Die Einführung der His-Bündel-Elektrographie markierte den Beginn der Klinischen Elektrophysiologie. Die schon seit einem Jahrzehnt bestehende Möglichkeit der Schrittmachertherapie und die neue Technik der His-Bündel-Elektrographie erklären die anfängliche Konzentration auf die Analyse der atrioventrikulären und intraventrikulären Erregungsleitung.
Atrioventrikuläre und intraventrikuläre Blockierungen
Die treibende Kraft in der Analyse und Bewertung intraventrikulärer und atrioventrikulärer Blockierungen ging von den Arbeitsgruppen in USA aus, während der Beitrag aus Deutschland anfänglich eher bescheiden war. Die hiesigen Untersuchungen trugen jedoch viel zum Aufbau klinisch-elektrophysiologischer Arbeitsgruppen bei, die sich in der Folgezeit vor allem den tachykarden Rhythmusstörungen zuwenden sollten.
Einige der Arbeitsgruppen sind bereits erwähnt worden. Neben der eigenen Arbeitsgruppe in Düsseldorf unter Leitung von Ludger Seipel seien hier genannt die Arbeitsgruppen in Aachen, insbesondere D. Fleischmann [
30,
50,
55,
56,
96], in Mainz Klaus Lang und Hanjörg Just [
32,
51,
52], in Bad Nauheim Helmut Neuss und Martin Schlepper [
29,
53], in München Berndt Lüderitz und Gerhard Steinbeck [
27,
28] und in Hamburg M. Runge [
31,
54]. In der DDR gehörte die Arbeitsgruppe von Georg H. von Knorre in Rostock zu den Pionieren [
33‐
37].
Das Interesse dieser Gruppen bezog sich einmal auf die prognostische Bedeutung von atrioventrikulären und intraventrikulären Leitungsstörungen im Hinblick auf die Entwicklung eines totalen AV-Blocks sowie die Erklärung seltenerer Phänomene wie das Lücken-Phänomen der atrioventrikulären Leitung (z. B. [
30,
55]), atriale Leitungsstörungen [
56] oder das Phänomen der verborgenen Erregungsleitung und verborgenen Extrasystolie im His-Bündel bei totalem AV-Block [
36]. Hinzu kam ein zunehmendes Interesse, durch intrakardiale Ableitungen und Stimulationen die Wirkungscharakteristika von Antiarrhythmika besser zu verstehen, anfangs fokussiert auf Leitungsgeschwindigkeit und Refraktärität, erst wesentlich später mehr auf die Wirkung von Antiarrhythmika auf die Auslösbarkeit von Tachykardien. Besonderes Interesse zogen die intraventrikulären Leitungsstörungen (Schenkelblock und Hemiblöcke) auf sich im Hinblick auf die Möglichkeiten einer Schrittmachertherapie. Auf Grund retrospektiver Beobachtungen bei Patienten mit totalem AV-Block erschienen dabei insbesondere Patienten mit bifaszikulärem Block besonders gefährdet. Prospektive Studien ergaben jedoch, dass nur 1−2 % dieser Patienten einen höhergradigen AV-Block entwickelten [
57‐
61]. Der gefürchtete akute Tod bei diesen Patienten war häufig auf tachykarde Rhythmusstörungen zurückzuführen [
59,
62]. Serielle Untersuchungen belegten das Fortschreiten der Leitungsstörungen sowohl im Bereich der AV-Knotenleitung als auch infranodal [
63]. Entscheidend für die Prognose war zudem die Grunderkrankung. Insbesondere Patienten mit verlängertem HV-Intervall hatten eine schlechtere Prognose auf Grund einer meistens fortgeschritteneren Grunderkrankung. So berichteten Dhingra und Mitarbeiter aus der Arbeitsgruppe von Kenneth Rosen in Chicago [
64], dass elektrophysiologisch untersuchte Patienten mit chronischem Schenkelblock und einem HV-Intervall von 80 ms oder mehr nur dann eine hohe Morbidität und Letalität hatten, wenn eine symptomatische Herzerkrankung zu Grunde lag.
Erkrankungen des Sinusknotens: Sick-Sinus-Syndrom, Sinusknotensyndrom, Sinusknotendysfunktion
Die Störungen der Sinusknotenfunktion hatten in früheren Jahrzehnten weniger Beachtung gefunden als die auf Grund ihrer Vielgestaltigkeit detaillierter bearbeiteten Störungen der AV-Überleitung und der intraventrikulären Leitung. Konrad Spang [
4] beschreibt eine konstitutionelle Form der Sinusbradykardie bei offensichtlich gesundem Herzen mit unzureichendem Frequenzanstieg nach Atropin-Injektion. Zudem erwähnte er [
4, p. 85] eine Beobachtung von Wenckebach, der ein familiäres Vorkommen in seiner eigenen Familie beobachtet hatte [
72]. Wenckebach schrieb: „
In der Familie Wenckebach sind z. B. Vater, Mutter und 3 von 4 Kindern Bradykardiker. Ihre Pulsfrequenz fiel in der Jugend bisweilen unter 40; alle sind zu gesunden, kräftigen Menschen herangewachsen.“ Unter Bezug auf Lewis beschreibt Spang [
4] die von diesem so bezeichnete vagovasale Synkope [
73]. Unter dem Stichwort „Toxische Sinusbradykardien“ [ibd., S. 86] beschreibt er, dass es im Rahmen einer Diphterie „in den ersten Krankheitstagen bei hochtoxischer Infektion zu einer hier wohl primär kardialen Sinusbradykardie kommen kann“.
Seine weiteren Ausführungen ebenso wie andere Werke lassen aber eine Beschreibung des Vollbildes der Sinusknotenerkrankung vermissen, wie es von Irene Ferrer 1968 als „Sick Sinus Syndrome in Atrial Disease“ in einem Übersichtsartikel, in dem sie drei Fälle beschrieb, zusammengefasst wurde [
74]. Das von ihr beschriebene Syndrom (Sinusknotensyndrom; Syndrom des kranken Sinusknotens) umfasste persistierende, schwere und unerwartete Sinusbradykardien, Sistieren der Sinusknotenaktivität während kurzer Intervalle mit dazwischentretenden Ersatzrhythmen, lange Pausen von Sinusknotenstillstand ohne Ersatzrhythmen, unbehandeltes Vorhofflimmern mit langsamer Kammeraktion, kein Sinusrhythmus nach elektrischer Kardioversion und sinuatrialer Exitblock. Die Erfassung solcher, oft nur passager auftretender Störungen wurde in den vorhergehenden Jahren erst durch die neue Technik der Langzeit-EKG-Registrierung möglich. Aber nichts ist ohne Vorläufer. Bereits 1967 benutzten Bouvrain, Slama und Tekmine [
75] den Begriff des „kranken Sinusknotens“. Zudem hatten R. J. Greenwood und D. Finkelstein bereits im Jahre 1964 die bis dahin bekanntgewordenen 223 Fälle in einer Monographie zusammengefasst [
76]. Eine wahrscheinlich erste, größere Veröffentlichung aus dem deutschsprachigen Raum zum Sinusknotensyndrom erfolgte von DJ Athanasiou 1969 aus der Universitätsklinik in München [
77]. Die Beobachtungsstudie umfasste 57 Patienten mit sinuatrialen Leitungsstörungen.
Einige Jahre später berichteten Alexander Wirtzfeld und H. Sebening [
78], diesmal aus der Klinik der Technischen Universität München, über 29 Patienten mit bradykarden und tachykarden Vorhofarrhythmien, bei denen primär eine Störung der Sinusknotenfunktion vorlag mit Bradykardie, sinuatrialen Blockierungen oder einem Sinusstillstand, die ihrerseits das Auftreten ektopischer Tachyarrhythmien begünstigen. Die Symptomatik war vielgestaltig, der Verlauf unberechenbar. Jahrzehntelange weitgehende Beschwerdefreiheit trotz hochgradiger Bradykardie war bei ihren Patienten typischerweise ebenso anzutreffen wie intermittierende Asystolien mit schweren synkopalen Anfällen. Schon frühzeitig war es ersichtlich, dass eine medikamentöse Therapie meist nicht erfolgreich war, so dass sich häufig eine Schrittmacherindikation ergab, um nicht nur das Auftreten von Bradykardien und Asystolien zu verhindern, sondern um auch tachykarde Vorhofrhythmen wirksam zu unterdrücken.
Die Ursache des Krankheitsbildes war und ist auch heute noch weitgehend unbekannt, abgesehen vom familiären Hintergrund, wie schon bei Spang in der Familie Wenckebach beschrieben. Ebenso wie von Wirtzfeld und Sebening [
78] berichtet, war auch von anderen Autoren eine Häufung von Fällen mit früherer Diphterie berichtet worden. Knut Rasmussen berichtete, dass 6 von 21 Patienten eine Diphterie durchgemacht hatten, 17 bis 48 Jahre vorher, im Mittel 30 Jahre [
79]; bei Rolf Håkon Rokseth et al. [
80] hatten 2 von 14 Patienten Diphterie gehabt, 3 weitere vorher rheumatisches Fieber. Im eigenen Kollektiv [
81] fand sich eine Diphterie in der Vorgeschichte in 20,6 % der Fälle, was nach Auskunft des Gesundheitsamtes Düsseldorf wesentlich höher lag als die Erkrankungshäufigkeit in der allgemeinen Bevölkerung Jahre bis Jahrzehnte vorher.
Die sich zunehmend etablierende Schrittmachertherapie stellte den Anstoß dar, auch Sinusbradykardien in die differenzialdiagnostischen Überlegungen, z. B. bei Patienten mit Schwindelanfällen oder Synkopen, einzubeziehen. Gefühlsmäßig stellten sich damals mehr Patienten als heute mit dem vielgestaltigen Vollbild des Sinusknotensyndroms vor. Hat die weitgehende Beseitigung der Diphterie in unserer Bevölkerung zu diesem Wechsel im Krankheitsbild beigetragen?
Auf Grund klinischer sowie pathologisch-anatomischer Beobachtungen und insbesondere durch die His-Bündel-Elektrographie ließ sich zeigen, dass bei Patienten mit dem Sinusknotensyndrom nicht nur der Sinusknoten, sondern nicht selten auch der Atrioventrikularknoten („binodal disease“; [
74]) und die distal gelegenen Abschnitte des Erregungsleitungssystems („panconductional defect“; [
79]) in ihrer Funktion gestört sein können.
Unser eigenes Interesse an den Sinusknotenerkrankungen wurde geweckt, als der Verfasser auf einem Flug nach Wien zusammen mit seinem Mentor Ludger Seipel in der Ausgabe von
Circulation vom Januar 1973 eine Veröffentlichung von Harold Strauss in Durham, North Carolina, las [
82]. Die Vorstellung, auf die vorgeschlagene indirekte Weise eine Information zur sinuatrialen Leitungszeit und damit zu den klinischen Manifestationen wie sinuatriale Blockierungen und Sinusknotenstillstand zu erhalten, war stimulierend.
Das Prinzip des von Harold Strauss beschriebenen Verfahrens ist in Infobox
1 erläutert.
Die Beobachtungen der Gruppe um Harold Strauss stellte nicht nur für uns eine Aufforderung dar, diese Methode an einer größeren Zahl von Patienten zu untersuchen, sondern vor allem auch für Gerhard Steinbeck in der Arbeitsgruppe von Berndt Lüderitz. Die ersten Ergebnisse wurden 1974 von beiden Arbeitsgruppen in deutscher Sprache präsentiert und/oder veröffentlicht [
47,
83,
84], später auch auf Englisch [
85‐
87].
Eine Anekdote: Einer der Reviewer unserer Arbeit von 1977 in
Circulation [
86] monierte, dass wir eine alte Arbeit von Miki und Rothberger aus dem Jahre 1922 [
88] zitiert hatten. Sie untersuchten die Länge der Pause nach vorzeitiger mechanischer Stimulation des Vorhofs und kamen bereits zu den gleichen Schlussfolgerungen wie Harold Strauss [
82]. Wir wagten es, dem Reviewer zu widersprechen und drangen darauf, das Zitat im Text zu belassen. Dies war zu einer Zeit, in der wir in Deutschland noch nicht mit den Prinzipien eines Peer Reviews vertraut waren. Der Reviewer gab nach; dies stärkte unser Selbstwertgefühl.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen war, dass Störungen der Sinusknotenfunktion, gemessen anhand spontaner Sinusbradykardie, verlängerter Sinusknotenerholungszeit und verlängerter sinuatrialer Leitungszeit, bei Patienten mit dem Sinusknotensyndrom oder mit spontanen sinuatrialem Block häufiger waren im Vergleich zu Patienten mit einer isolierten Sinusbradykardie [
86]. Die Überlappungen der elektrophysiologischen Messwerte erlaubten jedoch keine für diagnostische Zwecke ausreichende Trennung, so dass für die klinische Anwendung die Beobachtung spontaner Bradykardien und längerer spontaner Pausen, z. B. im Langzeit-EKG, die entscheidende Größe im Hinblick auf die Schrittmacherindikation bildete.
Heftig wurden auf Tagungen die möglichen Ursachen für die unzureichende Aussagekraft elektrophysiologischer Parameter diskutiert. So beruht die Bestimmung der Sinusknotenerholungszeit auf einem komplexen Wechselspiel von Leitung und Impulsbildung im Sinusknoten [
89]. Die Berechnung der sinuatrialen Leitungszeit aus der Länge der postextrasystolischen Pause beruhte auf der Annahme, dass während des postextrasystolischen Zyklus die Automatie des Sinusknotens sich nicht veränderte. Analysen der postextrasystolischen Zyklen sprachen aber für einen, zwar in der Regel, geringen depressiven Effekt der vorzeitigen Depolarisation auf die Zykluslänge des Sinusknotens, was jedoch zu einer Überschätzung der sinuatrialen Leitungszeit führen dürfte [
85].
So können die eigenen Ergebnisse, die eine Verlängerung der postextrasystolischen Zyklen nach vorzeitiger Stimulation zeigten, damit erklärt werden, dass der erste Schlag nach der verlängerten poststimulatorischen Pause wegen der verlängerten Füllungszeit ein höheres Schlagvolumen hat, was über die Barorezeptoren zu einer Verlangsamung der Sinusknotendepolarisation führt. Die Geschwindigkeit dieses Refflexbogens war bereits von W. Delius, München, während seiner Zeit in Uppsala untersucht worden [
90,
91].
Zudem ging die Berechnung nach dem Vorschlag von Harold Strauss [
82] davon aus, dass retrograde und antegrade Leitungszeiten zwischen Vorhof und Sinusknoten identisch seien [
85]. Gerhard Steinbeck, während seines Forschungsaufenthalts in der Arbeitsgruppe von Maurits Allessie in Maastricht, konnte in komplexen Mappinguntersuchungen am isolierten Vorhofpräparat von Kaninchen zeigen, dass die antegrade sinuatriale Leitungszeit länger ist als die retrograde; mit zunehmender Vorzeitigkeit des Stimulus nahm die retrograde Leitung um bis zu 5 ms zu. Die Bestimmung der sinuatrialen Leitungszeit im isolierten Präparat anhand der in der Klinik verwendeten Kriterien unterschätzte die gemessene Leitungszeit deutlich, wobei anzumerken ist, dass es im isolierten Präparat keine typische Plateauphase gibt [
92]. Es darf aber nicht vergessen werden, dass sich das isolierte Sinusknoten-Vorhofpräparat von der In-situ-Situation unterscheidet, da die vegetative Innervation fehlt.
Dies ist etwas ausführlicher dargestellt, um die methodischen Probleme hervorzuheben, zu denen Arbeitsgruppen aus Deutschland international einen Beitrag geleistet haben. Andere Gruppen beschäftigten sich mit der Analyse der Sinusknotenautomatie [
93‐
96]. Ferner haben Pop und Fleischmann sich früh für die atriale Vulnerabilität interessiert [
71]. In der DDR fand Karl‑J. Rostock rasch Gefallen an den damals aktuellen Untersuchungen zur gestörten Sinusknotenfunktion. Hieraus resultierten einige Publikationen [
38‐
40].
Bereits 1973 beschrieben bei intraatrialer Ableitung H.A. Warembourg et al. [
98] atriale Potenziale, die kurz vor der P‑Welle lagen und die sie als Ausdruck der Sinusknotenaktivität interpretierten. Vinzenz Hombach et al. [
99‐
101] setzten sich kritisch mit dieser Interpretation auseinander. In ihren eigenen Untersuchungen berichteten sie über 13 Patienten, bei denen sie eine Verifikation der vor der P‑Welle auftretenden Potenziale vornahmen. Auch berichteten sie von der Möglichkeit, mittels Signalmittelungstechnik über intraatriale Elektrodenkatheter Prä-P-Potenziale zu erfassen [
102], wie erstmals von Stopczyk et al. beschrieben [
103]. In komplexen experimentellen Untersuchungen haben R. Haberl und Mitarbeiter aus der Arbeitsgruppe von Gerd Steinbeck Probleme wie exakte Positionierung der Elektroden über dem Sinusknoten zur Bestimmung der sinuatrialen Leitungszeit herausarbeitet [
104].
Unzureichend untersucht waren tachykarde Rhythmusstörungen, die auf einen Sinusknoten-Reentry zurückgeführt wurden. Ein nach heutigen Verhältnissen grobes Kathetermapping der Aktivierungssequenzen bei einem Fall, der die Kriterien des Sinusknoten-Reentry erfüllte, ergab, dass in der Tat die früheste Erregung im Bereich des Sinusknoten lag, was z. B. einen (seltenen) Reentry im Bachmann-Bündel ausschloss [
105].
Bei der Bestimmung der Sinusknotenerholungszeit wird eine maximale Depression der Sinusknotenautomatie nur erreicht, wenn alle atrialen Erregungen den Sinusknoten erreichen. Die längste Sinusknotenerholungszeit wurde gewöhnlich bei niedrigerer Stimulationsfrequenz nach Gabe einer Substanz beobachtet, die die sinuatriale Leitungszeit verlängerte, während das umgekehrte Verhalten beobachtet wurde, wenn die sinuatriale Leitungszeit verkürzt wurde [
109].