Hereditärer Fibrinogenmangel
Hereditäre Fibrinogenmangelzustände sind selten und werden in Typ-I- und Typ-II- Erkrankungen eingeteilt (Tab.
1).
Tab. 1
Diagnostik und Einteilung hereditärer Fibrinogenmangelzustände
| Hypofibrinogenämie | Afibrinogenämie | Dysfibrinogenämie |
| ↓ | ↓↓↓ | ↓ |
Fibrinogen immunologisch | ↓ | ↓↓ | Normal |
Reine Fibrinogenmangelzustände
werden als Typ-I-Fibrinogenmangel bezeichnet:
Hypofibrinogenämie ist definiert durch einen Fibrinogenwert <1,5 g/l, während bei einer
Afibrinogenämie überhaupt kein
Fibrinogen nachweisbar ist. Typ-II-Erkrankungen sind
Dysfibrinogenämien mit gestörter Funktion. Die funktionell gemessene Fibrinogenmenge ist dabei deutlich geringer als die immunologisch gemessene Fibrinogenkonzentration. Die Sicherung der Diagnose „Dysfibrinogenämie“ gelingt mittels molekulargenetischer Charakterisierung. Die
Prävalenz von Afibrinogenämie wird auf 1:1 Mio., die Prävalenz von Hypo- und Dysfibrinogenämien auf 1:100.000 bis 1:500.000 geschätzt (Archarya und Dimichele
2008).
Die Diagnostik von Fibrinogenmangelzuständen erfolgt zunächst durch Bestimmung des Fibrinogenwertes
nach Clauss. Wenn dieser Wert vermindert ist, erfolgt ergänzend die immunologische Bestimmung. Wichtig ist dabei, die Akutphasensituation des Patienten zum Zeitpunkt der Blutabnahme abzuschätzen (z. B. durch CRP-Bestimmung), da
Fibrinogen in akuten Krankheitssituationen meist erhöht ist und es dann zu falsch-normalen Fibrinogenmessungen kommen kann.
Fibrinogen hat ein Molekulargewicht von 340.000
Dalton und wird vorwiegend in der Leber gebildet. Die biologische
Halbwertszeit beträgt 96–120 h. Die normale Fibrinogenkonzentration liegt zwischen 1,5–4 g/l. Die Fibrinbildung durch Umwandlung des Fibrinogens ist der entscheidende Schritt am Ende der Gerinnungskaskade. Ein Mangel an Fibrinogen führt zu instabiler Gerinnselbildung.
Das
Blutungsrisiko korreliert mit der Plasmakonzentration an
Fibrinogen, wobei die
Blutungsneigung bei den meisten Patienten nicht ausgeprägt ist. Bei Fibrinogenwerten >1 g/l zeigt sich in der Regel keine Blutungsneigung, zwischen 0,5–1,0 g/l besteht in der Regel ein leicht erhöhtes Blutungsrisiko, insbesondere im Zusammenhang mit exogenen Risikosituationen wie Traumata oder Operationen (Peyvandi et a.
2012).
Cave: Patienten mit Dysfibrinogenämie zeigen ein uneinheitliches klinisches Krankheitsbild: Ca. 50 % sind asymptomatisch, 25 % haben eine Blutungsneigung und 25 % eine erhöhte Thromboembolierate.
Des Weiteren werden klinisch gestörte Wundheilung, erschwerte Implantation der befruchteten Eizelle und erhöhte Abortrate mit Fibrinogenmangel in Verbindung gebracht.
Therapie
Zur Substitution steht plasmatisch (pd) gewonnenes Fibrinogenkonzentrat
zur Verfügung (Tab.
2). Die mittlere Dosierung beträgt für Erwachsene pro Einzelgabe etwa 3–5 g
Fibrinogen; nach Substitution soll der Fibrinogenwert über der kritischen Schwelle (ca. 1 g/l) liegen.
Hypofibrinogenämie | Vor operativen oder diagnostischen Eingriffen mit erhöhter Blutungsgefahr soll bei einem Fibrinogenspiegel <1 g/l eine Fibrinogensubstitution erfolgen. |
Dysfibrinogenämie | Ziel >1 g/l, bei starker Blutung ≥1,5 g/l |
Afibrinogenämie | Vor allen operativen Eingriffen soll die Plasmakonzentration des Fibrinogens mindestens >1 g/l sein (bei starker Blutung ≥1,5 g/l) und bis zur Wundheilung in diesem Bereich gehalten werden |
Die erforderliche Fibrinogendosis kann aus dem Plasmavolumen (ca. 40 ml/kg KG) nach folgender Formel berechnet werden:
Fibrinogendosis (g) = erwünschter Anstieg (g/l) × Plasmavolumen (l)
Faktor-VII-Mangel
Angeborene Faktor-VII-Mangelzustände
sind selten. Die
Prävalenz liegt bei ca. 1:500.000 Geburten. Der Erbgang ist autosomal rezessiv. Klinisch manifest mit einer
Blutungsneigung sind in der Regel nur homozygot oder doppelt heterozygot Betroffene. Heterozygote Personen haben in der Regel keine oder nur eine milde, hämorraghische Diathese (Peyvandi et al.
2012).
Das Faktor-VII-Gen ist auf
Chromosom 13 lokalisiert. Faktor VIIa bildet durch Bindung an „Tissue Factor“ den extrinsischen Aktivierungskomplex, der Faktor X aktiviert und dadurch die Thrombinbildung generiert.
Faktor-VII-Mutationen führen meist zur Bildung eines dysfunktionellen Faktor VII.
In der orientierenden Laboruntersuchung ist eine isolierte Quick-Wert-Verminderung wegweisend für das Vorliegen eines Faktor-VII-Mangels. In Abhängigkeit von der Empfindlichkeit des verwendeten Reagenzes können bei milden Faktor-VII-Mangelzuständen noch Quick-Werte an der unteren Norm oder knapp normale Werte gemessen werden. Eine sichere Diagnostik ergibt die Faktor-VII-Einzelbestimmung. Die aPTT ist durch Faktor-VII-Mangel nie verlängert.
Die
Blutungsneigung ist bei Patienten mit Faktor-VII-Mangel individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt und korreliert schlecht mit dem Genotyp und mit der Faktor-VII-Restaktivität. Patienten mit Faktor-VII-Aktivität um 50 % der Norm können eine Blutungsneigung aufweisen, unter spontanen Blutungen leiden jedoch meist nur Patienten mit schwerem Faktor-VII-Mangel und Faktor-VII-Restaktivität <5 %. Meist treten Blutungen im Zusammenhang mit exogenen Risikosituationen (Operationen, Verletzungen) auf (Lapecorella und Mariani
2008).
Therapie
Zur Behandlung von akuten Blutungen und zur OP-Vorbereitung bei Patienten mit Faktor-VII-Mangel gibt es zwei Optionen:
Bei akuter Blutung wird rFVIIa in einer Dosierung von 15–30 μg/kg KG verabreicht oder plasmatisch hergestelltes Faktor-VII-Konzentrat in einer Initialdosierung von 10–30 IE/kg KG. Aufgrund der kurzen
Halbwertszeit von Faktor VII (3–6 h) ist das Substitutionsintervall mit 2–6 h kurz.
Faktor-XI-Mangel
Hereditärer Faktor-XI-Mangel
ist sehr selten und wird auch
Hämophilie C genannt. In Europa wird von einer Häufigkeit von 1:1 Mio. ausgegangen. Der Faktor-XI-Mangel wird autosomal rezessiv vererbt. Faktor XI fungiert als wichtiger Verstärker der Gerinnungskaskade durch Beeinflussung der Thrombingenerierung.
Im Labor zeigt sich ein Faktor-XI-Mangel durch eine verlängerte aPTT bei normalem Quick-Wert. Beweisend ist die vermindert gemessene Einzelfaktorenaktivität von Faktor XI.
Die Blutungssymptomatik ist bei Patienten mit Faktor-XI-Mangel sehr variabel, es besteht keine klare Korrelation zwischen Faktor-XI-Restaktivität und der klinischen
Blutungsneigung. Patienten mit einer Restaktivität <5 % haben in der Regel jedoch eine schwere Blutungsneigung, häufig auch mit spontanen Ereignissen. Patienten mit leichtem Faktor-XI-Mangel sind klinisch oft asymptomatisch (Duga und Salomon
2009).
Therapie
In Deutschland ist kein Faktor-XI-Konzentrat zugelassen, über die internationale Apotheke sind Präparate aus Frankreich oder England erhältlich. Die Behandlung von Blutungskomplikationen oder die präoperative Vorbereitung erfolgt in der Regel durch Gabe von Frischplasma (FFP).
Durch Gabe von 20–30 ml FFP/kg KG (ca. 6–8 FFPs) kann beim Erwachsenen ein Anstieg der Faktor-XI-Restaktivität um 20–30 % erreicht werden. Bei Kindern wird eine Gabe von 10–20 ml/FFP/kg KG empfohlen. Aufgrund der langen
Halbwertszeit des Faktor XI von ca. 50 h kann die FFP-Gabe präoperativ auf 2 Tage verteilt werden, um Volumenbelastung zu vermeiden. Zur Prophylaxe von Blutungen wird bei größeren Eingriffen eine Faktor-XI-Aktivität von 40 % angestrebt. Bei Menorrhagien, Schleimhautblutungen oder bei Zahnextraktionen sind Antifibrinolytika (Tranexamsäure) wirksam (Peyvandi et al.
2012).
Faktor XIII
Faktor XIII ist für die Quervernetzung von
Fibrin verantwortlich. Bei reduzierter Faktor-XIII-Aktivität wird das Fibringerinnsel nicht ausreichend stabilisiert. Daraus resultiert die für den Faktor-XIII-Mangel charakteristische zweizeitige Blutungssymptomatik: Beginn einer Blutung, nachdem diese zuvor sistiert hatte (z. B. 3–4 Tage post OP).
Angeborene schwere Faktor-XIII-Mangelzustände (<5 % Restaktivität) sind sehr selten (1:3 Mio.). Typisch sind bei Geburt auftretende Nabelschnurblutungen. Mittelschwerer Faktor-XIII-Mangel hat eine Restaktivität von 5–20 %, milder Faktor-XIII-Mangel ist definiert durch eine Restaktivität von 20–50 %. Davon abzugrenzen sind relativ häufige erworbene Faktor-XIII-Mangelzustände, die durch erhöhten Verbrauch nach Blutungen oder durch erhöhten Umsatz auftreten können.
Die orientierende Labordiagnostik mit Quick Wert und aPTT ist stets unauffällig. Die Faktor-XIII-Aktivität muss mit Hilfe von Einzelfaktorenbestimmung ermittelt werden.
Insgesamt gilt die
Blutungsneigung bei Patienten mit Faktor-XIII-Mangel als milde und korreliert weitgehend mit der Restaktivität. Spontanblutungen (häufig intrakranielle Blutungen) werden meist nur bei schweren Faktor-XIII-Mangelzuständen gesehen. Es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Faktor-XIII-Verminderung und
Wundheilungsstörungen/pathologischer Narbenbildung sowie auf Abortgefährdung (Hsieh und Nugent
2008).
Therapie
Die Therapie von Blutungskomplikationen erfolgt mit einem plasmatischen Faktor-XIII-Konzentrat. Zur Therapie von akuten Blutungen oder zur präoperativen Vorbereitung werden 30–50 IE/kg KG, in Abhängigkeit von der Restaktivität, verabreicht. Aufgrund der langen biologischen
Halbwertszeit von ca. 7 Tagen ist das Substitutionsintervall lange, wobei bei akuter Blutung der Verbrauch erhöht ist. Ziel ist eine Restaktivität von >50 % der Norm.