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Publiziert am: 28.08.2023 Bitte beachten Sie v.a. beim therapeutischen Vorgehen das Erscheinungsdatum des Beitrags.

Nephrologische Diagnostik: Bestimmung der Nierenfunktion

Verfasst von: Matthias Girndt
Als Maß der Exkretionsfunktion der Nieren wird die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) betrachtet. Diese bildet das Volumen an Plasmawasser ab, das durch das glomeruläre Filter vom Blut getrennt und durch tubuläre Rückresorption zum Endharn prozessiert wird. Die GFR kann empirisch geschätzt oder mit verschiedenen Methoden gemessen werden. Eine dauerhaft gegenüber der Norm verminderte GFR charakterisiert die chronische Nierenkrankheit, deren Stadieneinteilung anhand von Kategorien der GFR erfolgt.

Einleitung

Eine besonders wichtige Funktion der Nieren ist die Ausscheidung von Stoffwechselprodukten, die Exkretionsfunktion. Diese beruht ganz überwiegend auf einer glomerulären Filtration großer Flüssigkeitsvolumina mit darin gelösten Substanzen und einer nachfolgenden Rückresorption von Wasser und Elektrolyten durch das Tubulussystem. Als Maß der exkretorischen Funktion wird die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) angesehen, also das Volumen an Primärharn, das durch die Gesamtheit der Nephroneinheiten gebildet wird. Die GFR gilt als das entscheidende Maß der Entgiftung, wenngleich die Ausscheidung einzelner Substanzen durch nachfolgende Sekretion oder Rückresorption erheblich modifiziert werden kann. Die Nierenfunktion wird mit Bezug zur Körperoberfläche angegeben, um von Körpergröße und Nierengröße unabhängige Normalwerte angeben zu können. Eine normale GFR beträgt > 90 ml/min 1,73 m2.

Abschätzung der Nierenfunktion anhand der Serumkonzentration von Markerstoffen

Die etablierteste Methode zur Abschätzung der Nierenfunktion ist die Bestimmung der Serumkonzentration von Kreatinin, die in einem inversen Verhältnis zur GFR steht. Die Beziehung ist nicht linear. So beginnt die Konzentration erst zu steigen, wenn die GFR um etwa 50 % gegenüber der Norm reduziert ist (kreatininblinder Bereich). Nierenfunktionseinschränkungen unterhalb dieses Schweregrads können durch das Serumkreatinin nicht detektiert werden. Darüber hinaus ist die Serumkreatininkonzentration sehr von der Kreatininbildungsrate und damit der Muskelmasse abhängig. Letzteres Problem kann durch die Bestimmung von Cystatin C umgangen werden. Cystatin C beginnt bei Einschränkung der GFR etwas rascher zu steigen als Kreatinin, der blinde Bereich ist kleiner. Doch auch für Cystatin C ist der Zusammenhang zwischen Serumkonzentration und GFR nicht linear. Harnstoff und Harnsäure eignen sich schlecht als Marker der exkretorischen Nierenfunktion, weil sie stark von nichtrenalen Faktoren wie Ernährung und Wasserhaushalt abhängig sind.

Messung der glomerulären Filtrationsrate

Die GFR kann durch Bestimmung der Clearance einer glomerulär filtrierten Markersubstanz, z. B. von Kreatinin, näherungsweise gemessen werden. Die Markersubstanz muss idealerweise vollständig glomerulär filtriert und bis zur endgültigen Ausscheidung im Urin weder durch Sekretion noch durch Rückresorption modifiziert werden. Ihre Konzentration im Primärharn ist dann mit ihrer Konzentration im Serum identisch. So lässt sich aus der ausgeschiedenen Menge des Markers (Urinvolumen × Urinkonzentration) während eines definierten Urinsammelzeitraums und der ursprünglichen Konzentration im Primärharn (= Serumkonzentration) das Volumen des in dieser Zeit gebildeten Primärharns (= die GFR) berechnen.
Kreatinin erfüllt die Voraussetzungen als Markersubstanz nur annähernd, da es v. a. bei hoher Serumkonzentration zusätzlich tubulär sezerniert und auch gastrointestinal ausgeschieden wird, wodurch die Kreatinin-Clearance die GFR tendenziell überschätzt.
Zur präziseren Messung kann alternativ auch eine Serum-Clearance exogen zugeführter streng glomerulär filtrierter Markersubstanzen wie Inulin, Iohexol oder radionuklidmarkierter Substanzen wie 99mTc-DTPA bestimmt werden. Zu mehreren festgelegten Zeitpunkten nach Injektion wird die Serumkonzentration der Substanz bestimmt. Aus der Fläche unter der Konzentrationskurve lässt sich die GFR bestimmen. Alle Clearance-Verfahren ergeben Werte, die zur besseren Vergleichbarkeit auf eine Körperoberfläche von 1,73 m2 normiert werden sollten. Radionuklidmethoden können in Verbindung mit Gamma-Kamerabildern auch zur seitengetrennten Nierenfunktionsbestimmung genutzt werden.

Empirische Berechnung der GFR

Methode der Wahl zur Beurteilung der exkretorischen Nierenfunktion im praktischen Alltag ist die empirische formelbasierte Abschätzung auf der Basis der Serumkonzentrationen von Kreatinin oder Cystatin C (KDIGO 2013). Auf diese Weise ermittelte Werte werden als abgeschätzte („estimated“) glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) bezeichnet. Da sie rechnerisch durch Vergleich mit einer Normpopulation ermittelt werden, ergeben sie immer dann bereits auf 1,73 m2 normierte Ergebnisse, wenn die zugehörige Vergleichspopulation derartig normiert war (alle Formeln außer Cockcroft-Gault, s. Abschn. 4.1).

Cockcroft-Gault-Formel

Die Cockcroft-Gault-Formel (Cockcroft und Gault 1976) wurde ursprünglich nur an einer kleinen Gruppe von 236 Probanden validiert. Sie stammt aus einer Zeit, in der Kreatinin-Assays für die Berechnung der GFR nicht standardisiert waren und überwiegend die störanfällige Methode nach Jaffe (chromogener Assay) eingesetzt wurde. Sie tendiert zur Überschätzung der GFR und sollte oberhalb einer GFR von 60 ml/min nicht verwendet werden. Die kalkulierte GFR nach Cockcroft-Gault hat ihren Einsatzbereich heute nur noch bei der Pharmakadosierung bei Niereninsuffizienz:
$$ Ccr=\frac{\left(140- Alter\right)x\, Gewicht}{72\, x\, Scr}\, \left(x\, 0,85\, bei\, Frauen\right) $$

Modification-of-Diet-in-Renal-Disease (MDRD)-Formel

Die an großen Patientengruppen evaluierte MDRD-Formel (Levey et al. 2007) weist gegenüber der Cockcroft-Gault-Formel eine höhere Präzision auf, darüber hinaus kann sie mit standardisierten Kreatinin-Assays angewandt werden. Die erhebliche Unschärfe für GFR-Werte oberhalb 60 ml/min besteht jedoch auch hier. Für Kinder und alten Menschen (> 85 Jahre) sollte die Formel nicht eingesetzt werden.
$$ eGFR=175\cdot Sc{r}^{-1,154}\cdot Alte{r}^{-0,203}\left(\cdot 0,742\, bei\, Frauen\right) $$
  • eGFR kalkulierte („estimated“) glomeruläre Filtrationsrate in ml/min × 1,73 m2 KO,
  • Scr Serumkreatininkonzentration in mg/dl,
  • Alter Alter in Jahren.
Anmerkung: Die eGFR ist bei Afroamerikanern mit 1,21 zu multiplizieren.

CKD-EPI-Formel

Die CKD-EPI-Formel verwendet ein komplexeres mathematisches Modell als die MDRD-Formel und berücksichtigt die Unterschiedlichkeit im Zusammenhang zwischen Serumkreatinin und GFR im niedrigen im Vergleich zum hohen GFR-Bereich. Dabei kommt sie mit den gleichen Eingangsparametern aus wie die MDRD-Formel. Sie kann mit dem Serumkreatinin (Levey et al. 2009) oder mit Serumkreatinin und Cystatin C (Inker et al. 2012) gerechnet werden und wurde sehr breit evaluiert. Die CKD-EPI-Formel hat sich inzwischen als Kalkulationsstandard für die GFR etabliert und wird von der Mehrzahl der klinischen Laboratorien automatisch bei Bestimmung eines Serumkreatinins ausgegeben. Dabei ist für K folgendermaßen einzusetzen: 141 für nicht-schwarze Männer, 163 für schwarze Männer, 144 für nicht-schwarze Frauen, 166 für schwarze Frauen.
  • Frauen, Serumkreatinin ≤ 0,7 mg/dl:
$$ eGFR=K\cdot {\left( Scr/0,7\right)}^{-0,329}\cdot {\left(0,993\right)}^{Alter} $$
  • Frauen, Serumkreatinin > 0,7 mg/dl:
$$ eGFR=K\cdot {\left( Scr/0,7\right)}^{-1,209}\cdot {\left(0,993\right)}^{Alter} $$
  • Männer, Serumkreatinin ≤ 0,9 mg/dl:
$$ eGFR=K\cdot {\left( Scr/0,7\right)}^{-0,411}\cdot {\left(0,993\right)}^{Alter} $$
  • Männer, Serumkreatinin > 0,9 mg/dl:
$$ eGFR=K\cdot {\left( Scr/0,7\right)}^{-1,209}\cdot {\left(0,993\right)}^{Alter} $$

Kalkulationsformeln für besondere Altersgruppen

Die CKD-EPI-Formel ist für Menschen zwischen dem 16. und 70. Lebensjahr die Kalkulationsmethode der Wahl. Bei Kindern und älteren Menschen ist sie jedoch nicht ausreichend präzise, hier sollten spezielle Kalkulationsformeln angewandt werden. In der Pädiatrie kommt in der Regel die Schwartz-Gleichung (Schwartz et al. 2009) zum Einsatz:
$$ \mathrm{GFR}\sim {\mathrm{0,413}}^{\ast }\ \mathrm{K}\ddot{\mathrm{o}} \mathrm{rperl}\ddot{\mathrm{a}} \mathrm{nge}\ \left[\mathrm{cm}\right]/\mathrm{Serumkreatinin}\ \left[\mathrm{mg}/\mathrm{dl}\right] $$
Bei über 70-jährigen Personen ist die Anwendung von CKD-EPI zwar nicht falsch, eine höhere Präzision wird jedoch mit der BIS-Formel (Schaeffner et al. 2012) erreicht:
$$ \mathrm{GFR}\sim 3736\times {\mathrm{Serumkreatinin}}^{-0,87}\times {\mathrm{Alter}}^{-0,95}\ \left(\times 0,82\ \mathrm{bei}\ \mathrm{Frauen}\right) $$
  • eGFR kalkulierte glomeruläre Filtrationsrate in ml/min × 1,73 m2,
  • Serumkreatininkonzentration in mg/dl,
  • Alter in Jahren.
Die Verwendung eines ethnienspezifischen Faktors in der CKD-EPI Formel wurde in den letzten Jahren intensiv diskutiert und wird als nicht mehr adäquat angesehen. Im Ergebnis entwickelte man eine Variante der CKD-EPI Formel ohne einen solchen Faktor (Inker et al. 2021). Diese wird inzwischen international als Goldstandard für die eGFR-Kalkulation empfohlen.
$$ \mathrm{GFR}={142}^{\ast}\min \left(\mathrm{Scr}/\mathrm{k},1\right)\hat{\mkern6mu} {\mathrm{alpha}}^{\ast}\max \left(\mathrm{Scr}/\mathrm{k},1\right)\hat{\mkern6mu} \left\{-1,2\right\}\ast 0,9938\hat{\mkern6mu} \left\{\mathrm{Alter}\right\}\ast \mathrm{SexFactor} $$
für Frauen: SexFactor = 1,012; alpha = − 0,231; k = 0,7
für Männer: SexFactor = 1; alpha = − 0,302; k = 0,9

Stadieneinteilung der chronischen Nierenkrankheit

Die Stadieneinteilung erfolgt gemäß den internationalen Leitlinien der KDIGO (KDIGO 2013) anhand der eGFR unter Berücksichtigung der Proteinurie wie folgt:
GFR-Kategorie
eGFR (ml/min × 1,73 m2)
G1
> 90
G2
60–89
G3a
45–59
G3b
30–44
G4
15–29
G5
< 15
Hinzu kommt eine Kategorisierung der Urineiweißausscheidung:
Proteinurie-Kategorie
Albumin/Kreatinin-Ratio im Urin (mg/g)
A1
< 30
A2
30–300
A3
> 300
Eine chronische Nierenkrankheit wird daher beispielsweise als Stadium G3a A2 kategorisiert.
Literatur
Cockcroft DW, Gault MH (1976) Prediction of creatinine clearance from serum creatinine. Nephron 16:31–41CrossRefPubMed
Inker LA, Schmid CH, Tighiouart H, Eckfeldt JH, Feldman HI, Greene T, Kusek JW, Manzi J, Van LF, Zhang YL, Coresh J, Levey AS (2012) Estimating glomerular filtration rate from serum creatinine and cystatin C. N Engl J Med 367:20–29CrossRefPubMedPubMedCentral
Inker LA, Eneanya ND, Coresh J (2021) Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration. New creatinine- and cystatin C-based equations to estimate GFR without race. N Engl J Med 385:1737
Kidney Disease Improving Global Outcomes (KDIGO) (2013) Clinical practice guideline for the evaluation and management of chronic kidney disease. Kidney Int Suppl 3:1
Levey AS, Coresh J, Greene T, Marsh J, Stevens LA, Kusek JW, Van LF (2007) Expressing the Modification of Diet in Renal Disease Study equation for estimating glomerular filtration rate with standardized serum creatinine values. Clin Chem 53:766–772CrossRefPubMed
Levey AS, Stevens LA, Schmid CH, Zhang YL, Castro AF III, Feldman HI, Kusek JW, Eggers P, Van LF, Greene T, Coresh J (2009) A new equation to estimate glomerular filtration rate. Ann Intern Med 150:604–612CrossRefPubMedPubMedCentral
Schaeffner ES, Ebert N, Delanaye P, Frei U, Gaedeke J, Jakob O, Kuhlmann MK, Schuchardt M, Tölle M, Ziebig R, van der Giet M, Martus P (2012) Two Novel Equations to Estimate Kidney Function in Persons Aged 70 Years or Older. Ann Intern Med 157:471–481CrossRefPubMed
Schwartz GJ, Muñoz A, Schneider MF, Mak RH, Kaskel F, Warady BA, Furth SL (2009) New Equations to Estimate GFR in Children with CKD. J Am Soc Nephrol 20:629–637CrossRefPubMedPubMedCentral