Anamnese
In der Anamnese müssen Art und Ausprägung der Inkontinenz, die Miktionsparameter (Pollakisurie? Nykturie? Dysurie? Algurie? Hämaturie?), der Gebrauch von Hilfsmitteln (Vorlagen, Windeln, Kondomurinal, Penisklemme) und weitere subjektive Faktoren erfasst werden.
Auch die Verdauungs- und die Sexualfunktion müssen obligat mit abgefragt werden. Hierzu haben sich standardisierte Fragebögen bewährt, die auch eine bessere Erfolgskontrolle der Behandlung ermöglichen (Vorher-Nachher-Vergleich). Begleiterkrankungen, insbesondere neurologischer Art, und zahlreiche Medikamente, insbesondere
Psychopharmaka, haben Einfluss auf die Blasen- und Kontinenzfunktion
und müssen erfasst werden.
Ganz besondere Sorgfalt sollte den vorausgehenden Behandlungen gewidmet werden. Von dem die Inkontinenz auslösenden Eingriff sollte man sich immer den Operationsbericht besorgen. Die Methode der Prostatektomie, Besonderheiten während der OP und die pathologische Klassifikation sind wichtige Informationen. Adjuvante oder neoadjuvante Behandlungen, andere Voroperationen und Begleiterkrankungen können auf die weitere Therapieentscheidung großen Einfluss haben. Bei älteren Patienten oder neurologischen Erkrankungen (z. B. demenzielle Syndrome) kann die Einbeziehung von Angehörigen oder Betreuern sinnvoll sein.
Erfassung und Graduierung der Inkontinenz
Die persönliche Wahrnehmung einer Belastungsinkontinenz ist sehr verschieden, sodass vor einer Therapieentscheidung die individuelle Situation möglichst umfassend gewürdigt werden sollte. Manche Patienten fühlen sich durch das Tragen einer Inkontinenzvorlage im Alltag nicht beeinträchtigt, für andere ist dies mit einem erheblichen Verlust der körperlichen Identität verbunden. Zur objektiven Erfassung der Miktionsfrequenz und der Inkontinenzereignisse dient ein Miktionsprotokoll, welches an mindestens 3 aufeinanderfolgenden Tagen geführt werden sollte. Von den medizinischen Fachgesellschaften oder der Industrie zur Verfügung gestellte Vordrucke erleichtern Patient und Arzt die Auswertung. Dabei können auch die Miktionsvolumina erfasst und ein Bild von der funktionellen Blasenkapazität gewonnen werden. Hierdurch können sich auch Hinweise auf eine Störung des Detrusors ergeben, was weitere diagnostische Schritte und ggf. auch eine zusätzliche Behandlung nach sich zieht.
Wichtig ist die Erfassung des tatsächlichen Urinverlusts in 24 h. Dies wird durch die Anzahl der verbrauchten Vorlagen nur unzureichend wiedergegeben, da sehr unterschiedliche Größen und Stärken verwendet werden. Zudem wechseln einige Patienten die Vorlage schon nach geringstem Urinverlust, andere erst, wenn die Vorlage keine Flüssigkeit mehr aufnimmt. Aus diesem Grund hat sich das Wiegen der Vorlagen bewährt, sodass der tatsächliche Flüssigkeitsverlust objektiv erfasst werden kann. Die Mengen werden dann innerhalb eines 24-h-Zeitraums addiert. Dies spiegelt die Alltagssituation besser wider als ein kurzzeitiger Belastungstest, z. B. der „1-Stunden-Pad-Test“ (= Vorlagen-Test) nach Klarskov und Hald (
1984) oder der 20-Minuten-Test nach Hahn und Fall (
1991).
Während der Testphase sollte der Patient nicht miktionieren. Wenn der Patient Drang verspürt, sollte er gebeten werden, die Miktion zurückzuhalten und so viele weitere Übungen wie möglich durchzuführen, um den Urinverlust feststellen zu können.
Wenn die Miktion nicht zurückgehalten werden kann, ist die Testphase beendet.
Das Testresultat wird als Urinverlust in g/h angegeben. Der Test ist positiv ≥2 g.
Inkontinenz: Einteilung der International Continence Society (ICS)
Grad 1 | (leichte Inkontinenz) | <10 g |
Grad 2 | (mäßige Inkontinenz) | 10–50 g |
Grad 3 | (schwere Inkontinenz) | 51–100 g |
Grad 4 | (sehr schwere Inkontinenz) | >100 g |
Ein postoperativer Pad-Test zur Erfolgskontrolle nach Prostatektomie sollte erst nach angemessener Abheilungszeit durchgeführt werden, üblicherweise frühestens nach 6 Wochen. Dies gilt auch für Kontinenzoperationen bei Männern. Durch zu frühe Belastung des Beckenbodens kann das Operationsergebnis zunichte gemacht werden.
Apparative Diagnostik
Als einfache apparative Untersuchung kann eine Uroflowmetrie
erfolgen. Eine Restharn-Sonografie ist obligat, da nach einer Prostatatherapie häufig
Harnröhrenstrikturen, Anastomosenstenosen oder Blasenhalssklerosen gefunden werden. Dies sollte nicht erst auffallen, wenn bei einem weiteren Eingriff im OP die Kathetereinlage nicht gelingt. Wenn neben der Belastungsinkontinenz auch Drangsymptome vorliegen oder eine neurologische Begleiterkrankung vorliegt oder vermutet wird, sollte eine urodynamische Evaluation erfolgen. Ob diese vor einer Inkontinenzoperation immer notwendig ist, wird kontrovers diskutiert. Es liegt keine Evidenz vor, dass eine präoperative Urodynamik
das operative Ergebnis beeinflusst. Selbst wenn eine
Detrusorhyperaktivität oder eine reduzierte
Compliance der Blase festgestellt wird, sollte dies nicht grundsätzlich von einer Therapie der Belastungsinkontinenz abhalten, sondern mit dem Patienten besprochen und begleitend konservativ behandelt werden.
Unabdingbar für die Indikationsstellung zur operativen Therapie ist die Urethrozystoskopie. Diese kann mit einem starren oder flexiblen Instrument erfolgen, beides hat in einzelnen Aspekten Vor- und Nachteile. Hierbei muss die Beschaffenheit und Integrität der Harnröhre (Striktur? Atrophie? Läsion? Fremdmaterial [Fäden, Clips]? Via falsa?), die Prostataloge oder Anastomosenregion (Tumorrezidiv? Entzündung? Stenose? Anastomosendefekt?), die Blase (Tumor? Entzündung? Trabekulierung? Divertikel? Lage der Ostien? Interner Sphinkter erhalten?) und natürlich der externe Sphinkter beurteilt werden. Dieser sollte zunächst relaxiert betrachtet werden: Ist die Zirkumferenz intakt? Ist die Form symmetrisch? Gibt es Anzeichen für eine Verletzung? Zeigt das Urothel Risse oder Narben? Welche Länge hat die Sphinkterstrecke? Wie groß ist die Distanz zur Anastomose? Wie ist die Lage in Bezug zum Harnröhrenverlauf zu beurteilen? Danach wird das Zystoskop in den Bulbus zurückgezogen und der Patient zu einer aktiven Sphinkterkontraktion aufgefordert, vielen Patienten ist dies durch die Physiotherapie im Rahmen einer Anschlussheilbehandlung nach der Prostataoperation vertraut. Hierbei sollte auf Vollständigkeit und Symmetrie des Sphinkterschlusses geachtet werden und die Länge der Verschlussstrecke abgeschätzt werden. Liegt eine Vernarbung im Verlauf der membranösen Harnröhre vor, z. B. nach Radiatio, kann die Beweglichkeit stark eingeschränkt sein. Auch eine mögliche Lageveränderung des Sphinkters durch die Kontraktion sollte mit beurteilt werden. Wenn ein Abkippen des Sphinkters vorliegt („Descensus der posterioren Harnröhre“), sollte versucht werden, dies durch manuellen Druck auf das Perineum parallel zur Harnröhre auszugleichen („Gozzi-Test“, s. AdVance-Band, Kap. „Therapie der männlichen Harninkontinenz“).
Zusammenfassung
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Anamnese als Basis der Kontinenztherapie: umfasst Operationen, Begleiterkrankungen und Medikamente.
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Wahrnehmung der Belastungsinkontinenz: Objektivierung durch „Pad-Test“ (= Vorlagen-Test) über 24 h.
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Uroflowmetrie mit Restharn-Sonografie.
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Urodynamik, wenn Drangsymptome oder neurologische Erkrankungen vorliegen.
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Urethrozystoskopie zur Beurteilung von Integrität, Lage und Funktion des Sphinkters sowie zum Ausschluss anderer Pathologien.