Websites
Dem Internet kommt mittlerweile eine zentrale Rolle bei der Informationsrecherche zu Gesundheitsthemen zu. Laut einer bevölkerungsrepräsentativen Studie in Deutschland (Eichenberg et al.
2013b) greifen 63,5 % der deutschen Internetnutzer bei Gesundheitsfragen auf das Internet zurück. Bei psychischen Problemen würde das Internet im Bedarfsfall für ungefähr die Hälfte aller deutschen Internetnutzer eine Anlaufstelle darstellen. Im Vordergrund stünde dabei für 90,3 % aller deutschen Internetnutzer die Suche nach Informationen zu einem bestimmten gesundheitsrelevanten Thema. Der Austausch in Selbsthilfeforen (40,8 %), die Suche nach einer/einem niedergelassenen Psychotherapeut_in (30,6 %) und die Diagnostik mittels psychologischer Online-Tests (28,2 %) sind dem eindeutig nachgeordnet. Studien zeigen, dass depressive Internetnutzer_innen dieses intensiver nutzen als eine nicht-depressive Vergleichsgruppe (Katikalapudi et al.
2012), so dass davon ausgegangen werden kann, dass diese Zielgruppen gut über das Internet erreichbar ist. Nachgewiesener Maßen nutzen auch depressive Patient_innen das Internet zur Krankheitsbewältigung bzw. es gibt eine hohe Akzeptanz (z. B. Schneider et al.
2011), und dies sind inzwischen längst nicht mehr nur junge Bevölkerungsgruppen (für ältere Depressive und ihre Inanspruchnahmebereitschaft von E‑Mental Health Anwendungen siehe Eichenberg et al.
2018). Umso wichtiger ist, dass die verfügbaren Angebote von hoher Qualität sind, was natürlich auch für Online-Informationen gilt, die häufig der erste Schritt in das Online-Hilfesystem sind. Eine Reihe von Studien hat daher die Qualität von Websites für unterschiedliche psychische Störungen untersucht. So kamen Grohol et al. im Jahr 2014 in ihrer Analyse von über 400 Websites zu verschiedenen psychischen Erkrankungen zu dem Ergebnis, dass die Inhaltsqualität von Seiten zur Schizophrenie, Bipolaren Störungen und Dysthymia vergleichsweise höher war als die zu Phobien und Panikstörungen (Grohol et al.
2014). Die konkreten Befunde zur Depression zeigen Folgendes: Die Websites zur Depression wurden mit der Depression-Website Content Checklist (Ferreira-Lay und Miller
2008) beurteilt. Insgesamt war die Qualität akzeptabel, allerdings zeigte sich eine große Varianz: 65 % der Seiten war von schlechter Qualität. Zertifizierungen waren – wenn vorhanden – nur schwer zu finden. Öffentliche, nicht-gesponserte Informationen waren von besserer Qualität als private oder gesponserte. Griffiths et al. (
2010) analysierten 21 Websites zur Depression und verglichen die Qualität der Informationen mit Depressions-Leitlinien. Ebenso untersuchten sie, ob Haftungshinweise (eindeutig Identifizierung der Autor_innen und ihre Verbindungen) auf der Seite vorhanden waren. Im Ergebnis konnten die Autor_innen nur einen sehr niedrigen Qualitätsscore von 4,7 auf einer Skala von 0 bis 13 konstatieren, da die Online-Informationen häufig den Empfehlungen der Leitlinie widersprechen (z. B. wurden Nebenwirkungen von Medikamenten kaum erwähnt) und sogar falsche Informationen beinhalteten. Der Haftungsscore fiel mit 5,4 (Skala 0 bis 9) etwas höher aus.
International sowie auch im deutschsprachigen Raum existieren verschiedene Ansätze, um die Qualität von gesundheitsbezogenen Internetinformationen zu sichern bzw. zu erhöhen. Die im Jahre 1995 in der Schweiz gegründete Health on the Net Foundation (
www.hon.ch) hat als erste verbindliche Richtlinien zur Qualität von medizinischen Websites formuliert. Der sogenannte HONcode (HON code of conduct) ermöglicht auf der Basis acht
formaler Kriterien (u. a. Sachverständigkeit, Datenschutz, Transparenz) im Sinne von Richtlinien für Webmaster mit einem Minimum an Standards die Zertifizierung von Gesundheitsportalen. Ein besonderes Angebot ist eine Suchmaschine auf der HON-Website, die ausschließlich HON-zertifizierte Informationsquellen als Suchergebnisse präsentiert. Den HONcode gibt es inzwischen in 35 Sprachen.
Internetbasierte Interventionsangebote
Es wurden zahlreiche innovative Interventionen im Bereich der psychischen Gesundheit zur Prävention und Behandlung von Depressionen entwickelt. E‑Mental Health-Forschungsprojekte konzentrieren sich hauptsächlich auf die Überwachung von Symptomen (Karyotaki et al.
2015), die Früherkennung von Depressionen (Lin et al.
2013) und Sensoren und Geräte, die Vitaldaten erfassen.
Insgesamt muss bei internetbasierten Angeboten unterschieden werden, ob es sich um (therapeutenunterstütze) Selbsthilfeprogramm handelt oder um Konzepte, die auf schreibtherapeutischen Konzepten beruhen, zu denen auch die Online-Beratung zählt. Weiterhin muss differenziert werden, ob Internetangebote eine face-to-face-Therapie begleitend eingesetzt werden (sog. blended Ansätze) oder auschließlich online (zur ausführlichen Differenzierung siehe Eichenberg und Küsel
2016).
Die meisten internetbasierten Interventionsangebote sind geleitete Selbsthilfeprogramme (d. h. die Selbsthilfeaktivität wird durch – meist sehr wenige – therapeutische Kontakte unterstützt) und basieren auf der kognitiven Verhaltenstherapie (CBT), daher werden sie auch als computergesteuerte kognitive Verhaltenstherapie (cCBT) bezeichnet. Die Wirksamkeit der cCBT-Therapie bei psychischen Erkrankungen ist gut dokumentiert (Berger
2015). Insbesondere cCBT für Depressionen und Angststörungen ist gut erforscht und hat sich als wirksam erwiesen (Griffiths et al.
2010). Eine Überprüfung der cCBT bei Depressionen ergab eine durchschnittliche Effektgröße (d) von 0,56 für 19 eingeschlossene randomisierte kontrollierte Studien (Eichenberg und Ott
2011). In ähnlicher Weise zeigte die Studie von Spek et al. (
2007), die sich speziell mit älteren Menschen (50 Jahre und älter) befasste, dass cCBT mindestens genauso wirksam war wie eine häufig verwendete Gruppe-CBT-Intervention bei Depression. Neben den Wirksamkeitsstudien einzelner cCBT-Interventionen gibt es inzwischen mehrere internationale Metaanalysen, die hinreichend belegen, dass computergestützte kognitive Verhaltensinterventionen im Allgemeinen effektiv sind (Fuster-Garcia et al.
2015). In 17 der 19 untersuchten Studien wurde ein positiver Wirksamkeitsnachweis gefunden. Über alle Störungen und Interventionsformen hinweg lag der durchschnittliche Behandlungseffekt bei 0,53, was den Effektgrößen für die traditionelle ambulante Behandlung sehr ähnlich ist.
Beispiele für cCBT im Bereich der Depression sind: Help4Mood, ein agentenbasiertes Entscheidungshilfesystem für stark depressive Patient_innen (Hilvert-Bruce et al.
2012); THIS WAY UP, ein australisches Online-Trainingsprogramm (Vis et al.
2015); MasterMind, ein europäisches Projekt, das aus einem zehnwöchigen Trainingsprogramm auf Basis von cCBT besteht (
http://seniorengage.eu), ICare, das auch präventive Ansätze verfolgt (
https://www.icare-online.eu/de/indizierte-praevention.html) oder Beating the Blues, eine englische Online-Plattform mit CBT als methodischer Basis, das Storytelling-Elemente in seine 8 Module integriert (
http://www.beatingtheblues.co.uk). Ein Beispiel aus dem deutschsprachigen Raum ist das Online-Programm Deprexis (
https://www.deprexis24.de), das u. a. aus Modulen zur Verhaltensaktivierung oder kognitiven Umstrukturierung besteht (Kroenke und Spitzer
2002; siehe Kasten). Obwohl im Bereich der internetbasierten Interventionsangebote solche auf CBT-Basis dominieren, gibt es inzwischen auch gut evaluierte psychodynamische Angebote, die typischerweise weniger störungsspezifisch ausgerichtet sind. Ein Beispiel aus dem deutschsprachigen Raum ist KEN-Online (Zwerenz et al.
2017; siehe Kasten).
Ein Beispiel für ein schreibtherapeutisches Angebot ist Interapy, für das auch Evaluationen im Vergleich zur face-to-face-Therapie vorliegt (Wagner et al.
2014).
Apps
Der Einsatz von Mobilmedien im Gesundheitsbereich (sog. M‑Health) wird zunehmend wichtiger, insbesondere, weil der Nutzerkreis von Handys inzwischen die Zahl der Computer- und Internetnutzer_innen um ein Vielfaches übersteigt.
Als persönliches Medium, das im Alltag ständig verfügbar ist, eignet sich das Handy ideal zur Unterstützung von Prävention, Gesundheitsförderung, Selbsthilfe und zur Unterstützung von Therapien. Schon vor 15 Jahren wurden Angebote via SMS umgesetzt, so z. B. Nachsorgeprogramme nach psychosomatischen Klinikaufenthalten (Bauer et al.
2003).
Inzwischen geht der Trend dahin, Apps anzubieten, die auf künstlicher Intelligenz basieren. Ein Beispiel hierfür ist „Woebot“ (
https://woebot.io), ein Chatbot, der im Appstore heruntergeladen werden kann. Psycholog_innen der Universität Stanford haben „Woebot“ entwickelt, um Betroffenen Hilfe beim Umgang mit Depressionen und Angstzuständen zu ermöglichen – zum Beispiel für den Zeitraum, in dem sie auf einen Therapieplatz warten müssen. „Woebot“ kann aber ebenso therapiebegleitend genutzt werden. Im Kern werden kognitiv-behaviorale Techniken vermittelt, um das eigene Stimmungsmanagement zu verbessern. Die eigenen Stimmungen werden über die Zeit aufgezeichnet, wodurch der/dem Nutzer_in meist zuvor unbewusste Muster erkennbar werden. So lernt „Woebot“ im Laufe der Zeit seine/seinen Nutzer_in immer besser kennen, so dass die Interventionen immer passgenauer personalisiert werden können. Erste Ergebnisse sprechen für die Akzeptanz und Wirksamkeit dieser App (Fitzpatrick et al.
2017). Wissenschaftliche Fundierung und Evaluationen entsprechender Apps sind dringend notwendig, um qualifizierte Angebote auf dem Markt anzubieten. Shen et al. (
2015) konnten zeigen, dass über 1000 Apps zu Depression existieren; allerdings lagen bis 2013 lediglich 3 RCTs zu evaluierten Apps vor (Donker et al.
2013). In Zukunft gilt es, diese neuen Möglichkeiten der mobilen Selbsthilfe- und Therapieunterstützung empirisch und praktisch weiter zu fördern, zu evaluieren und bei positiven Evaluationsergebnissen dann in den Alltag zu integrieren.
Serious Games
Serious Games sind Computerspiele, bei denen nicht der Unterhaltungsaspekt, sondern die Lernerfahrung im Mittelpunkt steht. Sie sind nicht zur Vermittlung von Fakten gedacht, sondern dienen darüber hinaus zur praktischen Einübung von Handlungswissen und als Reflexionsmedium. Folglich liegt es auf der Hand, dass seit einigen Jahren verstärkte Bemühungen existieren Serious Games gezielt zur Gesundheitsförderung zu entwickeln, einzusetzen und zu evaluieren. Entsprechend existieren auch Serious Games zur Behandlung leichter depressiver Erkrankungen (siehe Kasten) (zur generellen Wirksamkeit von Serious Games siehe Eichenberg und Schott
2017).
Auch wenn das Forschungsfeld noch sehr jung ist, so scheint ausreichend belegt zu sein, dass Serious Games die Behandlungsmotivation besonders bei Kindern und Jugendlichen erhöhen (Brezinka
2009). Insgesamt zeigen sich sowohl Therapeut_innen wie Patient_innen offen dafür, Serious Games bei psychischen Störungen zu nutzen, auch wenn der Bekanntheitsgrad noch sehr gering ist (Eichenberg et al.
2016).
Therapeutische Computerspiele haben den Vorteil, dass sie außerhalb der Therapiezeiten zeitflexibel angewendet werden und damit zwischen den Sitzungen therapeutische Erfolge stabilisieren können. Dies gilt natürlich umso mehr für Serious Games, die ebenfalls als Applikationen auf Mobilfunkgeräten verfügbar sind. Mittlerweile sind Leitlinien für die Konzipierung und Umsetzung entsprechender Spiele vorhanden (Baranowski et al.
2008).
Beispielhaft soll die Anwendungsmöglichkeit von Serious Games am Beispiel von SPARX illustriert werden, einer der wenige Serious Games, das als reine Selbsthilfeanwendung gespielt wird, d. h. nicht als Adjuvant einer Psychotherapie.