ärztlich oder psychologisch gestellte ADHS-Diagnose berücksichtig wurde.
Darüber hinaus ist anzumerken, dass ADHS ätiologisch vorrangig auf genetische Faktoren zurückgeführt wird [
1,
3,
35], weshalb in multivariaten Analysen eine bestehende elterliche Psychopathologie, insbesondere auch eine mögliche elterliche ADHS, als Kontrollvariable berücksichtigt werden sollte [
17]. Sofern die Eltern selbst von ADHS betroffen sind, ist mit Beeinträchtigungen ihrer psychischen Gesundheit [
36], dem Vorliegen eines niedrigeren Bildungsniveaus [
36,
37], einer höheren Wahrscheinlichkeit für Arbeitslosigkeit [
36], mehr Partnerschafts- und Familienkonflikten [
35,
36] sowie einem potenziell beeinträchtigten Erziehungsverhalten gegenüber den Kindern [
38] zu rechnen. Diese Faktoren können sich wiederum ungünstig auf die Kinder auswirken und zu einer Verstärkung von ADHS-Symptomen beitragen [
7]. Information zu elterlicher Psychopathologie beziehungsweise zu elterlicher ADHS liegen im Datensatz der KiGGS-Kohorte jedoch nicht vor.
Fazit und Ausblick
Der vorliegende Beitrag zeigt Zusammenhänge zwischen elterlichen Belastungen und UHS bzw. einer elternberichteten ADHS-Diagnose bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland auf. Nach den Ergebnissen dieser Untersuchung sind insbesondere finanzielle Belastungen sowie Belastungen durch die Kindererziehung mit mehr UHS bzw. einer höheren Wahrscheinlichkeit einer ADHS-Diagnose bei den Kindern assoziiert. Zudem ist wahrscheinlich, dass Wechselbeziehungen zwischen elterlichen Belastungen und UHS bzw. einer ADHS bei den Kindern und Jugendlichen bestehen [
18].
Elterliche Belastungen stellen als modifizierbare umfeldbedingte Faktoren wichtige Ansatzpunkte für die Prävention und Gesundheitsförderung betroffener Familien und Kinder dar. Unterstützungsmaßnahmen können entweder auf eine Verbesserung der Situation ADHS-betroffener Familien zielen oder auf eine Verbesserung des familiären Umgangs mit dem erkrankten Kind. Verhältnispräventive Ansätze können zum Beispiel auf kommunaler Ebene die Bereitstellung familiengeeigneten Wohnraums, welcher sozial nachhaltig ist, und eines qualitativ hochwertigen Lebensumfelds mit ausreichend Spiel- und Grünflächen sein [
2], auf (vor‑)schulischer Ebene die Qualifizierung von Fach‑, Lehr- und Betreuungspersonal, welche z. B. erwünschtes Verhalten der Kinder fördern und Unterstützung bei der Kompetenzentwicklung und bei Herausforderungen aufgrund der ADHS bieten können [
2,
39], was zumindest mittelbar zu einer Reduktion des elterlichen Belastungserlebens beitragen könnte. Auf familiärer Ebene können die Stärkung der elterlichen Gesundheitskompetenz, Elternberatungen und -trainings zum Umgang mit kindlichem Problemverhalten oder aufsuchende Familienhilfen, die Unterstützung bei Erziehungsaufgaben, Alltagsproblemen und -konflikten bieten, einen Beitrag zur Reduktion elterlicher Belastungen im Bereich Erziehung/Konflikte mit den Kindern in ADHS-betroffenen Familien leisten [
2,
40]. Solche Unterstützungsmaßnahmen sollten wissenschaftlich begleitet werden und deren Effekte hinsichtlich der Reduktion elterlichen Belastungserlebens möglichst mittels longitudinaler Datenerhebungen evaluiert werden.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Alle Studien des Robert Koch-Instituts beachten strikt die datenschutzrechtlichen Bestimmungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Die Ethikkommission der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat die KiGGS-Basiserhebung (Nr. 101/2000) sowie KiGGS Welle 1 (Nr. EA2/058/09), die Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Hannover KiGGS Welle 2 (Nr. 2275-2014) unter ethischen Gesichtspunkten geprüft und der Durchführung der Studien zugestimmt. Die Teilnahme an den jeweiligen Studien war freiwillig. Die Teilnehmenden beziehungsweise ihre Sorgeberechtigten wurden über die Ziele und Inhalte der Studien sowie über den Datenschutz informiert und gaben ihre schriftliche Einwilligung (Informed Consent).
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