Erhöhte Infektanfälligkeit im Kindes- und Jugendalter besteht per definitionem, wenn mehr als 8 Infektionserkrankungen pro Jahr (im Kleinkind- und Vorschulalter) auftreten bzw. chronische, über mehrere Wochen trotz adäquater Therapie nicht ausheilende Infektionen sich entwickeln.
Im Säuglings- und Kleinkindesalter begünstigt die partielle Unreife immunologischer Funktionsmechanismen, ein noch wenig ausgeprägtes Hygieneverhaltung und die häufig erstmalige Auseinandersetzung mit Mikroorganismen das Auftreten von Infektionen. Dieses Phänomen bezeichnet man auch „physiologische“ Infektanfälligkeit. Eine Abnahme der Infektionsfrequenz ist bei der Mehrzahl der betroffenen Kinder bis zum frühen Schulalter zu erwarten. Vor allem der Aufbau der immunologischen Gedächtnisfunktion nach überstandenen Infektionen und erhaltenen
Impfungen ist hierfür von Bedeutung. Zudem prädestiniert die vergleichsweise hohe Keimbelastung, wie sie in Heimen, Kindergärten oder Schulen auftritt, gerade Kleinkinder und junge Schulkinder zu einer erhöhten Infektanfälligkeit.
Eine abklärungsbedürftige Infektanfälligkeit liegt vor, wenn Infektionen auffällig polytop auftreten, durch opportunistische Erreger verursacht werden oder aber monotop mit schwerer Klinik bzw. therapieresistent verlaufen. Ebenso sind gewöhnliche Infektionen mit atypischem Verlauf (z. B. kalte Staphylokokken-Abszesse) auffällig und können auf eine primäre oder sekundäre Störung der Abwehrfunktionen hinweisen. Zu den primären Störungen des Immunsystems zählen Defekte von
Komplement, Granulozyten,
Monozyten, humoralem oder zellulärem Immunsystem und von
Zytokinen sowie Chemokinrezeptoren. Sekundäre Störungen des Immunsystems werden entweder durch eine direkte Schädigung des Immunsystems, wie z. B. im Verlauf einer
HIV-Infektion oder einer hämatologischen Erkrankung, oder als Komplikation bei Funktionsstörungen von Organsystemen ausgelöst. Hierbei kann es sich um lokale (z. B. Malabsorption, ekzematöse Veränderungen der Haut, Harntransportstörungen, chronische Atemwegserkrankungen) oder systemische Störungen handeln. Im ersten Fall muss die lokale Ursache identifiziert, im zweiten das Vorliegen eines Immundefekts in Erwägung gezogen werden (Tab.
1).
Tab. 1Wichtige Differenzialdiagnosen bei erhöhter Infektanfälligkeit
Gestörte Immunität (→ systemische Infektanfälligkeit) | | KomplementdefekteGranulozytendefekteMonozytendefekteB-Zell-DefekteT-Zell-Defekte |
| HIV-InfektionMalnutritionAutoimmunerkrankungenMalignomeDiabetes mellitus |
Gestörte Organfunktion (→ lokale Infektanfälligkeit) | Haut | Ekzem |
Respirationstrakt | AdenoideMukoviszidoseallergische RhinitisAsthmaZiliendysfunktionFremdkörperaspirationVitium cordis |
Intestinaltrakt | Exsudative EnteropathieLymphangiektasieZöliakie |
Harntrakt | Harntransportstörung |
ZNS | NeuroporusLiquorfistel |
Von entscheidender Bedeutung in der Diagnostik der erhöhten Infektanfälligkeit ist die Erhebung einer ausführlichen Anamnese und eines gründlichen klinischen Untersuchungsbefundes. Durch gezielte Laboruntersuchungen kann die Differenzialdiagnose eingegrenzt werden (Tab.
2).
Tab. 2Diagnostik bei erhöhter Infektanfälligkeit
Anamnese | Wann war Erstmanifestation der Infektionen? Welche Infektionen sind aufgetreten? Häufigkeit und Dauer der Infektionen? Welche Erreger wurden nachgewiesen? „Kinderkrankheiten“: Verlauf ungewöhnlich schwer? Impfanamnese (Pass) – Impfkomplikationen? Soziales Umfeld (besondere Erregerexposition)? Familienanamnese: Todesfälle durch Infektionen? Mütterliche Infektionen (z. B. HIV)? |
Klinischer Befund | Allgemeinpädiatrischer Befund aktuelle Infektionen körperliche Entwicklung – Gedeihstörung Entwicklung des lymphatischen Gewebes (Lymphknoten, Tonsillen) |
Bildgebende Diagnostik | Thorax-Röntgenbild (bei rezidivierenden Infektionen des Respirationstrakts) Thymusgröße (Mediastinalsonografie) |
Orientierende Labordiagnostik bei polytoper Infektneigung | BSG, CRP Gesamteiweiß, -phorese Gesamtkomplement CH50 Blutzucker (Urinstix) Multitest Merieux (nach dem 1. Lebensjahr) |
Orientierende Labordiagnostik bei monotoper Infektneigung | Atemwege | Schweißtest, Zilienanalyse, Suche nach Fehlbildungen (z. B. Fisteln), Hinweise für chronische Aspiration, Allergiediagnostik |
| Harnwege | Urinstatus, Sonografie, evtl. Miktionszysturethrogramm |
| ZNS | Suche nach Liquorfistel oder Neuroporus |
Weiterführende Diagnostik | In Verbindung mit einer pädiatrisch-immunologischen Spezialambulanz |