Warum (zu) lange Nüchternzeiten vor der Op. riskant sind

Stundenlange Nüchternzeiten vor der Op. sind weder notwendig noch zielführend und vor allem bei älteren Menschen sogar eher riskant. Aktuelle klinische Daten zeigen, dass und wie liberalere Nüchternheitsgrenzen sicher umsetzbar sind. „Nur zwei Stunden vor Op. nichts trinken. Das klingt zunächst harmlos,“ sagte PD Dr. Thomas Saller, Anästhesiologie, Uni München , auf dem Anästhesiecongress. In der Realität eines Krankenhausbetriebs bedeute das Trinkverbot vor einer Operation aber, dass die Betroffenen faktisch zwischen neun und zwölf Stunden lang nüchtern bleiben, vor bestimmten Eingriffen sogar bis zu 16 Stunden. „Das ist komfortabel für die Op.-Planung, für die Betroffenen aber möglicherweise schädlich,“ gab Saller zu bedenken. Vor der Einleitung müsse der Magen leer sein, keine Frage, denn Aspiration sei selten, aber kritisch. Allerdings liege bei schweren oder gar tödlichen Aspirationen meist eine begleitende neurologische, gastrointestinale oder pulmonale Störung zugrunde oder auch eine medikamentöse Sedierung, das habe eine große Fallkontrollstudie aus den USA kürzlich bestätigt [1]. Zudem sei die Aspiration von klarer Flüssigkeit erstens sehr selten und zweitens in aller Regel unproblematisch. Außerdem hätten klare Flüssigkeiten, etwa gesüßter Tee, innerhalb kurzer Zeit den Magen passiert. Dafür reicht in aller Regel die Zeit vom Abruf von der Krankenstation bis zum Eintreffen der Person im OP. Restriktive Nüchternheitsgrenzen garantieren keinen leeren Magen Lange Nüchternzeiten sind laut Saller bei älteren Menschen nicht nur mit unangenehmen Gefühlen von Durst, Hunger, Unwohlsein und postoperativer Übelkeit assoziiert, sondern auch mit veritablen Gesundheitsrisiken. Dazu zählen unter anderem Hyperglykämie und Insulinresistenz, Dehydratation mit Hypovolämie und hämodynamischer Instabilität sowie ein deutlich erhöhtes Delirrisiko. Zudem wisse man mittlerweile, so Saller, dass das Aspirationsrisiko durch eine lange Nüchternzeit nicht gesenkt werden kann. Möglicherweise habe diese sogar einen gegenteiligen Effekt, weil sich übertriebene Restriktionen negativ auf die Compliance der Betroffenen auswirken können. Tatsächlich zeigte eine belgische Studie, dass trotz restriktiver Nüchternheitsvorgaben beileibe nicht alle mit leerem Magen im OP ankommen. Bei 6,2% war der Magen voll und bei 1,7% enthielt er sogar feste Anteile [2]. „Konservative Nüchternheitsgrenzen vermitteln also nur falsche Sicherheit,“ folgerte Saller. Liberalere Handhabe erscheint vertretbar Mittlerweile gäbe es, so Saller, auch klinische Daten, die belegen, dass liberalere Nüchternheitsgrenzen einfach umsetzbar sind und nicht nur Wohlbefinden fördern, sondern auch unter Sicherheitsaspekten vertretbar sind. In einer kürzlich publizierten Studie beispielsweise war zwar ein statistisch nicht signifikanter Trend zugunsten der restriktiveren Nüchternheitsvorgaben im Hinblick auf Regurgitations- und Aspirationsrisiko zu verzeichnen. Das absolute Risiko war aber auch nach liberaleren Nüchternheitsregeln sehr niedrig. Für Regurgitation lag es bei 24/10.000, gegenüber 18/10.000 unter restriktiveren Vorgaben, für Aspiration bei 2,4/10.000 vs. 1,7/10.000 [3]. Saller empfiehlt den Einsatz von Nüchternheitskarten, auf denen die Betroffenen je nach klinischer Situation in verschiedenen Abstufungen klare Vorgaben zur Nüchternheit vor Op. erhalten. Grün bedeutet beispielsweise, dass die Betroffenen bis Mitternacht vor dem Op.-Tag leicht verdauliche Kost, etwa Toastbrot oder Yoghurt zu sich nehmen dürfen, und bis zum Abruf in den OP klare Flüssigkeiten einschließlich gesüßter Getränke. Empfehlung der Redaktion Deutscher Anästhesiecongress DAC 2023 – Kongressdossier Der Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin fand 2023 in Düsseldorf statt. Es gab Neuigkeiten zu Reanimation, Neuromonitoring, perioperativer Schmerztherapie und mehr: Meldungen vom Kongress. basierend auf: Symposium HS A209 Aktuelles zur perioperativen Altersmedizin, Deutscher Anästhesiecongress (DAC) 2023, 27.-29.04, Düsseldorf

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