Hintergrund
In vielen Ländern rund um den Globus hat die steigende Lebenserwartung dazu geführt, dass die Zahl der älteren Menschen, absolut und relativ gesehen, zunimmt [
1]. Dies hat zu einem raschen Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen geführt, da die Wahrscheinlichkeit, eine chronische Krankheit zu entwickeln oder Einschränkungen im täglichen Leben zu erfahren, mit dem Alter zunimmt [
2].
In Deutschland haben im Dezember 2021 ca. 4,9 Mio. Menschen Pflegeversicherungsleistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung oder der privaten Pflichtversicherung bezogen [
3]. Rund 80 % der Pflegebedürftigen werden innerhalb der häuslichen Umgebung versorgt [
4]. Mehr als 90 % der häuslich versorgten Personen verfügen über eine oder mehrere Hauptpflegepersonen [
5], die auch bei Einschaltung eines Pflegedienstes den größten Teil der Versorgungsleistungen erbringen [
6]. Ungefähr 70 % der pflegenden Angehörigen sind weiblich, Repräsentativbefragungen der letzten Jahre veranschaulichen jedoch einen wachsenden Anteil männlicher pflegender Angehöriger, der 2018 bei ca. 30 % lag [
5]. Die Pflege wird von Partner:innen (34 %), Kindern (32 %), Schwiegerkindern (7 %), Eltern (15 %), anderen Verwandten (5 %) und Freund:innen oder Nachbar:innen (7 %) übernommen [
5]. In gut einem Drittel der häuslichen Pflegearrangements übernimmt eine Person die Pflege allein, 28 % werden von 2 Personen betreut und in 31 % der Fälle sind 3 oder mehr Personen in die Versorgung involviert [
5].
Bereits vor der COVID-19-Pandemie war die Situation in der häuslichen Pflege Gegenstand einer Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen. Häufig wurde dabei belegt, dass die Versorgung einer pflegebedürftigen Person für viele pflegende Angehörige – trotz der Existenz von Entlastungsmöglichkeiten – mit teilweise starken Einschränkungen ihrer Lebenssituation einhergeht. So wurden erhöhte Belastungen zum Beispiel bei der physischen und psychischen Gesundheit dokumentiert und Verschlechterungen hinsichtlich der Lebensqualität und der Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe nachgewiesen [
4,
7]. Neben den gesundheitlichen und psychischen Belastungen können auch finanzielle Risiken, die sich zum Beispiel aus Verdienstausfall ergeben, pflegende Angehörige belasten [
3,
6,
8].
Während der COVID-19-Pandemie hat sich der Kontext der Pflege grundlegend verändert [
9]. Erstens sind pflegebedürftige Menschen nach einer Infektion einem hohen Risiko ausgesetzt, schwer zu erkranken [
10]. Dies erzeugt Ängste und Unsicherheit bei Pflegenden und Pflegebedürftigen. Die Vermeidung von Infektionen ist daher von größter Bedeutung und häufig werden Maßnahmen der physischen Distanzierung zu pflegbedürftigen Personen umgesetzt, was sich negativ auf das Wohlbefinden und die soziale Gesundheit von älteren Menschen mit Pflegebedarf auswirken kann [
11]. Schon früh in der Pandemie haben Studien gezeigt, dass insbesondere die Quarantänemaßnahmen negative psychische und gesundheitliche Folgen für die Betroffenen haben können [
12,
13].
Zweitens wird die Unterstützung in der eigenen Häuslichkeit durch professionelle Pflegepersonen aufgrund gesetzlicher Vorschriften für Anbieter:innen, selbst auferlegter Beschränkungen oder aus Angst vor Ansteckung durch die professionellen Pflegepersonen möglicherweise reduziert [
14‐
16]. Dies kann zu einer erhöhten Belastung für pflegende Angehörige führen, da sie die weggefallene Unterstützung kompensieren müssen. Untersuchungen aus dem Vereinigten Königreich zeigen, dass sich die COVID-19-Pandemie auf pflegende Angehörige ausgewirkt hat, die von erhöhter Unsicherheit und Kontrollverlust sowie einer schlechteren Lebensqualität berichten [
14,
15]. Ergebnisse aus Spanien und England zeigen ein erhöhtes Stressniveau bei pflegenden Angehörigen [
17]. Erste Ergebnisse aus Deutschland zeigen, dass die formelle und informelle soziale Unterstützung während der ersten Welle der Pandemie erheblich abnahm [
18]. Für ein Drittel der Befragten hat die Pandemie zudem ihre Situation als pflegende Angehörige verschlechtert und ebenso viele sind besorgt, dass sie unter den gegebenen Umständen nicht in der Lage sind, eine angemessene Pflege zu leisten [
18]. Für Deutschland wird berichtet, dass soziale Isolation und ein erhöhter Pflegeaufwand als belastend empfunden werden [
19]. Auch leiden während der Pandemie insbesondere pflegende Angehörige mit einer hohen Pflegebelastung (höhere Pflegegrade und Pflege von Menschen mit Demenz; aus den Pflegeaufgaben resultierende Belastung; [
20]). Diese Ergebnisse deuten auf einen negativen Einfluss der COVID-19-Pandemie auf pflegende Angehörige in Bezug auf Lebensqualität und Pflegebelastung hin.
Ziel dieser Studie ist es, erlebte Veränderungen der Lebenssituation pflegender Angehöriger während der COVID-19-Pandemie sichtbar zu machen sowie Möglichkeiten und Grenzen der Durchführung häuslicher Pflege unter erschwerten Pandemiebedingungen zu dokumentieren. Neben der Versorgungssituation und der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf stehen daher auch die Lebensqualität pflegender Angehöriger und die Pflegebelastung im Fokus der Studie.
Die Studie adressiert folgende Forschungsfragen:
-
Wie wirkte sich die COVID-19-Pandemie auf die Versorgungssituation in häuslichen Pflegearrangements aus?
-
Wie wirkte sich die COVID-19-Pandemie auf die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf aus und wie bewerten die Befragten das Pandemiemanagement ihrer Arbeitgeber:innen?
-
Wie wirkte sich die COVID-19-Pandemie auf die Lebensqualität und die Pflegebelastung aus und welche Subgruppen sind davon besonders betroffen?
Methode
Studiendesign und Durchführung der Studie
Die vorliegende Studie ist eine Querschnittsstudie auf Basis einer Gelegenheitsstichprobe, die im Sommer 2020 (08.06.–12.08.) nach der ersten COVID-19-Welle im Rahmen einer Kooperation der Universität Bremen, der DAK-Gesundheit und dem Selbstvertretungsverein „wir pflegen e. V.“ durchgeführt wurde. Die Datenerhebung erfolgte online mittels EFS-Survey, einer Onlineumfragesoftware. Der Fragebogen wurde in Abstimmung mit Vertreter:innen des Vereins „wir pflegen e. V.“ partizipativ erarbeitet. Eine detaillierte Beschreibung der Studie findet sich im Projektbericht [
21].
Zielgruppe der Befragung waren Personen im erwerbsfähigen Alter bis 67 Jahre, die der Definition einer Pflegeperson gemäß § 19 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) entsprechen.
1 Die auf diese Weise identifizierten pflegenden Angehörigen wurden mit einem postalischen Anschreiben durch die DAK-Gesundheit auf die Befragung aufmerksam gemacht. Das Datenschutzkonzept wurde mit der Datenschutzbeauftragten der Universität Bremen abgestimmt. Alle Befragten wurden vor Studienbeginn schriftlich über das Datenschutzkonzept informiert.
Datenaufbereitung und Datenauswertung
Die Befragungsdaten wurden vor der Auswertung auf Plausibilität geprüft. Antworten außerhalb des gültigen Wertebereichs wurden von der Auswertung ausgeschlossen. Bei fehlenden Daten wurde die befragte Person jeweils nur für das betreffende Item aus der Auswertung ausgeschlossen. Die für die Prozentberechnungen verwendeten Stichprobengrößen der berücksichtigten gültigen Fälle unterscheidet sich daher von Item zu Item. Alle statistischen Auswertungen wurden mit Stata und IBM SPSS Statistics durchgeführt.
Messinstrumente
Um allgemeine Veränderungen der Versorgungssituation zu identifizieren, wurden die Befragten gebeten, 2 Einzelfragen zu beantworten. Zum einen wurde erfragt, ob sich seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie etwas an der Versorgungssituation bei der zu pflegenden Person verändert hat. Eine weitere Frage zielte darauf ab, die Art der Veränderung hinsichtlich einer Reihe vorgegebener formeller Versorgungsangebote zu identifizieren. Die Befragten konnten angeben, dass a) es keine Veränderungen der Inanspruchnahme gegeben hat, b) sie Angebote und Dienstleistungen wegen der Pandemie nicht mehr in Anspruch nehmen wollen oder c) Angebote und Dienstleistungen wegen der Pandemie nicht mehr angeboten werden. Fälle, für die einzelne Versorgungsangebote nicht zutrafen, wurden für die hier vorgenommenen deskriptiven Analysen itembezogen ausgeschlossen, was die Anzahl gültiger Angaben reduzierte.
Auch zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf wurden den Befragten 2 allgemeine Einzelfragen gestellt. Zuerst wurde erfragt, ob seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf weniger Probleme, gleich viele Probleme oder mehr Probleme bereitet. In der zweiten Frage ging es um das Pandemiemanagement der Arbeitgeber:innen und darum, ob die pflegenden Angehörigen damit zufrieden, teils zufrieden/teils unzufrieden oder nicht zufrieden sind. Die zugehörigen deskriptiven Analysen beziehen sich auf erwerbstätige pflegende Angehörige.
Um die Veränderungen in der Lebensqualität der pflegenden Angehörigen zu messen, wurden 2 Einzelfragen zur Lebensqualität vor und während der COVID-19-Pandemie verwendet. Die Befragten konnten auf einer 5‑stufigen Likert-Skala antworten (sehr schlecht, schlecht, durchschnittlich, gut, sehr gut). Aus den beiden Variablen wurde eine dritte Variable mit den Ausprägungen 1 = Verschlechterung der Lebensqualität, 2 = keine Veränderung der Lebensqualität/Verbesserung der Lebensqualität erstellt (eine dritte Kategorie entfiel für den vorliegenden Datensatz, da eine geringere Belastung von niemandem berichtet wurde).
Analog zur Messung der Lebensqualität wurden Veränderungen der
Pflegebelastung aus 2 Fragen zur Pflegebelastung vor und während der COVID-19-Pandemie abgeleitet, die die Befragten auf einer 5‑stufigen Likert-Skala beantworten konnten (sehr belastet, ziemlich belastet, etwas belastet, kaum belastet, überhaupt nicht belastet). Auch hier wurde eine Variable mit 2 Kategorien konstruiert: 1 = mehr Belastung durch die Pflege, 2 = keine Veränderung der Belastung durch die Pflege. Detaillierte Darstellungen zu den Variablen Lebensqualität und Pflegebelastung finden sich im Ergebnisteil in Tab.
3. Eine detaillierte Beschreibung der Messinstrumente findet sich im Projektbericht [
21].
Analysemethoden
Für die Analysen haben wir deskriptive Darstellungen zur allgemeinen Übersicht der Ergebnisse mit Regressionstechniken kombiniert, die eingesetzt wurden, um subgruppenspezifische Veränderungen der Lebensqualität und der Belastung durch Pflege zu untersuchen. Die Variablen „Lebensqualität“ und „Pflegebelastung“ dienten als abhängige Variablen in den statistischen Modellen. Da es sich um dichotome abhängige Variablen handelt, wurden multivariate logistische Regressionsmodelle verwendet und Odds Ratios berechnet. Um zu untersuchen, ob sich die potenziellen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Lebensqualität und Pflegebelastung der Pflegenden zwischen den Untergruppen der pflegenden Angehörigen unterscheiden, wurden die folgenden erklärenden Variablen in die Analysemodelle aufgenommen: Geschlecht (männlich, weiblich), Altersgruppen (< 50, 50–60, > 60), Bildungsniveau (nicht-tertiär, tertiär), Beschäftigungsstatus (erwerbstätig, nicht erwerbstätig), Leben im selben Haushalt (ja, nein) und Pflegegrad (PG; PG 1 und 2, 3, 4, 5) der zu pflegenden Person. Da der Anteil der Personen mit PG 1 unter einem Prozent lag, wurden PG 1 und 2 zusammengefasst.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass die allgemeine Versorgungssituation sich für mehr als die Hälfte der befragten pflegenden Angehörigen (59 %) während der COVID-19-Pandemie geändert hat. Für 71 % der Befragten ist die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf mit mehr Problemen verbunden. Gleichzeitig zeigt sich jedoch die Mehrheit mit dem Pandemiemanagement der eigenen Arbeitgeber:innen zufrieden (60 %). Die Befragten gehen somit davon aus, dass die erschwerte Situation den objektiven Umständen und nicht dem individuellen Fehlverhalten von Arbeitgeber:innen geschuldet ist. Die Wahrscheinlichkeit, eine Verschlechterung der Lebensqualität und eine Zunahme der subjektiven Pflegebelastung wahrgenommen zu haben, findet sich für jüngere Pflegende, Frauen und Angehörige von Gepflegten mit hohem Pflegebedarf.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie stimmen in verschiedener Hinsicht mit weiteren Befragungen zur Situation pflegender Angehöriger in Deutschland während der COVID-19-Pandemie überein. Zum Beispiel werden Rückgänge in der Inanspruchnahme von formellen Unterstützungsangeboten und/oder -leistungen beziehungsweise eine Verschlechterung des Zugangs zu Gesundheits- und Sozialdiensten auch in anderen Studien berichtet [
18,
23,
24]. Ebenfalls zeigt sich über verschiedene Studien hinweg, dass die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf für die Personengruppe pflegender Angehöriger im Durchschnitt schwieriger geworden ist [
18,
23,
24]. Weiterführende Analysen zeigen darüber hinaus, dass pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz häufiger von Schwierigkeiten mit der Vereinbarkeit betroffen sind und dass die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz besonders in niedrigen Einkommensgruppen vorhanden ist [
25]. Was das Pandemiemanagement der eigenen Arbeitgeber:innen betrifft, bestätigt eine andere Untersuchung die relativ hohen Zufriedenheitswerte [
18]. Eine weitere groß angelegte Befragung im Auftrag des Sozialverbands VdK Deutschland kommt hier jedoch auf einen deutlich niedrigeren Wert [
23].
Die hier vorliegende Studie zeigt darüber hinaus eine Abnahme der Lebensqualität der Pflegenden und eine Zunahme der subjektiven Pflegebelastung für die Hälfte der Befragten. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit früheren Untersuchungen, die einen Rückgang der Lebensqualität von Pflegenden im Vereinigten Königreich festgestellt haben [
15]. Für Deutschland konnten diese Effekte bestätigt werden [
26]. Weitere in Deutschland durchgeführte Studien bestätigen ebenfalls die negativen Entwicklungen im Bereich der psychosozialen Gesundheit pflegender Angehöriger, zum Beispiel mit Blick auf die subjektive Belastung, Ängste und Sorgen sowie das Einsamkeitsempfinden [
18,
23,
24,
27]. Es bleibt abzuwarten, ob es sich hierbei um nachhaltige Veränderungen handelt, die über die Pandemie hinaus anhalten. Erste Analysen legen nahe, dass es sich hierbei auch um temporäre Entwicklungen handeln könnte und Erholungseffekte im Pandemieverlauf stattgefunden haben [
27]. Hier bedarf es sicherlich zukünftig weiterer Forschungsaktivitäten.
Die vorliegende Studie leistet einen Beitrag zur Forschung über die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Lebenssituationen pflegender Angehöriger, trägt zum Forschungsstand bei, indem sie negative Dynamiken subgruppenspezifisch analysiert und dabei zeigt, dass die schlechtere Lebensqualität und die erhöhte subjektive Pflegebelastung während der Pandemie besonders für weibliche und junge Pflegende sowie für solche mit schwer beeinträchtigten Pflegebedürftigen von Bedeutung sind. Bestimmte Subgruppen pflegender Angehöriger scheinen Belastungen demnach stärker wahrzunehmen. Dies steht auch in Einklang mit Ergebnissen der CORONA-HEALTH-App-Studie in Deutschland, die in Bezug auf verschiedene Aspekte von Lebensqualität insbesondere für Frauen und jüngere Personen niedrigere Werte im Vergleich zu Werten aus der Zeit vor der COVID-19-Pandemie aufzeigt [
28]. Ein Befund, der darauf hinweist, dass eine adäquate Zielgruppenorientierung bei der Ausgestaltung von Unterstützungsangeboten zur Förderung der mentalen Gesundheit berücksichtigt werden sollte [
29].
Ferner stimmen die Ergebnisse mit früheren Untersuchungen überein, die zeigen, dass Frauen während der COVID-19-Pandemie am stärksten benachteiligt sind [
26,
30,
31]. Obwohl jüngere Pflegepersonen während der Pandemie mit zusätzlichen Herausforderungen wie Kinderbetreuung und Berufstätigkeit zu kämpfen haben könnten [
32], wurde kein signifikanter Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit festgestellt. Die Ergebnisse zu Personen mit intensiveren Betreuungspflichten stimmen mit den Ergebnissen einer weiteren Befragung von pflegenden Angehörigen aus Deutschland überein [
18]. Die Pflegearrangements von Menschen mit höheren PG umfassen häufig auch formelle Pflege, was bedeutet, dass die Belastung für pflegende Angehörige zunimmt, wenn diese Unterstützung ausläuft oder beendet wird.
Limitationen
Bei der Interpretation der Ergebnisse sind folgende Einschränkungen zu beachten: Die erhobenen Daten beruhen auf Einschätzungen der Befragten und sind daher keine objektiven Bezugsgrößen. Pflegende, die nicht erwerbstätig sind, nicht bei der DAK versichert sind und nicht über einen Internetzugang verfügen, wurden nicht in die Gruppe der Befragten eingeschlossen und der Rücklauf war gering. Es handelt sich bei der Stichprobe also nicht um eine Zufallsstichprobe, die Repräsentativität gewährleistet, sondern um eine Gelegenheitsstichprobe, bei der aufgrund der Selbstselektivität der Befragten Rückschlüsse auf die Eigenschaften der Grundgesamtheit aller pflegenden Angehörigen im erwerbsfähigen Alter nur in eingeschränktem Maße möglich und zulässig sind. Daher können die Ergebnisse nicht auf die gesamte Gruppe pflegender Angehöriger übertragen werden. Daten zur vergleichenden Einschätzung der Lebensqualität bei nicht informell Pflegenden im erwerbstätigen Alter fehlen. Zudem handelt es sich bei den in der Analyse verwendeten Daten um Querschnittsdaten mit retrospektiven Fragen und nicht um echte Längsschnitte. Verzerrungen der Einschätzungen aufgrund verzerrter Erinnerungen („recall bias“) sind daher nicht auszuschließen. Es ist weiterhin zu beachten, dass wir aufgrund geringer Fallzahlen die zu Pflegenden der Pflegegrade 1 und 2 zusammenfassend analysiert haben. Die Datenerhebung wurde im Anschluss an die erste COVID-19-Welle durchgeführt und die Interpretationen sind daher auf diesen Zeitraum beschränkt.
Schlussfolgerungen
Die vorliegenden Ergebnisse stärken die Forderung nach einer differenzierte(re)n Analyse von Bedarfssituationen in der häuslichen Pflege sowie darauf abgestimmten zielgruppenspezifischen Unterstützungsangeboten, die auf vorhandenen finanziellen, sozialen und psychologischen Ressourcen aufbauend die Resilienz pflegender Angehöriger stärken [
33]. Neuere Studien verweisen darauf, dass Resilienzförderung bei pflegenden Angehörigen auf 3 Ebenen stattfinden sollte: der Angehörigenebene (z. B. Selbstwirksamkeitserwartung, Coping-Strategien), der dyadischen Ebene (z. B. Beziehungsqualität, Reziprozität) sowie der Angehörigen-Umwelt-Interaktion (z. B. soziale Unterstützung; [
33]). Dem hinzuzufügen wäre noch eine strukturelle Ebene, auf der eine vorbeugende Pflege- und Sozialpolitik zur Stärkung häuslicher Versorgungsarrangements realisiert wird [
34].
Künftige Forschungsarbeiten sollten daher diese Ebenen stärker einbeziehen und auch im Zeitverlauf analysieren, um so potenzielle Einflussmechanismen auf Lebensqualität und Belastung der pflegenden Angehörigen – auch über die COVID-19-Pandemie hinaus – zu identifizieren. Und nicht zuletzt sollten die Erkenntnisse zu Belastungen pflegender Angehöriger stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert werden, um so Grundlagen für verbesserte Rahmenbedingungen zu schaffen und politische Entscheidungsträger:innen zu sensibilisieren.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autor:innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Die Teilnahme an den Interviews erfolgte freiwillig. Die Teilnehmenden wurden darüber aufgeklärt, dass sie an einer wissenschaftlichen Studie teilnehmen. Die Datensätze aller Erhebungen liegen in anonymisierter Form vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.