Aus der Vielzahl der bisher beschriebenen angeborenen Immundefekten des spezifischen Immunsystems sind einige „häufigere“ Beispiele im Folgenden dargestellt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den infektiösen Komplikationen der jeweiligen Syndrome.
B-Zell-assoziierte Immundefekte
IgA-Mangelsyndrom
Leichtester der Immundefekte, kann idiopathisch, aber auch familiär gehäuft auftreten (dominant). Isolierter IgA-Mangel (IgA <5 mg/dl), in den Laboruntersuchungen können weitere pathologische Befunde vollständig fehlen.
Klinisch lassen sich die Patienten in vier Gruppen gliedern. 25 % zeigen vornehmlich
Allergien, ca. 25 % haben rezidivierende Infekte der oberen Luftwege, 25 % haben
Autoimmunkrankheiten und die restlichen 25 % sind asymptomatisch. Etwa 20 % der Patienten mit IgA-Mangel zeigen einen IgG2-Subklassenmangel.
Symptomabhängig kann eine kontinuierliche prophylaktische antibiotische
Therapie indiziert sein. Die Autoimmunsyndrome werden entsprechend ihres Auftretens behandelt (z. B. L-Thyroxin bei
Hypothyreose). Die intravenöse Applikation von
Immunglobulinen (IVIG) sollte wegen des Risikos einer anaphylaktischen Reaktion gegen IgA vermieden werden. Die Patienten sollten dieses Risiko auffällig in einem Allergiepass vermerkt haben, den sie ständig bei sich tragen.
Transiente Hypogammaglobulinämie
Der genetische Defekt für diese Erkrankung ist nicht charakterisiert. Es handelt sich um eine verzögerte Entwicklung der Immunglobulinproduktion. Im Labor zeigen diese Patienten niedrige Immunglobulinspiegel, variable spezifische Antikörperproduktion bei nachweisbaren B-Zellen.
Klinisch manifestiert sich die Erkrankung im Alter zwischen vier Monaten und zwei Jahren mit rezidivierenden bakteriellen Infekten und milder Diarrhö.
IVIG über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten ist indiziert bei symptomatischen Kindern, sollte aber nicht in einer Phase verabreicht werden, in der die Patienten gerade ihre eigene Immunglobulinproduktion beginnen, um eine negative Rückkopplung an das Immunsystem zu vermeiden.
Die langfristige Prognose ist bei dieser selbstlimitierenden Erkrankung gut.
IgG-Subklassenmangel
Bisher ist die Ursache für diese Gruppe von Immundefekten nicht bekannt. Die absoluten IgG-Spiegel der Patienten sind normal, sie zeigen hingegen innerhalb des normalen Gesamt-IgG-Spiegels einzelne oder gepaarte unterrepräsentierte Subklassen. Die untere Normgrenze der IgG-Subklassen ist 280 mg/dl für IgG1, 50 mg/dl für IgG2 und 25 mg/dl für IgG3. Für IgG4 existiert keine untere Grenze, da ca. 25 % der Gesunden nicht messbare IgG4-Spiegel haben. Typische Muster des IgG-Subklassenmangels sind selektiver IgG2- oder IgG3-Mangel wie auch ein Mangel der Paare IgG2/IgG3, IgG2/IgA und IgG1/IgG3.
Je nach Subklassenmangel mag das
klinische Bild ein wenig variieren. Rezidivierende Infektionen der oberen Luftwege, aber auch Asthma und
Meningitis sind aufgrund der Prädisposition der Patienten häufig. Die IgG2-Subklasse stellt z. B. die
Antikörper gegen die Polysacharidantigene, daher sind Patienten mit IgG2-Subklassenmangel besonders gefährdet für Gram-negative und bekapselte Erreger, wie
Escherichia coli,
Haemophilus influenza und
Streptococcus pneumoniae. Diese Patienten profitieren von einer Kombinationstherapie aus
Antibiotika und IVIG.
Common variable Immunodeficiency (CVID)
Häufigste Form eines schweren Antikörpermangels bei Kindern und Erwachsenen. Die meisten Patienten werden im Alter zwischen 20 und 40 Jahren diagnostiziert. Die primäre Immundefizienz ist durch eine gestörte
B-Zell-Differenzierung und eine defekte Immunglobulinproduktion gekennzeichnet. Unter dem Begriff CVID werden mehrere Hypogammaglobulinämiesyndrome
zusammengefasst, die auf unterschiedliche genetische Defekte zurückgehen, deren Ursache aber auch häufig unbekannt bleibt.
Die
Diagnose wird aufgrund der folgenden drei Kriterien gestellt:
1.
Sehr niedriges IgG in Kombination mit niedrigem IgA und/oder IgM
2.
Schlechtes oder gar kein Impfansprechen
3.
Es liegt kein anderer Immnundefekt vor.
Der Begriff „variabel“ bezieht sich auf die sehr unterschiedlichen klinischen Manifestationen dieses Syndroms, die nicht nur rezidivierende Infektionen (v. a. der oberen Luftwege), sondern auch chronische Lungenerkrankungen, gastrointestinale entzündliche Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen und Malignome (v. a.
Lymphome) umfassen können. Fast alle Patienten haben rezidivierende bakterielle Infektionen, wobei sinopulmonale Infektionen am häufigsten sind. Oft chronifizieren diese Infektionen. Es besteht eine erhöhte Empfänglichkeit für Infektionen mit Kapselbakterien,
Streptococcus pneumonia und
Haemophilus influenzae sowie mit atypischen Erregern, v. a.
Mycoplasma spec. Ca. 75 % der Patienten haben mindesten eine Pneumonieepisode vor der Diagnose CVID. Oft finden sich Bronchietasen aufgrund rezidivierender Infektionen. Rhinosinusitis und Otitis media sind häufig, bei einigen Patienten mit der Konsequenz eines Hörverlustes. Hier finden sich häufig
Mischinfektionen von Viren und
Bakterien, wobei der Nachweis von Rhinoviren am häufigsten ist.
Gastrointestinale Infektionen äußern sich auch bei CVID-Patienten mit dem Leitsymptom der akuten Diarrhö, häufig nachgewiesene Erreger sind
Salmonellen,
Campylobacter jejuni und Norovirus. Chronische Diarrhö mit konsekutiver Malabsorption und Gewichtsverlust wurden für Patienten mit CVID beschrieben. Abhängig von der regionalen Epidemiologie wurden als Erreger
Giardia lamblia, Zytomegalievirus (CMV) sowie selten Cryptosporidien oder Norovirus nachgewiesen.
Weitere Infektionen, die bei bei CVID beschrieben wurden, sind die
septische Arthritis sowie – nach Einführung der Immunglobulintherapie nur noch selten – die
bakterielle Meningitis und
Sepsis.
Streptococcus spec. und Mykoplasmen können eine
septische Arthritis bei Patienten mit CVID verursachen. Mykoplasmeninfektionen
imponieren hier häufiger als chronische, erosive, therapierefraktäre Polyarthritis. Typische opportunistische Infektionen, wie sie häufig bei T-Zell-Depletion/-Defekten beobachtet werden, sind bei CVID Patienten selten. Dennoch kommen funktionelle T-Zell-Defekte bei CVID-Patienten in unterschiedlicher Ausprägung vor und korrelieren nicht zwangsläufig mit dem klinischen Bild des Patienten. Schwere Fälle von Herpes-zoster-Infektion,
Pneumocystis-jorvecii-Pneumonie und Cryptosporidieninfektion sind bei CVID beschrieben worden, ohne dass ein(e) T-Zell-Defekt/-Depletion vorlag.
Infektionen bei Patienten mit CVID sind
differenzialdiagnostisch immer von anderen, mit dem Syndrom assoziierten Entitäten abzugrenzen. Hierzu gehören u. a. die nicht verkäsende Granulomatose, die sich in Lunge und Gastrointestinum ausbilden können, wie auch die Malignome (v. a.
Lymphome und Autoimmunerkrankungen).
Die
Therapie von CVID besteht in der Verabreichung von
Immunglobulinen (IVIG). Die Indikation besteht für Patienten mit schweren Störungen der Antikörperproduktion und einem fehlenden Impfansprechen. Bei Patienten mit nur geringfügig oder moderat erniedrigtem IgG, die nur geringe Einschränkungen hinsichtlich des Impfansprechens aufweisen, kann unter engmaschiger Beobachtung zugewartet werden. Der Nutzen einer prophylaktischen Antibiotikagabe ist nicht gut belegt. Bei rezidivierenden Lungeninfektionen kann eine Antibiotikaprophylaxe sinnvoll sein. Siehe hierzu auch Antibiotikaprophylaxe unter „Sekundäre Immundefekte“.
Hyper-IgM-Syndrom
X-chromosomal gebundenes Syndrom, bei dem die T-Zell-abhängige Antikörperproduktion der B-Zellen nicht erfolgen kann, weil die T-Zellen der Betroffenen keinen CD40-Liganden aufweisen, der für die Stimulation des auf den B-Zellen exprimierten CD40-Rezeptors verantwortlich ist. Dadurch kann der Wechsel von der Sofortreaktion der Antikörperproduktion (IgM) zur Spätreaktion (IgG und IgA) nicht vollzogen werden. Die Patienten akkumulieren IgM und weisen andererseits niedrige IgG- und IgA-Spiegel auf, begleitet von einer intermittierenden Neutropenie.
Das
klinische Bild entwickelt sich im Alter von sechs Monaten mit schweren purulenten Infektionen, wie
Pneumonie,
Sepsis,
Meningitis, Vakzin-assoziierte Polioinfektion, rezidivierende Konjuntivitis etc. Alle Infektionen weisen eine begleitende Lymphknotenschwellung auf. Unbehandelt entwickeln die Patienten ein chronisches Leberversagen und haben eine schlechte Prognose.
Temporäre Erfolge können mit IVIG und
G-CSF (Granulozyten-Kolonien-stimulierender Faktor) erzielt werden. Eine definitive Heilung kann jedoch nur mit der Stammzelltransplantation erreicht werden.
Bruton-Agammaglobulinämie
X-chromosomal gebundenes Syndrom, verursacht durch einen Defekt des BTK-Gens, das die Bruton-Tyrosinkinase kodiert. Die Bruton-Tyrosinkinase ist ein zytoplasmatisches Protein, das für die B-Zell-Entwicklung und -Differenzierung eine entscheidende Rolle spielt. Der Immundefekt ist folglich durch einen Mangel an reifen B-Zellen und niedrigen Immunglobulinspiegeln charakterisiert. Der absolute Immunglobulinspiegel ist <400 mg/dl, es lässt sich keine Antikörperproduktion induzieren.
Das
klinische Bild entwickelt sich im Alter von sechs Monaten mit schweren purulenten Infektionen, wie
Pneumonie,
Osteomyelitis,
Sepsis,
Meningitis, Vakzin-assoziierte Polioinfektion, rezidivierende Konjuntivitis etc. Im Gegensatz zum Hyper-IgM-Syndrom zeigen die Patienten fehlende Lymphknoten und fehlendes Tonsillargewebe. Die Therapie erfolgt mit IVIG und
Antibiotika.
T-Zell-assoziierte Immundefekte
Seltener Immundefekt, dessen klinische Leitsymptome rezidivierende bakterielle Infekte der Haut (vornehmlich
Staphylokokken) und des Respirationstraktes sind. Zudem finden sich Skelett, Gesichts- und Zahnanomalien. Er wird autosomal dominant mit inkompletter
Penetranz vererbt, sodass sich ein breites Spektrum an Phänotypen findet.
Die Pathogenese für das
Hyper-IgE-Syndrom (HIES) ist bisher nicht vollständig verstanden. Es wird angenommen, dass sowohl die immunologischen Veränderungen als auch die Skelettanomalien durch eine Dysregulation auf Zytokinebene bedingt sind. HIES-Patienten zeigen neben der überschießenden Produktion an IgE eine defekte Chemotaxis neutrophiler Granulozyten, die eine unterschiedliche Ausprägung bei den einzelnen Patienten hat. Darüber hinaus besteht eine reduzierte Stimulierbarkeit der T-Helferzellen der Klasse 1 (Th1), die vorwiegend Staphylokokkenantigene, nicht aber z. B. Mykobakterien betrifft. Nach dem bisherigen Verständnis erklärt sich der Zusammenhang dieser Phänomene wie folgt:
Die IgE-Synthese
wird normalerweise unter anderem über die T-Helferzellen reguliert. Dabei stimulieren die von den T-Helferzellen der Klasse 2 (Th2) sezernierten
Zytokine, IL-4 und IL-13, die IgE-Synthese, während die von Th1 freigesetzten Zytokine, IFN-γ und IL-12, sie hemmen. Wird nun aufgrund der schwachen Th1-Antwort zu wenig IFN-γ und IL-12 gebildet, gerät dieser regulative Mechanismus aus dem Gleichgewicht und es kommt zu einer überschießenden IgE-Synthese. IFN-γ steigert die Aktivität neutrophiler Granulozyten, die eingeschränkte Chemotaxis der Neutrophilen wird daher auf den Mangel an IFN-γ zurückgeführt. Es handelt sich pathogenetisch somit um einen T-Zell-Defekt, der seine klinische Ausprägung als Granulozytenfunktionsstörung zeigt.
Klinisch sind Infektionen der Haut fast regelhaft und manifestieren sich bereits in der Kindheit. Moderate bis schwere juckende Ekzeme begleiten die Patienten schon im Säuglingsalter. Später finden sich häufig multiple Staphylokokkenabszesse (Furunkulose) vor allem im Gesicht, die schmerzhaft und überwärmt sind. Gelegentlich finden sich kalte
Abszesse, die für die Erkrankung pathognomisch sind. Diese entwickeln sich aufgrund der eingeschränkten zellulären Abwehr durch neutrophile Granulozyten. Die Abszesse bergen in der Regel massenhaft
S. aureus, aber kaum Granulozyten.
Chronische Infektionen der Luftwege sind häufig, aber auch andere Infektionen wie rezidivierende bakterielle Arthritis, Staphylokokkenosteomyelitis im Bereich von Frakturen, chronische Candidiasis der Schleimhäute und des Nagelbettes (ca. 80 %). Seltener sind Infektionen mit opportunistischen Keimen wie Pneumocystis jirovecii oder Cryptococcus neoformans.
Skelettale und faziale Veränderungen definieren die typische Fazies der Patienten mit HIES, die sich durch eine breite Nasenwurzel und eine Prominenz von Maxilla und Jochbein auszeichnet. Kraniosynostosen kommen vor, sind aber eher selten. Osteopenie und
Osteoporose bedingen eine erhöhte Frakturanfälligkeit insbesondere der langen Röhrenknochen, der Rippen und des Beckens. Frakturen treten in jedem Alter auf und sind häufig nur durch Minimaltraumata wie z. B. Windelnwechseln oder das Heben eines schwereren Gewichtes ausgelöst. Das Abstoßen der Milchzähne ist bei den Patienten meist verzögert, ebenso wie die Eruption des permanenten Gebisses. Dies führt dazu, dass bei einigen Patienten zeitgleich beide Zahnreihen hintereinander vorhanden sind. Dieses Phänomen geht auf eine verzögerte Resorption der Milchzahnwurzeln zurück.
Labor: Erhöhtes
Serum IgE (die Werte überschreiten in der Regel 2000 I.E./ml und erreichen teilweise Werte bis 20.000 I.E:/ml [Normalwert <100 I.E:/ml]), häufig findet sich eine begleitende Eosinophilie, die zwei
Standardabweichungen über der Norm liegt, die Granulozyten zeigen eine verminderte Chemotaxis
Die
Therapie des HIES sollte interdisziplinär in Zusammenarbeit mit Pädiatern/Internisten, Dermatologen und Immunologen erfolgen. Eine kurative Therapie steht derzeit nicht zur Verfügung. Die krankheitstypischen Infektionen sollten akut mit
Antibiotika behandelt werden, die den vorherrschenden Erreger des Syndroms,
S. aureus, berücksichtigen: Staphylokokken-wirksame Penicilline, Aminopenicilline mit Betalaktamasehemmern, Clindamycin, Ciprofloxacin. Patienten profitieren von einer Langzeitprophylaxe mit Staphylokokken-wirksamen Penicillinen. Darüber hinaus sind ein lebenslanges Monitoring und begleitende supportive Maßnahmen erforderlich. Dazu gehört die sorgfältige Diagnostik und Therapie von Knochenbrüchen und die Entfernung verbleibender Milchzähne.
Verlauf und Prognose hängen stark ab von der Früherkennung der Diagnose und der damit verbundenen Einleitung eines konsequenten Monitorings und der notwendigen Antibiotikaprophylaxe. Die Erkrankung verläuft nicht selten fatal durch eine fulminante
Sepsis als Komplikation einer Infektion.
Mukokutane Candidiasis
T-Zell-Defekt unklarer Genese. Die mukokutane Candidose kann mit Polyendokrinopathien assoziiert sein. In diesen Fällen liegt eine Mutation des AIRE („autoimmune regulator“)-Gens vor, die in 50 % der Fälle autosomal rezessiv vererbt wird. Die mukokutane Candidose ohne Endokrinopathien wird dagegen häufig autosomal dominant vererbt.
Klinisch imponieren die Patienten mit
Candida- und anderen Pilzinfektionen, die nur die Haut und Schleimhäute betreffen (nicht systemisch). Häufig treten
Candida-Granulome auf. Patienten jüngeren Alters zeigen eher Endokrinopathien wie
Hypothyreose, Hypoparathyreodismus,
Morbus Addison und
Diabetes. Heranwachsende hingegen zeigen diese Ausprägungen seltener. Immunologisch handelt es sich um einen selektiven Ausfall der T-Zell-Antwort. Die Anzahl der T-Zellen sowie die In-vitro-Antwort auf Phytohämagglutinin (PHA) ist normal. Es wird eine verminderte Produktion des „macrophage
migration inhibitory factor“ (MIF) beobachtet. Die Patienten zeigen eine kutane Anergie gegenüber
Candida.
Die Therapie besteht in der lokalen und systemischen Applikation von Antimykotika. Für schwerwiegende Fälle befindet sich derzeit die Stammzelltransplantationin in der Erprobung.