Auswirkung der Verbrennung auf die Haut
Als Folgen gerade der tieferen Verbrennung können ausgedehnte Vernarbungen der Haut und des Unterhautfettgewebes verbleiben. Dies korreliert mit der Zeit bis zur Reepithelisierung der Wunde bei spontaner Heilung. Innerhalb von 2 Wochen hinterlässt die Verbrennung nur geringe Schäden. Bei einer Zeit über 21 Tage ist dagegen in 76 % der Fälle mit hypertropher Narbenbildung zu rechnen (Deitch et al.
1983). Weitere Folgen sind oft sichtbare Hautveränderungen seitens der Oberflächenstruktur und der Pigmentierung im Bereich der Entnahmestellen von Spalthauttransplantaten, welche zur Deckung der tief verbrannten Hautareale benutzt wurden.
Auch hängt das verbleibende Ausheilungsergebnis stark von den Techniken des Debridements, der verwendeten Hautdeckungsverfahren sowie des (intensiv)medizinischen Krankheitsverlaufs des Patienten ab. Ein erfahrenes Behandler-Team ist hier eine unabdingbare Voraussetzung und wird in Deutschland in den Brandverletztenzentren vorgehalten.
Im Rahmen der Narbenreifung
nach initialer Abheilung kommt es mit entsprechender Latenz häufig zu charakteristischen Problemen. Einerseits können sich durch Schrumpfungsprozesse Narbenkontrakturen entwickeln, andererseits beobachtet man typischerweise überall dort, wo die ursprüngliche Wunde nicht unkompliziert, sondern über den Weg einer sekundären Heilung mit zwischenzeitlicher Granulationsformation abgeheilt ist, die Entwicklung auffallend derber, sogenannter hypertropher Narben. Aufgrund ihrer derben und strangartigen Konsistenz führen solche Narben abhängig von ihrer Lokalisation und ihrer Ausdehnung zu erheblichen funktionellen Auswirkungen, die nach der Neutral-0-Methode erfassbar sind (Jostkleigrewe
2005,
2009).
Die Folgen thermischer Schäden auf der Haut sind in erster Linie direkt abhängig von Intensität und Dauer der Energieeinwirkung und somit von der daraus resultierenden Schädigungstiefe (siehe Verbrennungsgrade). Besonders ungünstige Narben entstehen vor allem bei Mangel an ausreichenden Spenderarealen und hoher Expansion der Hauttransplantate, bei Verbrennungen an besonders kritischer Lokalisation (Gesicht, Hände, Füße, Perineum und Genitale), bei suboptimaler chirurgischer Therapie (kritische Bedeutung eines zeit- und sachgerechten Debridements) und bei unzureichender Pflege der Hautentnahmestellen. Letztere stellen also Narben dar, die über die ursprüngliche Ausdehnung der Verbrennungsverletzung hinausgehen.
Unter Berücksichtigung funktioneller und ästhetischer Gesichtspunkte stellt jedes verzögert abgeheilte oder mittels Hauttransplantaten versorgte, ursprünglich tief dermal verbrannte Areal, auch eine Minderung der
Lebensqualität dar:
-
die normale Temperaturregulation von Haut und Subkutis ist beeinträchtigt,
-
die Sensibilität ist gestört, Missempfindungen und Juckreiz
-
die Elastizität und Gleitfähigkeit auf Muskel- und Sehnengewebe ist reduziert,
-
Hautanhangsgebilde wie Schweiß- und Talgdrüsen fehlen.
-
Änderung der Hautoberfläche, der Behaarung und Pigmentierung
Neben den rein funktionellen Beeinträchtigungen müssen auch diese Aspekte im Rahmen der Begutachtung hinsichtlich ihrer Auswirkung auf Arbeitsfähigkeit und
Lebensqualität bewertet werden (Jostkleigrewe
2005,
2009).
Ziel des modernen Hautersatzes
Tiefreichende Verbrennungen der Haut werden heute chirurgisch behandelt. Je nach Tiefe der Schädigung werden die Nekrosen tangential oder epifaszial abgetragen. Dieses Debridement
erfolgt frühzeitig (Janzekovic
1970), mit Beginn nach Abschluss der initialen Schockphase. Idealerweise sind alle Hautnekrosen
spätestens 72 h nach dem Trauma abgetragen, größere Ausdehnungen erfordern ein mehrschrittiges Vorgehen (Shirani et al.
1996; Wilder und Rennekampff
2007). Hier hat in den letzten Jahren auch das enzymatische Debridement mit einem Bromelain Gel (Nexobrid) Einzug in die klinische Behandlung gehalten (Rosenberg et al.
2014; Hirche et al.
2017). Durch dieses straffe Regime wird der Ausbildung septischer Komplikationen effektiv entgegengewirkt. Allerdings gelingt es nur in einem kurzen Zeitkorridor, durch Verwendung von Dermis- und Epithelersatz weitestgehend natürliche Hautqualität zu rekonstruieren, denn nur dann ist der Organismus nicht gezwungen, Granulationsgewebe zu bilden. Hier kommen im Rahmen einer raschen und ungestörten Reepithelisierung
oberflächlicher Läsionen Polylaktitmembranen (Suprathel) an erster Stelle sowie nachfolgend Produkte aus Cellulose bis zu den biologischen xenogenen und allogenen Transplantaten, die heute immer seltener zum Einsatz kommen.
Bei weitgehendem oder komplettem Verlust der dermalen Schicht ergeben sich mit dünnen und oft expandierten Spalthauttransplantaten häufig nur unzureichende Narbenqualitäten.
Die Indikation zum Einsatz von Dermisersatz besteht in Würdigung des Verletzungsbildes des Patienten zumindest im Bereich über großen Gelenken, der Hand, Hals und Gesichtsbereich sowie der weiblichen Brust.
Verwendung finden dreidimensionale Gerüste aus verschiedenen xenogenen Kollagen und in neuerer Zeit auch aus Polyurethan sowie aus Polylaktit. Ziel ist einen dermalen Bauplan vorzugeben und die ungeordnete Narbenbildung zurückzudrängen.
Eine sekundäre Wundheilung über solches Reparaturgewebe und langwierige Epithelisation führt zwingend zur Ausbildung hypertropher, funktionell hinderlicher Narben, die stark jucken und über Gelenken meist Rhagaden und Erosionen aufweisen („instabile Narbe“). Ulzerierende Wunden können im Narbenbereich nach Jahrzehnten karzinogen werden.
Die korrekte Auswahl und Durchführung der Rekonstruktionsverfahren und maßgeblich auch die nachfolgende frühestmöglich beginnende krankengymnastische und ergotherapeutische Übungsbehandlung bestimmen das Langzeitergebnis der Behandlung Brandverletzter mit. Diese Maßnahmen sind kosten- und zeitaufwendig und setzen komplexe Versorgungsstrukturen voraus, die praktisch nur in den Zentren für die Behandlung von Schwerbrandverletzten verfügbar sind (DGV
2011).
Systemische Reaktionen
Die umschriebene thermische Schädigung der Haut bildet die Grundlage für weitreichende pathophysiologische Reaktionen des Gesamtorganismus, die man unter dem Begriff der „Verbrennungskrankheit“ zusammenfasst.
Ab einer Ausdehnung verbrannter
Körperoberfläche von 10–20 % (Kinder: ab 5 %) entwickelt sich – neben dem lokalen – ein generalisiertes Verbrennungsödem.
Mediatoren wie
Histamin,
Serotonin, Substanzen des Kininsystems und
Toxine werden durch das Verbrennungstrauma lokal freigesetzt und führen zu einer globalen Erhöhung der Kapillarpermeabilität. Hauptsächlich Plasmaeiweiße wie
Albumin treten in das Interstitium aus. Unter dem Bild eines
SIRS (systemisches inflammatorisches Response-Syndrom) fällt der kolloidosmotische Druck und mit der damit korrelierenden
Hypovolämie auch das Herzzeitvolumen kontinuierlich ab. Zusätzlich entwickeln sich Gerinnungsstörungen, ein Hypermetabolismus sowie eine tubuläre Nierenschädigung. Dieses Bild wird als Verbrennungskrankheit bezeichnet (Vogt et al.
2002).
Diese Phase der Kapillardurchlässigkeit mit protrahiertem Plasma- und Eiweißverlust in das Interstitium erreicht in den ersten 8 h nach Trauma ihren Höhepunkt und ist nach 12–24 h beendet. Dementsprechend ist das Ödem 12–18 h nach Trauma am stärksten ausgeprägt und nimmt danach mit zunehmender Normalität der Kapillarpermeabilität wieder ab (Demling et al.
1978). Diese Phase der Rückresorption kann 72 h und länger andauern (Shirani et al.
1996).
Ödematöse Veränderungen betreffen alle Organe. Pathophysiologische Bedeutung erlangt insbesondere die Veränderung an der Darmwand. Durch Ödembildung, Minderperfusion und Hypoxigenierung entstehen morphologische Veränderungen – so nimmt die Zottenhöhe ab – und funktionelle Konsequenzen. Die Darmwand wird durchlässig für
Bakterien, die im Darmlumen in großer Zahl vorhanden sind. Es kommt zur sogenannten Translokation, die durch Streuung endogener Erreger zur systemischen Infektion führen kann.
Neben dieser Infekt Gefährdung durch endogene Keime ist die Möglichkeit der Infektion über die unter Umständen großflächige Zerstörung der Haut gegeben, die als Infektbarriere nun nicht mehr existiert. Sie repräsentiert heute die hauptsächliche Todesursache schwer Brandverletzter. Keime wie Staphylococcus aureus und Koagulase-negative
Staphylokokken sowie
Streptokokken sind häufig zu finden. Pseudomonas-aeruginosa- und Candida-albicans-Infektionen stellen eine ernste Bedrohung dar. Gerade die mehrfachresistenten Gram negativen Keime sind aktuell von großer klinischer Relevanz und stellen die Behandler vor zahlreiche Probleme. Auch die Verhinderung von nosokomialen Übertragungen in den Brandverletztenzentren bedarf strengster Hygieneregime und deren strikte Befolgung.
Wesentlich für das Infektgeschehen und den weiteren Verlauf ist die Tatsache, dass der Kranke sich nicht nur mit einer großen Anzahl von Keimen auseinanderzusetzen hat. Er ist vielmehr durch die Verbrennung an sich in seiner kompetenten Immunantwort gestört. Wiederum unter dem Einfluss von Mediatoren und durch die
Toxin Wirkung ist sowohl die humorale als auch die zellvermittelte Infektantwort gestört. Veränderte hormonelle Reaktionen beeinflussen das Bild weiterhin. Die komplexen immunologischen Veränderungen, die durch das thermische Trauma selbst, aber auch durch Therapiemaßnahmen ausgelöst werden, sind in vielen Einzelaspekten untersucht. Von einem Verständnis der Gesamtzusammenhänge sind jedoch noch keine therapeutischen Konsequenzen abzuleiten.
Ödem Bildung und Minderperfusion in der Frühphase nach dem Verbrennungstrauma sowie Infekt Gefährdung bis zum Wundverschluss stellen die wesentlichen systemischen und prognostischen Faktoren dar.
Von besonderer Relevanz ist auch ein begleitendes Inhalationstrauma. Heiße Atemluft, aber auch Rauchgase mit ihren toxischen Bestandteilen führen nach Inhalation zu physikalischen und/oder chemischen Schäden an Atemwegen und Alveolen. Plasma-Transsudat tritt in Alveolen und Interstitium aus, und bei Überschreiten der Lymphkapazität sammelt sich schaumige Flüssigkeit in den Atemwegen (Hoppe und Klose
2005). Das Ausmaß der Schädigung ist sehr variabel. Wenig wasserlösliche Noxen führen zu vergleichsweisen tiefen Schädigungen der Atemwege, die nicht selten erst nach einem Intervall zu vital bedrohlichen Komplikationen führen können. Die Kohlenmonoxid Intoxikation ist für die Patienten zunächst akut lebensbedrohlich und auch die häufigste Todesursache am Unfallort, hinterlässt aber durch die dem mangelnden
Sauerstofftransport geschuldeten
Hypoxie oft dauerhafte neurologische Schädigungen verschiedenen Ausmaßes (Bleecker
2015).
Wie bei anderen Intensivpatienten bestehen auch unspezifische Risiken wie thromboembolische, gastrointestinale oder auch immobilisationsassoziierte Risiken. Erst wenn die Hautwunden reepithelisiert sind, kann eine akute vitale Gefährdung als überwunden gelten.
Gutachterliche Bewertung
Weil eine Restitutio ad integrum nur bei maximal oberflächlich zweitgradigen Verletzungen eintreten kann, verbleiben als Folge schwererer thermischer Verletzungen zumindest Veränderungen im Bereich der geschädigten Hautareale. Eine Abheilung unter konservativer Behandlung führt bei tiefen Läsionen durch Bildung von Granulationsgewebe und nachfolgender Epithelialisierung ebenso wie bei durch Spalthauttransplantation behandelte Wunden zu bleibenden Veränderungen des Integuments. Daher sind die Folgen von Brandverletzungen für die betroffenen Patienten häufig sichtbar und stigmatisierend.
Narbige Verbrennungsfolgen verändern sich über lange Zeit, bevor ein Endergebnis erreicht ist. Unabhängig von der Möglichkeit, durch konservative und operative Verfahren Behinderungen durch Narben zu rekonstruieren, kann eine endgültige Bewertung erst nach Eintreten der Narbenreife vorgenommen werden. Dieser Zeitraum ist sehr individuell. Bei unter 30 Jährigen Personen kann dieser Prozess durchschnittlich 3 Jahre andauern, während er z. B. bei den über 55 Jahre alten Patienten regelmäßig in 2 Jahren abgeschlossen ist (Kant et al.
2019). Dies erschwert die Beurteilung bei jungen Probanden gerade in der Wachstumsphase sowie in Phasen der körperlichen Veränderung wie zum Beispiel der
Pubertät (Brustwachstum). Als Indiz für diesen Zustand kann der Rückgang der Rötung und Verhärtung und das oft dadurch bedingte Ende der Kompressionsbehandlung gewertet werden, die im Einzelfall mehrere Jahre andauern kann. Auch sollten Neubewertungen zu einem späteren Zeitpunkt im Gutachten erwähnt und nicht ausgeschlossen werden. Immature Narben mit höherer Rigidität können in der Frühphase der Narbenreifung eine zwischenzeitliche Höherbewertung der Verletzungsfolgen begründen.
Die Schilderung des Unfallmechanismus lässt bei der Anamneseerhebung Rückschlüsse auf relevante Begleitverletzungen zu, die in die Bewertung der Verletzungsfolgen einbezogen werden müssen. Hornhautverletzungen, Schädigung der Trommelfelle nach Explosionen sowie die mechanischen Läsionen des Skeletsystems sind hier relevant, um nur einige zu nennen. Auch eine langwierige Intensivtherapie kann zu typischen Folgeschäden wie der „critical illness neuropathie“,
Niereninsuffizienz sowie periartikulären Verkalkungen geführt haben. Respiratorische Einschränkungen nach Inhalationstrauma oder Langzeitbeatmung,
periphere Nervenläsionen oder auch Organschäden im Gehirn sind zu beachten, ebenso wie psychische Alterationen.
Der spezifische Untersuchungsbefund soll zunächst etwaige Hilfsmittel wie Prothesen oder auch Kompressionsbekleidung beschreiben. Kommt es allein schon dadurch zu Einschränkungen und Funktionsstörungen, sollte grundsätzlich anschließend die übliche körperliche, unfallchirurgisch-orthopädische Untersuchung und Bewertung erfolgen. Der eigentlichen Tragweite der Verbrennungsfolgen muss man aber vor allem durch die Begutachtung der Hautnarben gerecht werden. Diese sind mit Bezug auf Ausdehnung, Form, Färbung und Konsistenz und auch hinsichtlich ihrer Lokalisation zu beschreiben. Dabei sollte heute eine digitale Fotodokumentation – sowohl mit Übersichts- wie auch Detaildarstellungen – Standard sein.
Zur Beschreibung der Flächenausdehnung kann die zur Erfassung der unmittelbaren Verletzungsfolgen genutzte Körperskizze (F 1008) genutzt werden. Ansonsten hat sich die 9er-Regel nach Watson bewährt (Klose
2008; Vogt und Ipaktchi
2009). Die einen Arm bedeckende Haut entspricht 9 %, am Bein ist dies die doppelte Fläche (18 %). Gleiches gilt für die Rumpfvorder- und -rückseiten (ebenfalls jeweils 18 %), während die den Kopf und Hals bedeckende Haut wiederum 9 % der
Körperoberfläche (KOF) entspricht. Das verbliebene ein Prozent der Körperoberfläche wird der Genitalregion zugewiesen. Darüber hinaus ist es geübte Praxis, die Handfläche (der zu untersuchenden Person) zusammen mit der durch deren Finger bedeckten Fläche einem Prozent der Körperoberfläche gleichzusetzen (Henne Bruns et al.
2003). Sehr genaue Bestimmungen der betroffenen Körperflächen liefern auch EDV gestützte Softwareprogramme wie das Burn3D, die inzwischen auch als App erhältlich sind (Giretzlehner et al.
2013).
Neben der Flächenausdehnung achtet man im Weiteren auf Pigment- und Farbveränderungen, Niveauunterschiede zur umgebenden gesunden Haut, Verhärtungen sowie oberflächliche Hyperkeratosen, Rhagaden, Ulzerationen und Instabilitäten im Bereich von Verbrennungsnarben. Bei der Palpation fallen Veränderungen der Hauttextur, besonders Indurationen und Strang- oder Knotenformationen auf, ebenso Temperaturschwankungen.
Die funktionelle Untersuchung berücksichtigt Adhäsionen zwischen Narbe und Unterlage, da eine reduzierte Verschieblichkeit im Bereich der Gelenke zu einem Beweglichkeitsverlust führen kann. Ähnliches gilt für Einschränkungen der Elastizität im Narbenbereich. Nach epifaszialer Nekrosektomie
resultieren besonders unvorteilhafte Narben. Der allschichtige Hautverlust führt zu einer deutlich herabgesetzten mechanischen Belastbarkeit bei gleichzeitigem Verlust der
Thermoregulation. Auf die bei Bewegung auftretende Spannung im Narbenbereichen und damit verbundene
Schmerzen ist ebenfalls zu achten.
Funktionelle Einschränkungen im engeren Sinne bestehen bei Bewegungsbehinderungen durch gelenkübergreifende Narbenzüge oder als Folge Sehnen- Kapselverletzungen sowie nach langdauernder Immobilisation. So findet man nach schweren Verbrennungen gelegentlich fast vollständige Einsteifungen an Ellbogen- oder Schultergelenken. Zum Nachweis gelenknaher Knochenneubildungen sind dann Röntgenuntersuchungen unerlässlich. Funktionseinschränkungen an den Gelenken lassen sich nach dem orthopädisch-unfallchirurgischen Standard mit der Neutral-Null-Methode gutachterlich erfassen und sollen in entsprechenden Messbögen für obere und untere Extremität sowie der Wirbelsäule dokumentiert werden.
Narbenstränge können aber auch abseits der Gelenke funktionell relevante Störungen darstellen. Die Bewertung gerade derartiger Verletzungsfolgen ist die besondere Aufgabe für den Gutachter. Auch die Lokalisation der Narben muss bei der Bewertung gesondert bewertet werden. So stellen beispielsweise wulstbildende Gesichtsnarben auch ohne Beeinträchtigung der Mimik – was dann noch höher zu bewerten wäre – einen herauszustellenden Schaden dar. Am behaarten Kopf kann eine Perücke genutzt werden, um Narben zu kaschieren. Hier wäre eine geringere Bewertung des Schadens gerechtfertigt.
Eine besondere Bedeutung haben Sensibilitätsstörungen, da sie Ausgangspunkt für spätere Hautläsionen infolge nicht wahrgenommener Bagatellverletzungen sein können. Die Qualität der sensiblen Wahrnehmung beurteilt man durch Bestimmung der Zweipunktediskrimination, der Spitz-/Stumpf-Diskrimination und auch nach der Temperaturwahrnehmung. Besteht der Verdacht auf eine zusätzliche Läsion peripherer Hauptnerven sollte eine neurologische Zusatzbegutachtung erfolgen.
In der gesetzlichen Unfallversicherung führt die Bewertung des Gesundheitsschadens zur Bestimmung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Bei Verbrennungsfolgen wird zur Ermittlung der MdE seit 1995 das Schema von Henckel von Donnersmarck und Hörbrand verwandt (Tab.
2).
Tab. 2
Bestimmung der MdE für Brandverletzte
. ([C] Mod. n. von Donnersmarck und Hörbrand
1995)
[A] | MdE aus Funktionseinschränkung (Neutral-0) |
[B] | Bewertung des Lokalbefundes |
Narbenareale |
– ohne Pigment- und wesentliche Texturveränderung | % KOF × 1 × Q | = |
– ohne Pigment-, mit Texturveränderung (z. B. Meshgraft) | % KOF × 1,5 × Q | = |
– ohne Pigmentveränderung, mit Narbensträngen | % KOF × 2 × Q | = |
– mit Pigmentveränderung, Instabilität oder Hypertrophie | % KOF × 3 × Q | = |
| Summe | = [B] |
Der Faktor Q gewichtet die Qualität der Narbenareale: Bei Narbenarealen im Gesicht und an Händen wird die Summe mit dem Faktor 5–10, bei Narbenarealen an Brust und Armen mit dem Faktor 2 multipliziert |
| Punkte aus [B]: |
[C] | Fragen nach somatischen und vegetativen Beschwerden |
– Trockenheit der Haut |
– Kälteempfindlichkeit |
– Verletzlichkeit der Haut |
– Taubheitsgefühl |
– Gelenk- und Gliederschmerzen |
– Wärmeempfindlichkeit |
– Juckreiz |
– Spannungsgefühl |
– Schweißneigung |
Zahl der Nennungen: | 1–2 3–5 >5 | = 5 Punkte = 10 Punkte = 20 Punkte | Punkte aus [C]: |
Summe der Punkte aus [B] und [C]: |
Punkte | <20 | 20–40 | >40–70 | >70–100 | >100 |
MdE [B] + [C] | 0 % | 10 % | 20 % | 30 % | 40 % |
MdE aus [A] + MdE [B] + [C] = Gesamt-MdE: |
Bei diesem Konzept wird zunächst eine MdE aus der unfallchirurgisch-orthopädischen Funktionseinschränkung sowie eventueller Amputationen ermittelt [A]. Im Abschnitt [B] wird der Lokalbefund seitens der Narbenbildung objektiviert: Neben der Flächenausdehnung von Verbrennungsnarben wird ähnlich dem international gebräuchlichen Vancouver Scare Scale einerseits auf deren unterschiedliche Qualitäten Bezug genommen und dies zusätzlich noch mit Bezug auf die Lokalisation unterschiedlich bewertet. Kriterien der lokalen Bewertung sind die Pigmentierung, die Textur der Narbe, die Strangbildung sowie Hypertrophie und Instabilität immer in Bezug zur gesunden Haut möglichst derselben Region. So ist beispielsweise für die abschließende Bewertung relevant, ob Narben im Gesichtsbereich oder an den Händen verblieben sind, was zu einer Höhergewichtung um den Faktor Q = 5 führt. Im Einzelfall ist sogar ein Faktor 10 möglich. Narben an Brust oder Armen rufen einen Steigerungsfaktor von 2 hervor. Narben an den übrigen Körperstellen werden nicht gesteigert.
Im Abschnitt [C] sind psychovegetative Beschwerden zu erfassen. Die hier aufgeführten Kriterien sollen jedoch nicht aktiv abgefragt werden, vielmehr sind nur die auf eine allgemeine Frage nach subjektiven Beschwerden tatsächlich geäußerten Punkte zu bewerten. Auf diese Weise werden psychovegetative Aspekte angemessen berücksichtigt, ohne dass sie überbewertet sind. Werden bis zu 2 der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten genannt, ergibt dies 5 Punkte, 3 bis 5 Nennungen führen zu 10 Punkten, 6 und mehr Nennungen zu 20 Punkten.
Zur abschließenden Gesamtbetrachtung addiert man zunächst die in den Abschnitten [B] und [C] ermittelten Punkte und überführt diese mit Hilfe der Auswertungstabelle in eine Teil-MdE. Addiert man anschließend die MdE aus Abschnitt [A] hinzu, so ergibt sich die Gesamt-MdE.
An einem Beispiel kann dieses zunächst unübersichtlich wirkende Schema veranschaulicht werden:
Beispiel
Der zu Begutachtende zeigt eine flächenhafte Narbe auf der Wange von 0,5 % Ausdehnung mit Pigmentveränderungen. Texturveränderungen, Narbenstränge oder Narbeninstabilität fehlen. 0,5 % × 3 = 1,5
Wegen der Lokalisation „Gesicht“ ergibt sich ein Q-Wert von 5:
Zusätzlich bedeckt eine Narbenfläche mit einzelnen Narbensträngen den gesamten Handrücken und die Streckseiten der Langfinger (1 %
Körperoberfläche).
Wegen der Lokalisation „Hand“ ergibt sich ein Q-Wert von 5.
Ferner besteht eine Narbenfläche mit instabilen Anteilen am Thorax mit instabilen Arealen in einer Ausdehnung von 5 % der KOF:
Wegen der Lokalisation „Brust“ ergibt sich ein Q-Wert von 2.
$$ \textrm{Q}=2:15\times 2=30 $$
Die Addition dieser 3 Bewertungen ergibt 7,5 + 10 + 30 = 47,5.
Gibt der zu begutachtende auf entsprechende Befragung zusätzlich noch „Juckreiz“, „Kälteempfindlichkeit“ und „Wärmeüberempfindlichkeit“ (3 Nennungen = 10 Punkte) an, so erreicht er eine Gesamtpunktzahl von 57,5. Aus der Tabelle resultiert dann der Vorschlag einer MdE von 20 %, auch wenn gar keine funktionellen Einschränkungen im engeren Sinne bestehen.
Sie muss individuell durch den Gutachter in Ihrer Angemessenheit geprüft werden.
Wird dieses Punktesystems sorgfältig angewendet, können Überbetonungen vermieden werden, realistische Begutachtungen sind möglich.
Das Schema wurde entwickelt, um die ansonsten sehr subjektiven Beurteilungen von Narben zu vereinheitlichen.
Da das hier wiedergegebene Schema dem Untersucher noch viele Freiheitsgrade erlaubt, gerade im Bereich der Pigmentierung, die der schwersten Narbenveränderung zugeordnet wird, sind durchaus abweichende Ergebnisse denkbar. Es hat sich aber durchaus als Orientierungshilfe für unerfahrene Gutachter bewährt, erfüllt aber nicht den Anspruch an ein untersucherunabhängiges Messinstrument mit hoher Konsistenz. Gegenwärtig werden innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin neue Modelle erprobt, die eine höhere Genauigkeit und
Reproduzierbarkeit in der Bewertung erlauben sollen (Ottomann et al.
2015).
Gutachten im Bereich der Verbrennungsfolgen sollten deshalb von erfahrenen Verbrennungschirurgen erstellt oder im Rahmen der Ausbildung supervidiert werden.
Neben den derart erfassten Verletzungsfolgen sind die darüber hinaus aufgetretenen Verletzungsfolgen, wie beispielsweise Einschränkungen aus einem Inhalationstrauma, andere Organkomplikationen oder einer psychotraumatologischen Schädigung angemessen zu berücksichtigen und gegebenenfalls durch Zusatzgutachten zu bewerten.