Darm-Ökogramme: Seriöse Diagnostik oder Scharlatanerie?

Bei Verdacht auf infektiöse Erkrankungen sind Stuhluntersuchungen eine etablierte Methode, um pathogene Keime, Pilze, Parasiten oder Toxine nachzuweisen. Seit einigen Jahren werden sie auch zur Analyse des menschlichen Mikrobioms angeboten – über den Nutzen lässt sich jedoch streiten. „Setzen Sie oder viele Ihrer Patienten aus Eigeninitiative sogenannte Darm-Ökogramme ein, also Stuhluntersuchungen auf Dysbiose?“ Über diese Frage ließ Dr. Viola Andresen, Leiterin des Ernährungsteams des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg, ihr Publikum beim Praxis Update 2020 abstimmen. 65% verneinten, weil sie zu wenig darüber wüssten, 8% lehnten die Untersuchung ab, weil sie nicht erstattet wird, 11% haben sie schon empfohlen und 16% hatten Patienten, die diese Möglichkeit aus eigener Initiative wählten. Die Antworten zeigen, dass das zunehmende Angebot solcher Stuhluntersuchungen zur Analyse des gastrointestinalen Mikrobioms, das bis zu 2 kg des Körpergewichts ausmachen kann, viele Ärzte verunsichert. Andresen sieht die meist teuren und von den Patienten normalerweise selbst zu bezahlenden Darm-Ökogramme, die zur Detektion einer möglichen Dysbiose dienen sollen, aus mehreren Gründen kritisch. Spezifische pathophysiologische Interpretation nicht möglich „Das Mikrobiom ist interindividuell sehr unterschiedlich, daher gibt es keinen allgemeingültigen Normalbefund. Bisher eignet sich keine der vielen beschriebenen quantitativen Veränderungen als spezifischer Biomarker für eine Erkrankung“, erklärte sie. Darüber hinaus seien viele Arten des Mikrobioms bislang noch unbekannt, sodass sie gar nicht erfasst werden. Zwar könne eine reduzierte Diversität des Mikrobioms mit vielen Krankheiten assoziiert sein, dies bleibe jedoch ein unspezifischer Befund und bedeute nicht automatisch einen krankhaften Zustand. „Die Ergebnisse solcher Untersuchungen lassen somit keinerlei klinische Interpretation oder gar gezielte therapeutische Empfehlung zu“, schlussfolgerte die Gastroenterologin. Keine Basis für individuelle therapeutische Intervention Die von vielen Anbietern für bestimmte Bakterienstämme angegebenen „Normbereiche“ und entsprechende „pathologische Deviationen“ seien demnach nicht wirklich evidenzbasiert, ähnlich wie entsprechende Empfehlungen. „Bezüglich der Ernährung gilt: Eine ausgewogene, ballaststoffreiche Ernährung fördert ein vielfältiges Mikrobiom. Für diese Erkenntnis braucht man keine teure Stuhluntersuchung“, so Andresen. Gezielte probiotische Empfehlungen seien fragwürdig, da völlig unklar sei, ob ein bestimmter Stamm bei einem Patienten tatsächlich „pathologisch vermindert oder vermehrt“ oder gar für dessen Beschwerden verantwortlich sei. Ebenso fraglich sei, ob ein Probiotikum überhaupt fähig wäre, sich im bestehenden mikrobiellen Ökosystem anzusiedeln und dieses zu verändern. Hinzu kommt laut Andresen, dass die fäkale Mikrobiota nur ein Teil des Mikrobioms ist, während die Mukosa-assoziierte Mikrobiota durch eine Stuhlanalyse nicht erfasst wird. Jede Untersuchung stelle zudem nur eine Momentaufnahme dar, die beispielsweise allein durch die Ernährung in den vergangenen Tagen verändert sein könne. „Darm-Ökogramme haben derzeit keinen diagnostischen Stellenwert“ Manche Untersuchungsmethoden basieren noch auf kulturellen Anzüchtungen, bei der die entscheidenden anaeroben Mikroorganismen nicht erfasst werden können, so Andresen. Zwar bieten die Labore zunehmend molekularbiologische Untersuchungen an, jedoch werden in den Befunden oft quantitative Werte vordefinierter Stämme angegeben, die schwer zu interpretieren seien. Zudem basieren die Analysen meist auf Vergleichen mit Gendatenbanken, sodass nur dort erfasste Arten bestimmt werden können. „Für die klinische Diagnostik gastrointestinaler Erkrankungen haben Darm-Ökogramme aktuell keinen Stellenwert“, resümierte Andresen. Ein sinnvoller Einsatzbereich für diese Untersuchungen könne in Zukunft aber möglicherweise der fäkale Mikrobiom-Transfer sein: Etwa indem man im Vorfeld das Mikrobiom von Spender und Empfänger in Relation setzen oder beim Empfänger einen Vorher-Nachher-Vergleich ziehen könnte. Basierend auf: Andresen V. Hot Topic: Mikrobiom. Vorgestellt beim 14. Allgemeinmedizin-Update-Seminar unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). 08. Mai 2020.

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