Der gesetzgeberische Wille zu wirtschaftlicherem Agieren im Gesundheitswesen soll u. a. durch das MDK-Reformgesetz und die Verlagerung bislang stationär erbrachter Leistungen in den ambulanten Versorgungsektor bzw. die Versorgung nach § 115b SGB V umgesetzt werden [
6]. In Deutschland ist die Anzahl ambulant durchgeführter Operationen im Krankenhaus seit dem Jahr 2008 bis 2017 um ca. 12,1 % gestiegen, aber weniger stark als die Anzahl vollstationärer Operationen (um ca. 23,3 %) [
12]. Die Frage nach der Notwendigkeit und Dauer von Krankenhausbehandlungen führt immer wieder zu Diskussionen zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern. Ursächlich ist grundlegend die Diskussion über die Bindung von Ressourcen, welche an anderer Stelle besser eingesetzt werden könnten.
Die Gesundheitsversorgung soll nach § 12 des SGB V patientenorientiert so gestaltet werden, wie es individuell medizinisch, qualitativ aber auch ökonomisch sinnvoll ist [
5]. Leider ist häufig festzustellen, dass das Bestreben der Kostenträger häufig von einer ökonomischen Maxime geprägt ist. Für Krankenhäuser gab es bislang wenige Anreize für eine Verlagerung stationärer Operationen in die ambulante Versorgung, nicht zuletzt, weil die stationäre Versorgung gegenüber der ambulanten deutlich besser vergütet ist. Weiterhin fehlen am Krankenhaus häufig effiziente Parallelstrukturen für das ambulante Operieren.
Ambulantisierungsrisiko stationärer Fälle
Ziel dieser Arbeit ist die Bewertung des Ambulantisierungsrisikos stationärer Fälle eines universitären Maximalversorgers für Orthopädie und Unfallchirurgie anhand von 3 Patientengruppen. Bei Gruppe 1 ist das Risiko bereits eingetreten, da diese Fälle nach MDK-Prüfung und Leistungsentscheidung der Krankenkassen bereits einen sog. Fallartwechsel von stationär nach ambulant erfuhren. Aus der Fallübersicht geht hervor, dass häufig DRG der konservativen Wirbelsäulenbehandlung betroffen sind (I68D und I68E, 25 %). Hierbei ist nicht immer von einem realen Transferpotenzial auszugehen, da diese Patienten häufig in akuten Schmerzsituationen eine stationäre Behandlung benötigen. Diesen Patienten ist einem Fallartwechsel durch gewissenhafte Dokumentation zu begegnen. Allerdings fallen auch Patienten, die zu diagnostischen Zwecken bei Wirbelsäulenerkrankungen stationär behandelt werden (z. B. Stufendiagnostik) in die Basis-DRG I68. Insbesondere hier gilt es, die Möglichkeit ambulanter Leistungserbringung zu prüfen.
Auch bei Behandlungsfällen der DRG I23B (Entfernung von Osteosynthesematerial) wird häufig keine stationäre Behandlungsnotwendigkeit gesehen. Diese sollte in der Tat individuell abgewogen werden, und ein Fallartwechsel ist wiederum nur mit einer entsprechenden Dokumentation und Begründung zu verhindern. Selbstredend sei an dieser Stelle auf wahrheitsgemäße Dokumentation hingewiesen, die aber vollständig sein muss, will man damit bei der MD-Begutachtung oder vor dem Sozialgericht Bestand haben. Jedoch zeigen bereits mehrere Studien, dass bereits die initiale operative Versorgung in einem ambulanten Setting durchgeführt werden kann [
17,
20].
Gruppe 2 berücksichtigt Fälle, deren stationäre Operationen einem Eingriff der AOP-Kategorie 1/2 entsprechen. Wiederum stellt die DRG I23B die größte Untergruppe dar. Die zugehörigen Hauptdiagnosen sind heterogen, aber größtenteils aus dem Formenkreis von Verletzungen der unteren Extremität (ca. 26 %). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei Materialentfernungen der Frakturkode die Hauptdiagnose darstellt. Das Ambulantisierungsrisiko ist erneut individuell hoch einzuordnen.
Die Auswahl der Parameter der Gruppe 3 soll den komplikationslosen Eintagesfall beschreiben, deren Charakterisierung durch eine elektive Aufnahme andere Eintagesfälle wie z. B. zur Überwachung nach Schädel-Hirn-Trauma abgrenzt. Die Entlassart „normal“ grenzt Verstorbene ab. Zu den häufigsten Hauptdiagnosen zählen Frakturen des Unterarms, größtenteils distale Radiusfrakturen. Sofern keine offenen Frakturen, große Weichteilschäden oder sonstige komplizierende Umstände vorliegen, erfolgt die Versorgung größtenteils nicht akut [
11]. Whiting et al. konnten zeigen, dass eine ambulante Operation geschlossener Frakturen der stationären Behandlung überlegen ist [
23]. Hier besteht ein hohes Ambulantisierungsrisiko. Neben der Entfernung von Osteosynthesematerial (I23B) weisen zudem DRG mit Bezug zu arthroskopischen Eingriffen am Kniegelenk (I24Z) ein Ambulantisierungsrisiko auf. Schwappach et al. zeigten in ihrer Patientenbefragung, dass ambulante Operationen einem Patientenbedürfnis entsprechen [
21]. Grundlegend ist eine arthroskopische Behandlung von Kreuzbandrupturen und Meniskusnähten bzw. -resektionen ambulant in gleicher Qualität möglich [
16,
18,
19,
22].
Die meisten Fälle mit Transferpotenzial können den Organisationseinheiten UCh, ACh und PCh zugeordnet werden. Dabei stellt sich in allen 3 Gruppen am häufigsten die DRG I23B heraus (ca. 19–23 %). In der Regel handelt es sich dabei um elektive stationäre Aufenthalte für Operationen überwiegend an „kleinen Knochen“ wie Schlüsselbein, Unterarm oder am Sprunggelenk, da die aufwendigeren Materialentfernungen (Wirbelsäule und Oberschenkel) nicht in dieser DRG enthalten sind. Prinzipiell kann hier eine ambulante Versorgung erwogen werden. Kritisch ist jedoch anzumerken, dass es sich auch um Ausbildungsinhalte handelt und ein komplettes Streichen dieser Operationen aus dem stationären Portfolio die Ausbildung schwächt. Daher wäre entweder ein Teiltransfer oder die Einbindung von Ausbildungsassistenten in das ambulante Setting zu erwägen.
Insgesamt zeichnen sich die Gruppen durch ein junges Patientenkollektiv aus (knapp über 40 Jahre), welches in ca. 90 % keine relevanten Nebendiagnosen (PCCL 0) aufweist und potenziell ambulantisierbar erscheint. Aus dem „Katalog ambulant durchführbarer Operationen und sonstiger stationsersetzender Eingriffe“ kann natürlich nicht die Verpflichtung hergeleitet werden, die dort aufgeführten Eingriffe ausschließlich ambulant zu erbringen. Grundsätzlich entscheidet der verantwortliche Arzt individuell über Art, Umfang und Setting des operativen Eingriffs mit Hinblick auf den Gesundheitszustand und eine angemessene Nachbetreuung im häuslichen Bereich. Als Begründungs- und Bewertungshilfe haben die Selbstverwaltungspartner dazu den sog. G‑AEP-Katalog abgestimmt (German Appropriate Evaluation Protocol). Eine verpflichtende Grundlage für oder gegen eine stationäre Behandlung stellt dieser jedoch nicht dar, sondern gibt vielmehr lediglich Orientierungskriterien.
Von den 3 Gruppen spiegelt Gruppe 1 das bereits eingetretene Risiko der Ambulantisierung wider. Das maximale Risiko stellt den Wegfall der Erlöse aller 3 Gruppen dar. Demgegenüber sind die ambulanten Erlöse gering und fangen den potenziellen Erlösausfall in keinem Fall adäquat ab. Bezogen auf die untersuchte Klinik bedeutet der potenzielle Erlösverlust rund 3–4 % der DRG-Erlöse des jeweiligen Jahres.
Perspektive ambulantisierbarer Operationen
Typischerweise ist eine Unfallchirurgie der Maximalversorgung für die Behandlung von Schwerstverletzten zuständig und strukturell und personell dahingehend organisiert. Durch die Inanspruchnahme stationärer Kapazitäten für dringlichere Eingriffe entstehen mitunter unverhältnismäßig lange Wartezeiten für elektiverer Operationen. Eine zunehmende Integration ambulanter Operationen mit einer entsprechenden Erwartungshaltung ist eine große Herausforderung. Demgegenüber hat die synergistische und effiziente Nutzung bestehender Ressourcen auch für ambulante Operationseinheiten Potenzial und ist als vorteilhaft anzusehen. Nicht nur strukturelle Ressourcen wie z. B. Apotheken- oder Sterilisationseinheiten, sondern auch persönliche Fähigkeiten wie eine entsprechende Qualifizierung von Fach- und Pflegepersonal können integriert werden. Die Vermischung dieser Ressourcen ist wiederum komplex, und nicht selten entstehen hierbei Interessenkonflikte.
Als ökonomischer Anreiz einer zunehmenden Ambulantisierung operativer Eingriffe wird der Ausschluss ambulanter Leistungen des AOP-Katalogs von MD-Prüfungen gesehen. Hinzu kommt die eingeführte Strafzahlung für jede beanstandete Krankenhausrechnung ab 2022 (mind. 300 € bzw. höchstens 10 % des durch den MD geminderten Abrechnungsbetrags) [
4]. Die Steigerung ambulanter Eingriffe könnte hier Streitpotenzial mindern. Ein nicht von der Hand zu weisender Vorteil des ambulanten Operierens ist die direkte Sachkostenerstattung außerhalb des Sprechstunden- und Praxisbedarfs und unter Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots, die in § 44 des Bundesmantelvertrags-Ärzte (BMV-Ä) geregelt ist [
14].
Generell sind für einen praktischen Falltransfer stationär nach ambulant diverse Herausforderungen personeller, räumlicher und struktureller Art zu berücksichtigen. Ein funktionierendes Netzwerk, Kooperationen und ein sicher geplantes Management sind uneingeschränkte Voraussetzungen für eine funktionierende Integration des ambulanten Operierens in ein Krankenhaus. Eine Umsetzung der Fallsteuerung ist ebenso durch die Anbindung eines MVZ und ambulantes Operationszentrums möglich und wird zunehmend in Deutschland umgesetzt [
13]. Die Integration und Überschneidung stationärer und ambulanter Prozesse wird effektiven Nutzen durch synergistische Ressourcennutzung bringen, wenn die Hürden eines komplexen Managements überwunden werden können.
Limitationen: Methodenkritisch ist zu erwähnen, dass es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine „Single-center“-Studie an einem Universitätsklinikum handelt. Das zugrunde liegende Patientenkollektiv und die daraus abgeleiteten Risikopotenziale sind daher nicht ohne Weiteres auf andere Krankenhäuser zu übertragen. Das Rechnungsjahr 2019 ist mit den vorliegenden Zahlen noch nicht vollständig bezüglich der MD-Gutachten bereinigt. Die Fallzahl der primären Fehlbelegungen liegt voraussichtlich in der Größenordnung der Vorjahre.