Dieses Kapitel beschreibt die Gefäßverläufe im Bauchraum, Retroperitoneum und Darm sowie die Besonderheiten der Strukturen des Lymph- und Nervensystems bei urologischen Eingriffen.
Aorta und Vena cava sind die Hauptgefäße des Abdominal- und Retroperitonealraums. Ihre Verzweigungen weisen zahlreiche Varianzen auf, die eine schematische Darstellung (Abb. 1a, b) nicht erfassen kann. Die Aorta hat ein kräftige Tunica adventitia und ist von Lymphgefäßen und dem Plexus aorticus abdominalis umgeben, in dem sympathische und parasympathische Nervenfasern vermischt sind. Die A. mesenterica superior versorgt Jejunum, Ileum und das Kolon bis zur Flexura coli sinistra (Abb. 2). Colon descendens, Sigma und obere Rektumanteile werden durch die A. mesenterica inferior versorgt (Abb. 2). Ihr Hauptast, die A. rectalis superior und die begleitenden Venen überkreuzen in Höhe des Promontoriums die A. und V. iliaca communis und können bei kurzem Mesosigma in diesem Bereich z. B. bei der Lymphadenektomie den operativen Raum begrenzen bzw. unangenehm nah sein.
Abb. 1
(a) Abdominale Aorta und ihre Abgänge. (b) Vena cava inferior und ihre Zuflüsse
Abb. 2
Arterielle Versorgung des Dickdarms. (Aus Tillmann 2005)
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Die Gefäßbahnen und -arkaden zum Dünn- und Dickdarm haben ein sehr variables Aufzweigungsmuster. Am Dickdarm wird ein darmnahes, parallel zum Dickdarm verlaufendes Gefäß als Marginalarterie bezeichnet; sie ist nicht immer komplett ausgebildet, aber prinzipiell eine gemeinsame Kollaterale aller zum Kolon ziehenden Gefäße (Abb. 3). Als Sudeck’scher Punkt wird die letzte dieser Anastomosen zwischen A. sigmoidea und A. rectalis superior bezeichnet (Abb. 4). Distal davon ist die A. rectalis superior potenziell eine Endarterie und ihre Ligatur kann zur Ischämie des oberen Rektums führen. Bei der Sigmaresektion, z. B. wegen Sigmadivertikulitis mit Blasenfistel, ist der teilweise nahe, parallele Verlauf der beiden oben genannten Gefäße bei der Präparation zu beachten. Weiter distal ist das Rektum durch die paarigen Aa. rectalis media und inferior und die dorsal verlaufende A. sacralis mediana gut arteriell versorgt (Abb. 1–5a). Diese letztgenannte Arterie und ihre Begleitvenen sind bei der Sakrokolpopexie zu beachten.
Abb. 3
Arterielle Versorgung des Dickdarms mit der A. marginalis
Abb. 4
Versorgungsgebiet der A. mesenterica inferior mit Sudeck’schem Punkt. (Aus Tillmann 2005)
Abb. 5
(a) Arterien des Beckens (Frau). (b) Venen des Beckens (Frau). (Aus Tillmann 2005)
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Die Wände der V. cava (Abb. 1b) und aller ihrer Zuflüsse im Retroperitonealraum sind vergleichsweise zart und bei der Präparation leicht verletzbar. Das gilt besonders für die Lumbalvenen, die nur über eine kurze Strecke darstellbar sind und durch ihre Fixierung an der V. cava zentral und der Rumpfwand dorsolateral wenig mobil sind. Deshalb reißen sie leicht ein und können dann wegen der geringen mobilen Länge speziell wirbelsäulennah schlecht versorgt werden. Sie zu erkennen und gezielt zu schonen oder zu durchtrennen, ist bei der RPLA, Operationen von Cavathromben und retroperitonealen Tumoren wichtig. Gleiches gilt für die Lumbalarterien, die wegen ihrer kräftigeren Struktur aber besser zu handhaben sind. Beide, Lumbalarterien und -venen, liegen meist weiter dorsal, als man annimmt.
Der Verlauf der linken Nierenvene zwischen Aorta und A. mesenterica superior (Abb. 6) ist der Ort, wo das Nussknacker Phänomen durch Kompression der Nierenvene und venöse Rückstauung in die linke Niere ausgelöst wird. Dieser Bereich ist auch bei der laparoskopischen Nephrektomie zu beachten, um eine Verletzung der A. mesenterica superior zu vermeiden, wenn die linke Nierenvene gestapelt und durchtrennt wird.
Unter den Venen des Bauchraums ist die V. mesenterica inferior speziell zu erwähnen. Als Teil des Pfortaderkreislaufs (Abb. 7) dräniert sie Colon descendens, Sigma und oberes Rektum.
Sie zieht knapp lateral links von der Plica duodenojejunalis (Abb. 8, 9) an der Unterseite der Radix mesenterii und dann dorsal des Pankreas nach medial zur V. splenica. Das Besondere an ihr ist, dass sie in ihren zentralen, cranialen Anteilen nicht – anders als die V. mesenterica superior – parallel zu ihrem nominell dazugehörigen arteriellen Gefäß, der A. mesenterica inferior verläuft (Abb. 9).
Bereich der Flexura duodenojejunalis mit V. mesenterica inferior und Ramus ascendens der A. colica sinistra. (Aus Tillmann 2005)
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Sie widersetzt sich – zusammen mit dem in der Nähe verlaufenden Ramus ascendens der A. colica sinistra (Abb. 2, 4, 9) – gelegentlich einer fordernden Mobilisation der Radix mesenterii zur Darstellung der kranial und lateral davon liegenden Lymphknotenstationen oder der großen Gefäße.
Lymphsystem
Eine schematische, anatomische Darstellung der Lymphknotenstationen kann (Abb. 10) der tatsächlichen Lokalisation, Zahl und Verteilung der Lymphknoten nicht gerecht werden. Das zeigt eine funktionelle Darstellung z. B. der primären Lymphknotenstationen der Prostata (Abb. 11a, b).
a, b Primäre Lymphknotenstationen der Prostata. (a) ap-Projektion, (b) linke Beckenwand. Lymphknoten vor den Gefäßen (grüne Punkte) und hinter den Gefäßen (schwarze Punkte). Lymphknotenbereiche: I a. iliaca interna und n. obturatorius, II a. iliaca interna, III praesacral und pararectal, lV a. iliaca communis, V paraaortal und -caval (Aus Schlomm et al. 2009)
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Die Anatomie der Lymphbahnen und Lymphknoten ist klinisch und operationstechnisch von geringerer Bedeutung als die Metastasierungswege und -orte. Die Lymphadenektomie muss die umgebenden anatomischen Strukturen respektieren. Bereiche und Ausdehnung der Lymphadenektomie unterschiedlicher Tumorerkrankungen des Urogenitaltraktes orientieren sich nicht an der Lage des Lymphsystems, sondern an Feldern, die über die Häufigkeit des metastatischen Befalls oder Prognosen definiert werden (Abb. 11a, b, 12) (s. Kap. „Urothelkarzinom der Harnblase: Chirurgische Therapie“ und Kap. „Operative Anatomie, Indikationsstellung und Strategien Prostata und äußeres Genitale“).
Abb. 12
Beispiel für verschiedene Felder der Lymphadenektomie beim Blasenkarzinom. I: Limitierte LA, II: Erweiterte LA, III: ausgedehnte LA (Aus Burkhard et al. 2011)
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Wichtige Besonderheit ist der Lymphabfluss der Hoden entlang der Vasa spermatica zu den retroperitonealen lumbalen Lymphknoten und der Cisterna chyli. Sie liegt hinter der Aorta in Höhe LWK 1–2 (Abb. 13, 14). Hier fließt die Lymphe der unteren Körperhälfte inklusive der des Intestinaltraktes durch. Unversorgte Läsionen können zu lang anhaltendem, schwer zu beeinflussenden Lymphaszites führen.
Abb. 13
Dorsalansicht des Retroperitonealraums. (Aus Tillmann 2005)
Abb. 14
Lymphsystem in Höhe der Cisterna chyli
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Nerven
Efferente sympathische Nervenfasern und der Grenzstrang liegen rechts lateral unter der V. cava und ziehen auf die Aortenvorderfläche zusammen mit Ästen aus dem lateral der Aorta liegenden Grenzstrang (Abb. 15). Sie sind bei der retroperitonealen Lymphadenektomie wegen Hodentumoren zu berücksichtigen, wenn die Ejakulation erhalten werden soll (s. Kap. „Operative Anatomie, Indikationsstellung und Strategien Prostata und äußeres Genitale“).
Abb. 15
Paraaortale und parakavale Nervenbahnen
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Zusammenfassung
Bei der Sigmaresektion ist der nahe, parallele Verlauf von A. sigmoidea und A. rectalis superior bei der Präparation zu beachten. Ligatur der A. rectalis superior kann zur Ischämie des oberen Rektums führen.
Vena cava und Zuflüsse im Retroperitonealraum sind besonders leicht verletzbar. Gezielte Schonung wichtig bei RPLA, Operationen von Cavathromben und retroperitonealen Tumoren.
Lymphadenektomie bei Tumoren des Urogenitaltraktes orientiert sich an Feldern häufigen metastatischen Befalls.
Lymphabfluss der unteren Körperhälfte über Cisterna chyli: Unversorgte Läsionen können zu lang anhaltendem Lymphaszites führen.
Bei retroperitonealer Lymphadenektomie wegen Hodentumoren zu berücksichtigen: Efferente sympathische Nervenfasern und Grenzstrang rechts lateral unter V. cava liegend und auf Aortenvorderfläche zusammen mit Ästen des lateral der Aorta liegenden Grenzstrangs ziehend.