Wegen der hohen Variabilität des frühen Spracherwerbs kann die Diagnose erst nach dem 3. Lebensjahr gestellt werden. Zuvor wird weniger spezifisch von Sprachentwicklungsverzögerung
anstelle von -störung gesprochen und die Kinder werden als Spätsprecher (Late Talkers) bezeichnet (Tab.
1).
Tab. 1
Leitsymptome von Sprachentwicklungsverzögerungen und -störungen
Sprachentwicklungsverzögerung
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1. Lebensjahr | Verspätetes und vermindertes Lallen |
2. Lebensjahr | Verminderter Wortschatz |
3. Lebensjahr | Verminderte Äußerungslänge |
Sprachentwicklungsstörung
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4.–6. Lebensjahr | Fehler bei Syntax und Morphologie |
Schulalter | Kurze, einfache Sätze; Probleme beim Erzählen |
Jugend- und Erwachsenenalter | Probleme bei komplexen grammatischen Strukturen, idiomatischen Wendungen, Doppeldeutigkeiten und Ironie |
Bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern ist differenzialdiagnostisch eine Sprachentwicklungsstörung von Sprachauffälligkeiten durch einen unzureichenden Kontakt zur deutschen Sprache abzugrenzen. Nur wenn Spracherwerbsprobleme auch in der Muttersprache bestehen, ist von einer Entwicklungsstörung auszugehen und eine Sprachtherapie indiziert. Ansonsten sollte eine spezifische pädagogische Förderung in Deutsch erfolgen.
In der Sprachtherapie wird der Spracherwerbsprozess durch eine quantitative Erhöhung und qualitative Verbesserung des Sprachangebots und durch Anregung der Kinder zum aktiven Sprachgebrauch gefördert. Die zahlreichen sprachtherapeutischen Methoden beruhen auf zwei Grundkonzepten: einer Sprachförderung nach lerntheoretischen Prinzipien (strukturiert, übende Verfahren) und einer Sprachförderung in einer alltagsnahen Situation vergleichbar dem natürlichen Erstspracherwerb (naturalistische Methoden).
Häufig erfolgt zusätzlich ein Training von Basisfunktionen (Training der auditiven Wahrnehmung, der phonologischen Merkfähigkeit, des Rhythmusempfindens, der Motorik, der taktilen Wahrnehmung, der gerichteten Aufmerksamkeit u. a.). Die Effektivität solcher Trainings ist nicht belegt.
Die Wirksamkeit alternativer Methoden geht nicht über Placebo- und Kontexteffekte hinaus. Zu nennen sind: Tomatis-Therapie, anthroposophische Sprachgestaltung, Training der Seitigkeit, Training der Hemisphärenkoordination mit Lateraltrainer oder Audio-Video-Trainer, Osteopathie, Therapie eines KISS/KIDD-Syndroms, Therapie nach Doman und Delakato, neurofunktionelle Reorganisation nach Padovan, HANDLE-Therapie und neurophysiologische Entwicklungsförderung.