Skip to main content
AE-Manual der Endoprothetik
Info
Publiziert am: 12.03.2024

Komplikationen der Hüftendoprothetik: Gefäßverletzungen

Verfasst von: Stefanie Donner und Carsten Perka
Gefäßverletzungen gehören zu den seltenen, aber schwerwiegenden Komplikationen in der Endoprothetik. Bereits präoperativ ist jeder Eingriff auf das Vorliegen von Risikofaktoren für eine Gefäßverletzung zu prüfen. Die Arteria femoralis und die Arteria iliaca externa gehören zu den am häufigsten verletzten Gefäßen. In der Klinik sollte es einen festgelegten Algorithmus beim Auftreten von Gefäßverletzung geben. Die Kenntnis der Zugänge zu den typischerweise alterierten Gefäßen, die schnelle Verfügbarkeit angiografischer Untersuchungstechniken, das Vorhalten gefäßchirurgischer oder interventionsradiologischer Expertise und ein mit der Anästhesie abgestimmtes Konzept zum Vorgehen beim Auftreten dieser Komplikation gehören dazu.
Intraoperative Gefäßverletzungen und postoperative Blutungen in der primären Endoprothetik und Revisionsendoprothetik des Hüftgelenks sind seltene Komplikationen. Die Inzidenz wird in der Literatur mit 0,1–0,2 % angegeben (Della Valle et al. 2001–2002; Parvizi et al. 2008). Dem Jahresbericht 2019 des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) ist eine Häufigkeit von Gefäßverletzungen bei der Implantation von primären Endoprothesen von 0,03 %, bei einem einzeitigen Wechsel von 0,13 % und bei einem zweizeitigen Wechsel von 0,2 % zu entnehmen (IQTIG 2020). Gefäßverletzungen treten somit bei Revisionseingriffen bis zu 6-mal häufiger auf.
Während die Inzidenz niedrig ist, handelt es sich oft um eine folgenschwere Komplikation mit einer Mortalität von 9 %, einer Amputationsrate von 12 % und einer Wahrscheinlichkeit für eine dauerhafte Behinderung von 17 % bedingt durch die arterielle Ischämie und deren Folgen (Lazarides et al. 1991).
Zu den Risikofaktoren gehören vor allem die intrapelvine Lage von Implantaten nach Migration von Prothesenkomponenten und die periprothetische Infektion. Die linke Seite und das weibliche Geschlecht werden ebenso aufgeführt (Alshameeri et al. 2015). Die chronische Arrosion von Gefäßen durch Schrauben oder Zementanteile kann zur Bildung eines Anuerysma spuriums führen, welches das Risiko für eine Gefäßläsion erhöht (Mallory et al. 1997; Rue et al. 2004). Es ist daher empfehlenswert, die präoperative Diagnostik durch eine CT-Angiografie zu ergänzen.
In einem Review von Alshameeri et al. 2015 werden die A. iliaca externa und die A. femoralis als am häufigsten verletzte Gefäße genannt (Alshameeri et al. 2015).
Ursache der intraoperativen Gefäßläsionen ist z. B. das Setzen eines Retraktorhakens an den ventralen Pfannenrand ohne Knochenkontakt (Aust et al. 1981). In der Revisionssituation mit vernarbtem Gewebe und unübersichtlicher Anatomie sind die Präparation und die Orientierung oft erschwert. Des Weiteren kann es beim Abweichen/Abrutschen der Fräse nach ventral aufgrund der anatomischen Nähe zur A. femoralis (Abb. 1) leicht zu einer Verletzung kommen. Durch die Penetration der Fräse nach medial ins kleine Becken und das Einbringen von Schrauben ins Ilium können Äste der A. iliaca interna (A. obturatoria, A. glutea inferior, A. glutea superior, A. pudenda interna) (Abb. 2) verletzt werden. Auch scharfkantige „bone grafts“ können eine Gefahr darstellen.
Die Entfernung von Zementresten aus dem kleinen Becken ist beim Vorliegen einer periprothetischen Infektion notwendig, bei allen anderen Situationen sollte dies genau abgewogen und im begründeten Zweifelsfall darauf verzichtet werden.
Wasiliewski et al. haben eine Einteilung des Azetablums und des Beckens in 4 Quadranten vorgenommen, die dem Operateur eine Orientierungshilfe bei der Platzierung der Schrauben und der Fixation von Pfannenkomponenten gibt (Wasielewski et al. 1990). Dazu wird das Azetabulum durch eine Linie ausgehend von der Spina iliaca anterior superior durch das Zentrum des Azetabulums in einen vorderen und hinteren Abschnitt unterteilt. Eine Linie im rechten Winkel durch das Azetabulum-Zentrum unterteilt weiter in einen superioren und inferioren Anteil. Der posterior-superiore Quadrant gilt als Safe-Zone, in der das Ilium die maximale Knochentiefe hat (Abb. 3). Dennoch kann es auch bei der Platzierung einer Schraube in der Safe-Zone zu relevanten, meist venösen Blutungen kommen (Abb. 4).
Akute Verletzungen der A. iliaca externa oder A. femoralis sollten nach sofortiger direkter Kompression durch einen direkten anterioren Zugang exploriert werden.
Zur Blutungsstillung ist das Unterbinden durch Gefäßklemmen notwendig. Bei komplexeren Verletzungen oder nichtstillbaren Blutungen ist das Hinzuziehen eines Gefäßchirurgen erforderlich (Abb. 5).
Massive diffuse Blutungen oder großflächige direkte Gefäßverletzungen sind durch frühzeitige Kommunikation mit dem Anästhesisten anzuzeigen, damit die gegebenenfalls erforderliche Hämotherapie eingeleitet werden kann.
Am häufigsten werden Gefäßläsionen operativ durch eine offene Rekonstruktion operativ versorgt (Alshameeri et al. 2015). In den letzten Jahren haben sich zudem perkutane radiologische Interventionsverfahren, wie die Embolisation oder das Coiling etabliert (Mavrogenis et al. 2011; Troutman et al. 2013; Barriga et al. 2001).
Gefäßläsionen werden sehr häufig erst mit zeitlicher Verzögerung diagnostiziert. Im Review von Alshameeri et al. 2015 wurde die Verletzung in 34 % der Fälle während der Operation, innerhalb von 24 Stunden nach der Operation und in weiteren 32 % innerhalb der ersten Woche postoperativ diagnostiziert (Alshameeri et al. 2015).
Venenverletzungen, besonders im kaudalen Pfannenbereich, führen oft nicht zu sofort erkennbaren Blutungen und verursachen dann erst postoperativ eine Nachblutung mit Revisionsnotwendigkeit.
Gelegentlich sind diese Venen auch leicht aneurysmatisch aufgetrieben, was dann nur durch Umstechungen oder Kompression zu einer ausreichenden und sicheren Blutstillung führt.
Gefäßverletzungen der A. iliaca interna und ihrer Seitenäste, die in ihrem anatomischen Verlauf (Abb. 2) sehr variabel sind, fallen häufig erst im protrahierten postoperativen Verlauf durch einen Blutdruckabfall, ein deutlich zunehmendes Drainagevolumen, einen signifikanten Hämoglobinabfall oder eine unspezifische Ileus-Symptomatik auf (Cheng et al. 2014). (Abb. 6)
Die CT-Angiografie (Mehrphasen-CT) dient zur Abklärung eines retroperitonealen Hämatoms und zur Entscheidungshilfe, ob eine arterielle oder venöse Blutung vorliegt, sowie zur genauen anatomischen Planung der notwendigen perkutanen Intervention. Eine Embolisation ist sowohl durch mechanische metallische Embolisationsmaterialien (Coils, Plugs) also auch durch flüssige (Cyanoacrylat) oder partikuläre Embolisate (kalibrierte Mikrosphären, Gelfoam) technisch möglich. Vor der radiologischen Intervention muss die Kreislaufstabilität des Patienten sichergestellt sein. Im Anschluss erfolgt die Entscheidung, ob eine weitere chirurgische Hämatomrevision erforderlich ist.
Ein Zusammenhang zwischen der Wahl des operativen Zugangs und der Häufigkeit oder der Art des verletzen Gefäßes konnte in der Literatur nicht gefunden werden (Alshameeri et al. 2015). Einzelne Falldarstellungen beschreiben zwar eine Gefäßläsion der A. femoralis beim anterioren Hüftzugang, weisen jedoch auch auf den Hauptrisikofaktor eines zu medial/kaudal platzierten spitzen Hohmann-Hakens unabhängig vom anatomischen Zugang hin (Shubert et al. 2015; Marongiu et al. 2019).
Um eine diffuse Blutung beim anterioren Zugang zu vermeiden, sollte der R. ascendens der A. circumflexa femoris lateralis ligiert werden.

Fazit für die Praxis

Das Vorliegen klarer Handlungsempfehlungen in der Klinik beim Auftreten von Gefäßverletzungen ist die Voraussetzung zur Beherrschung dieser schwerwiegenden Komplikation. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist hier der Schlüssel zum Erfolg.
Literatur
Alshameeri Z, Bajekal R, Varty K, Khanduja V (2015) Iatrogenic vascular injuries during arthroplasty of the hip. Bone Joint J 97-B(11):1447–1455CrossRefPubMed
Aust JC, Bredenberg CE, Murray DG (1981) Mechanisms of arterial injuries associated with total hip replacement. Arch Surg 116:345–349CrossRefPubMed
Barriga A, Valenti Nin JR, Delgado C et al (2001) Therapeutic embolisation for postoperative haemorrhage after total arthroplasty of the hip and knee. J Bone Joint Surg Br 83-B:90–92CrossRef
Cheng H, Shin JH, Yoon HK, Choe J, Ko GY, Gwon DI, Ko HK, Kim JH, Sung KB (2014) Retrospective 12-year study of the safety and efficacyof transcatheter arterial embolization for managing bleeding. Cardiovasc Intervent Radiol 37(6):1464–1468CrossRefPubMed
Della Valle CJ, Di Ceasare PE (2001–2002) Complications of total hip arthroplasty. Neurovascular injury, leg-length discrepancy, and instability. Bull Hosp Jt Dis 60(3–4):134–142PubMed
IQTIG. Bundesauswertung zum Erfassungsjahr 2019 – Hüftendoprothesenversorung. Qualitätsindikatoren und Kennzahlen. Stand 14.07.2020
Lazarides MK, Arvanitis DP, Dayantas JN (1991) Iatrogenic arterial trauma associated with hip joint surgery: an overview. Eur J Vasc Surg 5:549–556CrossRefPubMed
Mallory TH, Jaffe SL, Eberle RW (1997) False aneurysm of the common femoral artery after total hip arthroplasty. A case report. Clin Orthop Relat Res 338:105–108
Marongiu G, Rigotti S, Campacci A, Zorzi C (2019) Acute common femoral artery lesion after direct anterior approach for THA. A case report and literature review. J Orthop Sci 24(2):382–384CrossRefPubMed
Mavrogenis AF, Rossi G, Rimondi E (2011) Embolisation for vascular injuries complicating elective orthopaedic surgery. Eur J Vasc Endovasc Surg 42:676–683CrossRefPubMed
Parvizi J, Pulido L, Slenker N et al (2008) Vascular injuries after joint arthroplasty. J Arthroplasty 23(8):1115–1121CrossRefPubMed
Rue JP, Inoue N, Mont MA (2004) Current overview of neurovascular structures in hip arthroplasty: anatomy, preoperative evaluation, approaches, and operative techniques to avoid complications. Orthopedics 27:73–81CrossRefPubMed
Shubert D, Madoff S, Milillo R, Nandi S (2015) Neurovascular Structure Proximity to Acetabular Retractors in Total Hip Arthroplasty. J Arthroplasty 30(1):145–148CrossRefPubMed
Troutman DA, Dougherty MJ, Spivack AI (2013) Updated strategies to treat acute arterial complications associated with total knee and hip arthroplasty. J Vasc Surg 58:1037–1042CrossRefPubMed
Wasielewski RC, Cooperstein LA, Kruger MP (1990) Acetabular anatomy and the transacetabular fixation of screws in total hip arthroplasty. J Bone Joint Surg Am 72-A:501–508CrossRef