Im Detail sind diese therapeutischen Möglichkeiten in den internationalen Leitlinien der Surviving Sepsis Campaign, einem Konsortium von mehr als 30 wissenschaftlichen Fachgesellschaften, dargestellt [
33]. Sie beschreiben zwei Behandlungsbündel („bundles of care
“; Übersicht) zu Sofortmaßnahmen bei Sepsis innerhalb der ersten 3 bzw. 6 Stunden und zur Therapie auf der Intensivstation. Diese Unterteilung in früh- und intensivmedizinische Therapiemaßnahmen wurde getroffen, um eine Behandlung der Sepsis sofort beginnen zu können. Wesentliche Bestandteile der Frühintervention unmittelbar nach Diagnosestellung sind die Bestimmung des
Laktats, die Entnahme von
Blutkulturen, die Gabe von
Antibiotika und die volumenwirksame Infusion einer kristalloiden Lösung (30 ml/kgKG).
Antibiotische Therapie
Da in der Regel zu Beginn einer Sepsis der oder die mikrobiellen Erreger nicht bekannt sind, muss möglichst rasch eine kalkulierte antibiotische Therapie eingeleitet werden. Jede Stunde Verzögerung beim Beginn der Antibiotikagabe erhöht das Risiko zu versterben. Die Auswahl der
Antibiotika
orientiert sich an der auslösenden bzw. vermuteten Infektion, an den vermuteten mikrobiellen Erregern, an der Situation, in der der Patient die Infektion erworben hat, und schließlich auch am immunologischen Status des Patienten [
15]. In bestimmten Fällen kann eine Gramfärbung von Materialien, die von verdächtigten Bezirken der vermuteten Infektion entnommen wurden (Endotrachealsekret, Wundsekret,
Urin), erste Hinweise auf die Art der Infektionserreger geben.
Die initiale antibiotische Therapie sollte das Spektrum potenzieller Erreger erfassen und sich am lokalen Resistenzmuster orientieren. Nach Erhalt erster mikrobiologischer Befunde sollte sie ggf. modifiziert werden. Zu bedenken ist, dass bis zu einem Drittel aller Infektionen bei Sepsis polymikrobieller Natur sein können.
Eine Modifikation bzw.
Deeskalation der antibiotischen Therapie sollte erst erfolgen, wenn die Kulturen aus Materialien aller infektionsverdächtigten Bereiche abschließend beurteilt worden sind. Dies nimmt in der Regel 3–4 Tage in Anspruch.
Deshalb sollten bei Beginn einer Sepsis grundsätzlich alle intravenösen und
arteriellen Katheter unter sterilen Kautelen neu angelegt werden.
Bei Patienten, die über längere Zeit hospitalisiert sind, empfiehlt es sich, ein Glykopeptid wie
Vancomycin bei rezidivierenden Katheterinfektionen einzusetzen.
Intraabdominelle Infektionen sind in der Regel polymikrobiell. Deshalb sollte die Therapie schwerer Peritonitiden neben gramnegativen Erregern auch grampositive Erreger sowie Anaerobier mit erfassen.
Wie bei anderen schweren Infektionen auch, muss bei der
Meningitis die antibiotische Therapie entsprechend der mikrobiologischen Befunde modifiziert werden.
Alle
Antibiotika werden grundsätzlich hochdosiert als Kurzinfusion i.v. gegeben.
Neue Untersuchungen zeigen, dass
Antibiotika zu Beginn der Sepsis auf Grund des hohen
Verteilungsvolumens häufig unterdosiert werden [
44]. Deshalb empfiehlt es sich, β-Laktamantibiotika hoch zu dosieren und als prolongierten Bolus über drei bis vier Stunden zu applizieren, um möglichst lange Spiegel über der minimalen Hemmkonzentration zu erreichen. Jedoch sollten Aminoglykoside und
Vancomycin bei eingeschränkter Nierenfunktion nur an Hand von Blutspiegelbestimmungen dosiert werden. Erweist sich die Antibiotikatherapie trotz ausreichend hoher Dosierung über einen angemessenen Zeitraum (meist >72 h) klinisch als wirkungslos oder findet sich kein relevanter Abfall des
Procalcitonins, muss das Antibiotikaregime überdacht und modifiziert werden.
Ein Einsatz von Antimykotika
ist grundsätzlich nur bei invasiver Mykose gerechtfertigt. Beweisend für eine invasive Candidose ist die Candidämie bzw. der Candidanachweis in einer entsprechenden Gewebeprobe. Nur dann ist eine Therapie mit Azolen (z. B. Fluconazol) oder Echinocandine (Caspofungin) gerechtfertigt. Der Nachweis von Candidastämmen im Bronchialsekret oder im
Urin ist meist Ausdruck einer Kolonisation und bedarf keiner Therapie [
13].
Die Diagnose invasiver Apergillosen basiert auf klinischer Symptomatik, Bildgebung und mikrobiologischem Befund. Gefährdet sind v. a. neutropenische bzw. immunsupprimierte Patienten. Bei Sepsis ist Voriconzol oder Caspofungin heute das Mittel der Wahl.
Supportive Therapie
Durch periphere Vasodilatation und erhöhte Permeabilität im kapillaren Stromgebiet stellt sich rasch ein Mangel an intravasalem Volumen ein. Frühzeitige Volumenzufuhr
kristalloider Lösungen in ausreichender Menge ist daher unbestritten die wichtigste therapeutische Maßnahme, um möglichst rasch adäquate ventrikuläre Füllungsdrücke wiederherzustellen.
Die Bedeutung der frühzeitigen und zielgerichteten
Volumentherapie („early goal-directed therapy“, EGDT) für die Prognose wurde erstmals im Jahre 2001 in einer „Single-center“-Studie durch Rivers belegt [
36]. Wichtige
Zielkriterien bei der Steuerung der Volumentherapie waren Parameter wie
-
arterieller Mitteldruck ≥65 mmHg,
-
zentraler Venendruck ≥8–12 mmHg und einer
-
Stundendiurese ≥0,5 ml/kgKG/h eine
-
zentralvenöse Sättigung (ScvO2) von >70 %.
Konnte mit
Volumentherapie allein die geforderte ScvO
2 nicht erreicht werden, wurde bei einem
Hämatokrit <30 Erythrozytenkonzentrate transfundiert und/oder
Dobutamin zur Steigerung der myokardialen Pumpleistung eingesetzt.
Das Konzept der EGDT wurde in drei großen klinischen Studien überprüft [
20,
21,
30]. Im Gegensatz zur Rivers-Studie konnte in keiner dieser Studien ein Vorteil dieses Behandlungsregimes gegenüber einer Standardbehandlung nachgewiesen werden. Vielmehr war eine EGDT mit höheren Volumengaben, mit einer höherdosierten Vasopressortherapie, mit häufigerem Einsatz von
Dobutamin und mit mehr Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten verbunden.
Zur Steuerung der
Volumentherapie beim septischen Schock werden heute
dynamische Vorlastparameter (Pulsdruckvariation, Schlagvolumenvariation) empfohlen [
33]. In Kombination mit einer definierten Gabe kristalloiden Volumens („fluid challenge“, 250–500 ml) bzw. mit dem Manöver des „passive leg raising“ lässt sich die Volumenbedürftigkeit des Patienten besser abschätzen. Dieses vielversprechende Konzept gab in einer französischen Studie Hinweise auf eine reduzierte Sterblichkeit und zeigte, dass der Volumenbedarf der Patienten hochvariabel war [
34].
Nach heutiger Datenlage ist auch bei Sepsis ein niedrigerer Transfusionstrigger mit einem Hb von 7 g/dl anzustreben [
19]. Bei Kristalloiden sind
balancierte Lösungen vorzuziehen, das sie durch eine geringere kumulativen Chloridzufuhr mit weniger akutem
Nierenversagen verbunden sind [
49]. Der Einsatz von Hydroxyäthylstärke (HÄS) zur
Volumentherapie des septischen Schocks ist obsolet. Kontrollierte Studie belegten, dass der Einsatz von HÄS bei Sepsis die Inzidenz von akutem Nierenversagen erhöht und in hohen kumulativen Dosen auch mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert war [
10,
32]. Außerdem interferiert HÄS mit der thrombozytären Gerinnung, lagern sich z. T. im retikuloendothelialen System ab und können allergische Reaktionen auslösen. Für Gelatinelösungen liegen in der Sepsis keine belastbaren Daten vor. Im Gegensatz zu HÄS waren beim Einsatz von
Humanalbumin 4 % keine erhöhte Rate von Nierenversagen zu verzeichnen. Humanalbumin
lösungen wirken ebenfalls rasch expandierend, stabilisieren die geschädigte Glykokalix und bieten zudem Vorteile als unspezifisches Transportprotein und O
2-Radikalenfänger. In kontrollierten Studien erwies sich
Albumin als sicher und ergab einen Trend zu einer geringeren Sterblichkeit beim Einsatz zum Volumenersatz in der Subgruppe von Patienten mit septischem Schock [
11,
14].
Noradrenalin führt im septischen Schock
gegenüber
Dopamin nicht zu einem signifikanten Überlebensvorteil, ist jedoch mit weniger Komplikationen (z. B.
Vorhofflimmern) verbunden [
12].
Noradrenalin
verbessert Diurese und Kreatininclearance, was die Bedeutung eines adäquaten renalen Perfusionsdrucks bei der Prophylaxe des akuten
Nierenversagens im septischen Schock unterstreicht. Darüber hinaus hat es günstigere Effekte auf die Hepatikosplanchnikusperfusion als
Dopamin. Im septischen Schock zeigte
Noradrenalin einen Trend zur höheren Überlebensrate verglichen mit Dopamin [
12].
Adrenalin
sollte nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden, wenn mit hohen Dosen von
Noradrenalin eine hämodynamisch zufriedenstellende Situation nicht erreicht werden kann [
33].
Zur Therapie der eingeschränkten kardialen Pumpfunktion erscheint die Kombination von
Noradrenalin mit
Dobutamin sinnvoller. Dies geschieht in der Vorstellung, der akuten septischen
Kardiomyopathie durch Zusatz einer vorwiegend positiv inotropen Substanz zu begegnen.
Grundsätzlich sind die erforderlichen Dosierungen von
Katecholaminen während einer Sepsis um ein Vielfaches höher als beispielsweise bei kardialen Erkrankungen. Dies beruht auf einer Downregulation von α-adrenergen Rezeptoren und einer Abnahme der β-Rezeptorendichte in der Sepsis.
Die reduzierte vaskuläre Antwort auf Vasopressoren
betrifft nicht nur
Katecholamine, sondern auch
Vasopressin, Angiotensin II,
Serotonin und Kalzium. Interessanterweise wirken diese Substanzen an unterschiedlichen Rezeptoren und über verschiedene Second-messenger-Systeme.
Diese Befunde machen den Einsatz von Pharmaka überlegenswert, die nicht über adrenerge Rezeptoren wirken. Da in der Sepsis der intrazelluläre „second messenger“ cAMP reduziert ist, kommen prinzipiell Phosphodiesterasehemmer (z. B. Milrinon) in Frage. Aufgrund ihrer ausgeprägten vasodilatierenden Eigenschaften und der langen
Halbwertszeit ist ihr Einsatz im septischen Schock jedoch limitiert. Außerdem ist, zumindest in der Frühphase der Sepsis, die β-adrenerge Stimulation noch intakt.
Zusätzlich zu
Noradrenalin kann
Vasopressin in einer Dosis bis zu 0,03 U/min appliziert werden.
Vasopressin ist ein direkter Vasokonstriktor (Vasopressin-1-Rezeptor an Kaliumkanälen) ohne inotropen oder chronotropen Effekt. Es soll keinesfalls die Therapie mit Noradrenalin ersetzen, sondern diese ergänzen. Bei Dosen von >0,04 E/min sind myokardiale Ischämie, Abnahme des Herzzeitvolumens, Herzstillstand und ischämische Hautläsionen beschrieben worden. Ergebnisse des Vasopressin and Septic Shock Trial (VASST) belegen keinen Vorteil des
additiven Einsatzes von Vasopressin bei septischem Schock [
37].
Die Indikation zur Intubation und
Beatmung sollte im Fall eines septischen Schocks sehr früh gestellt werden, da sich nicht selten die immunologischen Ereignisse überstürzen. Die Intubation sichert die Atemwege bei drohender
Eintrübung, die Beatmung eine ausreichende alveoläre Ventilation. Zudem entlastet eine
maschinelle Beatmung die Atemmuskulatur und führt zu einer Umverteilung des Blutflusses zugunsten vitaler Organe.