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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 16.07.2019

Morbus Köhler I

Verfasst von: Volker Schöffl
Der Morbus Köhler I ist eine Osteochondrose des Os naviculare pedis. Betroffen sind vor allem Kinder im Alter von 3–9 Jahren, eine familiäre Häufung wird beobachtet. Als Ätiologie gilt eine passagere Durchblutungsstörung mit einer temporären Minderdurchblutung des Os naviculare pedis. Eine eigene Stadieneinteilung für den Morbus Köhler I existiert nicht. Betroffene Kinder klagen über belastungsabhängige Schmerzen über dem medialen Fußrücken. Vorherrschend für die Diagnose ist der klinische Befund in Kombination mit der Anamnese und konventioneller radiologischer Diagnostik. Radiologisch werden 2 Typen unterschieden. Die Prognose ist unabhängig von den therapeutischen Maßnahmen sehr gut und die Erkrankung nimmt in der Regel einen selbstlimitierenden Verlauf. Meist kommt es zur Restitutio ad integrum.

Einleitung

Der Morbus Köhler I, oder auch Morbus Köhler-Albau genannt, wurde von Köhler 1908 erstmals beschrieben (Köhler 1908) und anhand von 26 Fällen dargelegt (Köhler 1913). Es handelt sich um eine Osteochondrose des Os naviculare pedis. Betroffen sind vor allem Kinder im Alter von 3–9 Jahren, dabei sind Jungen 4-mal so häufig betroffen wie Mädchen (Arbab et al. 2013). In 20–30 % der Fälle wird ein doppelseitiges Auftreten beobachtet (Arbab et al. 2013; Suda et al. 2007). Häufig ist er auch mit anderen avaskulären Nekrosen, wie z. B. einem Morbus Perthes, kombiniert (Suda et al. 2007). Eine familiäre Häufung wird beobachtet (Dingerkurs et al. 2003). Eine avaskuläre Nekrose des Os naviculare im Erwachsenenalter, ein sog. Müller-Weis-Syndrom, ist vom Morbus Köhler I abzugrenzen und bildet ein eigenes Krankheitsbild (Dingerkurs et al. 2003).

Ätiologie

Das Os naviculare besteht bei der Geburt noch vollständig aus Knorpel. Sein Knochenkern entsteht bei Mädchen nach 18–24 Monaten, bei Jungen meist erst nach 24–30 Monaten. Die Ossifikation ist in der Regel im 4. Lebensjahr abgeschlossen. Insgesamt ist die genaue Ätiologie seiner Nekrose unbekannt (Talusan et al. 2014; Arbab et al. 2013; Petje et al. 2002). In der Literatur wird mehrheitlich von einer passageren Durchblutungsstörung mit einer temporären Minderdurchblutung des Os naviculare pedis ausgegangen (Arbab et al. 2013; Suda et al. 2007). Als Ursachen für diese Durchblutungsstörungen werden verschiedene Genesen diskutiert. Anatomische Besonderheiten, repetitive Traumata, vor allem beim jugendlichen Sportler (Dingerkurs et al. 2003), eine abnormale Vaskularisierung und eine verzögerte Verknöcherung werden diskutiert (Arbab et al. 2013; Suda et al. 2007; Petje et al. 2002). Ein einzelnes auslösendes Trauma wird nur selten angegeben (Dingerkurs et al. 2003; Suda et al. 2007). Am Anfang der Entwicklung eines Morbus Köhler I scheint eine verzögerte Ossifikation zu stehen, weil das Ossifikationszentrum einer seinem Entwicklungsstand nicht adäquaten mechanischen Belastung ausgesetzt wird (Dingerkurs et al. 2003). Eine familiäre Häufung wird beschrieben, und es scheint der Erkrankung ein X-chromosomal-rezessives Erbmuster zugrunde zu liegen (Dingerkurs et al. 2003; Arbab et al. 2013). Insgesamt ist von einer multifaktoriellen Ätiologie auszugehen (Arbab et al. 2013; Suda et al. 2007; Talusan et al. 2014; Schade 2015).

Stadieneinteilung

Eine eigene Stadieneinteilung für den Morbus Köhler I existiert nicht. Sinnvoll erscheint eine Einteilung in Analogie der allgemeinen Einteilung aseptischer Knochennekrosen nach Petje et al. (2002):
  • Stadium 1: Initialstadium mit Knorpelödem und begleitendem Gelenkerguss.
  • Stadium 2: Kondensationsstadium mit zunehmender Verdichtung der Knochenstruktur bei Hypermineralisation zusammengesinterter nekrotischer Knochenbälkchen.
  • Stadium 3: Fragmentationsstadium mit Deformierung von Gelenkanteilen.
  • Stadium 4: Reparationsstadium mit Ersatz nekrotischen Gewebes durch neue Knochensubstanz. Die Knochenfeinstruktur normalisiert sich zunehmend, indem verdichtete Knochenstruktur abgebaut wird und an ihrer Stelle eine normale Knochenfeinzeichnung tritt. Voraussetzung für reparative Vorgänge ist die Revaskularisierung des betroffenen Bezirks (Petje et al. 2002).

Klinischer Befund

Betroffene Kinder, vor allem Buben, klagen über belastungsabhängige Schmerzen über dem medialen Fußrücken (Arbab et al. 2013). Es kommt zum schonenden Gangbild mit vermehrtem Abrollverhalten über den lateralen Fußrand. Auch leichte Schwellungen, ggf. mit leichter Überwärmung über dem Os naviculare, werden beschrieben (Arbab et al. 2013; Petje et al. 2002; Dingerkurs et al. 2003). Eine direkte Traumaanamnese ist eher selten (Masullo und Wirth 2010). Oft wird die Erkrankung aufgrund der eher milden Symptomatik beim Kind auch erst später im Rahmen der radiologischen Abklärung einer Fußdeformität auffällig und initial damit übersehen (Dingerkurs et al. 2003).

Diagnostik

Vorherrschend für die Diagnose ist der klinische Befund in Kombination mit der Anamnese und konventioneller radiologischer Diagnostik (Röntgen-Fuß in 3 Ebenen). Asymptomatische radiologische Veränderung bedürfen keiner Therapie (Arbab et al. 2013). Es gibt mehrere Untersuchungen, die die Entwicklung des Os naviculare bei asymptomatischen und symptomatischen Kindern beschreiben. Rezidivierende radiologische Kohortenuntersuchungen konnten zeigen, dass die radiologischen Entwicklungsstadien und deren Rückbildung bei beiden Gruppen gleich verlaufen (Arbab et al. 2013). Über den Zeitraum von 6 Monaten bis 3 Jahren lässt sich meist eine vollständige Restitutio ad integrum erreichen (Arbab et al. 2013). Radiologisch lassen sich nach Waugh (1958) 2 Typen unterscheiden. Im häufigeren Fall erscheint das Os naviculare abgeflacht und zeigt Bereiche mit erhöhter Strahlendichte. Hier wird der Ossifikationskern durch mehrere einstrahlende Gefäße ernährt. Beim selteneren zweiten Typ liegt ein großes Gefäß vor, und es fällt zu Beginn eine insgesamt erhöhte Röntgendichte auf, bevor es radiologisch zum Verschwinden des Kerns kommt (Dingerkurs et al. 2003). Während früher auch die Szintigrafie eingesetzt wurde, kommt mittlerweile der MRT die wichtigste Bedeutung zu (Suda et al. 2007; Petje et al. 2002). In der MRT fällt in T1-gewichteten Sequenzen ein homogener Rückgang der Signalintensität im Bereich des Os naviculare auf. In den anderen Gewichtungen ist dieser Signalverlust weniger ausgeprägt und betrifft vor allem die stark belasteten lateralen Anteile des Knochens (Dingerkurs et al. 2003). Oft tritt in den Nachbargelenken ein leichter Reizerguss auf.

Therapie und Prognose

Die Prognose ist unabhängig von den therapeutischen Maßnahmen sehr gut und die Erkrankung nimmt in der Regel einen selbstlimitierenden Verlauf (Dingerkurs et al. 2003; Arbab et al. 2013). Ein aggressives chirurgisches Vorgehen ist damit nicht indiziert. Über den Zeitraum von 6 Monaten bis 3 Jahren lässt sich meist eine vollständige Restitutio ad integrum erreichen (Arbab et al. 2013). Bleibende Veränderungen mit Ausbildung einer präarthrotischen Deformität sind in Langzeitbeobachtungen nur für Einzelfälle beschrieben (Arbab et al. 2013). Geeignete therapeutische Maßnahmen hängen vom Beschwerdebild des Patienten ab. Eine Gipsruhigstellung zeigte in Studien eine signifikante Linderung der Beschwerden mit verkürzter Behandlungsdauer (Williams und Cowell 1980). Zusätzlich hilft die plantare Abstützung des Fußgewölbes mit Einlagen zum Wiederaufbau des Os naviculare. Eine lokale Stimulierung des Knochenwachstums durch Stoßwellentherapie wird beschrieben (Stavinoha und Scott 1998). Nur in ca. 2,5 % der Fälle heilt der Knochen mit einer Deformität aus (Dingerkurs et al. 2003). Nur in Fällen einer sekundären Arthroseentstehung kommen operative Verfahren wir z. B. eine Arthrodese zur Anwendung.
Literatur
Arbab D, Wingenfeld C, Rath B, Luring C, Quack V, Tingart M (2013) Osteochondrosis of the pediatric foot. Orthopade 42:20–29CrossRef
Dingerkurs ML, Maier D, Raeder F, Imhoff AB (2003) Avaskuläre Osteonekrose des Os naviculare pedis beim jungen Sportler. Arthrosopie 16:110–116CrossRef
Köhler A (1908) Über eine häufige, bisher anscheinend unbekannte Erkrankung einzelner kindlicher Knochen. Verh Dtsch Röntgenges 4:110
Köhler A (1913) Das Köhlersche Krankheitsbild des Os naviculare pedis bei Kindern. Langenbecks Arch Klin Chir 101:560
Masullo J, Wirth T (2010) Morbus Köhler II. OP-J 26:138–140CrossRef
Petje G, Radler C, Aigner N, Kriegs-Au G, Ganger R, Grill F (2002) Aseptic osteonecrosis in childhood: diagnosis and treatment. Orthopade 31:1027–1038CrossRef
Schade VL (2015) Surgical management of Freiberg’s infraction – a systematic review. Foot Ankle Spec 8:498–519CrossRef
Stavinoha RR, Scott W (1998) Osteonecrosis of the tarsal navicular in two adolescent soccer players. Clin J Sport Med 8:136–138CrossRef
Suda R, Petje G, Radler C, Ganger R, Girill F (2007) Osteonekrotische Erkrankungen in der Pädiatrie. J Miner Stoffwechs 14:24–31
Talusan PG, Diaz-Collado J, Reach JS (2014) Freiberg’s infraction – diagnosis and treatment. Foot Ankle Spec 7:52–56CrossRef
Waugh W (1958) The ossification and vascularisation of the tarsal navicular and their relation to Köhler’s disease. J Bone Joint Surg (B) 40:765CrossRef
Williams GA, Cowell HR (1980) Köhler’s disease of the tarsal naviculare. Clin Orthop Relat Res 158:53–58